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Full text of "Führer durch den Concertsaal Abth. Sinfonie und Suite"

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Führer durch 
den 




Concertsaal: 
Abth. Sinfonie 
und Suite 




Hermann 



Kretzschmar 





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FUHRER 



DURCH DEN CONCERTSAAL 



VON 



HERMANN K.RETZSCHMAR. 



I. ABTI1E1LUNG: 
SINFONIE UND SUITE. 



ZWEITES TAUSEND. 



LEIPZIG 

A. G. LIEBESKIND 
1887. 



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VORWORT. 



^ vorliegende »Führer durch den Concert- 
J saal« ging aus einzelnen Aufsätzen her- 
vor, welche ich im Laufe der Jahre für die von 
mir geleiteten Goncerte geschrieben habe, um 
die Zuhörer auf die Aufführungen unbekannter 
oder schwierig zu verstehender Compositionen 
vorzubereiten. 

Für die Buchform sind diese Artikel um- 
gearbeitet und dahin vervollständigt worden, dass 
die erläuternden Werke in geschichtlicher Folge 
erscheinen. Da Historie und Kritik unzertrenn- 
lich sind, wird man entschuldigen, dass die Com- 
positionen und die Componisten auch beurtheilt 
werden. Ich hoffe jedoch mich in dieser Be- 
ziehung durchschnittlich in den gebotnen Grenzen 



-* IV <t~ 

gehalten zu haben. Den ersten Gesichtspunkt 
für Aufnahme oder Weglassung, kürzere oder 
ausführlichere Behandlung der Werke und Künst- 
ler bildete ihre Stellung im heutigen Repertoir, 
den zweiten ihre kunstgeschichtliche Bedeutung. 
Aus ersterem Grunde mussten unter anderen, 
einige Gompositionen aus der jüngsten Gegen- 
wart zur Zeit noch unberücksichtigt bleiben. 



H. Kretzschmar. 




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Händel und Bach 



Blüthezeit der Suite, Entwickelung der Sinfonie. 



enn wir nach den Anfängen unsrer heutigen Con- 



certmusik für Orchester suchen, so müssen wir 



IflAXvA eine beträchtliche Strecke zurückwandern. Die 
ältesten Nachrichten über die Existenz ständiger, besol- 
deter oder subventionirter Orchester in Deutschland füh- 
ren uns bis in das 13. und H. Jahrhundert hinab. Es 
sind um diese Zeit vornehmlich die reichen Handelsstädte, 
welche die wild und frei herumstreifenden Pfeifergesellen 
in geordnete Verbände zusammenfassen und in ehrbaren 
zunftähnlichen Formen sesshaft und nutzbar machen. 
Das öffentliche Leben bot mannigfache Verwendung für 
die Künste der Spielleute: feierliche Feste mit Aufzügen 
und Reden ; Hochzeiten, Taufen und Ehrentage im Kreise 
wohlhabender Familien; Tanz und Reigen auf grünem 
Hag, im Saal und auf der Tenne. Des Sonntags, oder 
auch bei andern guten Gelegenheiten, war die Bande von 
Rathswegen zu einer passenden Tagesstunde auf den 
Plan vor der Stadt entboten, um allem Volk, das zu hören 
begehrte, aufzuspielen was schön und angebracht war. 





2 

Im Repertoir jener mittelalterlichen Orchester mag 
die Festmusik den schwächsten Theil gebildet haben. Sie 
nahm wahrscheinlich ihren Ausgang von einfachen Fan- 
faren, welche erst im Laufe der Zeit harmonisirt und zu 
kurzen Toccaten ähnlicher Art ausgebildet wurden, wie 
noch Monteverde eine seiner Oper Orfeo im Jahre <607 
Sonate. als Ouvertüre vorausschickte. Den Hauptspielstoff für 
ernste und feierliche Zwecke bildeten übertragene Chor- 
stücke: Motetten und ähnliche Kirchensätze. Diesen Ur- 
sprung trägt auch die Orchestersonate Gabrielfs 
noch deutlich an der Stirn, der wir um das Jahr <600 
zuerst begegnen und welche die Musikgeschichte als eine 
der ältesten kunstmässig entwickelten Formen selbstän- 
diger -Instrumentalmusik bezeichnet. Giovanni Gabrieli 
hat sie besonders ausgebildet und eingebürgert. Die 
Normalgestalt, welche er ihr gab, war dreigliederig. Unter 
diesen drei Sätzen ist der erste entschieden bevorzugt; 
der zweite oder der dritte, oft auch beide, sind in der 
Regel mit rudimentärer Kürze behandelt. Der Charakter 
dieser Sonate ist ein feierlicher: einfach sind die Har- 
monien, gemessen die Rhythmen. Das Orchester ist mit 
venetianischer Splendidität in Chöre getheilt, welche anti- 
phonisch, wie in Frage und Antwort, in Ruf und Echo, 
das plastische Grundmotiv des Satzes herüber- und hin- 
übertragen. Die Orchestersonate verband sich schon 
nach einigen Jahrzehnten mit ihrem gleichfalls noch 
jugendlichen Alters- und Landesgenossen: dem italie- 
nischen Musikdrama. Bei ihm erhielt sie eine nicht un- 
bedeutende Entwickelung, den neuen Namen Sinfonia 
und ein fröhlicheres leichteres Wesen. 

Der kräftige künstlerische Zug, welcher durch das 
4 6. Jahrhundert ging, führte der Orchestermusik ziemlich 
gleichzeitig mit der Sonate eine andere grosse Kunstform 
zu, die jener für eine geraume Weile an Popularität und 
praktischer Verwendung sogar voranstand. Das ist die 
Saite. Suite. Die Sonate war ursprünglich das Galastück der 
Orchester, die Suite ihr Hauskleid. Die Suite ist eine 
volksthümliche Schöpfung; sie gleicht einem Sträusschen 



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aus Feldblumen : Tänze und Liedweisen bringt sie locker 
zusammengebunden in einer künstlerischen Form, deren 
eigner Werth sich fast auf Null reducirt. Schlicht, be- 
quem und einfach ist in der ältesten Zeit Stück an Stück 
gereiht. Den theoretischen Faden, welcher die Theile, oft 
eine sehr grosse Menge, zusammenhält, bildet die Gemein- 
samkeit der Tonart. Der Inhalt ist lauter Natur, herz- 
liche, natürliche, Jedwedem verständliche und liebe 
Musik. 

Die goldne Zeit des Volksliedes und des Tanzes darf 
man nicht in der Gegenwart suchen. Das Mittelalter 
war in diesen Gattungen unvergleichlich productiver und 
verfügte namentlich über einen Reichthum und eine 
Mannigfaltigkeit verschiedener Charaktertänze, von denen 
sieben AchJ^l ^eute ausgestorben sind. Alle Culturvölker 
Europas steuerten zu diesem Schatze, obenan Frankreich. 
Dieses und unser deutsches Land haben auch an der 
künstlerischen Entwickelung der Suite das erste Autor- 
recht. Die Franzosen dürfen für die Ausbildung dieser 
Musikart auf dem Ciavier den erlauchten Namen Coup- 
erins anführen; den Deutschen kommt aber allem An- 
scheine nach das Verdienst zu die Suite ins Orchester ge- 
bracht zu haben. Zu den ältesten deutschen Orchester- 
suiten gehört des Frankfurter Perzelius »blasende Musik«. 
Die Spielleute nannten bis in die Mitte des 18. Jahr- 
hunderts ihre Orchestersuiten Partien. In der ersten 
Zeit sind die Suiten oder Partien für Blasinstrumente 
geschrieben; die Orchester concertirten hauptsäch- 
lich im Freien und waren noch weit davon ab auch 
für diese Zwecke die Führerschaft der eben erst empor- 
strebenden Violine anzuerkennen. Die Zahl der Sätze 
in der Suite ist ziemlich willkürlich, unter vier geht sie 
jedoch nicht. Auch für die Folge der Sätze giebt es 
keine bestimmten Regeln. Der eine Herausgeber liebt 
den vermittelnden Anschluss, der andere den Contrast. 
Nur darin setzte sich eine gewisse Tradition fest, dass 
am Ende der Suite ein sehr flotter, lustiger Satz stand, 
und dass ihr auch ein langsamer ernst sinnender oder 

1* 



4 



singender Theil nicht fehlen durfte. Mit der Zeit berühr- 
ten sich Sinfonia (oder Sonata) und Suite vielfach. Die 
Sätze der Suite streifen den Tanzcharakter ab und stellen 
sich auf den thematischen Fuss, welcher allmählig dem 
ersten Satze der Sonate eigen wurde. Auf der andern Seite 
finden wir viele Sinfonien für Concert und Opernge- 
brauch geschrieben, die nach Zahl und Charakter der 
einzelnen Sätze nur Suiten sind. Nicht blos mit der 
Rechtschreibung, sondern auch mit der Begriffsbestim- 
mung, Nomenclatur und Terminologie hielten es unsere 



Unser heutiges Concertrepertoir, welches in der 
Kammermusik mit vielerlei dankenswerthen »Ausgra- 
bungen« bereichert ist, pflegt bisher in der Orchester- 
litteratur nicht über Händel und Bach rückwärts zu drin- 
gen. Gewiss würden die Werke der Zeitgenossen und 
Vorgänger dieser Meister manche frische, erfreuliche 
Orchesternummer bieten. Aus den Opern des grossen 
Franzosen Rameau z. B. lassen sich reizende Suiten mit 
origineller Instrumentation zusammenstellen; Alessandro 
Scarlatti's Opern haben einleitende Sinfonien in drei- 
sätziger Form, die in ihrer feurigen, flotten Keckheit auch 
die Kritiker des 19. Jahrhunderts elektrisiren könnten. 
In Anbetracht dessen aber, dass vor wenigen Jahrzehnten 
noch auch Händel und Bach als Orchestercomponisten 
bei den Todten lagen, gilt es dankbar zu sein und sich 
mit weiteren Wünschen zu bescheiden. 

Von Händel sind es die Concerti grossi, von Bach 
die Orchestersuiten in Ddur undHmoll, welchen wir 
zuweilen, seltener oder häufiger, auf den Programmen 
der Orchesterinstitute begegnen. 

Das Concert kam zuerst auf vocalem Gebiete auf. 
Lodovico Viadana, der bekannte römische Componist, 
veröffentlichte im Jahre 1602 in Venedig seine hundert 
geistlichen »Concerte«, welche den Zweck hatten den da- 
mals neuen und noch in der Bildung begriffenen Styl 
des begleiteten Sologesangs in die mehrstimmige Ge- 
sangsmusik einzuführen. Zunächst für den kirchlichen 




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Gebrauch bestimmt, erhielt dieses Singconcert den 
Namen: concerto di chiesa. Angeregt durch das vocale 
Beispiel, vervollkommneten sich im M. Jahrhundert auch 
die Instrumente in der technischen Virtuosität, bildeten 
das Solospiel aus und bemächtigten sich gleichfalls der 
Concertform. Zunächst nur für die Kammermusik, wes- 
halb das Spielconcert, um dessen festere Gestaltung Giu- 
seppe Tor elli verdient ist, auch das concerto di camera 
genannt wurde. Bald folgten ihm auch Concerte für 
Orchester. Die ersten erschienen von Cor elli im Jahre 
4 712 unter dem Titel Concerti grossi. In diesen wechselt 
nicht ein einzelner Solist mit dem Tutti, sondern ein 
Ensemble von Solisten, welche das sogenannte »Concertino« 
bilden, mit dem Chor der Orchesterinstrumente, welcher 
»Concerto« oder »Concerto grosso« heisst. Diese Bezeich- 
nung der grossen Masse als «Concerto« lässt darauf 
schliessen, dass auch die im Tutti angestellten Stimmen, 
die Ripienisten , wie sie gewöhnlich heissen , im gleichen 
Style beschäftigt waren wie die Solisten. Das ist auch 
thatsächlich der Fall : das Concerto grosso und das Con- 
certino haben dieselben Motive und dieselben Schwierig- 
keiten. Die Vertreter des Concertino brillirten Allen vor- 
aus, aber auch für das Concerto grosso bleibt ein dritter 
Factor, dem gegenüber es sich hervorthut. Das ist das 
bescheidene Cembalo, welches im Hintergrunde einfach 
die Harmonien entweder unterstützt oder ganz allein 
trägt, über welche Concertino und Concerto grosso in 
glänzenden Linien hinwegschweifen. Das Cembalo spielt 
die Rolle des Aschenbrödel in der alten Musik, allezeit 
unscheinbar und allezeit unentbehrlich! Nicht einmal 
ausgeschrieben wurde seine wichtige Partie, sondern nur 
in der Bassstimme skizzirt. Das ist der berühmte Basso 
continuo ! 

In Händeis »Concerti grossi« besteht das Concertino H&ndel 
aus einer ersten, einer zweiten Solovioline und Solocello. Concerti grossi. 
Anderwärts kommen andere Besetzungen für das Concer- 
tino vor, aber ein dreistimmiges Ensemble war immer das 
beliebteste. Als das Trio von 2 Hoboen und Fagott drang 



6 ^ 



das Concertino aus den Concerten hinüber in die Sin- 
fonien und Ouvertüren. Die Franzosen lieben ein Con- 
certino von 2 Flöten oder 2 Oboen als Oberstimmen und 
als Bass dazu den Chor der Violinen im Unisono geführt. 
Von diesem französischen Concertino hat unter anderen 
S. Bach in dem »Et resurrcxitu seiner H moll -Messe — 
Flöten und Oboen combinirend — einen grossartigen Ge- 
brauch gemacht. 

Die gewöhnliche Form des Concerts ist in der alten 
Zeit, so wie heute noch, die dreisätzige. Händeis Con- 
certi grossi weichen davon ab und nähern sich in der 
Zahl der Sätze, die durchschnittlich 4 — 6 beträgt, der 
Suite. Doch stehen die Sätze nicht wie in der Suite in 
derselben Tonart, auch sind nur wenige declarirte Tanz- 
formen darunter: eine Polonaise im vierten Concert, ein 
Menuett im sechsten, im siebenten der schottische Hom- 
pipe, im achten Allemande und Siciliana, im neunten 
Menuett und Gigue. Fremd sind der Suite ebenso die 
vielen langsamen Sätze, die thematisch ausgeführten und 
oft fugirten Allegri, wie wir sie in diesen Händel'schen 
Concerten finden. In ihrer Combination von Suiten- und 
Sonatenwesen bildeten Händeis Concerti grossi eine neue 
und ungewohnte Erscheinung, und diesem Umstände mag 
es zuzuschreiben sein, dass die Zeitgenossen diese Werke 
anfangs hinter ähnliche Arbeiten von Corelli und dem 
Programmcomponisten Geminiani zurückstellen wollten. 
Bald aber waren sie die Lieblingsnummem der Londoner 
Musikfreunde, die sich in den schönen Gärten von Mary- 
lebone und Vauxhall (wo schon im Jahre 1738 eine Sta- 
tue Händeis aufgestellt wurde) zusammenfanden. 

Händel schrieb seine Concerti grossi, 1 2 an der Zahl, 
im September und October 4 739; im nächsten April er- 
schienen sie gedruckt. Man kann ihnen in manchen 
Theilen die schnelle Entstehung anmerken. Namentlich 
mit der virtuosen Partie hat es sich Händel durchschnitt- 
lich sehr leicht gemacht. Sie enthält Unbedeutendes, 
Flüchtiges und Wiederholungen die Menge. Vor < 50 Jahren 
bereits ohne Anspruch auf Originalität hingeworfen, ist 



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das Figurenwerk dieser Concerte heute zum grössten 
Theile veraltet. Wenn sich aber ein wirklicher Meister 
einmal gehen lässt, so hat das auch seine guten Seiten. 
Es blitzt und sprüht in diesen Concerten von kecken 
Einfällen und ein hinreissender Uebermuth leitet Erfin- 
dung und Ausführung. Auch wo sich der Componist in 
blossen Spiel- und Klangversuchen ausruht, packt ihn 
plötzlich das Genie, und da, wo er wirkliche Gedanken 
aussprechen will, erscheinen sie in einer Frische und 
Ungenirtheit , die etwas Jugendliches hat. Die Mannig- 
faltigkeit der Tongedanken, die Klarheit und Entschieden- 
heit der Stimmungen, die Uebersichtlichkeit und Einfach- 
heit der Formen, eine ungekünstelte gesunde Musiknatur 
ist diesen Concerten allen eigen. Unter einander zeigen 
sie verschiedenen Werth. Als die vorzüglichsten dürfen 
wir das 4., 2., das 6. und 8. hervorheben. 

Das erste steht in Gdur und hat fünf Sätze. Der 
einleitende hat eine freie Fantasienform. Ein rauschendes 

Allegro. Soli 

Concertmotiv jppi p^|j ||p^| ^p ^-j^ jrfE eröffnet ihn. 

Nach 6 Tacten macht es dem Concertino Platz, das eine 
schwärmerisch liebenswürdige Gesangmelodie anstimmt: 

" - • Ihr wehmüthiger Bei- 




klang wird am Schluss zum Grundton des Satzes. Eigen- 
tümlich fragend und ernst klingen seine letzten Tacte aus. 
Der folgende zweite Satz antwortet in Kraft und Fröhlich- 
All e gro. 

' ^ - - '~ und stellt die- 

sem Hauptgedanken eine bequem beschauliche Betrach- 
tung zur Seite, die formell auf Harmonie und Figuren- 
elementen ruht. Der dritte Satz (Emoll 3 / 4 ) ist ausgespro- 
chen elegischen Charakters: Die Soloviolinen setzen ein 

Adagio. 




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* r r ' r r 



pjg|| p dasTuttischliesst 



Handel 

l\ j?. Nr. 1 . 



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die Periode ab mit : 



I. Aehnlich geht 



in Gesprächsweise der Satz weiter. Der Concertcharakter 
kommt in dieser Elegie in besonders klaren und einfachen 
Zügen zum Ausdruck. Abgeschlossen wird er durch eine 
auffallende Trugcadenz, an die sich ein nur vier Tacte 
langes, aber doch viel sagendes Adagio knüpft. Wir begeg- 
ne^ derselben frappanten Form der Gedankenentwickelung 
noch öfters in diesen Concerten. Sie wirkt, in den Fluss 
des Ganzen plötzlich hineingeworfen, recitativartig und 
bringt deutlicher als andere Elemente zur Auschauung, 
was sich Händel mit diesen Concerten dachte: grosse 
Stimmungsbilder in geschlossenen, aber so frei und locker 
gehaltenen Formen, dass jede Regung des Augenblicks 
darin ein Plätzchen fände. Der anschliessende vierte 
Satz ist eine dreistimmige Fuge über folgendes Thema: 

Allegro. 

. ...... 



Sie ist reich mit ruhigeren Episoden ausgestattet, die 
zum Theil das Concertino allein vorträgt. Auch sie 
macht am Schlüsse einen jener rhapsodischen Gedanken- 
sprünge, von denen eben gesprochen wurde: Wie im 
letzten Ansturm kommen die Instrumente alle im gewal- 
tigen Forte mit dem Thema einhergeschritten. Da mitten 
drin brechen sie ab: Generalpause — lange Fermate 
und nun: schalkhaft ganz im pp der fehlende Schluss! 
Das Finale, der fünfte Satz, ist etwas derb gehalten: 

Allegro. A A _ ^, . & 




Dieser stürmischen Gesellschaft des Concerto grosso 
treten die Soloviolinen als die liebenswürdigen entgegen : 




Haadel j) as zweite Concert [Fdur, vier Sätze) ist eins 

c. g. Nr. 2. <j er eindringlichsten und kürzesten. Händel hat sich das- 



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selbe als eine Composition aus nur zwei Abtheilungen 
bestehend gedacht: Nach den Schlussmodulationen zu 
urtheilen geht der erste Satz ohne Pause in den zweiten, 
der dritte in den vierten über. Die erste Abtheilung ist 
in der Stimmung erregter, die zweite — wie jene aus 
langsamen Satz und Allegro gebildet — ist mehr gefasst 
und gesammelt. Das Ganze gleicht einem schönen Herbst- 
tage, mit einem Morgen, wo die Sonne noch gegen einige 
Nebel kämpft, einem Tag mit lustigem Wandern, mit 
Ruhen und Träumen im Waldesgrün, und mit dankbar, 
rüstig und glücklich gestimmten Stunden der Heimkehr. 
Ein prächtig frommer Zug liegt über dem ersten, dritten 
und vierten Satz; der Ausgelassenheit des zweiten kann 
man nicht viel an der Seite stellen. In der Tendenz und 
auch in Einzelheiten erinnert er direct an das Finale von 
Bethovens achter Sinfonie. Wie schade dass dieses Con- 
cert so wenig gekannt ist! Zum Anhalt geben wir die 
wichtigsten Themen. Dem ersten Satze liegt folgende 
gemüthvolle Melodie des grossen Chors zu Grunde 




Das Concertino 

schmiegt sich ihm anfangs traulich an mit 'z) ^p\w~j Eä . 

Gegen das Ende hin hat es aber Händel aus dem Auge 
verloren. Im zweiten Satze >D moll) wird der Spielfertigkeit 
der Geiger mit dem ausgelassen dahin tänzelnden 

A Uegro. 

schon etwas zu- 




gemuthet ; noch mehr mit dem kleinen Figurensturm, der 
sich daran knüpft. Der dritte Satz ist eine der anmuthig- 
sten Idyllen ernst freundlichen Charakters. Da sitzt der 
Dichter in tändelndem Träumen, aus dem ihn plötzlich 
ein tiefer Herzenston weckt. Dann ziehen wie in weiter 
Entfernung Bilder der Erinnerung vorbei. Alles ist kurz 
gehalten: auf 10 Tacte wechseln 3 Tempi: Largo, Adagio 
und larghetto andante! Den Beschluss des Concerts 
bildet eine wohlgemuthe Fuge über das Thema 



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Händel 

C. g. Nr. 3. 



Händel 

C. g. Nr. 4. 



Hftndel 

C. g. Nr. 5. 




Ihr Eindruck beruht 

weniger auf diesem und seiner Durchführung, als dem 
Eintritt einer scharf dazu contrastirenden Episode, in 
welcher wieder leiser Gesang von ferne vorüberschwebt. 
Das Vordrängen von Elementen edler Sentimentalität ist 
bezeichnend für dieses Concert. Mehr als sonst scheint 
hier die Fantasie des Componisten aus seinem eigenen 
Leben geschöpft zu haben. 

Das dritte Concert [E moll, fünf Sätze) hält sich 
nach allen Richtungen, die es einschlägt, mehr im Bereich 
des Conventionellen. Die Züge, welche seine Individua- 
lität ausmachen, sind im Wesentlichen äusserlicher Natur. 
Dahin gehört die für die Beantwortung sehr schwierige 
Intervallenfolge gdis c im Fugen thema des zweiten Satzes: 

Andante. 

•^^ zz^^l^T^fn^ ^-^i , dahin auch die stark vor- 

geschobene Verwendung massiver Unisono-Effecte im drit- 
ten Satze (Allegro). Der erfreulichste Theil dieses Concertes 
ist der vierte Satz, eine Polonaise, in deren trippelndem 
Thema die ganze zimperliche Graziosität der Roccocozeit 




leibhaftig vor uns steht: t-gf" f [_f I 



Unter den vier Sätzen des vierten Concerts 
[A moll\) ragen die beiden letzten in Bezug auf Erfindung 
über die ersteren weg. Namentlich der letzte hat in der 
launigen Gemächlichkeit seines Grundthema einen gut- 
müthig originellen Zug: 




Beide Allegro- 



sätze dieses Concerts sind sehr breit ausgeführt. Das 
Concertino kommt wenig zur Geltung, in den langsamen 
Sätzen ist es ganz übergangen. 

Das fünfte Concert (Ddur, sechs Sätze) weist in 



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einzelnen Zügen auf Händeis Freund hin, den Clavier- 
componisten Domenico Scarlatti. Die Scarlattischen 
Züge finden sich namentlich in den trotzig fidelen Uni- 
sonostellen der Geigen im fünften Satze 'Allegretto C) 
und im dritten Satze, einem flott dahin wirbelnden Presto, 
welches sich zum Vortrag als Einzelnummer sehr gut 
eignet und auch in das allermodernste Programm ganz 
gut hineinpasst. Beide Sätze sind im einfach homo- 
phonen Style gehalten. Der einzige fugirte Satz, welcher 
in diesem Concert vorkommt, ist das erste Allegro: 

^ t t i Tf »f f.r"f f r r-fj^ T ^-L^f- ^ . Er hängt mit dem 

einleitenden Theile aufs Engste zusammen und bildet mit 
ihm eine sogenannte französische Ouvertüre ohne dritten 
Theil. Man weiss, dass Händel seinen Concerti grossi noch 
Oboen beizufügen beabsichtigte; die schmetternden Mo- 
tive der Violinen, der theatralische Pomp in Klang und 
Aufbau lassen fast vermuthen, dass ihm für diese Ein- 
leitung zum fünften Concert auch Trompeten vorgeschwebt 
haben. 

Das sechste Concert (G moll) gilt als das schönste Handel j 
der ganzen Sammlung. Wie Burney erzählt, stand na- c «• Nr - *• 
mentlich der dritte Satz desselben, die Musette, beständig 
in der Gunst des Publicums wie des Componisten und 
wurde von Händel oft zwischen die zwei Theile seiner 
Oratorien eingeschoben. Der Name Musette, d. i. zu 
deutsch: Dudelsackstückchen , ist ein liebenswürdiger 
Scherz. Thatsächlich ist das Stück etwas viel Höheres: 
ein geniales, eigenartiges Kunstwerk in der Rondoform ; 
ein Tongemälde, auf welchem eine Gruppe reizender, cha- 
raktervoller Festscenen aus dem Volksleben — schelmisch 
heiter die einen, pathetisch die anderen — vorüberzieht, 
die in dem refrainartig wiederkehrenden Hauptsatz: 
Largnctto. 




ihren Mittelpunkt finden. Den Musettenton streift dieser 
nur in dem einige Tacte fortklingenden Bass; was ihn 



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auszeichnet und einprägt, ist das warme Colorit der tiefen 
Saiten. Eingeleitet wird das sechste Concert durch eins 
der schönsten Larghetti, welches wir aus der älteren Zeit 
besitzen. Händel bezeichnet es selbst als » affetuoso ». 
Es eröffnet einen Blick in das Innere einer edlen Seele, 
die in einer bewegten Stunde mit der Melancholie kämpft 
und schwere Fragen aufwirft. Welche Unmittelbarkeit 
in dem ganz unerwarteten harten Trugschluss des zweiten 
Tutti! Der zweite Satz: (Allegro ma non troppo) hält an 
der trüben Stimmung noch fest und ergänzt, wie formell, 
so auch inhaltlich den ersten. Sein Thema gehört zu 
denjenigen, welche der Fugenform besondere Schwie- 

. Allegro hon troppo. 

rigkeiten darbieten : ^ ^"r-P-T f | flffT l f • Nach der 

Musette haben sich die Wolken zerstreut; da steht ein 
Allegro vor uns, das ganz in rüstige Kraft getaucht ist, 
und der Schlusssatz lässt der aufgeräumtesten Heiterkeit 
das Wort. Leicht und kurz gehalten, wie er ist, entspricht 
er nicht den modernen Begriffen eines Finale. Dem 
äusseren Effect kommt es zu Gute, wenn man ihn, wie 
dies bei neueren Aufführungen häufig geschieht, mit dem 
vierten Satze den Platz wechseln lässt; dem Ideengang 
aber, welchen Händel in dieser Suite offenbar verfolgte, 
wird dadurch die Spitze abgebrochen. 

Dem Reiz, welchen schwierige Aufgaben des Satzes 
auf einen seiner Kraft bewussten Tonsetzer auszuüben 
Händel pflegen, hat Händel in dem siebenten Concerte {B dur, 
C. g. Nr. 7. vier Sätze; sich besonders ersichtlich hingegeben. Der 
erste Satz bringt nach kurzer Einleitung eine Fuge über 
folgendes seltsame Thema: 




Dass Händel zu solchen naturalistischen Bildungen neigt, 
kann man in allen seinen Werken bis in den Messias 
hinein (»Alle Gewalt etc.«) verfolgen. Die Träger des Thema 
sind zunächst die zweiten Violinen. Damit es aber mäch- 



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tiger klingt, hat es Händel von den ersten, die Gewehr 
bei Fuss auf den nächsten. Einsatz warten sollten, mit- 
spielen lassen. Ein zweites Bravourstück der Satzkunst 
hat Händel in dem Schlusssatze dieses Concertes ge- 
leistet, wo er versuchte, was sich über dem monotonen 
Rhythmus eines Hornpipe aufbauen liess, und es wirklich 
auch zu einem, manchmal grotesken, im Ganzen aber 
doch manigfaltigen, Aufzug von 56 Tripeltacten brachte. 
Das Solistenensemble tritt in diesem ganzen Concert nir- 
gends selbständig auf. 

Das achte Concert [C moll, sechs Sätze) ist eins Händel 
der am sorgfältigsten gearbeiteten. Namentlich der dritte c. g. Nr. s. 
Satz (Andante aliegro; und der fünfte (Siciliana) präsen- 
tiren sich in dieser Beziehung sehr stattlich. In beiden 
ruht der geistige Gehalt auf der Ineinanderführung ver- 
schiedener Themen: im ersten wird eine sanguinisch ge- 
dehnte Melodie von einem cholerischen kurzen Motiv 
bald neckisch umflattert, bald ernstlich in ihren Bahnen 
gestört; in der Siciliana bringen die Soloviolinen Guir- 
landen und Blumen herbei, die holde Gestalt des Haupt- 
themas zu schmücken. Die das Concert einleitende Alle- 
mande hat am Schlüsse ihrer Sätze frappante Trugcaden- 
zen, der Schlusssatz des Concerts einen ausgesprochenen 

Tanzcharakter : j| r» V ^ ' " jf f ^~- 1 ££f C/^£j= ' Die 

langsamen Sätze (Grave und Adagio) dienen nur zur 
Ueberleitung. 

Im neunten Concert (Fdwr, sechs Sätze) lässt sich Händel 
der Componist in der Erfindung etwas gehen. In dem sehr c. g. Nr. «. 
langen Hauptsatze des Werkes, dem ersten Allegro, sticht 
nur der Schluss hervor: der, ebenso unerwartet als an- 
muthig, ein leises Spiel mit einem bescheidenen Nebenmotiv 
einschiebt. Die interessantesten Sätze sind das zweite 
Larghetto mit dem charakteristischen südlichen Rhythmus 



und die das Finale bildende Gigue, der eine Allerwelts 
melodie damaliger Zeit zu Grunde liegt: 




Händel Das zehnte Concert {ü moll, fünf Sätze) wird mit 

c. g. Nr. 10. einer regelrechten dreisätzigen französischen Ouvertüre 
eröffnet, die auch als solche declarirt ist. Die franzö- 
sische Ouvertüre, welcher im Verlaufe dieser Be- 
schreibung bereits wiederholt Erwähnung geschah, ist ein 
Abkömmling der alten Gabrielischen Sonate und dreitheilig 
wie diese. Eingang und Schluss sind langsame Sätze, in 
der Mitte steht ein fugirtes Allegro, welches den wich- 
tigsten Theil der Ouvertüre bildet. Der erste langsame 
Satz hat immer einen sehr spannenden und feierlichen 
Charakter: allarmirende Rhythmen und in sausenden Zwei- 
unddreissigstelfiguren einherglänzenden Geigenklang. Lully , 
der diesen Typus feststellte, dachte an den königlichen 
Zuhörer. Der dritte Satz ist in der Regel sehr kurz, fällt 
auch ganz weg, wie das z. B. bei der Ouvertüre zu 
Händeis fünftem Concert der Fall ist. Der französischen 
Ouvertüre steht die italienische gegenüber. Auch sie 
ist dreisätzig: aber in anderer Anordnung. Sie wird mit 
einem Allegro eröffnet und schliesst mit einem solchen, 
in der Mitte steht ein langsamer Satz, meist idyllischen 
Charakters. Die Gravität der französischen Ouvertüre 
ist diesem italienischen Gebilde ganz fremd: es neigt zum 
Heiteren. Der letzte Satz jagt in fi / 8 und 12 / 8 vorüber wie 
eine Tarantelle en miniature; das Hauptgewicht liegt auf 
dem ersten Allegro, das froh und lebendig in freudevolle 
Regionen eindringt. 

Ausser der französischen Ouvertüre hat Händel in 
diesem zehnten Concert noch andere Elemente angebracht, 
die darauf schliessen lassen, dass er in diesem Werke 
den Charakter der französischen Suite wollte durchblicken 
lassen. Es sind dies die Haltung und Benennung des der 
Ouvertüre folgenden langsamen Satzes als »Air« und 
die Benutzung der Variationenform für den Schlusssatz. 



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ist im Contrast zu dem vorausgehenden sehr 
langen contrapunctischen Dmollsatz im einfachsten Tanz- 
style und D dur gehalten. Händel liebt es, seinen Zu- 
hörern auf den Nachhauseweg eine freundliche Kleinig- 
keit mitzugeben. 

Das elfte Co n ce rt [A dur) besteht — nimmt man zu- Händel 
sammen was zusammen gehört — aus nur drei Sätzen. Der c. g. Nr. n. 
erste folgt frei dem Schema der französischen Ouvertüre. 
Sein Einleitungstbeil {Andante larghetto) präludirt und fan- 
Täsirt sehr ungezwungen, geht rein virtuosen Einfällen und 
Spieleffecten nach und streift das Gebiet des Unstäten. Die 
abschliessende Fuge mit einem Thema voll des gemüth- 

licbsten Humors: j j ^* * fi* f- jjL ^-i^r - | > 

ist sehr kurz abgethan. 

Der zweite Satz des Concerts, durch einige Tacte 
Largo eingeleitet, gleicht in der Anlage und in der Natur 
seines Hauptthemas der herrlichen Musette des sechsten 
Concerts einigermassen, bleibt aber in der Gesammtwir- 
kung bedeutend hinter ihr zurück, da die Zwischensätze 
nur aufs Virtuose basirt sind. Der letzte Satz ist ganz 
und gar ein lustiges Concert, dem die Form der grossen 
Arie zu Grunde liegt. Es ist eine reizende Gesellschaft: 
die gute Laune sprüht in Trillern, Capricen und längeren 
Ergüssen der Bravour, und der allgemeine Ausdruck der 
Fröhlichkeit in demselben kernigen Thema hält alle diese 
kleinen Scenen zusammen. 

Das zwölfte Concert (H moll) hat wieder einen Handel 
Eingang aus zwei Sätzen bestehend: Largo und Allegro. c. g. Nr. 12. 
In demselben reizt namentlich das liebenswürdig flotte 
Hauptthema des schnellen Satzes: 




imöi. 2.vioi. 

Der zweite Satz (Larghetto) wird von einer jener 
bei aller Tiefe und Wärme doch ureinfachen und klaren 
Melodien getragen, die eine Eigen thümlichkeit der Hän- 



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del'schen Kunst sind. Wieder begegnen wir hier in der 
Ausführung des Gedankens der Variationenform. Dem 
Schlussallegro, das in bester Stimmung dahinhüpft: 




geht ein kurzes, halbverhüllt einherschwebendes Largo vor- 
aus, das durch die Art wie es anfängt — mit einer 
freien Dissonanz — besonders eigentümlich erscheint. 

Von sämmtlichen zwölf Concerten ist heute das 
sechste das populärste. Mit ihm hat die ganze Gattung 
ihren Einzug in das Musikleben wieder begonnen. Es 
steht mit den anderen im 'zehnten Jahresbande der 
Händelgesellschaft. Ausserdem hat Ferd. David von ihm 
eine Separatausgabe veranstaltet, welche in der Nüanci- 
rung manche willkommene Ergänzungen bietet, aber auch 
manchen Missgriff begehl. Zu wünschen wäre die Ver- 
breitung dieser frischen Musik in guten Ciavierauszügen. 
Neben den »Concerti grossi« kommt Händel als Or- 
Händel chestercomponist noch mit den Oboenconcerten und 
Oboenconcerte mit der Feuer- und Wassermusik in Betracht. Die 
Oboenconcerte sind ähnlich wie die Concerti grossi Cyclen, 
die zwischen ^der Sinfonie und der Suite stehen. Ihre 
Orchesterbesetzung ist dürftiger und das Cembalo spielt 
bei ihrer Ausführung eine wichtigere Rolle. Es sind nicht 
— wie man nach dem Namen schliessen könnte — Con- 
certe für die Oboe. Händel hat dieses sein Lieblings- 
instrument den Violinen nur zur Verstärkung mit bei- 
gegeben; eine selbständige Solistenrolle erhält es in ein- 
zelnen schönen gesangvollen Largos. Die Wasser- und 
die Feuermusik sind Serenaden in Suitenform ohne her- 
vorragenden Charakter. Ihre Entstehungsgeschichte hat 
Händel sie bekannt gemacht. Die Feuermusik kam bei einem 
Feuern usik Hoffest, das sich durch ein brillantes Feuerwerk aus- 
zeichnete, am 27. April 1749, zur ersten Aufführung. Was 
den Londonern an der Musik gefiel, war die ausseror- 
dentlich starke Besetzung der Blasinstrumente. Händel 
hat in diesem Falle einzelnen Sätzen der Suite in fran- 



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-* \1 ^ 



zösischer Art Ueberschriften gegeben: »La paix«, »la 
rejouissance«. Die Wassermusik, eine Suite von nicht Händel 
weniger als 25 kleinen Stücken, ist mit einer Anecdote Wassennuik. 
verknüpft: Freunde Händeis, der bei Georg I. in Ungnade 
gefallen war, veranlassten, dass der König bei einer 
abendlichen Vergnügungsfahrt auf der Themse mit dieser 
Musik überrascht wurde. Der König errieth den Ver- 
fasser dieser vielstimmigen Ovation und wendete dem 
Componisten seine Huld von Neuem zu. 

Wenn Einer von den vielen Kunstmusikern, die sich 
von der Mitte des 17. Jahrhunderts ab der Suite zuwen- 
deten, berufen war in dieser von Hause aus so volks- 
mässigen Gattung etwas Ausgezeichnetes zu leisten, so 
war es sicherlich Seb. Bach, dessen Familie, durch die 
vielen tüchtigen Raths- und Stadtmusicanten, die sie den 
thüringischen Ländern Generationen hindurch stellte, mit 
dem alten anheimelnden Pfeiferthum verwachsen er- 
scheint — Bach, der selbst in seinen verschlungensten 
Kunstwerken die Neigung zum Volksthümlichen bald mit 
grandiosem Humor, bald in kindlicher Naivität durchblicken 
lässt. Bach hat bekanntlich sehr viele Ciaviersuiten ge- 
schrieben, Orchesterpartien leider nur vier, was wir um so 
mehr bedauern müssen, als in der Mehrzahl derselben 
der alte einfache Suitengeist in einer Reinheit und Stärke 
zum Ausdruck kommt, die andern Tonsetzern, unter 
ihnen auch Händel, nicht erreichbar war. 

Entschiedener als letzterer lehnt sich Bach in seinen 
Orchestersuiten an die Tanzformen: Nur der erste Satz 
— eine regelrechte französische Ouvertüre von 3 Sätzen, 
mit der Fuge in der Mitte — gehört der Kunstmusik an. 
Dann kommen Gavotten , Menuetten , Bouröes , Giguen, j. 8. Baoh 
Tanzweisen aus aller Herren Ländern in voller Naturtreue, Suiten, 
kaum ein wenig idealisirt: üppige Melodien und gebie- 
terische markante Rhythmen. 

Die erste dieser Suiten in C dur hat ausser der Ou- j, s. Baoh 
vertüre eine Courante, Gavotte I und II, Forlane, Me-cdur-Suite(Nr.i) 
nuett I und II, Bouröe I und II und 2 Passepieds. 

Die Forlane ist ein venetianischer Tanz in gleich- 

2 



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~* 18 



mässig ruhiger breiter Bewegung. Hier wird die führende 
Melodiestimme: 




von einem Perpetuum mobile der zweiten Violinen und 
Bratschen begleitet; die Bässe stehen wie Zuschauer 
daneben und thun nur das Nöthigste um Harmonie und 
Rhythmus zu skizziren. Die Besetzung der Suite besteht 
aus Streichquartett und dem bekannten Bläsertrio : 2 Oboen 
und Fagott. Letzteres ist in alter Weise häufig solistisch 
und concertirend verwendet. In Bezug auf die Erfindung 
gehört diese C-dur-Suite nicht zu den hervorragenden 
Werken Bachs. Sie charaktensirt mehr die Zeit als den 
speciellen Meister. Die Biographen setzen sie in Bachs 
J. B. Bach Cöthener Periode. Dieser gehört auch die Hmoll- Suite 
Hmoii-Suito an, deren eigentümlicher Zug in der Verwendung der 
(Nr. *2j. Flöte besteht, welche als einziger Vertreter der Bläser- 
familie dem Streichorchester gegenüber gestellt ist. Doch 
hat man sich nach alter Praxis, mit Ausnahme der spc- 
ciell als Solo bezeichneten concertirenden Stellen, eine 
chorweise, jedenfalls mehrfache Besetzung dieses Instru- 
ments zu denken. In der H-moll-Suite lebt sehr viel 
Grazie. Das Thema ihrer Fuge ist: 
Allecro. 

e M ' f 



m 



Dem ersten Satze folgt ein Rondeau, das einigermassen 
kunstmässig durchgeführt ist und die einfache Grenze 
der Suitentheile überschreitet. Seine Grundmelodie malt 
aber das bestimmte Tanzbild handgreiflich genug: 

AjHf} 1.1 H 1 1 rrrnrrrrrr rrifTFrr = 

In der darauf folgenden Sarabande führen die Oberstim- 
men mit dem Basse einen Canon in der Unterquinte 
durch. Die weitern Sätze sind 2 Bouröes, eine Polo- 
naise, bei der Bach ausnahmsweise eine Tempobezeich- 
nung angiebt: »Moderato« ein sicheres Zeichen, dass 



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-fr 19 ^ 



er darauf besonderen Werth legte; eine Menuett und 
eine keck dahin flatternde Badinerie. Die H-moll-Suite 
hat als künstlerischer Beitrag zur Culturgeschichte noch 
ihren Nebenwerth. Das geschniegelte, fein abgezirkelte 
Wesen der eigentlichen »Gesellschaft« in der Zeit des 
Reifrocks und der Perrücke mit Zöpfchen ist hier so fein 
und mit einem so behaglichen Humor gezeichnet, als es 
nur jemals ein Chodowiecki gekonnt hätte. Den Verfasser 
der Matthäuspassion, den Schöpfer der protestantischen 
Kirchencantate zeigt die H-moll-Suite von einer seltne- 
ren Seite, als einen vollendeten Kenner und Darsteller 
höfischen Geistes und höfischer Künste, als einen Welt- 
kundigen, der die Etiquette bis auf den unscheinbarsten 
pas beherrschte. 

Die beiden andren Suiten Bachs stehen in Ddur und 
sind beide in Leipzig geschrieben, möglicherweise für den 
Telemann'schen Musikverein, einen der Vorläufer des 
jetzigen Gewandhausconcerts, den Bach von 4 729 — 36 
dirigirte. Dass Bach in Leipzig als Suitencomponist volks- 
tümlich geworden war, beweist die von Spitta dem 
»Tableau von Leipzig im Jahre 4 783« entnommene Mit- 
theilung, in der es bei der Schilderung der Kirmess zu 
Eutritzsch heisst: «Das Chor Musikanten streicht wacker 
zu; debütirt mit Sonaten von Bach und schliesst 
mit Gassenhauern.« Diese Sonaten können nur die Orche- 
stersuiten oder Theile daraus gewesen sein. Bei den ge- 
wöhnlichen Orchestermusikern war und blieb »Sonate« der 
Universalname für mehrsätzigeCompositionen jedweder Art. 

Die erste dieser beiden D dur-Suiten ist auch heute J. 8. Bach 
wieder populär. Wir wollen nur die Anfangstacte ihrer Ddur-Suiu» 
Ouvertüre hersetzen : ( Nr - 3 > 




Das Weitere, die in heiterster Kraft dahin schäumende Fuge, 




die entzückende in selige 



2* 



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Lento 

Abendstimmung ge tauch teAir 

die energischen Gavotten und was noch dazu gehört: 
Bour6e und Gigue, das Alles steht jedem Musikfreund 
mit der losen Skizze vollständig vor der Erinnerung. Es 
ist fast unvermeidlich diese Musik, die aus dem frische- 
sten Quell entsprungen ist, sich zu merken. Ein äusserst 
glücklicher Griff war es, dass Mendelssohn (im J. 1838) 
gerade mit diesem Werke den als Orchestercomponisten 
ganz vergessenen Grossmeister in den Gewandhaussaal 
und damit in das Concertleben der Gegenwart zurück- 
führte. »Er wiegt uns sammt und sonders auf dem klei- 
nen Finger« schrieb Schumann unter dem frischen Ein- 
druck der Aufführung dieser Suite. 

j 8. Bach Die andre Suite in D dur nat unter der Berühmtheit 
Ddur-Soite mrer Schwester ein wenig zu leiden. Seit 4 881 liegt sie 
(Nr. 4). in einer stattlichen Partitur-Ausgabe vor, welche die um 
die Instrumentalwerke Bachs verdiente Verlagsanstalt 
von C. F. Peters durch den bewährten Roitzsch hat be- 
sorgen lassen. Es scheint aber, dass davon ein spär- 
licher praktischer Gebrauch gemacht wird. Und doch ist 
sie in doppelter Beziehung sehr interessant: einmal durch 
ihren Eigenwerth, zweitens durch den Vergleich mit der 
andren D dur-Suite, der in der Ouvertüre wenigstens sich 
aufzwingt. Hier ist die Verwandschaft der beiden Werke 
eine eminent nahe; im langsamen Satze sind die Motive 
nahezu identisch, nur in der Behandlung unterscheiden 
sie sich. Man kann der unbekannten Suite den Vorzug 
geben, wenn man dem Klang der Instrumente nach ur- 
theilt. Sie ist pompöser besetzt (3 Oboen und Fagott) 
und der durchgeführte Wechsel der Chöre: (a) Geigen, 
b) Holzbläser, c) Trompeten mit Pauken hat einen Reiz 
antiquarischen und auch materiellen Charakters. Die 
Fuge in der Ouvertüre mit diesem Thema: 




. ist von Bach in der Weihnachts-Cantate »Unser Mund 



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-> 21 ^ 



sei voll Lachen« zum Chore umgebildet. Bach liess die 
Instrumente wie sie waren und componirte Singstimmen 
darüber hinzu. Die weiteren Sätze dieser zweiten D dur- 
Suite sind Bour£e I und II (die zweite mit einem obli- 
gaten Fagottsolo, Gavotte, Menuetto con Trio und ein 
»Rejouissance« benannter Finalsatz. Die Instrumen- 
tirung in dieser ganzen Suite ist mit besonderem Bedacht 
ausgeführt; ein Theil der Wirkung der Composition fällt 
in ihren Bereich allein. Für die moderne Praxis macht 
allerdings der Trompetenchor grosse Schwierigkeiten, 
Schwierigkeiten, die noch bedeutender sind als die {in 
den Originalstimmen wenigstens) gefürchteten der bekann- 
ten D-dur-Suite Nr. 3. 

Auch von den sogenannten Brandenburgischen 
Concerten, welche Bach, sechs an der Zahl, im Jahre 1721 J- 8. Baoh 
dem Markgraf Christian Ludwig dedicirte, lassen sich die Brandenbur- 
ersten vier der Orchestermusik überweisen. Sie sind gl "° e ® te ° n " 
theils als Suiten geformt wie das erste, theils als drei- 
sätzige wirkliche Concerte im italienischen Style. Alle 
enthalten eine Fülle prächtiger Musik: heitere Geschichten, 
Schwänke und romantische Schwärmereien und zeigen 
Bachs Originalnatur namentlich nach Seite der Instru- 
mentirungskunst in ihrer ganzen Unerschöpflichkeit und 
Kühnheit. Da gibt es Menuets, von zwei Hörnern und 
Oboe vorgetragen, ganze Concerte wo die Bratschen die 
Solisten sind, andere wo alle Geigen dreistimmig geführt 
sind. Das Concertino erscheint in mannigfaltigsten Mi- 
schungen. Leider aber sind diese herrlichen Werke unsern 
modernen Orchestern so gut wie entzogen: Wir haben 
keine Quartgeigen, keine Violas da Gamba und vor Allem 
keine Hörner und Trompeten, mit denen sich diese hohen 
Bravourpartien ausführen Hessen. 

Nach Bach und Händel tritt die Suite in den Hinter- 
grund. Sie erscheint nur noch im Gelegenheitsdienst der 
Orchester bei Ständchen, Serenaden, Morgenmusiken, 
Gartenconcerten und andern musicalischen Aufwartungen 
im Freien. Der kältere Norden war ihr damit so gut 
wie verschlossen. Es sind hauptsächlich süddeutsche 



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22 



und östreichische Componisten, bei denen sie in der Form 
der Divertissements und Cassationen fernerweit eine 
mässige künstlerische Pflege findet. Im Concertsaal ge- 
langte die dreisätzige Sinfonie zur Meisterschaft, nach- 
dem sie bis dahin ihre hauptsächliche Verwendung als 
Opernouvertüre gefunden. Die dramatischen Compo- 
nisten behandelten die die Oper einleitende Sinfonie 
häufig — aber nicht ausnahmslos — en bagatelle. Dem 
ersten Satze, dem Hauptallegro, wurde durchschnittlich 
eine gewisse Sorgfalt zugewendet, und ganz allmählich 
und natürlich wuchs er in grössere Formen und in einen 
bedeutenderen Charakter hinein. In der Verarbeitung 
des ursprünglich einzigen Themas ging man bis zur Fuge 
vor und zu dem einen Thema gesellten sich im Laufe 
der Zeit Nebenmotive. Schon im Jahre 1698, in der Ouver- 
türe zur Sesostris des M. A. Bononcini, treffen wir im 
ersten Allegro auf einen Ansatz zu einem zweiten Thema. 
Es waren aber in der Oper der Sinfonie durch Tradi- 
tion Grenzen der Entwickelung gesetzt. Eine freie Ent- 
faltung im Ausdruck stiess leicht an. Als Graun in seiner 
Ouvertüre jzum Lucio Papirio das fugirte Allegro dem 
Charakter des Helden angepasst und durchweg in einem 
ernsten, strengen, Tone gehalten hatte", vermerkte Frie- 
drich der Grosse diese Abweichung vom feststehenden 
Brauche keineswegs gnädig. Um die Mitte des achtzehnten 
Jahrhunderts emancipirt sich die Sinfonia von der Oper; in 
einem Breitkopf sehen Catalog vom Jahre 1 762 sehen wir sie 
bereits als einen selbständigen und schon ziemlich bedeu- 
tenden Verlagsartikel. Dieser Catalog nennt gegen 50 Sin- 
foniecomponisten, von denen keiner weniger als 6 Werke 
gebracht hat. Noch sind die Operncomponisten dort 
vertreten. Wir bemerken Jomelli, Galuppi und Gluck; 
auch Hasse und Holtzbauer, welchem letzteren 205 Sin- 
fonien zugeschrieben werden. Aber die Mehrzahl der 
dort angeführten Sinfoniker hat mit der Oper nichts zu 
thun. Sie repräsentiren den ersten Stamm einer neuen 
Gattung von Tonkünstlern, welche ohne Beziehungen zu 
Oper oder Kirche leben und schaffen. Die Blüthezeit und 
die Herrschaft der Instrumentalmusik beginnt. Als das 



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Aufgangsgestirn der neuen Periode erscheint Joseph 
Haydn. Es giebt aber einige Künstler, welche auf dem 
Gebiete der Sinfonie seine That vorbereitet haben. Von 
Ausländern ist dies der Mailänder Giov. Batt. Sammartini, 
der Lehrer Glucks : ;i 700 — 4 770) eine originelle, Haydn an 
Fülle guter Einfälle, an Munterkeit und Beweglichkeit 
nahezu erreichende, an Bildung und künstlerischer Be- 
herrschung schwächere Musikernatur. Von seinen Sin- 
fonien sind (nur) 24 in Paris bei Leclerc i. J. ^ 767 ge- 
druckt erschienen. Als der im Sinfoniefach gleichfalls 
productive und als Operncomponist bekannte Böhme 
Mysliweczeck in Mailand zum ersten Male Sinfonien von 
S. hörte, rief er aus: »Ich habe den Vater des Haydns'chen 
Styls entdeckt«. Dass Sammartinis Sinfonien in Wien und 
in den östreichischen Hauscapellen bekannt waren, scheint 
keinem Zweifel zu unterliegen. Das Vorbild, zu welchem 
sich Haydn selbst bekannte, ist aber nicht Sammartini, 
den er schlechtweg einen "Schmierer« nannte, sondern 
Ph. Emanuel Bach, des grossen Sebastian zweiter 
Sohn, unter dem Zunamen der »Hamburger Bach« von 
Brüdern und Verwandten unterschieden. Ph. Em. Bach 
ist weder durch Grösse noch durch Menge der Gedanken 
ausgezeichnet; er hat aber nichts destoweniger für die 
Geschichte der Musik als Stylist eine Bedeutung ersten 
Ranges. Er erfand eine neue Art der thematischen 
Durchführung, die hinter der Fuge und den andern 
strengen Formen der Nachahmung an Gründlichkeitzurück- 
stand, sie aber an Schmiegsamkeit und Beweglichkeit bei 
weitem übertraf und dem Spiele der Laune und des 
Witzes auch in den grösseren Formen einen bequemen 
und allezeit offnen Zutritt gestattete, ohne dass dabei 
die Darstellung — wie dies in der nordisch niederländi- 
schen Instrumentalschule früherer Zeit der Fall war — 
der Gefahr phantastischer Willkür verfiel. Neben seinem 
Lehrbuch »Versuch über die wahre Art das Ciavier zu 
spielen« hat Bach am nachhaltigsten durch die Pianoforte- 
compositionen gewirkt, die in grossen und kleinen, schwe- 
ren und leichten Formen seiner fleissigen Feder in Menge 
entflossen. Aber System und Geist seiner Kunst kommen 



24 



in den Sinfonien, die er schrieb, gleich klar zum Aus- 
druck. Ueberdies enthalten die Sinfonien Bachs in der 
Orchesterbehandlung Elemente, die für die weitere Ent- 
wicklung der Gattung von Wichtigkeit wurden. 

Von den 4 8 Orchestersinfonien, welche Ph. E. Bach 
nachweislich componirt hat, sind die letzten vier im Jahre 
4 776 entstandenen, allein in Druck gekommen (Leipzig, 
Ph. E. Bach Schwickert 4 780). Es sind dieselben, welche Espagne 
Sinfonien, i. J. 4860 bei Peters in Leipzig neu herausgab. Die erste 
derselben ist heute wieder bekannter: Das Hauptthema 
ihres ersten Satzes ist dieses 

Allepfb dl molto. . . _ , , 



Es wird, flankirt 




von einigen ziemlich unbedeutenden Seitenmotiven, zu 
einem Satze von ungefähr 200 Tacten Länge ausge- 
führt, in welchem man die drei Theile des Sonaten- 
satzes: Themengruppe, Durchführung, Repetition, klar 
unterscheiden kann. Dieser erste Satz modulirt in den 
Schlusstacten nach Esdur, der Tonart des zweiten 
Satzes, einem Larghetto in dem weichen, zu Thränen 
bereiten Style des achtzehnten Jahrhunderts. Mit dem 
Klange der geliebten Flöten tritt das Thema des Satzes 

Ein 



8»* 




ein: 

Presto in 3 / 8 Tact 




sausenden Laufs, nur selten durch einen ernsteren 
Einfall gehemmt, führt die Sinfonie zu Ende. Der Ty- 
pus der D-dur-Sinfonie kehrt in den anderen wieder: 
geistreiches, lebendiges und sprühendes Finale, anzie- 
hendes oder erträgliches Larghetto und ein verwunder- 
licher Hauptsatz. Denn es ist verwunderlich wie diese 



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Hauptsätze der Sinfonien des Hamburger Bach im letzten 
Grunde doch ziemlich inhaltlos verlaufen. Sie setzen 
alle mit einem wunderbaren Schwung ein; mit gewaltiger 
Kraftanstrengung stürmen sie von Anlauf zu Anlauf, ge- 
berden sich in Trillern und allerhand ungewöhnlicher 
Melodik nicht selten ganz apart und absonderlich. Aber 
sie zerplatzen wie Seifenblasen ohne Spur und Resultat. 
Es stellt sich diesen heroischen Versuchen nichts Wich- 
tiges entgegen, der Zug geräth in Tändeleien und streift 
am Bedeutenden flüchtig vorüber; das Ganze kommt nicht 
über das Phantastische hinaus und bleibt ein brillantes 
Feuilleton. Als die gedanklich bedeutendste der vier 
Sinfonien erscheint uns die zweite in Fdur. 

Die einzelnen Sätze suchte Ph. E. Bach, abweichend 
von dem Brauche der italienischen Opernsinfonie, dadurch 
enger aneinander zu ketten, dass er mit dem ersten in 
den zweiten, mit diesem zu dem dritten überleitete, zu- 
weilen ohne Pause von dem einen in den anderen hin- 
einging. Die Besetzung seiner vier Sinfonien ist die 
gleiche: Streichorchester, 2 Flöten, 2 Oboen, 2 Hörner 
2 Fagotts und Flügel. Sie verweist auf specifisch ham- 
burgische Verhältnisse jener Zeit hin : ein starkes, mit 
virtuosen Kräften ausgestattetes Violinenensemble und 
ziemlich massige Bläser. Der Flügel ist in jener Zeit be- 
reits eine entbehrliche Zuthat. Interessant und Schule 
machend wirkte Bach durch die Behandlung der Instru- 
mente. Unter ihnen herrscht im Vergleich zur älteren 
Weise volle Freizügigkeit, und sein Orchester formirt sich 
fortwährend anders und vollzieht die Evolutionen der 
neuen Aufstellungen mit einer Leichtigkeit, die der älteren 
Praxis fremd war. Auch Bach kennt das Concertino 
noch, er giebt dem bekannten Bläsertrio gern die zweiten 
Themen im Hauptsatz. Aber auch jedes andere Instru- 
ment besitzt bei ihm die Solistenqualification und ist 
jeden Augenblick bereit, von ihr Gebrauch zu machen. 
Die solistische Führung geht tactweise von der Oboe 
zur Flöte, von einem Chor zum andern, während man 
früher bei solchem Wechsel etwas umständlicher war. 




II. 

J. Haydn, Mozart, Beethoven. 



s ist zweifelhaft ob Haydn, als er selbst Sinfonien 
zu schreiben begann, andere als Klaviercomposi- 
tionen des von ihm verehrten Hamburger Meisters 
kannte. Worin er ihm gleicht, das ist ausser der Ver- 
wandtschaft im Temperament, in der Munterkeit und 
Heiterkeit des Geistes: die Freiheit im Ausdruck und die 
leichtere Beweglichkeit im Satzbau. Wenn wir aber im 
Uebrigen nach Mustern und Anregungen für die Neue- 
rungen suchen, welche Haydn in der Sinfonie vornahm, 
so können wir sie auch und wahrscheinlicher, als in den 
Sinfonien von Ph. E. Bach, auf dem Gebiete der Volksmusik 
und der Suite finden. Das Menuett, das Haydn end- 
gültig der Sinfonie einverleibte, kam direct aus der öst- 
reichischen Tanzmusik, und für den Ausbau des kurzen 
langsamen Satzes zum hochgewölbten breiten Adagio 
liegen in der Kunstsuite die ermunternden Muster vor. 
Man prüfe nur das Andante des zweiten Brandenburg- 
ischen Concerts von S. Bach oder die beiden ruhigen 
Sätze, das Larghetto und das Largo im zweiten der Hän- 
del'schen Concerti grossi. Zudem gehört Haydn zu jenen 
genialen Erfindernaturen, bei denen man vergeblich der 
Gesammtheit der Quellen nachzuspüren sucht, aus wel- 
chen sie für ihre Ideen schöpften. Dass auch die Oper 




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27 



befruchtend auf Haydns Sinfonienbau einwirkte , würde 
namentlich an seinen Adagios nicht zu schwer sich nach- 
weisen lassen. 

Dem inneren Werthe seiner Reform gab Haydn durch 
eine sehr fleissige Production einen fördersamen Nach- 
druck. C. F. Pohl schätzt in seiner vorzüglichen Bio- 
graphie die Zahl von Haydns Sinfonien auf mehr als 
anderthalbhundert. In seiner ersten Zeit liess sich Haydn 
zum Componiren drängen und schrieb dann sehr schnell. 
Die Mehrzahl seiner Jugendsinfonien entstand serienweise: 
sechs Stück auf einem Sitz! Sie wurden in demselben 
en- gros -Style angehört. Noch gegen das Ende des 4 8. 
Jahrhunderts kam es im Gewandhause vor, dass in einem 
Concert 3 Sinfonien gespielt wurden. Die Capelle, wel- 
cher Haydn die ersten Sinfonien zudachte, war im Streich- 
orchester schwach besetzt, (die Bratschen gehen in der 
Regel mit den Bässen in der Octave zusammen) und von 
Bläsern finden wir nur Flöten, Oboen, Fagotts und Hör- 
ner. Trompeten und Pauken sind selten, Clarinetten und 
Posaunen gar nicht verwendet. Als merkwürdige Aus- 
nahme erscheinen englische Hörner. Die kleine Hälfte 
aller dieser früheren Sinfonien ist noch dreisätzig und 
die Sätze sind kurz. Die erste, welche im Jahre 4 759 
entstand, als Haydn in der Nähe von Pilsen Musil^- 
director der Hauscapelle beim Grafen Morzin war, hat 
ganz die Maasse der italienischen Ouvertüre: die Allegri 
86 und 84 Tacte, der langsame Satz 78. Seine zweite Sinfo- 
nie aber, (»le midi«) die Haydn 4764 in Eisenstadt schrieb, 
(sie ist fünfsätzig) bringt gleich etwas Ausserordentliches: 
ein Adagio in der Form des Recitativs! Diese Erschei- 
nung, die in den phantastischen Orgelstücken Buxtehudes 
und seiner Schule ihre hauptsächlichsten Vorläufer hat, 
zeigt auf einen eigenthümlichen Zug Haydns: die Hin- 
neigung zu einem dramatischen oder poetischen Plan 
für seine Sinfonie. Haydn hat diese Neigung noch in 
späteren Jahren ausdrücklich bestätigt, als er dem Maler 
Griesinger bemerkte, dass er in seinen Sinfonien gern 
einen »moralischen Charakter« geschildert habe. Auch die 



programmartigen Titel, die vielen seiner Sinfonien von 
ihm selbst oder von Andern gegeben wurden, stehen mit 
dieser Thatsache im Einklang: Wir haben da einen Torso 
der »Tageszeiten«* in den drei Sinfonien : le midi, le matin, 
le soir, einen »Philosoph«, einen »Zerstreuten«, eine Ab- 
schiedssymphonie, Lamentation, Maria Theresia, la Pas- 
sione, »der Schulmeister«, »Feuersymphonie, La chasse, 
L'ours, la Poule, la Reine, Kindersymphonie, Militär- 
symphonie und noch andere sinfonische Werke, die zum 
Theil in das Bereich der Programmmusik gehören. In 
Wien und in dem sinnlich lebhaften Süddeutschland war 
die durch Kuhn aus »biblische Sonaten« inaugurirte 
Tendenz: der Instrumentalcomposition bestimmte Vor- 
gänge unterzulegen, anscheinend sehr beliebt. Auch 
Haydns Jugendfreund, der Componist vom »Doctor und 
Apotheker«: C. Ditters v. Dittersdorf gehört ihr mit 
seinen zwölf Sinfonien zu Ovids Metamorphosen an. Ein 
zeitweiliges Ende fand sie erst durch Beethoven. Von 
Haydns früheren Beiträgen zur Programmmusik ist die 
J. Haydn sogenannte Abschiedssinfonie am beliebtesten ge- 
Abschiedssinfo- worden, vermuthlich ihrer Entstehungsgeschichte wegen. 
me ' Dem Fürsten Esterhazy fiel es im J. 1 772 plötzlich ein 
die Capelle zwei Monate länger als gewöhnlich auf seinem 
§ommerschloss behalten zu wollen. Da entschloss sich 
Haydn für seine Musiker eine Bittschrift einzureichen, 
und zwar eine musikalische. Eines Abends wurde der 
Fürst damit überrascht. Es war die Abschiedssinfonie, 
die man eine musikalische Pantomime in zwei Sätzen 
nennen könnte. Sie beginnt mit einem Allegro, in dessen 
Thema 




5^ 



— wenn der Satz sich schon auf die 



Afraire mit bezieht — man vielleicht die beiden Parteien 
der geschädigten Capelle, die klagenden und die wüthenden, 



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räsonnirenden , erblicken kann. Die Musik wickelt sich 
sehr hastig hin ; zu einem zweiten Thema kommt es nicht 
und ehe man es vermuthen und für gut finden kann, wird 
der Satz abgebrochen: Ein Adagio von mildem Tone, bitten- 
den oder begütigenden Charakters, — wie man es auffassen 

will-setztein jj t fl fj^ltf ^ \ ^^3t\Qj-- 

Es kommt zu sehr freundlichen Tönen. Nach 30 Tacten 
steht in der Partitur beim zweiten Horn : »si parte <«. In 
Esterhaz legte der Spieler hier seine Noten zusammen, 
löschte die Lichter am Pulte aus und ging weg. Bald darauf 
verschwand in derselben Weise der Flötist; ihm nach 
der erste Hornist, die Oboebläser u. s. f. Das Orchester 
ward dunkler und leerer. Zuletzt blieben nur noch 2 
Geiger übrig, die den Satz mühsam zu Ende bringen und 
durch schläfrige Wiederholungen zu erkennen geben: 
»Wir können auch nicht mehr«. Der Fürst verstand die 
originelle Adresse, ging ins Vorzimmer, wo sich die Mu- 
siker inzwischen versammelt hatten, und sagte lächelnd: 
»Haydn, morgen können die Herren reisen.« Im Uebrigen 
ist von den Sinfonien Haydn's, welche in den ersten bei- 
den Jahrzehnten seiner Componistenlaufbahn entstanden, 
heute nur wenig bekannt, was zum Theil mit an der Form 
ihrer ersten Veröffentlichung liegt. Carl Bank hat sich 
kürzlich das Verdienst erworben uns sechs der schönsten 
von Haydn's Erstlingen in einer innerlich und äusserlich 
vorzüglichen Ausgabe wieder zuzuführen. Auch »le midi« 
ist darunter. In der Zeit, wo sich Haydn dem höchsten 
Punkte seiner Meisterschaft näherte, können wir ihn be- 
quemer verfolgen. Zu nennen ist hier ausser den ältern 
Sammlungen (Bote und Bock, Andrej die Wüllner'sche 
Sammlung*), welche in 6 Nummern ein Bild der Ent- 
wickelung des Meisters in dem bedeutenden Jahrzehnt 
4 775-1785 giebt. Den ideellen Abschluss dieser Periode 



*) Leipzig, F. Kistner. 

*) Leipzig, Rietcr-Biedermann. 



30 -Ge- 



bilden die sogenannten 6 Pariser Sinfonien, welchen 
auch die von Wüllner neu aufgefegte Oxford -Sinfonie 
noch zuzurechnen ist. Als die Krone von Allem, was 
bis dahin auf dem sinfonischen Gebiete geschaffen war, 
pflegt man bekanntlich die sogenannten 12 englischen 
Sinfonien zu betrachten, welche Haydn für die von 
ihm selbst geleiteten Concerte in Hannover Square Room 
zu London componirte. 

Eine besondere Bedeutung hat unter allen Ausgaben 
Haydn'scher Sinfonien bisher die Partitur-Ausgabe von 
Breitkopf und Härtel gehabt. In ihren 1 4 Nummern war 
für die Praxis der unsterbliche Theil des Sinfonikers 
Haydn zusammengefasst. Sie enthält auch Pariser Sin- 
3. Haydn fonien. Es sind dies die Nummern 10 und 13, Compo- 
Sinfonien. sitionen, die manchen Zug offenbaren, den der Meister 
nicht jede Stunde blicken liess. Wir rechnen dahin in 
Sinfonie Nr. 10. der ersten den langsamen Satz, den Haydn selbst als 
(Breitk. u. H ). C apr iccio b ezeichnet hat. In ihm handelt es sich um 
einen an Episoden reichen Strauss mit unliebsamen Lau- 
nen und Grillen, wie sie zum Glück im Allgemeinen der 
Phantasie des Componisten fern zu bleiben pflegten. Die 
J. Haydn andere, die Nummer 13, interessirt uns besonders durch 
Sinfonie Kr. 13 ihren ersten Satz, dessen Thema 




sehr viel Aehnlichkeit mit dem im Finale 

von Beethovens achter Sinfonie hat. Noch überzeu- 
gender drängt sich die Verwandtschaft auf, wenn man 
Charakter und Durchführung der beiden Sätze ver- 
gleicht. Hier wie dort: der unaufhaltsame Zug, das 
tarantellenartige Fortstürmen, hier wie dort die plötz- 
lichen, verblüffenden Rückungen der Modulation, die 
frappanten Gegensätze in der Dynamik! Die übrigen 12 
Sinfonien der genannten Ausgabe sind die berühmten 
englischen. Bilden sie an und für sich schon eine 
Elite, so thun wir doch gut auch noch unter ihnen eine 



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engere Wahl zu treffen. » Echter Haydn« sind sie 
wohl Alle; aber um sich den richtigen Begriff auch vom 
»ganzen Haydn« zu bilden, muss man unter ihnen unter- 
scheiden. Da sind denn die Nummern 1,2, 6, 11 und 12 
den übrigen bedeutend voranzustellen. Sie sind die in- 
haltlich reicheren, diejenigen, in welchen der Tonpoet 
den Weg zum Paradiese sich weniger leicht macht, wo 
er kämpft und zweifelt und wo der heitere Grundton 
seiner lebensvollen Bilder durch tiefe und bedeutende 
Schatten die vollere und nachhaltigere Resonanz erhält. 
Sie sind mit einem kurzen Wort — das man nicht miss- 
verstehen wolle — moderner als die andern, in welchen 
die Scala der Freude virtuos und mit immer neuen Nu- 
ancen aber doch so abgespielt wird, dass wir uns ab und 
zu nach einem Gegenmotiv sehnen. Letztere sind — 
und wie wir glauben mit Unrecht — in der Kunstgeschichte 
zum Träger der Haydn'schen Kunst gemacht worden und 
dieser Umstand hat dahin geführt, dass vom »Vater 
Haydn « mit einer Vertraulichkeit gesprochen wird , die 
über ihre gute Absicht hinaus sich zuweilen bis ins Un- 
schickliche verirrt. Haydn, der als Künstler vom »Papa« 
viel weniger hat als der » Vater Wieland«, der immer die 
Frische des Jünglings bewahrt und von Schwächen in 
seinen Werken nur die der Jugend zeigt! Formell stehen 
sich die beiden Gruppen, in welche wir seine Elite- 
sinfonien theilen, ungefähr ebenbürtig gegenüber. Na- 
mentlich auf dem Gebiete, welches Haydn der Instru- 
mentalmusik entdeckt, erobert und ausgebildet hat: der 
Kunst der motivischen Arbeit, der Auflösung der ganzen 
Gedanken in ihre kleinsten selbständigen Bestandteile 
und der Entwickelung neuer grosser Bilder aus diesen 
Fragmenten — hier zeigen jene volleren und die leichteren 
Sinfonien, als ganze Gruppen verglichen, keine wesent- 
lichen Unterschiede. 

An der Hand jener Breitkopf sehen Partitur-Ausgabe, 
und ihrer Reihenfolge nachgehend, durchschreiten wir 
kurz die erste Gruppe: 

Die erste Sinfonie in ihr ist die Nr. t [Es dur). Ihr 



32 




Hauptsatz hat eine Einleitung, ein Adagio mit folgendem 
Thema: 



Adagio. 

-Li2 1 1 1 



J. Haydn j)[ e Mehrzahl der Haydn'schen Sinfonien der späte- 
Sinfonie Nr. i ren Zeit hat vor dem ersten Allegro eine solche feier- 
rei . u. ijgj^ gedankenvolle, sinnende, träumende, romanti- 
sche Einleitung. Das Tiefste, was an seiner Fantasie 
vorbeizog, wenn er das ihm vorschwebende oder schon 
fertige Werk mit einem eindringenden Seherblick mass, 
das fasste er in den Klängen solcher Einleitungen zu- 
sammen. Sie sind meist nach dem Charakter der Sin- 
fonie, welche sie eröffnen, verschieden — jedenfalls etwas 
ganz Anderes als die immer im gleichen Typus auftre- 
tenden Einleitungslargi der französischen Ouvertüre. Es 
sind neue poetische Musikgebilde, die Nachahmer fanden. 
Auf Cherubini namentlich haben sie tief eingewirkt. Unter 
vielen solchen schönen Einleitungssätzen hat aber der 
hier in Betracht kommende zur Es dur-Sinfonie noch 
seine besondere Bedeutung. Haydn kommt auf ihn im 
ersten Allegro zweimal zurück. Das erstemal erscheinen 
die ernsten Züge des Themas nach der ersten Fermate 
in der Durchführung im schnellen Tempo und nur für 
einen flüchtigen Augenblick; nach der Reprise führt es 
aber der Componist noch einmal in seiner Originalgestalt 
vor. Solches Zurückgreifen ist bei Haydn äusserst selten : 
es beweist in diesem Falle, wie wichtig das Thema an 
sich ist. Der Componist stand unter dem Banne desselben 
und gab sich in Folge dessen den heiteren Ideen, welche 
die eigentlichen Themen des Allegro anschlagen erstlich : 

und zweitens: 




■ 



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nur bis zu einem gewissen Grade hin. Der Satz bleibt 
viel mehr auf das Ernste und Grosse gerichtet, als man 
nach der ausgesprochen leichten, und launigen Natur 
dieser beiden Führer erwarten sollte. In formeller Be- 
ziehung ist dieses Allegro der Normaltypus eines Sonaten- 
satzes, wie er m dieser Regelmässigkeit bei Haydn nicht 
oft vorkommt. Da haben wir ein vollkommen ausgebil- 
detes zweites Thema : auch das obligatorische Tonalitäts- 
verhältniss der beiden Themen — Tonica: Dominant — 
ist stricte eingehalten. Im zweiten Theile, dem soge- 
nannten Durchführungstheil des ersten Satzes, neckt sonst 
Haydn die Zuhörer gern, bringt das Hauptthema in der 
Haupttonart, als wollte er die sogenannte Reprise be- 
ginnen, während es damit noch gute Weile hat. Hier 
aber hält er sich, unbeschadet aller Tiefe und Genialität, 
vollkommen schulgerecht. Ebenso normal verläuft der 
dritte Theil : die sogenannte Reprise dieses ersten Satzes. 
Es ist einfache Wiederholung des ersten Theils mit der 
üblichen Aenderung, dass das zweite Thema nun eben- 
falls in die Haupttonart tritt, und sogar eine gekürzte 
Wiederholung. Nur die Einführung der Coda, der Mo- 
ment, wo das Einleitungsthema wie ein Geist in die heitere 
Gesellschaft eintritt, steht ausserhalb und über jedem 
Usus und lehrt uns die Freiheit des Genies bewundern 
und respectiren. Eine Eigentümlichkeit von Haydns Ge- 
dankenbau — das plötzliche Absetzen — zeigt dieser 
Satz in besonderer Stärke: Er hat nicht weniger als sechs 
beredte Fermaten! In der Instrumentirung sind die Cla- 
rinetten zu bemerken, mit welchen sich Haydn erst in 
England näher befreundete. 

Der zweite Satz ist ein Andante. Es beginnt mit 
folgendem Gedanken von dunkler Schönheit und einem 
im übermässigen Secundenschritte liegenden aparten Zug : 




Aus ihm entwickelt sich ein längerer Gesang in der zwei- 
theiligen Liedform, dem hierauf ein Alternativ mit marsch- 



ig 



34 

artigem Charakter folgt. Durch Versetzung der obigen 
Melodie ins Dur und durch kleine rhythmische Varianten 
hat hier Haydn dem eben angeführten Thema ein voll- 
ständig anderes Bild abgewonnen. 




Hauptsatz und Alternativ werden hierauf zweimal variirt. 
In der ersten Variation des Alternativs macht sich ein 
Violinsolo sehr bemerklich. Die zweite Variation imponirt 
durch einen gewaltigen Einsatz; zum ersten Male tritt 
liier in diesem Andante die gesammte Blasmusik, von 
Pauken begleitet, im kräftigsten Ton auf den Platz. Nach 
dem leise verhauchenden Ausgang des Violinsolos von 
doppelter Wirkung! Die Kunst der Variation, welcher wir 
schon in den Händel'schen Concerten, aber nur ganz 
vereinzelt, begegneten, tritt mit Haydns Sinfonien in ein 
neues Stadium. Ganz genial ist an dem Andante unsrer 
Sinfonie der Abschluss, die sogenannte Coda, welche nach 
der Fermate beginnt. Sie bildet ein freies Nachspiel zu 
den Variationen; ein poetisches Abschiedswort an die 
vorausgehenden Scenen, in welchem Alles was an Ge- 
danken und Empfindungen vorübergezogen ist, noch ein- 
mal kurz zusammengefasst und potenzirt erscheint. Die 
i 6 Tacte von der überraschend einsetzenden Dominanthar- 
monie auf A bis zum Wiedereintritt des Alternativs dürfen 
wir zu dem Genialsten und Eigenartigsten rechnen, 
was in der musikalischen Composition jemals erdacht 
worden ist. Nicht mit Unrecht haben andere darauf hin- 
gewiesen, dass dieses Andante, und namentlich die hier 
erwähnte Episode der Coda, Beethoven beim Entwurf 
vom Trauermarsch seiner Eroica höchst wahrscheinlich 
als Muster vorgeschwebt hat. 

Der dritte Satz dieser Sinfonie ist die Menuett: Ihr 
erstes Thema 



35 



lässt schon in ungewöhnlichen Wendungen der Melodik 
und Rhythmik ahnen, dass dieser Satz über den ein- 
fachen Tanzcharakter hinausgehen wird; thatsächlich 
ist er ein Charakterstück höheren Schlags und macht 
bei allem Fluss und aller Einfachheit der Form ein- 
dringliche Abstecher in das Gebiet des Tiefsinnigen und 
Pathetischen, sich ungewöhnlicher Modulationsmittel 
bedienend. Die ausserordentliche Freiheit der Erfindung 
ist noch mehr als im Hauptsatze in dem Trio zu bemer- 
ken, hier namentlich an der Stelle, wo die Violinen, sehr 
launig aufgelegt, das Wort der Hörner weiterführen. 

Das Finale ruht auf einem einzigen Thema: 




Ganz erstaunlich, 



welche Menge wechselnder und schön aneinander schlies- 
sender Bilder aus diesen wenigen Noten entwickelt 
werden! Es ist eine der grössten Leistungen contra- 
punktischer Kunst! Im Geist dieses Satzes sind ent- 
schieden Mozart'sche Züge bemerkbar. Wir begegnen 
solchen auch noch in andern von Haydns englischen 
Sinfonien. Sie legen in einer rührenden Weise von der 
Tiefe und Echtheit der edelsten Herzensfreundschaft 
und Liebe Zeugniss ab, welche der alte Meister zu dem 
jungen gefasst hatte. Der Tod des letzteren scheint sie 
nur noch inniger zu machen. 

Auch in der Sinfonie Nr. 2 [Ddur) scheint Haydn J. Haydn 
bei Mozarts Andenken zu verweilen. Er beginnt mit Sinfonie Nr. 2 
Don Juan und schliesst mit Figaros Hochzeit seinen ersten (Brcitk. u. h.j. 
Satz. Es sind flüchtige, sinnige Anklänge, wörtlich kaum 
nachweisbar, aber für das Gefühl nicht misszuverstehen. 

Die Einleitung des ersten Satzes ist diesmal nur kurz, 
hat aber einen wunderbaren , plötzlich verschleierten 
Schluss. Von ihm zu dem durch eine Generalpause ge- 
trennten Allegro führt kaum eine Brücke. Das Haupt- 
thema dieses Allegro ist folgendes: 

3» 



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» 36 



Allegro. 




l \ , Es erhält mit dem Zutritt der Bläser 

eine fröhlich kräftige Gegenstrophe. Das endlich folgende 
zweite Thema 'Adur) scheint nur pro forma da zu sein 
und kehrt im ganzen Satze ein einziges Mal, an der ge- 
hörigen Stelle in der Reprise, wieder. Die Durchführung 
wird zum grössten Theil von dem oben eingeklammerten 
Motive des Hauptthemas getragen und erhält durch seine 
entschiedenen Rhythmen einen ziemlich streitbaren Cha- 
rakter. 

Das Andante dieser Sinfonie ist eins der interessan- 
testen und für die Auffassung von Haydns geistiger Per- 
sönlichkeit, für das Verständniss seines Kunstglaubens 
ein wichtiger Beitrag. Zu Grunde liegt dieser Compositum 
ein etwas erweiterter Liedsatz mit folgendem Hauptvers : 



Andante. 




Er wird verschiedentlich variirt. Doch nicht diese 
Variationspartien sind das Hauptelement der Composition, 
sondern die freien Zwischensätze, in denen sich ein Fond 
von Leidenschaft auslebt, welcher die Bekenner des »ge- 
müthlichen Vater Haydn« einigermassen erschrecken 
muss. Immer wieder werden diese stürmischen Aus- 
brüche einer heftigen trüben Empfindung unterdrückt, 
zurückgedrängt und abgebrochen. Beschwichtigend, zu- 
weilen gewaltsam und halb ironisch, kehrt der Componist 
zu dem oben citirten Friedensmotiv zurück. War es 
Furcht vor dem Dämonischen, Respect vor der künst- 
lerischen Etiquette, die Haydn zu dieser Führung dieses 
Satzes bestimmten, oder war sie durch einen besonderen 
Programmvorwurf bedingt, der verschwiegen blieb? Es 
liegen Räthsel in diesem Satze, die aber glücklicherweise 
die rein menschliche und künstlerische Wirkung des le- 
bensvollen, erregten Seelengemäldes nicht beeinträchtigen. 



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37 



Die Menuett dieser Sinfonie ist eine der wuchtigsten 
die vorkommen und sehr mannigfaltig in ihren Bildungen : 
grotesk und intim, drohend und neckisch zugleich; reich 
an formell ungewöhnlichen Erscheinungen: Rieseninter- 
vallen, Paukenwirbel mit Crescendo, Generalpausen und 
Generaltrillern. Das Trio bleibt durchaus zart, mädchen- 
haft im Blick und fröhlich einfach geschmückt. 

Das Finale beginnt ä la Musette 

Sehr leicht möglich, dass dies eine echte Nationalmelodie 
ist, diesmal jedoch entschieden keine slavische, was des 
Constatirens augenblicklich werth scheint. Denn bekannt- 
lich ist Haydn kürzlich, allen gelehrten Ernstes, als Kroate 
reclamirt worden. Gegen das sehr fröhliche Treiben, 
welches sich auf Grund dieses Themas im Finale ent- 
wickelt, bildet das bedeutsam ausgestaltete zweite Thema 
einen herrlichen Contrast. 




- if — 

Es wirkt, als wenn ein glücklicher Mensch, mitten in der 
rauschenden Festesfreude, einen frommen und dankba- 
ren Blick nach dem Sternenhimmel würfe, und erscheint 
uns als die Perle in der durch und durch genialen Sin- 
fonie! 

Die Sinfonie .W. 6 [Gdur] wird mit einer Einleitung J. Haydn 
eröffnet, in welcher die . Jahreszeiten u ihren Schatten Sinfguie Nr. 6 
vorauswerfen. Das erste Allegro dieser Sinfonie ist knapp ( Breitk - n - H -)- 
und gedrungen. Sein erstes Thema 




läuft schon nach vier Tacten aus dem üblichen leisen 
Anfang in den sausenden und brausenden Chor ein, der 



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38 



in den meisten Fällen das zweite Glied oder die Reserve 
des Hauptthemas zu bilden pflegt. Das zweite Thema, 
im Satz zu keiner Bedeutung gelangend, wird wieder, 
wie so oft bei Haydn, mit einigen Geigenaccorden prälu- 
dirt, die uns in die idyllische Sphäre der Harfen- und Gui- 
tarrenmusik versetzen. Die Durchführung ist knapp ge- 
halten; das oben eingeklammerte Achtelmotiv liefert ihr 
den grössten Theil des Materials. Der berühmteste Satz 
dieser Sinfonie ist das Andante. Sie heisst nach ihm 
die Sinfonie mit dem Paukenschlag. Haydn hatte sich 
den Scherz gemacht, eine sanfte, erst p, dann pp gehal- 



tene Melodie 




einem kräftigen Accord des vollen Orchesters abzu- 
schliessen, wie man sagt, weil er gegen sein Londoner 
Concertpublicum den Verdacht zeitweiliger Zerstreutheit 
hegte. Der an und für sich sehr billige Scherz gefiel 
ganz ungemein. Das Thema wird dann in vier Varia- 
tionen durchgeführt, die ausgezeichnet unter einander 
verbunden sind. Besondere Aufmerksamkeit verdient der 
unvermuthete Uebergang nach Es dur in der zweiten und 
der schöne Gesang, welchen in der dritten Oboen und Flöten 
dem in den Geigen herschreitenden Hauptthema entgegen- 
stellen. Die Coda hat wieder einschlummernden Charakter. 

In der sehr gestaltenreichen Menuett ist das Trio dies- 
mal nicht als Gegensatz, sondern als Ergänzung behan- 
delt. Die anmuthig hinflatternde Hauptmelodie des letz- 
teren tragen Violine und Fagott zusammen vor, eine 
Octavverdoppelung, die Haydn namentlich in dem Menuett 
und in den zweiten Themen der Ecksätze auch in andern 
Formen gern anwendet. Die Heimath dieser Instrumen- 
tationsweise ist eine entschieden volksthümliche. 

Das Finale giebt sich der fröhlichen Laune anfangs 
nur mit Vorbehalt hin: sein Hauptthema 




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39 



hat einige sentimentale Elemente. In der Führung des Satzes 
ist die Ueberleitung zur Reprise bemerkbar; das Haupt- 
thema kommt einigermassen unvermuthet, aber als will- 
kommner Retter aus Irrfahrt und Oede. 

Die M. Sinfonie [Gdur) ist die sogenannte Militär- J. Haydn 
sinfonie. Sie verdankt diesen Beinamen ihrem zwei- Sinfonie Nr. 1 1 
ten Satze: einem Allegretto, das auf Grund einer (von (Breitk. u. H.). 
Haydn bearbeiteten) französischen Romanzenmelodie 




ein inhalt- 



reiches Tonbild entrollt, dem man kriegerische Unter- 
lagen wohl ansehen kann. Es ist eine Art Abschieds- 
stimmung in der freundlich sinnigen Marschweise, welche 
die Chöre des Orchesters nicht müde werden einander 
zuzusingen. Dann kommt plötzlich das Thema in Moll; 
der Satz erhält einen Mitteltheil, durch welchen grosse 
Schatten ziehen, der ernst stimmt und die Trauer streift: 
»Heute roth — morgen todtu! Unverkennbar ausgeprägt 
tritt der militärische Charakter des Satzes gegen den 
Schluss vor: Abendstimmung: die Romanze verklingt: 
Da ein Trompetensignal, das im Orchester augenschein- 
lich grosses Aufsehen und Allarm erregt. In der Instru- 
mentirung dieses Andante ist der grosse Apparat von 
Schlaginstrumenten für die besondern Tendenzen Haydns 
an dieser Stelle bezeichnend: Ausser den Pauken: 
Triangel, Becken und grosse Trommel ! Einen eigentlichen 
langsamen Satz enthält diese Sinfonie nicht; ähnlich 
wie Beethovens achte. 

Der Hauptsatz beginnt nach einer prächtigen Einlei- 
tung, die auch eine Stelle pathetischer Erregung hat, mit 
folgendem Thema von Oboen und Flöte allein vorge- 
tragen : 




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40 



Ehe es noch zu einem zweiten Thema kommt, pas- 
siren wir bereits Partien eigenartigster Erfindung. Die 
Stelle, wo nach der Reprise des Themas in der Domi- 
nant, Geiger und Bläser echt träumerisch unschlüssig 
mit den zwei Noten spielen und sich dann im Forte 
heroisch aufraffen, gehört dahin. Darauf unmittelbar setzt 
das zweite Thema, wieder wie von Guitarrenklängen prä- 
ludirt, ein. Es ist eine Melodie von echtem Wiener Blut, 
die zum flotten Marsch einer Infanteriekolonne ganz gut 
passt: 




Dieses den Radetzkymarsch vorauskündende Thema 
lasst aber den Schwung nicht ahnen, der im Orchester 
losbricht, nachdem sich die Bässe der tändelnden Weise 
bemächtigt haben. Die Durchführung des Hauptsatzes 
ruht wesentlich auf diesem zweiten Thema und erhebt 
sich mit ihm ins Grossartige. Die Menuett dieser Sin- 
fonie nähert sich dem alten Style und wiegt sich in 
schwerfälliger Grazie. Haydn schreibt ausdrücklich »Mo- 
derator vor. Im Trio scheint sich ein Solopaar zu produ- 
ciren. Das Finale hat ein Hauptthema, 



Presto. 




welches auf leichten Scherz und Tändelei hinzudeuten 
scheint. Haydn giebt ihm aber durch Modulationen 
und contrapunktische Umarbeitungen einen schwereren, 
energischen Charakter und flicht erregtere Scenen und 
Momente dunkler Spannung ein; Alles mit wenigen No- 
ten und in einer Kürze, die eine Meisterleistung an sich 
bildet. 

J. Haydn Die letzte Sinfonie in unserer ersten Gruppe: Nr. \l 

Sinfonie Nr. 12 IBdur) beginnt ebenfalls mit langsamer Einleitung vor 
(Breitk. u. h.j. dem Allegro: Die beiden Themen des letzteren sind fol- 
gende : 



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-<fr il 




Das erste setzt ausnahmsweise gleich stark und mit 
dem vollen Orchester ein und lässt dann das Piano 
nachfolgen. Das zweite Thema hat in dem Satze grössere 
Bedeutung, als es durchschnittlich bei Haydn der Fall ist. 
Gleich sein erster Eintritt ist ungewöhnlich: es steht 
mit einem gewaltigen Schlage da, fertig wie aus der Erde 
emporgezaubert. An der Durchfuhrung nimmt es einen 
wichtigen Antheil. Doch stehen ihm andere Motive hier 
ebenbürtig zur Seite; neben dem Achtelrhythmus des 
Hauptthema noch das diesem folgende kurze Seitenmotiv: 




An Reichthum und Mannigfaltigkeit des Materials 
zeichnet sich somit die Durchführung dieses Satzes aus 
und gestaltet ihn zu einem der imposantesten in Bezug 
auf den Aufbau. Dem entspricht eine Fülle innerer Bewe- 
gung und Energie. Unter den Allegrosätzen Haydns, 
welche Beethoven zum Anknüpfen dienen konnten, muss 
dieser an erster Stelle genannt werden. 

Der zweite Satz mit folgendem Hauptthema 




ist auffallend kurz. Mehrmals streift er das leiden- 
schaftlichere und schwermüthige Gebiet, zieht sich aber 
immer mit absichtlicher Eile und in genialen Wendungen 
auf das Ausgangsterrain der elegischen Träumerei zu- 
rück. Er gleicht einer Skizze. 



In der Menuett treten dem behäbigen Tanzcharakter des 

Alle pro. 

Hauptthema 




mehrfach beunruhigende Elemente gegenüber; namentlich 
ein pochendes Unisonomotiv j | J j bringt eine fast 
dramatische Bewegung in der Scene hervor. Das Trio 
sucht mit einer unwiderstehlichen Herzlichkeit zu be- 



schwichtigen : 



Die Me- 




lodie, welche durch die chromatische Stelle ihre Signatur 
erhält, wird wieder in der Octav von Oboe und Fagott 
zusammen gespielt. 

Das Finale ist auf das Material eines sehr possirlichen, 
augenscheinlich der Volksmusik entnommenen Trällerlied- 

Presto. 

chen sgebaut: 

In seinem Anfangsmotiv bietet es Haydn Gelegenheit zu 
humoristischen Episoden, denen er freie Zwischensätze 
von zuweilen trotziger Kraft gegenüberstellt. Im Ganzen 
ist dieses Finale eins der wechselvollsten und inhaltlich 
mannigfaltigsten. 

J. Haydn Von den Sinfonien der zweiten Gruppe gehört die 
Sinfonie Nr. 3 Nr. 3 {ETdur} zu den schwächeren. Der erste Satz ent- 
<Breitk. n. h.). bebrt der bei Haydn gewöhnlichen Inspiration und er- 
scheint vorwiegend als ein Product der Arbeit. Seinen 
vergnüglichsten Theil bildet das zweite Thema 

AllerTo. 




Im zweiten Satze, Adagio [Gdur} } wird ebenfalls das 

zweite Thema, mit folgendem Grundmotiv ^^~^= f m } f~ 

zum Hauptgedanken und giebt der Composition einen 
hymnenartigen Ausdruck. Wenn bei Haydn die zweiten 
Themen hervortreten, so ist dies in den meisten Fällen 



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43 



eine nicht unbedenkliche Erscheinung. Seine besten Sätze 
sind vorwiegend diejenigen, wo er ein zweites Thema 
gar nicht braucht. 

Die Menuett der Sinfonie erhebt sich in der Erfin- 
dung über die vorhergehenden Sätze. Sie gehört zu der 
Gattung Haydn'scher Menuette, welche den Uebergang 
zum Scherzo Beethovens bilden. Noch höher steht das 
Finale, in welchem die gute Laune Haydns an dem fol- 
genden kurzbeinigen Thema 




sich wieder in ihrer ganzen Frische aufrichtet. Nament- 
lich an kostbaren Instrumentaleffecten ist der Satz reich. 

In der Sinfonie Nr. 4 [Ddur) macht sich eine ge- 
wisse Gleichförmigkeit sowohl innerhalb der einzelnen 
Sätze als auch im Verhältnisse der Sätze unter einander 
geltend. Hier sind ihre Hauptthemen. 




Das interessanteste Moment der ganzen Sinfonie 
bildet der im Andante die zahlreichen Wiederholungen 
des Hauptthema einleitende, eingeschobene Tact. 

Die Sinfonie Nr. 5 [Ddur) hat ebenso wie die vor- j, Haydn 
letzte ihren schönsten Theil in der zweiten Hälfte. Mit Sinfonie Nr. 5 
dem Einsatz des Trio in der Menuett, da wo die Bläser (Bwitk. n. h.). 
alle zusammen die allarmirenden Triolen anstimmen, 
verlässt der Tondichter endlich die Idylle, in der er uns 



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^* 44 



etwas lange festgehalten hat. Der bedeutendste Satz ist 

Presto ma non troppo. 

das 




Finale 

dessen Thema schon unverkennbar romantisch anklingt 
Seine ersten 3 Noten — bald wie ritterlicher Weckruf 
Alles allarmirend, bald wie geheimnissvolle Stimmen aus 
Waldesdunkel erschallend, jetzt näher, jetzt ferner klin- 
gend — haben im Bau dieses Finale besondere Bedeu- 
tung. Es ist reich an Bildern; die Gruppe vor der Ein- 
führung des zweiten Thema in der Reprise gehört zu 
den phantastischsten Eingebungen. Ihre Pausen, Ferma- 
ten, ihre schnell abbrechenden Schlüsse geben der Erklä- 
rungskunst voll zu thun. Vor anderen trägt die Fröh- 
lichkeit dieses Satzes ein männlich schönes Gepräge. 
Ganz am Schluss taucht Don Juans Bild auf: »Viva la 
liberta!« 

J. Haydn Die Sinfonie Nr. 4 4 [Ddur] gehört der zweiten Gruppe 

SinfoniwNr. 14 vollständig an. Der erste Satz, dem ein leichtes Thema zu 



(Breitk. u. H.). 



AllegTo. 




Grunde liegt: 



contrapunktirt einigemale strenger und verausgabt einen 
grossen Vorrath gewaltig ausholender Gänge; er bleibt 
aber in seiner Fröhlichkeit etwas äusserlich und theatra- 
lisch. Das Andante: 





schwärmt dahin wie vom Glück beflügelt ; 



zuweilen bricht der Jubel mit Elementargewalt heraus, dann 
wiederzittert es in allen Gliedern wie von heimlicher Freude. 
Auch in dem dunkleren Mittelsatz, der ein Mollthema 
fugenartig durchführt, lebt ein schwelgender Klang. Der 
Schlusstheil des Andante wird zum Concert, wo den 
beiden Soloviolinen alle anderen Instrumente lauschen. 



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^ö- 43 ■&>- 



Die Menuett ist von der aristokratischen Familie und neigt 
dem Zarten zu. Das Trio bringt reizende Soli der Flöte und 
des Fagotts, letzteres von der ersten Violine unterstützt. 
Das Finale ist ein Rondo mit folgendem kurzgeschürz- 

TiTacs assai. 

ten Hauptthema: 




J * u—r ' 



Namentlich die Solostellen der Violine, welche die Rück- 
kehr in dieses Thema einleiten, sind von eigenartiger 
Wirkung. 

Die drei übrigen Sinfonien (Nr. 7, 8, 9) nehmen eine 
Art Mittelstellung zwischen beiden Gruppen ein. In der 
Tendenz ihrer Hauptsätze, die dem Heroischen und Pa- 
thetischen zuneigen , haben sie etwas Gemeinsames und 
würden ohne Weiteres den Sinfonien der ersten Gruppe 
anzureihen sein, wenn sie sich mit diesen an musikali- 
schem Reichthum der Ausführung messen könnten. Die 
bedeutendste unter ihnen ist die Nr. 9 [Cmoll,. wohl J. Haydn 
auch die bekannteste. Sie beginnt ohne Einleitung mit Sinfonie Nr. ;> 
einem Thema, dessen Doppelnatur weniger auf eine < Breitk - u - Hl - 
Sonate als auf die freiere Form der Fantasie hinzuweisen 
scheint : 




In der weitem Folge beschäftigt sich Haydn vorwie- 
gend mit der erregten Hälfte desselben, beginnt aber, wie 
zur Entschädigung, die Reprise ohne diese. Eine grosse Be- 
deutung hat für diesen Satz das volksthümliche freundliche 

zweite Thema : 

Es beschwichtigt die Stürme und herrscht in dem Wieder- 
holungstheil des Allegro fast allein. Nach der ganzen 
Anlage weist der Satz auf eine frühere Periode von 
Haydns Sinfoniebehandlung hin, in die Zeit, wo Mo- 




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46 Mo- 



zarts Einfluss zuerst zur Geltung kam. In einzelnen 
Stellen erinnert er ganz direct an ein bestimmtes Werk 
des jüngern Meisters: an dessen Cmoll- Fantasie. 
Mozart'sche Spuren zeigen auch das Andante can- 
tabile und das Finale. Ersteres hat folgendes Thema: 

welches in einer 




Reihe von Variationen ausgeführt wird, von welchen 
namentlich die düstere in Esmoll hervorzuheben ist. 
Im Finale empfiehlt es sich für den Zuhörer die ersten 
beiden Tacte des Themas sich einzuprägen 




Auf ihnen beruhen 



zahlreichen 



Fugenbildungen des Satzes; die Melodie in ihrem vollen 
Umfange erscheint nur beim Abschluss grösserer Grup- 
pen. Die durch selbständige Aufführungen verbreitete 
Menuett ist in ihrer Verbindung von Grandezza und 
Schalkheit ein Muster: 




Ein ebenso anmuthiges als 



schwieriges Solo des Violoncello bildet das Trio. 
J. Haydn Die Sinfonie Sr. 8 (B dur) hat ihren hervorragendsten 
Sinfonie Nr. 8 Satz an zweiter Stelle : Es ist das Adagio cantabile, einer 
(Breitk. u. H.). d er wenigen langsamen Sätze in Haydn'schen Sinfonien, 
der sich die idyllischen, an die Schäferpoesie anklingenden 
Elemente ziemlich fern hält. Sein Charakter bringt ihm 

der Hymne nahe, und folgendes Motiv 

ist der Hauptträger der andächtig gehobenen frommen 
Stimmung. Die Nebengedanken sind weniger bedeutend, 
ohne die Totalwirkung aber zu stören. Das Finale, dem fol- 



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47 -fra- 




gendes Thema zu Grunde liegt 

• f 

ist durchweg leicht gehalten. Nur ganz vorüber- 
gehend treten kräftigere Gestalten hinein. Im Haupt- 
satz, dem ersten Allegro, ist ausser dem Hauptthema: 

Allegro. 

-"-■■■----^---- r -^->- : noch ein an und für 




sich unscheinbarer 



Zwischengedanke : 




zu beachten, der beim 

ersten Male im Anschluss an das zweite Thema als 
Oboensolo auftritt. Das Mozart'sche Gepräge, welches 
die Haltung des Allegro zeigt, ist ihm besonders auf- 
gedrückt. 

In der Sinfonie Nr. 7 (Cdur) bestehen wieder, ähn- J. Haydn 
lieh wie in Nr. \ engere Beziehungen zwischen Einlei- Sinfonie Nr. 7 
tung und erstem Allegro: das erstere eröffnende Motiv ( Breitk - »• H -J- 



kehrt mit der schönen Harmonie, 



auf welcher es ruht, in letzterem wiederholt wieder, noch 
zuletzt in der Coda des Allegro, wo es zu einer selb- 
ständigen längeren Episode Veranlassung giebt. Das 
Hauptthema des erten Satzes ist folgendes: 



Vivace 




Der Satz mteressirt 



durch sehr interessante Einzelheiten, er nimmt aber im 
Ganzen nicht den hohen Flug, den man nach einem sol- 
chen Anfang erwarten könnte, und erregt die Vermu- 
thung, dass Haydn für ihn wie auch für das Menuett 
dieser Sinfonie eine alte Mappe aufgeschlossen habe. 
Bedeutender sind der zweite Satz, ein Variationenwerk 
mit folgendem Grundthema: 



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48 ❖ 




in dem die stereotype Wiederholung der Schlussformel: 




ganz eigentümlich wirkt, und das Fi- 



nale, einer der gelungensten Rondosätze, die wir von 
Haydn besitzen. Das Hauptthema, welches immer, so 
oft es wiederkehrt, vom Frischen überrascht und ergötzt, 
ist folgendes: 




Namentlich am Schlüsse dieses Finales zeigt Haydn noch 
einmal die ganze Grosse seiner Gestaltungskraft und lei- 
tet das harmlose Motiv flugschnell aus dem Anmuthigen 
ins Neckische und ins Erhabene und durch die Fülle von 
Regionen, wie sie nur ein grosser Humorist zugleich be- 
herrscht. 



Es ist nicht ganz leicht, völlig genau und gerecht 
den Antheil abzuwägen, welcher Mozart an der Ent- 
wicklung der Sinfonie zukommt. Dass Mozart, wie schon 
oft gesagt worden, Haydn gegenüber als der Zweite er- 
scheint, ist richtig: Haydn hat der Sinfonie ihr neues 
Gebäude errichtet; aber von dem Geiste, der hineinzog, 
Mozarts ist ein wichtiges Stück Mozarts Eigenthum. Es sind die 
Sinfonien. Ecksätze der Sinfonie, die Allegri, an denen Mozart eine 
Reform vollzog. Sie erstreckte sich nicht wie die Haydns 
auf die Entwicklung, Durchführung und Ausnützung der 
Themen, sondern sie betraf die Themen selbst. In sie 
führte er ein Element ein, welches die Zeitgenossen als 
ein »cantabiles« bezeichnen. Was das heissen soll, ver- 
steht man sehr leicht, wenn man das Hauptthema im 
ersten Satz der bekannten Ddur-Sinfonie Mozarts (Nr. \ 
der alten Ausgabe von Breitkopf und Härtel) oder das ent- 
sprechende in seiner Esdur-Sinfonie (Nr. 3 ebendaselbst) 
mit irgend einem ersten Allegrothema Haydns vergleicht. 



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Hier immer rasche, vorwärts eilende Rhythmen, muntere, 
zuweilen leidenschaftliche Themen; immer bestimmte 
und fertige Aeusserungen einer activen, positiv kräftigen 
Stimmung. Dort, bei Mozart: verweilende, sich ausbrei- 
tende Motive, in denen eine schwere Empfindung nach 
Ausdruck ringt, das Pathos eines vollen Herzens, welches 
die Formen des menschlichen Gesangs bald fest ergreift, 
bald nur für einen kurzen Moment zu streifen scheint. 
Diese, im höheren, im Schiller'schen Sinne, sentimentalen 
Elemente des Seelenlebens waren der ältern Instrumen- 
talmusik selbstverständlich nicht fremd ; aber sie wurden 
dort in der Regel für sich gehegt und blieben vorzugs- 
weise auf die langsamen Sätze beschränkt; in den leb- 
hafteren erhielten sie höchstens Nebenplätze. Nach der 
Meinung Vieler machte sich daher Mozart einer Stylver- 
mischung schuldig, indem er jene sentimentalen Elemente 
in die Hauptthemen und an andere wichtige Stellen der 
Allegri hineinzog, und noch der verdiente Nägeli nannte 
den Meister wegen jener Cantabilität, durch die ein Beet- 
hoven mit vorbereitet wurde, einen »unreinen Instru- 
mentalcomponisten«. Die zweite Hälfte des iS. Jahr- 
hunderts war jedoch auch in der Musik die Zeit mancher 
wohlgeglückten und heilsamen Stylvermischung. In der 
ernsten Oper Gluck, in der komischen Piccini, Galuppi, 
Guglielmi, in der Instrumentalmusik Ph. E. Bach und in 
einem bestimmten Umkreise auch J. Haydn! Das waren 
Alle Vertreter einer Richtung, zu welcher Mozart von 
Natur aus hinneigte und in welcher er in der Oper 
gleich von Anfang an unbewusst herzhaft vordrang. Es 
ist bezeichnend, dass Mozart als Sinfoniker den ihm 
eigenen Mischstyl eher merken lässt als den Einfluss 
Haydns. 

Seine erste Sinfonie schrieb Mozart als achtjähriger 
Knabe. Nach Köcheis Verzeichniss sind überhaupt 49 
Sinfonien Mozarts nachweisbar. Davon besassen wir bis 
vor Kurzem nur M im Druck und zwar in der soge- 
nannten alten Partiturausgabe von Breitkopf und Härtel, 
welche wir unseren Erläuterungen hier zu Grunde legen. 

4 



^ 50 *~ 



Diese Zahl ist durch die neue monumentale Gesammt- 
ausgabe*) der Werke Mozarts jetzt auf 47 vermehrt 
worden. Der Zuwachs hesteht grösstenteils aus Jugend- 
arbeiten, unter denen allerdings mehrere: z. B. die Gmoll- 
Sinfonie aus dem Jahre 4 772, die in Adur von 4 773 
mehr als blos biographisches Interesse haben. Aber es 
dauert verhältnissmässig lang, es kommt die Zeit der 
»■Entführung aus dem Serail« heran, ehe Mozart als Sin- 
foniker bedeutend und eigenthümlich wird. Die Mehr- 
zahl seiner früheren Sinfonien sind Durchschnittsarbeiten 
mit interessanten Einzelzügen. Der Typus, welchen 
Mozart zu Grunde legte, ist die italienische Theater- 
sinfonie, ganz im Gegensatz zu Haydn, der augenschein- 
lich, wenn nicht in der Form , so doch im Geiste seiner 
Sinfonien von Divertissements, Cassationen, Serenaden 
und andern volksthümlichen und realistischen Zweigen 
der Familie Suite seinen Ausgangspunkt nahm. Die Mehr- 
zahl der Mozart'schen Jugend -Sinfonien steht Hasse'- 
schen und andern Opernouvertüren nahe. In den weit- 
ausholenden Einsätzen, in der Allgemeinheit der Ge- 
danken, in der dahinrauschenden, an Figuren und glän- 
zenden Gängen reichen Rhetorik gleichen sie Festreden. 
Sie haben aber von dieser Abkunft auch einen Vorzug. 
Das ist ein hoher, weihevoller Grundton. Jedermann 
kennt ihn aus der Majestät der Jupitersinfonie, die in 
Bezug auf diese Eigenschaft keineswegs allein steht, son- 
dern gerade darin in den Jugendsinfonien Mozarts zahl- 
reiche Vorläufer hat. 

Es giebt noch unter den seit langer Zeit bekannten 
Moiart Sinfonien Mozarts solche, die gar nichts Individuelles 
Ddur-Sinfonio haben. Dahin rechnen wir die D dur-Sinfonie Nr. 9, 
(der" Hon PartU welclie in der äussern Geschichte Mozarts eine gewisse 
tur-Ausgabe von Bedeutung hat. Mit ihr glaubte Mozart in Paris Position 
Breitkopf und fassen zu können. Er schrieb sie für die dortigen Con- 
Hartei). cer t s sp i r ituels des Director le Gros im J. 1778 und fand 
damit grossen Beifall. Sie beginnt: 

*) Leipzig, Breitkopf und Härtel. 



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drei Tacte bilden den berühmten »premier coup d'ar- 
chet«, auf welchen die Franzosen so stolz waren. Das 
war nichts weiter als der gemeinsame Einsatz des ge- 
sammten Orchesters, der allerdings bei der ausser- 
ordentlich vollen Besetzung des Streicherchors einen 
Effect machte, dessen Natur die Pariser Dilettanten einer 
besondern Ueberlegenheit in der Präcision zuschreiben 
wollten. Diesen coup d'archet hat Mozart im ersten 
Satze weidlich ausgenutzt und ihm noch eine Reihe ähn- 
licher dynamischer Raritäten beigesellt, wie er sie selbst 
nagelneu aus der Mannheimer Capelle mitgebracht hatte. 
Das allgemeine Crescendo auf einem einzigen Accord 
spielt darunter eine grosse Rolle. In der Entwickelung 
des Stimmungs- und Gedankenmalerials herrscht, obwohl 
Mozart in dieser Sinfonie dem »langen Geschmack« aus- 
weichen wollte, eine grosse Umständlichkeit. Das An- 



achtzehntes Jahrhundert; nur eine stolze Unisonofigur 
der Streichinstrumente unterbricht die Ruhe dieser Gess- 
ner'schen Idylle. Das Finale fängt ausnahmsweise einmal 
so an wie Haydn in der Regel seine schnellen Sätze 
einzusetzen pflegt: die erste Periode leise und dann ein 
tüchtiges Forte. Weil ich hörte — schreibt Mozart an 
seinen Vater — dass sie alle letzte Allegro's, wie die 
ersten, mit allen Instrumenten zugleich, und meistens 
unisono anfangen, so fing ichs mit den zwey Violinen 
piano nur acht Tacte an — darauf kam gleich ein Forte, 
mithin machten die Zuhörer ;wie ich es erwartete; beim 
Piano sch! — dann kam gleich das Forte. — Sie das 
Forte hören und die Hände zu klatschen war Eins. Ich 



dante 




Violin» 



ist ganz 



52 



ging also gleich vor Freude nach der Sinfonie ins Pa- 
lais Royal, nahm ein gutes Gefrornes, betete den Rosen- 
kranz, den ich versprochen hatte, und ging nach Haus.« 

Man kann die Sinfonien Mozarts in solche theilen, 
bei denen der Ouvertürencharakter vorwiegt, und in eine 
andere Classe, welche sinfonisch in der modernen Be- 
deutung des Wortes genannt werden können. Daneben 
giebt es noch eine kleinere Gruppe, welche den Cassa- 
tionen und andern suitenartigen Gelegenheitsmusiken 
Motart nahesteht. Zu letzterer gehört die Sinfonie Nr. 8 in D dur. 
Ddur-sinfonie Sie hat 5 Sätze , unter ihnen zwei Menuetts, die durch 
Nr. 8 (B. o. H.j. ein sehr langes Andante getrennt sind. Es ist eine Com- 
positum, die ganz und gar nichts Mozart'sches hat und 
durch ihren altvaterischen Charakter Zweifel erregt be- 
züglich der Echtheit. Einen gewöhnlichen, aber doch in 
der Frische der Darstellung überall Mozart'schen Charakter 
Maiart trägt die Sinfonie Gdur Nr. i2. Sie ist unverkennbar 
Gdur-Sinfonie ein Werk aus sehr früher Jugend und in ihrem Haupt- 
Nr. i2tB.u. n.J. sa t ze j n der knappsten Form der Sonatine gehalten. Die 
ganze Durchführung beträgt 30 Tacte und davon fallen 
über die Hälfte auf die transponirte Wiederholung des 
Hauptthema 




v w 

Das ganze Andante hat nur 28 Tacte und ist, was bei 
Mozart selten vorkommt, fast nur aus einem einzigen 

Andante. 

kurzen Motiv entwickelt 
Aus Suchen und Tasten erhebt sich die Endperiode wie 




ein energischer Entschluss 



Im Trio der 



Menuett steht in der plötzlichen chromatischen Wen- 
dung die vielbesprochene Cantabilität Mozarts vor uns: 



;. Deroriginell- 




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-<* 53 ^ 



ste Satz ist das Finale, welches über dem kurzen Motiv : 

. Allegro. 

m t ! J i ^ilgv^JT-j - eine charaktervolle Tanzscene 

ausführt. Es würde sich als Nummer eines National- 
ballets eignen. 

Gehört diese Sinfonie der Ouvertürengruppe ganz an 
— sie würde zur Eröffnung eines Lustspiels passen ■ — 
so haben wir in dem classischen Dutzend zwei, welche 
einer Uebergangsclasse zuzutheilen sind. Es sind die 
Sinfonien Nr. 7 (Ddur) und Nr. 4 0 (Cdur), welche beide 
im Jahre < 780 in Salzburg componirt wurden. Was diese 
Mittelstellung hauptsächlich bedingt, ist das Verhältniss 
der beiden Themen im ersten Satze der genannten Sin- 
fonien. Die Hauptthemen sind beidemal festlich, decö- 
rativ, ouvertürenmässig; es treten ihnen aber breit aus- 
geführte, gesangvolle, selbständige Melodien gegenüber, 
wie sie die alte regelrechte Opernsinfonie nicht kennt 
und nicht verträgt. Der erste Satz der siebenten Sin- Mozart 
fonie hat auch eine kurze Einleitung. Sein zweites D dw-Sinfonie 

All« ^ Nr. 7 (B. u. H.). 

Thema: \Ct'-£- \ ? ^HH^-F-f -f - j-^j J j * I lst durch 

das eigene Wesen weniger hervorragend: originell wird es 
nur durch das abschliessende Fortemotiv, welches in die 
schüchternen Töne wie die Stimme einer grollenden Volks- 
menge hineinfährt und in seiner kurz angebundenen 
Rauhheit einen gewissen Zusammenhang mit dem hoch- 
fahrenden Charakter des Hauptthema aufrecht erhält. 
Mit demselben Fortemotiv beginnt auch die Durchfüh- 
rung. Nachdem sie mit ihm wiederholt einen breiten 
Crescendoeffect aufgebaut hat, wendet sie sich durchweg 
neuem Material zu, immer spannend und contrastirend, 
nirgends eingehend und verweilend. Es ist der Typus 
eines Ouvertürenmittelsatzes im alten Style. Das Andante 
hat folgendes Hauptthema: 



das aber, wie gewöhnlich in Mozarts früheren Sinfonien, 
wenig benutzt wird. Unter den vielen Gegenfiguren, die 
ihm Mozart entgegenstellt, sind energische dramatische 
Charaktere. Das Finale der dreisätzigen Sinfonie hat 
folgendes Hauptthema: 





Das zweite Thema, ein Sätz- 



chen von neckischer Grazie, kommt wenig zur Geltung; 
in der Durchführung bringen die Oboen ein neues Motiv 




Mp welches mit dem Hauptthema verschlun- 

Mozart ^ en eme ^ eme re i zena< er Gruppen bildet. Die Cdur- 
cdnr-Sinfonie Sinfonie aus dem Jahre 1780 steht der modernen Sin- 
Mr. hmB.u.V). f onie in ihrem ersten Satze noch näher als die gleich- 
alterige in D. Denn bei ihr verlässt auch das Haupt- 
thema das Ouvertürengebiet: 

AllegTo. 




Seine elegi- 
sche Schlusswendung in das Moll weist über die Mozart- 
sche Zeit sogar hinaus. Das zweite Thema aber trägt 
das Gepräge der der Ouvertüre unbekannten Cantabilität 
ganz besonders stark. 




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Nur die Durchführung widerstrebt in ihrer Ungebunden- 
heit und in ihrem starken Verbrauch neuen und ver- 
schiedenen Ideenmaterials den neuen sinfonischen Be- 
dingungen. Interessant ist im Bau dieses ersten Satzes die 
doppelte Reprise des Hauptthemas. Das Andante ist ein 



echter Mozart: 



Die resolute Schlusswendung zum Männlichen kennzeich- 
net ihn. Im Finale, einem rauschenden Allegro im fl / 8 Tact 

Allepro 

mit folgendem Anfang: 





herrscht die energische, dramatische Bewegtheit der 
Jupitersinfonie: Stellen, wie die folgende, geben einen 
Begriff von der Deutlichkeit des instrumentalen Dialogs 
und dem bilderreichen Charakter dieses Finale: 




Noch entschiedeneren Sinfoniencharakter als in der 
vorhergenannten haben die Themen im ersten Satze der Moiart 
B dur-Sinfonie Nr. U, die im Jahre M19 zu Salzburg ge- Bdur-Sinfonie 
schrieben ist. In dem Hauptthema ist keine Spur mehr Nr ' 11 (B ' u H,) * 
von der Ouvertürenfeierlichkeit früherer Sinfonien, es 
zieht voll Haydn'schen Geistes daher, zum Malen deut- 
lich eine Originalfigur aus einem lustigen Genrestück: 

Allegro assai. 




Ganz Zärtlichkeit und muntere Anmuth tritt ihm dann 



seine Gefährtin entgegen: 




Die 



Durchführung kümmert sich um das liebenswürdige Paar 
leider nicht. Sie bringt ein anderes Lieblingsthema Mo- 



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<o- 56 



zarts y^^^^ i-4^~p5 ^ i^ , welches ihm zum ersten 

Male in seiner Fdur-Messe vom Jahre 4774 erschienen ist 
und dem er später in der Jupitersinfonie einen weit sicht- 
baren Ehrenplatz zuwies. Eine andere Vorausnahme der 
Zukunft bietet dieselbe Durchführung in einer Uebergangs- 
episode, welche in Melodie und Harmonie auf einem Passus 
ruht, der mit der Zauberflöte und dem Terzett der drei 
Damen weltbekannt wurde. Nach einem weichen Andante 
folgt eine Menuett, die schärfer als eine vorhergehende in 
ihren grossen Intervallen und ihren festen Rhythmen die 
Züge zum Ausdruck bringt, welche Mozart für diese Ton- 
stücke mit Vorliebe einhält. Mozarts Menuetts lehnen sich 
durchschnittlich mehr an die alte Schule an als die 
Haydns. Sie sind nicht so witzig und nicht so beweglich, 
als die letzteren, ihr Humor ist schwerer, zuweilen finster, 
streift auch wohl ans Groteske. Immer aber trägt ihn 
ein kraftvolles Element. Das Finale ist die Krone des 
Ganzen: ein Erguss bacchantisch dahinstürmender, aber 
gutmüthiger Heiterkeit. Jugendliche, ritterliche Männer- 
gestalten sind die Führer dieses fröhlichen Schwarms, 
dem Alles zuzuströmen scheint vom Adel und vom Volk, 
was Fröhlichkeit im Blute fühlt. Bleibt der Zug einen 
Augenblick bei einem schönen Auge stehen, so braust er 
dann nur um so flotter weiter. Dieses ist das Hauptthema: 

Presto assai. 




f P 

Unter den zahlreichen Seitenthemen verdient namentlich 
die drollige volksthümliche Gruppe hervorgehoben zu 
werden, welche die Bläser (Oboen und Fagott als An- 
klang an das alte Trio;, bald nachdem das zweite Thema 
passirt ist, aufstellen: 




fr 

Aeussere Veranlassungen wirkten auf die Haltung ein, 
welche Mozart den Hauptsätzen seiner Sinfonien gab. S< 



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I 



57 

war die oben angeführte Sinfonie Nr. 7 ursprünglich als 
Serenade angelegt und folglich Mozart ausser Stande, den 
freien Eingebungen seiner Fantasie lediglich zu folgen, 
vielmehr genöthigt, den festlichen Charakter, dem die 
Composition dienen sollte, zum Ausdruck zu bringen. 
Daher der Ouvertürencharakter ihres ersten Satzes. Aehn- Mozart 
lieh verhält es sich mit einer anderea Sinfonie in D dur, D dur _ Sinfonit . 
welche in unserer Ausgabe die Nr. 5 trägt. Sie war Nr. 5 (B. u. h.j. 
gleichfalls eine bestellte Festmusik und sollte eine freu- 
dige Feierlichkeit in der mit Mozart in freundschaft- 
lichen und musikalischen Beziehungen stehenden Familie 
Hafner in Salzburg schmücken helfen. In Folge dessen 
beginnt auch ihr erster Satz wieder in der pathetisch 
gehobenen Allgemeinheit, welche solche musikalische Ge- 
legenheits- und Festdichtungen in der älteren Zeit ein- 
zuhalten pflegten: Der erste Satz hat nur das eine er- 
staunlich gross ausholende Thema: 

Allegro eon spirito. 




welches mit einer aussergewöhnlichen contrapunktischen 
Consequenz durchgeführt wird. Gewiss wusste Mozart, 
dass diese Arbeit vor Kenner kam. Das Andante gleicht 
einem dramatisirten Liede, seine simple Grundgestalt: 

$y$ri- ■ fc J-tZ'^ t jl-t-i-/ ^T^Sy^ wird bald durch 

Zwischensätze, in denen es sich wunderbar und heim- 
lich regt, verdrängt, bald durch Zuthaten der Dynamik 
und Harmonie, durch Accompagnement und wechselnde 
Seitenglieder mächtig gehoben. Menuett und Trio sind 
einfach, aber wirksam contrastirend. Das Finale zeigt in 




seinem Hauptthema 

„ - p 

eine starke Verwandtschaft mit Osmins »Ha wie will ich 
triumphiren«. In der That schrieb auch Mozart diese 
Sinfonie i. J. 4 782 mitten unter den drängenden Nach- 
arbeiten der »Entführung«. 



58 <<>- 



Zeigt sie schon in den Allegrosätzen HaydVsche 
Elemente, in dem ersten bezüglich der Durchführung, im 
letzten in der thematischen Erfindung selbst, so trägt die 
nächste Sinfonie (Nr. 6, Cdur) den Haydn'schen Einfluss 
Mozart noch offener zur Schau. Unter den Musikern ist dieses 
c dur-Sinfonie, Werk als »Linzer« Sinfonie bekannt. Wahrscheinlich ist 
»Lintert, Nr. r» es diejenige Sinfonie, welche Mozart i. J. 1783, auf der 
( • «• •)■ Durchreise durch Linz begriffen, in kurzer Zeit für den 
dortigen Musikverein componirte. Nicht eben tief, aber 
ein liebenswürdiges, frisches Werk, erfreut sie den Musik- 
freund durch vielfache Vorklänge der grössten Zeit des 
Meisters und deren Hauptschöpfungen: Don Juan und 
Jupitersinfonie, und durch Klangwirkungen, welche ebenso 
durch ihre Eigenart wie durch ihre Einfachheit frappiren. 
Wir machen in letzterer Beziehung namentlich auf die 
ßläserharmonien im ersten Satze aufmerksam. Die 
Hauptthemen der Sinfonie sind: 



Allegro spiritoto 




Füula 

Haydn merkt man im ersten Satz: ausser in der 
langsamen, träumerisch gedankenvollen Einleitung, na- 
mentlich in der Durchführung, die hier in Haydns Weise 
eingehender bei demselben Motive bleibt und aus ihm 
entwickelt. Dieselbe Methode finden wir im Andante. 
Dann sind auch noch kleinere Züge Haydn nachgebildet: 
die Einsätze der Allegri vom p zum forte schreitend: kecke, 
überraschend in der Modulation wechselnde Periodenan- 
fänge: Haydn'sche Lieblingswendungen der Melodie, wie 
der Schluss des Themas im Andante: Eigenheiten der In- 
strumentirung, wie im Trio die Verdoppelung der Melodie- 




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59 *~ 



stimme: in der Dynamik unerwartete Accente und Gegen- 
sätze. Es ist aber noch genug von Mozarts besonderem 
Wesen in dieser Sinfonie. Nicht blos in der Gesammthal- 
tung, in dem ihm eigenen raschen, kräftig elastischen 
Schritt kommt es zum Ausdruck; wir können es bis in 
seine kleinen charakteristischen Geberden und Angewohn- 
heiten hinein verfolgen. Sein beliebtes chromatisches 



derholt vor: Zwischen dieser C dur-Sinfonie und der ihr 
folgenden Nr. \ (D dur) liegt ein Zeitraum von drei Jahren 
und eine künstlerische Entwickelung Mozarts, die wir in 
das eine Wort »Figaros Hochzeit« fassen wollen. Mit dieser 
Sinfonie ist Mozart als Sinfoniker eine fertige Grösse. In ihr 
und den ihr folgenden Schwestern — es sind leider nur drei 
— steht er in bestimmter und abgeschlossener Individua- 
lität vor uns: in der ihm ganz eigenen Mischung von 
Kindlichkeit und Ernst, ein Meister, dessen Geiste sich 
die Form gebeugt hat, ein Mensch, dessen Anmuth und 
Liebenswürdigkeit die Tiefe und den Reichthum seines 
Seelenlebens mehr zu verhüllen als zu offenbaren su- 
chen. In der Form zeigen die vier letzten Sinfonien eine 
Wandlung vollbracht, die sich in etlichen früheren Wer- 
ken bereits vorbereitete. Sie betrifft die Methode in dem 
Durchführungstheil des ersten und letzten Satzes. Wenn 
hier Mozart in den früheren Sinfonien vorwiegend ganz 
neues Gedankenmaterial aufwarf, so schlägt er jetzt den 
Haydn'schen Weg ein und nimmt Themen und Motive 
aus dem ersten Theile des Satzes. Nur das charakteri- 
sirt ihn, dass er den eigentlichen Hauptthemen, dem 
ersten wie dem zweiten, mehr aus dem Wege geht und 
Nebenmotive aus Seiten- und Uebergangsgruppen be- 
nutzt und sich bei secundären Ideen ausruht und sam- 
melt. Diesen ausserordentlich merkwürdigen, man kann 
sagen scheuen Zug, hat er einzig bei der subjectivsten 
seiner Sinfonien, der berühmten Gmoll-Sinfonie, aufge- 
geben. 




kommt wie 



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-o- 60 

Die Ddur- Sinfonie Nr. < (geschrieben für die 
Wiener Winterconcerte im December 4786) hat eine be- 
deutende Einleitung: im Tone freundlicher Ahnung be- 
Moiart ginnend, in der Mitte düster, zum Schlüsse über Seufzer 
üdur-sinfonie und Bitten in demüthige Resignation einlenkend: Der 
Nr. i (ß. u. H ). Allegrosatz ist zwischen eine fragend bange Stimmung 
und die Regungen eines ringenden Kraftgefühls getheilt. 
Diese Momente treten schon im Hauptthema direct 
neben einander: 




Das zweite Thema 




einen flüchtigen Lichtblick: es repetirt sofort in Moll und 
verschwindet dann auf lange. In der Durchführung er- 
scheint aus den Themen allein das oben eingehakte 
Motiv, dem noch zwei andere heftig angelegte Figuren, 
den Uebergangsperioden der Themagruppe entnommen, 




zur Seite treten. Es herrscht unter ihnen die engste 
Reibung: das eine kommt nie ohne das andere und wie 
in der Mehrzahl der spätem Instrumentalwerke Mozarts 
geschieht die ganze Ideen- und Formenentwickelung 
nach den Principien des doppelten Contrapunkts. Ein 
Höhepunkt oder ein Resultat dieser Ideengährung ist 
nicht zu bemerken, der Schluss retirirt sich wie tastend 



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6i -fre- 



und suchend nach dem Hauptthema zurück, welches vor 
der eigentlichen Reprise in harmonischen und melodi- 
schen Umstellungen erscheint, die einen feinen poetischen 
Zug bedeuten. Ein Merkmal der letzten Sinfonien Mozarts 
ist der engere Anschluss in den Charakteren der einzel- 
nen Sätze. Wir bemerken ihn auch in dieser Ddur- 
Sinfonie, wenn wir das Verhältniss des Andante zum 
ersten Satze betrachten. In seinem Thema schon 

Andante. . 

ist die Ver- 




wandtschaft zu erkennen. In diesem Thema liegt noch 
etwas von der gedrückten Stimmung, mit welcher der 
erste Satz begann ; nur die Nüance ist eine mildere. Mit 



dem Seitenmotive 



das in der Ent- 




wickelung des Satzes eine bedeutende Stelle einnimmt, 
strebt das Andante freundlichen Regionen entschiedener 
zu. Durch das energische und finstere Gegenthema 

erhält die ganze Darstellung einen 

dramatischen Charakter. Der Schluss ist überraschend 
in seiner sich still verlierenden Form sowohl als in dem 
halb humoristischen Ausdruck. Der Schlusssatz — diese 
Sinfonie hat kein Menuett — bewegt sich auf folgen- 
dem Thema: 
Presto. , 




-\ j ,._ in Haydn'schen Bahnen. Die Reprise 



zeichnet sich durch Bevorzugung des zweiten Thema aus. 

Die drei letzten und berühmtesten Mozart'schen Sin- 
fonien entstanden anderthalb Jahre nach der Ddur- 
Sinfonie (Nr. \) und zwar in der Reihenfolge: Esdur 
',26. Juni) Gmoll (25. Juli) und Cdur [\ 0. August 1 788). 

Die Esdur) -Sinfonie (Nr. 3}, welche, wir wissen 



62 



Mozart nicht von wem. den Beititel »Schwanengesang« erhalten 
Esdnr-Sinfom«« hat, ist unter den letzten Sinfonien Mozarts, vielleicht un- 
(•Bchwanenge- t er se inen sämmtlichen Sinfonien, die Haydn am nächsten 
"b^u. Ii.). 3 stehende. Sie ruft das Bild dieses Vormeisters nicht blos 
in formalen Nachbildungen wach, sondern namentlich 
durch das geistige Lebenselement, welches sie bewegt. 
Sie ist entschieden dem Frohsinn gewidmet, und wenn 
wir sie als Ausdruck von Mozarts persönlicher Stimmung 
betrachten dürften, so war die Zeit, wo er diese Sin- 
fonie schrieb, eine sehr glückliche. 

Die Einleitung des ersten Satzes beginnt in Pracht 
und Spannung. Ganz am Schlüsse nur kommt ein 
schwermüthiger Don-Juan-Klang: 

/*y .T ill M II- 

stellt ihm ein beruhigendes Bild entgegen: 



Das Allegro 




Der Wiederholung dieses freundlich zusprechenden 
Gesangs folgt das Haydn'sche Forte: 

Es ist der Ausdruck stolzen 




Kraftgefühls, welches von nun an im Satze herrscht. 
Er ist eine Art Mozart'scher Eroica, zwar ohne Kampf 
und Sturm; aber in dem knappen, energischen, wuchti- 
gen, bis zum Herausfordernden hingehenden und doch 
immer der Selbstbeherrschung sichern, männlichen Aus- 
druck der Freude liegt etwas entschieden Heldenmässiges. 
Was Haydnsch ist im Satze, das erscheint aus dem 
Klangregister des Jünglings auf die Stimme des Mannes 
übertragen. Die tändelnd anmuthigen Elemente sind 
ferngehalten. Der in glücklicher Erinnerung schwelgenden 
Schwärmerei ist ein dunkler Ton beigemischt: 



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63 




so lautet das zweite Thema in bedeutsamer Cantabilität. 
Für die Durchführung, welche sehr kurz ist, hat folgendes 

* et* * 

Nebenmotiv Wichtigkeit 




Mit 




einer Generalpause wird sie abgebrochen, und in der 
genialen Kürze, mit welcher Mozart an diesem Punkte 
häufig verfährt, leiten 3 Tacte der Bläser in die Reprise 
über. Dem zweiten Satze der Sinfonie, dem Andante, 

liegt folgendes Hauptthema zu Grunde 
Andante. 



in seiner 



marschartigen Natur an Haydn'sche Vorbilder erinnernd. 
Im zweiten Theile stellt ihm Mozart zunächst ein hef- 
tiges Motiv entgegen, das den Frieden des Satzes wieder- 
holt in Frage stellt. Nach Abschluss dieser F moll-Episode 
beginnen die Bläser ein beschwichtigendes Sätzchen, 
das in seiner harmonischen Einführung und in seinem 
imitatorischen Style sich ausserordentlich eindrucksvoll 
bemerklich macht. Die Menuett setzt sehr kräftig ein 

Allegretto. 

mit prächtiger 

Ausnutzung der Natur der untern Violinsaiten. Das Trio, 
von der Clarinette gesungen und geschwärmt, ist eine 
der lieblichsten Idyllen, die musikalisch gedichtet wor- 
den sind. Das Finale, über folgendes Thema gebaut: 

Allegro. 





ist Haydnsch im Material und im Geist, neckisch, leicht, 
scherzend und tändelnd. Auch die Ueberraschungen 



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64 -*>- 



mit Generalpausen, dynamischen Contrasten, plötz- 
licher Rückkehr des Themas fehlen nicht. An einzelnen 
Stellen klingen uns specifisch Mozart'sche Töne ent- 
gegen; aber es sind nur kurz eingeworfne Motive. Zur 
Ausgestaltung eines zweiten Themas kommt es nicht; 
vielmehr wird der ganze Satz mit jenen wenigen Grund- 
tacten bestritten , welche oben citirt sind. Es ist nicht 
genug zu bewundern, welches bunte Leben Mozarts Kunst 
und dramatische Phantasie ihnen abgewinnt. Es tummelt 
sich in diesem Finale wie auf den Marktbildern der 
niederländischen Schule: die komischen Gruppen umsteht 
und belohnt eine lebendige, froh erregte Menge mit 
fortreissendem Gelächter; die Komik ist von der feinsten 
Art bis zur unfreiwilligen vertreten, und auch der der- 
beren Lustigkeit der Volksmasse ist ein Plätzchen mit 
eingeräumt. Siehe im ersten Forte die plump drollige 



Fröhlichkeit der Bässe: 




Wie mit 



einem plötzlichen Windstoss ist der ganze Carneval ver- 
schwunden. 

Im directesten Gegensatz zu dieser Esdur-Sinfonie 
Moiart steht die in Gmoll in Bezug auf Inhalt. Man kann nur 
moii-sinfonie wünschen, dass Mozart einen solchen seelischen Contrast, 
ir. 2 (B. u. h.). w - e er ihn m diesen beiden Werken innerhalb Monatsfrist 
darstellte, nicht auch persönlich an seinem eignen Schicksal 
hat durchleben müssen. Gmoll ist eine Tonart, die bei 
Mozart immer etwas Besonderes zu bedeuten hat. Wir 
denken an das Klavierquartett und an das Quintett. Aber 
hier in dieser Gmoll-Sinfonie vom Jahre 4 788 ist er doch 
noch anders, als er jemals vorher gewesen. Eine derglei- 
chen leidenschaftliche Hingabe an eine einseitige Stim- 
mung und noch dazu an eine so düstere, kommt in der 
ganzen Kunst überhaupt nur selten, sie kommt bei Mozart 
nicht wieder vor. Vielen erscheint allerdings heute die- 
ses Werk in Bezug auf seinen Ausdruck gar nicht wei- 
ter der Rede werth, denn es ist Jahrzehnte lang in 
Zwischenactsmusiken geschmacklos verbraucht worden. 



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65 *~ 



Aber noch im Jahre 4 802 wird diese Sinfonie von Leip- 
zig aus eine »schauerliche« genannt. Diese Bezeichnung 
kommt der eigentlichen Natur der G-moll-Sinfonie viel- 
leicht doch näher als die imitirte Begeisterung, mit wel- 
cher neuere Mozartverehrer uns immer wieder und 
immer wieder nur auf die Anmuth des Werkes aufmerk- 
sam machen. 

Es ist wohl nicht blos zufällig, dass die Gmoll- 
Sinfonie keine Einleitung hat. Mozart steht hier sofort 
mitten in der Sache drin: 

AJlegro. 




Das ist allerdings anmuthig in der Form, aber in ihrem Ver- 
hältnisse zum Inhalt erinnert diese Form an das bekannte 
Wort von der »guten Miene zum bösen Spiele«. Der tie- 
fere Zug des Leidens, welcher sich schon in dem Sexten- 
schluss des ersten Abschnitts vom Thema verräth, kommt 
in der Nachsatzperiode noch deutlicher zum Ausdruck: 




und in dem unmittelbar zugefügten Schlussmotiv 

jj A }± J bricht die innerliche Er- 
a ^, 1 ' ~ | ~ t ] ~ = regung dämonisch durch. 

™ * U r 1 E-T r Das zweite Thema bringt 
keinen Gegensatz zum ersten, sondern es erweitert und 
begründet den erregten und düstern Charakter der dort 
ausgesprochenen Stimmung durch Töne derWehmuth und 

Sehnsucht Trotzige 




Kraft lehnt sich dann auf, sie wechselt aber sofort mit 
rührender Klage. In der Durchführung werden die Ver- 
suche den Bann drückender Ideen zu durchbrechen mit 
grosser Kühnheit, aber erfolglos erneuert. Nach schnei- 
denden Dissonanzen, nach gewaltigen Ausbrüchen der 
Heftigkeit endet der Kampf mit einem von den Holzblä- 



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66 -it- 



sern gedeckten kleinlauten Rückzug in die Reprise. Be- 
merkenswerth ist, dass in dieser Durchführung Alles the- 
matisch ist, ein bei Mozart ganz seltner Fall. Er greift 
weder zu neuen Motiven, noch zu Gängen und Passagen, 
die Phantasie bleibt an das erste Thema gefesselt. Das 
Andante hat zum Hauptthema folgendes Sätzchen : 





Sein zögernder, immer wieder ansetzender Aufbau kün- 
det den suchenden und fragenden Grundcharakter des 
ganzen Satzes an. Das nächste Gegenmotiv, welches 
ihm Mozart zuschickt, stellt sich kraftvoll einsetzend in 
den Weg und verflattert ebenfalls bei seinem zweiten 



Schritt f' 1 f LfTp^^ET^g 7 « 7 ? -■ Seine Zweiund- 




dreissigstel-Figur bildet mit dem Achtelmotiv des ersten 
Thema im Satze zahlreiche sinnvolle Combinationen. Ein 
kurzes drittes Thema dieses Andante, beginnend : 

ist ausserordentlich inniger Natur. 

nimmt den Kampf wieder entschieden auf; sie ist mit den 
harten Dissonanzen ihres zweiten Theils einer der streit- 
barsten Sätze, die auf Grund jener alten zierlichen Tanz- 
form jemals gebildet wurden. Das Trio klingt süss und 



in kindlicher Unschuld dazwischen. 



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67 



gefürchtetsten 



Seine zweite Clausel enthält eine der 
Hornstellen. 

Im Finale herrscht eine einigermassen unheimliche 
Lustigkeit. In Unruhe und Aufregung stürmt es dahin mit 
seinem Hauptthema: 




unvorbereitete Septimen und anderlei bösartige Elemente 
ergreifend. Mit verzweifeltem Humor jagen die Stim- 
men in der Durchführung emsig contrapunktirend das ver- 
wegene Thema durch die Tonarten — das zweite Thema 
bietet kaum einen Ruhepunkt in der Hast des Satzes. 
Seiner Natur getreu geht er ungestüm und ungeklärt zu 
Ende. 

Mozarts letzte Sinfonie, die C dur-Sinfonie Nr. 4, Mosart 
führt den Beinamen der »Jupitersinfonie«. Sie darf C dur-sinfonie 
in mancher Beziehung für Mozarts grösste Leistung < Nr - 4 '- 
im Sinfonien fache gelten und bildet eins der schön- 
sten Denkmäler seines freien, starken und reichen 
Geistes. Keine andere der Sinfonien Mozarts hat diesen 
breiten Wurf der Themen, keine andere verbindet mit 
dem gleichen Reichthum wahrhaft goldener Ideen die 
Einheit im Charakter und die Harmonie der Darstellung. 
Es lebt etwas Antikes in ihr : eine erhabene Heiter- 
keit und ein Schönheitsgefühl, das auch ihre vollsten 
Lustausbrüche adelt. Ihr erster Satz klingt mit seinem 
Eingangsthema wieder an den festlichen Ouvertüren ton 
der früheren Sinfonien Mozarts an ; aber schon nach 
dem ersten Komma wird der Charakter innerlich 




und so bildet nicht blos dieses Thema — es hat bis zu 
seinem vollständigen Abschluss die beträchtliche Länge 

5* 



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68 -o> 



von 23 Tacten — sondern der ganze Allegrosatz eine 
meisterhafte und erquickende Verbindung von äusserer 
glänzender Schilderei und edlem Seelenausdruck. Es ist 
im Allgemeinen nicht so schwer Programme zu den 
Meisterwerken unserer classischen Instrumentalmusik zu 
schreiben; bei der Jupitersinfonie kann man der Ver- 
lockung kaum widerstehen. Man sieht die Einzelnen in 
ihren stillen Gedanken dahingehen, die Massen in lauter 
Freude aufschäumen; es wechseln Bilder und Scenen in 
ruhiger Steigerung und Folgerichtigkeit, aber auch mit er- 
schreckenden Zwischenfällen. Merkwürdig wie trotz des 
festlichen Gmndtons die Motive des intimen Gemüths- 



lebens 




und der 



naiven volkstümlichen Fröhlichkeit: 

ausdruck des Satzes bestimmen ! 

Im Andante stellt Mozart drei Führer auf. Sein 
erstes Thema lautet: 




Ihm tritt in gewohnter Weise ein zweiter Satz entgegen, 
von drohender, gegensätzlicher Haltung. Er ist diesmal 
nur kurz skizzirt und geht in einen erhaben friedevollen 
Gesang über 




dessen bewegliches Nachspiel (siehe *) im weitern Ver- 
lauf Anlass zu Combinationen und Wendungen giebt, die 
in ihrer genialen Mischung von Tiefsinn und leichtem 
Spiel ganz einzig sind. Die Menuett dieser Sinfonie ruht 
auf sinnig beschaulichem Boden 



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~* 69 ^ 




Ihr Trio hat in der 



Achtelmelodie und in der Instrumentirung Haydn'sche 
Elemente. Der berühmteste Satz der Sinfonie ist das 
Finale. Man nennt das ganze Werk zuweilen mit 
Bezug auf diesen letzten Satz die Cdur- Sinfonie mit 
der Schlussfuge und noch neulich hat ein Musik- 
schriftsteller, der sich in Speculationen gefällt, nach- 
zuweisen gesucht, wie sich in diesem Finale Faust 
und Helena vermählen, wie hier die vermeintlich ganz 
conträren Stylarten der Fuge und Sonate ihre erst- 
malige Verbindung eingehen. Von alledem ist wenig 
wahr. Um diese Sinfonie von andern Cdur- Sinfonien 
Mozarts zu unterscheiden, mag man sie die Sinfonie mit 
der Schlussfuge nennen. In Wirklichkeit aber spielt die 
Fugenform darin eine untergeordnete Rolle. Das Haupt- 
thema des Satzes, dem wir schon früher begegneten, 

wird nach dem ersten Halbschluss, 
den der Satz macht, in einer ein- 
fachen Fuge durchgeführt, die nach 
2<Tacten zu Ende ist. Nach der Reprise des Satzes schliesst 
Mozart nicht einfach , sondern setzt noch eine Coda an, 
die ebenfalls wieder mit einer Fuge beginnt und zwar 
mit einer sogenannten Tripelfuge , bei welcher zu dem 
schon angegebnen Hauptthema noch folgende 2 Sujets 
hinzutreten 





Nach 34 Tacten ist auch diese Fuge wieder zu Ende. 
Das an letzter Stelle angeführte Motiv fungirt im Satze 
von vorn herein als sogenanntes zweites Thema. Dass 
es wie auch die übrigen Motive und Themen in diesem 
Finale mit Rücksicht auf contrapunktische Brauchbarkeit 
erfunden ist und dass der Ausdrucksgehalt dieser Rück- 
sicht nachgesetzt worden ist, braucht nicht erst nach- 
gewiesen zu werden. Wenn wir den Fugenruhm dieses 



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70 



Finale reduciren müssen, so bleibt dasselbe trotzdem ein 
Meisterstück der contrapunktisehen Kunst, die sich nament- 
lich in Engführungen und canonischen Nachahmungen 
im vollen Glänze zeigt. Und was die Hauptsache ist: 
das Finale ist auch im Charakter, im Ausdruck eines 
kraftbewegten festlichen Lebens ein Meisterstück, würdig 
eines Jupiter, eines Olympiers der Kunst. 



L.v.Beethoven Wenn man unter den Sinfonien Beethovens eine 
t'dur-Sinfonie Rangordnung aufzustellen versucht, so ist seine erste 
<Nr ' 1u nicht die bedeutendste. Man thut aber dem Werke Un- 
recht, wenn man es schlechthin, wie das zuweilen ge- 
schieht, für eine Copie im Mozart'schen Styl und im All- 
gemeinen für unbedeutend erklärt. Kraft und Lust, 
Fröhlichkeit, leichter Scherz, sprühende Heiterkeit, ja 
auch ein wenig Schwärmerei, anmuthiges Träumen — 
aber nur Empfindungen freundlicher Natur bilden den 
Ideenkreis, den Beethoven in seiner ersten Sinfonie durch- 
schreitet. Es sind die Stimmungen, an welche sich die 
Orchestermusik des Südens in ihren Durchschnitts- 
leistungen bis auf Beethoven hin fast ausschliesslich 
hielt. Nichts von dem tiefen Ernst des nordischen Bach, 
nicht eine Spur von dem Pathos, welches manche der 
Haydn'schen Adagios kennzeichnet, nichts von der Mo- 
zart'schen Melancholie — nichts vor Allem von dem 
Beethoven, welcher die Eroica schrieb, die 5., die 9. Sin- 
fonie, die spätem Quartette, die grossen Ciaviersonaten, 
eben jenes Beethoven, den wir meinen, wenn wir seinen 
Namen nennen! Und doch ist er schon in der ersten Sin- 
fonie als ein Eigner zu erkennen, wenn nicht in den Ge- 
danken, so doch in der Ausdrucksweise einzelner Stellen. 

Im ersten Satze der Cdur-Sinfonie;Op.21) schliesst sich 
Beethoven in der Erfindung der Themen an Mozart an. 
Das Hauptthema: 















r-- 





















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mit welchem, nach einem einleitenden Adagio von kurzem 
Umfang, das Allegro beginnt, hat den allgemeinen, 
spannenden Charakter, welchen Mozart für seine Ouver- 
türensinfonien gern einhält. Es wird in zweimaliger 
Sequenz weiter getragen: ein kräftiges Forte krönt den 
breiten Aufbau, ganz so wie wir das bei Mozart oft 
gesehen haben. Auch das zweite Thema 




iT3 ilSÜ i 




Nachgesang 



ist ganz Mozartisch. Der jubelnde 



. welcher ihm folgt, kommt 



wörtlich so in der Jupitersinfonie und in andern Sinfonien 
des Salzburger Meisters vor. Gleich danacli tritt aber 
Beethoven selbst in das Orchester. Es ist an der Stelle 
wo die brausende Gdur-Cadenz so ganz plötzlich von 
einem pp. abgelöst wird , wo die Bässe still über das 
erste Motiv des zweiten Themas sinnen und die andern 
Instrumente in dunklen und unruhigen Harmonien fest- 
liegen. Die Oboe findet den Ausgang aus der unheim- 
lichen Verzauberung. Das ist zum ersten Male das 
dämonische Element Beethovens in der Sinfonie! In 
der Durchführung dieser Gedanken folgt Beethoven der 
Haydn'schen Methode der motivischen Arbeit. Er geht 
aber schon hier über seinen Meister hinaus, indem er 
solche Motive zur Satzentwickelung herausgreift, welche 
im Zusammenhange des ganzen Themas nur eine über- 
leitende und nebensächliche Stellung haben. Es sind be- 
sonders das Motiv aus dem vierten Tact des ersten und 
aus dem fünften Tact des zweiten Themas. 

Das Andante hat zum Hauptthema eine Melodie: 



72 

deren Metrum ungewöhnlich ist: 7 Tacte. Sie wird 
fugenmässig kurz durchgeführt, dann bewegt sich der 
Satz in Haydn'scher Weise weiter: auch die con- 
certirenden Triolenstellen fehlen nicht und nicht die leise 
Begleitung der Pauken. Den Charakter behaglich an- 
muthiger Schwärmerei, welchen der Satz trägt, unter- 
bricht nur der Anfang der Durchführung, welcher für 
einen Augenblick das Gebiet trüberer Launen streift und 
zwar in Wendungen, deren aphoristischer Styl als Beet- 
hoven'sche Eigenthümlichkeit nicht zu verkennen ist. 

Den dritten Satz benennt hier Beethoven noch Me- 
nuetto. Die Melodie: 




hat in ihrem Rhythmus einen Rest von Tanzcharakter, 
in ihrem rastlosen, stürmischen, feurigen Wesen geht sie 
aber über die Natur der alten und auch der Haydn'schen 
Menuetts weit hinaus. In ihrem zweiten Satze steht in 
der Kette trotziger Sforzati, in dem plötzlichen Piano 
mit seinen modulatorischen Irrlichtern, der ganze Beet- 
hoven in seiner Originalität vor uns. Das Trio ist einer 
jener Sätze, in denen der Componist eine grosse Wirkung 
durch elementare Einfachheit erreicht. Auf melodische 
Gedanken und Themata ist hier so gut wie verzichtet; 
der feierliche Klang der ruhigen Bläserharmonien genügt. 
Als Spohr bei dem ersten deutschen Musikfesl zu Franken- 
hausen die 1. Sinfonie Beethovens in den grossen Räu- 
men der Kirche aufführte, machte nichts solchen Eindruck, 
als dieses Trio. Das Finale ist ein Rondo im Haydn- 
schen Style, leichthin scherzend und tändelnd, ausser- 
gewöhnlich kurz. Das Witzigste daran sind die Stellen, 
wo das \. Thema 



Allegro molto 9 vivace. 




repetirt. Beethoven lässt ihnen Momente pathetischer 
Spannung vorausgehen. Unter den vier Sätzen der 



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73 



Sinfonie ist dieses Finale der am wenigsten eigen- 
thümliche und ohne Zweifel hat Beethoven in den 
Ciaviersonaten, welche in der Opuszahl und der 
Entstehungszeit unserer Cdur-Sinfonie vorausgehen — 
sie fällt als Op. 21 in das Jahr 1800 — ganz andere 
Endsätze hingestellt. Aber harmlos hingenommen , wie 
es gemeint ist, kann auch dieses Finale nur erfreuen 
und erheitern; es gehört die ganze graue, in Programm- 
musiktendenzen blind gewordene Rigorosität eines Ber- 
lioz dazu, um ein so lebensfrohes und vergnügtes Kunst- 
werkchen einfach als »kindische Musik« abzuthun. Wir 
können es nur dem Himmel danken, dass Beethoven 
nicht mit der 9. Sinfonie, mit der grossen Messe in D dur 
debütirte, sondern mit Werken die, wie das erste Clavier- 
concert, wie die Cdur-Messe und wie diese Cdur-Sin- 
fonie, an die bisherige Schule anknüpften. Das Publikum 
seiner Zeit war entschieden dem heutigen an naiver 
Empfänglichkeit überlegen; aber bei der Ddur-Sinfonie 
stutzte es doch schon. Die Referenten der Allgemeinen 
Musikalischen Zeitung hielten sich nach der ersten Leip- 
ziger Aufführung dieses Werkes fim Jahre 1803; an die 
nicht ganz gelungene Wiedergabe, die Berliner sprechen 
nur (im Jahre 1804; von »den dreiviertel Stunden lang 
ausgeführten Schwierigkeiten«, so dass sich Rochlitz, der 
erste Kritiker seiner Zeit und einer der ersten Verehrer 
und Pioniere Beethoven'scher Kunst, veranlasst sah, bei 
der nächsten Gelegenheit selbst das Wort zu ergreifen 
und zu versichern, dass diese zweite Sinfonie »das Werk 
eines Feuergeistes bleiben werde, wenn tausend jetzt ge- 
feierte Modesachen längst zu Grabe getragen sind.« Aber 
von der ersten Sinfonie liest man nur, dass sie ein Lieb- 
lingsstück des Concertpublikums sei. 

Die zweite Sinfonie Beethovens (Ddurop. 36, zu- L.v. Beethoven 
erst aufgeführt i. J. 1803; geht einen bei weitem beträcht- D dur-sinfonie 
licheren Schritt über den Styl und die Sphäre der Haydn- < Nr - 2 >- 
Mozart'schen Sinfonie hinaus. Der erste Satz zeigt dies 
namentlich an der Einleitung und der Coda, die beide 
in Umfang und Inhalt über alles bisher an dieser Stelle 



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Gewohnte hinausgreifen. Nur die siebente Sinfonie Beet- 
hovens hat einen noch bedeutenderen Einleitungsatz. Der 
der zweiten ist ausgezeichnet durch den herrlichen Ge- 
sang, mit dem er beginnt. Wie ein Bild aus der Sternen- 
welt wirkt diese ebenso erhabene als innige Melodie. 
Darauf wird es wolkig und sehr ernst: es kommt zu einem 
drohenden Unisono von unheimlicher Gewalt: 

Muntere Triolen vertreiben das Unwetter 
und hellen den Horizont auf für das 
freundlich schwungvolle Allegro. In 
diesem ist das Verhältniss der beiden Themen merk- 
würdig: das zweite erscheint als die Hauptgestalt des 
Satzes. Das erste Thema hat einen gemüthlich humorvollen 

11 11 

Ton : V»* h ». ».»Hr* f rmf f r f \* das zweite 



Tot«! 





aber einen triumphirenden : 

A BMtrt 





In der Durchführung und 
der Verbindung der Satz- 
die Doppelschlagfigur aus dem ersten 



gruppen ist 

Thema von grosser Bedeutung. Neben ihr sind aber in 
Mozart'scher Weise der Ideenentwickelung auch Motive 
aus Themen zu Grunde gelegt, welche nur eine Neben- 



stellung haben, z. B.: 



t 5 













welches mit dem angeführten Unisono-Motiv der Ein- 
leitung verwandt ist, und 




Die Neigung Beethovens, die Zahl der Themen zu 
vermehren, sogenannte Nebenmotive in wichtiger Weise 
zu verwenden und mit den hergebrachten Formen freier 
zu schalten, tritt mehr noch, als im ersten Satze der 



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75 



D dur-Sinfonie, in ihrem Larghetto hervor. Die Stellen des 
grössten Ausdrucks sind hier geradezu diejenigen, an 
welchen die Darstellung an winzigen Motiven haftet, wie : 




ein von Sehnsucht und Wehmuth leise berührter Hinweis 
auf Glück und Frieden, wirkt doppelt poetisch durch die 
Elemente, die es begleiten und bestreiten. Es dauert ziem- 
lich lange und der Weg geht nicht in einfach gerader 
Linie, ehe der kindlich trauliche und einfache Spielplatz 
des zweiten Themas erreicht wird 




Der dritte Satz ist als Scherzo bezeichnet. Mit diesem 
Namen war der Begriff einer bestimmten Form bis zu 
Beethoven nicht verbunden. In der grossen Revolutions- 
zeit der Musik, im M. Jahrhundert, taucht auch er zum 
erstenmale auf und zwar für kleine, in der Form freie 
und im Inhalt etwas ausgelassene und übermüthige 
Liebesgesänge :für eine Stimme mit Begleitung!. Von da 
wurde er auf das Instrumentalgebiet übertragen, aber nicht 
häufig angewendet. Beethoven griff ihn zunächst für seine 
Ciaviersonaten auf und machte ihn classisch. Das Scherzo 
der D dur-Sinfonie ist eins der drastischsten. Wie die 
Motive des Hauptthemas 




gleichsam flüchtig und verirrt im Orchester hin und her- 
flattern, jeder Tact eine andere Instrumentirung ! Wie toll 
es der lustige Kobold, der sie jagt und schreckt, treibt! 
Immer das ff auf dem von Natur unbetonten Takte! 
Das Finale erscheint im Anfang mit seinem komisch 



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76 



polternden und bärbeissigen Eingangsmotiv zum Haupt- 
thema : 




etc. 



wie eine Fortsetzung des Scherzo. 
Blut in den Adern. Das zweite Thema: 



Es hat Haydn'sches 




<f - — P ' trete, 

aber lenkt in die Bahnen jener Cantabilität ein, welche 
Mozart in das Allegro einführte. Mit welcher Entschieden- 
heit Beethoven diesen neuen Weg weiter schritt und wie 
sehr er den frisch eröffneten Ideen kreis zu erweitern be- 
rufen war, ist an diesem Thema schon fühlbar. Es ist 
ein kleines Doppelwunder: Adagiogeistin der Allegroform 
und menschlicher Gesang aus dem Munde von Blasin r 
strumenten ! 

L.v. Beethoven Die dritte Sinfonie Beethovens Es dur, Eroica) ent- 
Eadur-sinfonie stand im Jahre 4 803 und wurde im Januar des folgenden 
(Nr. 3. Eroica). j anres 2uerst in dem Würth'schen Concert in Wien aufge- 
führt. Nach dem Bericht, welchen die Allgemeine Musika- 
lische Zeitung darüber brachte, nicht mit unbezweifeltem 
Erfolge. »Frappante und schöne Stellen « heisst's von ihr, 
»energischer, talentvoller Geist« von ihrem Schöpfer. 
Aber diese Zugeständnisse werden so gut wie aufgehoben 
durch Epitheta wie Ȋusserst lange und schwierige Com- 
positum«, »wilde Fantasie, die sich ins Regellose verliert« 
und mehr noch durch das demonstrative Lob einer an- 
deren Esdur-Sinfonie, die in demselben Concert vorkam. 
Diese andere war von Anton Eberl, den heute, vielleicht 
mit Unrecht, Niemand mehr kennt. Die Schwierigkeit 



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der Eroica lag für die Ausführenden so gut vor wie für 
die Zuhörer. Sie wurde bei der ersten Probe in Wien, 
der Prinz Louis Ferdinand von Preussen beiwohnte, umge- 
worfen; in Leipzig, in Paris und wo sie sonst in die Hände 
eines gewissenhaften Dirigenten kam, veranlasste sie 
Extraproben. Noch heute ist sie eine der schwierigsten 
Vorlagen, wenn ein intelligentes Orchester seine Meister- 
schaft zeigen soll; namentlich im ersten Satze, dem die 
mechanische Präcision allein nicht beizukommen vermag. 
Bei der ersten Aufführung des Werkes im Leipziger Ge- 
wandhause war die Direction so vorsichtig und verständig, 
ihre Abonnenten durch gedruckte Charakteristiken der 
einzelnen Sätze vorzubereiten. Im Ganzen aber kann 
man sich nur wundern, dass die Musikwelt jener Tage 
sich nicht mehr und länger über die Erioca wunderte, 
sondern sie ziemlich bald und allgemein unter die immer 
und regelmässig wiederkehrenden Repertoirwerke auf- 
nahm. Denn dieses Werk war den Zeitgenossen über 
Nacht gekommen : in seiner exotischen Pracht musste es 
zunächst ebenso befremden als entzücken. Von den 
vorausgehenden Werken zur Eroica fehlt die hinreichende 
Brücke. Soviel die ersteren, in erster Linie die Ciavier- 
sonaten, bieten und versprechen: dem Ideenreichthum 
dieser Sinfonie gegenüber, dem Vollgehalt, der Kraft und 
Gediegenheit, der ebenso kühnen, fast übermässigen, als 
festgefügten Anlage dieses Werkes gegenüber erscheinen 
sie nur als kleine Vettern aus einer entfernten Seiten- 
linie. Es ist ein unbegreiflicher Rest um die Stellung 
dieses Werkes in der Geschichte ihres Schöpfers. Denn 
Beethoven hat diesen monumentalen Eingangsbau zu 
einer neuen Orchesterkunst auch nicht überboten. Er 
setzte ihm Werke zur Seite, welche die einen intimer, 
die anderen populärer sein mögen, aber nur wenige in 
denen jedes Glied so wie in dieser Eroica in Geist, Cha- 
rakter und Poesie getaucht ist, wo die Kunst so sehr wie 
hier auf Figuren, auf Passagen, auf Putz und Ornament, 
auf allen jenen Kitt und Mörtel verzichtet hat, dessen 
sich die Musik zur Verbindung ihrer Hauptglieder ge- 



78 <^ 



bräuchlicher- und erlaubtermassen bedient. Die Eroica 
bleibt für die Macht von Beethovens Schöpfergeist das 
stärkste Zeugniss, und er selbst erklärte sie bis zur Zeit, 
wo »die Neunte« erschien, für seine beste Sinfonie. 

Man weiss, dass Beethoven seine Eroica »Bonaparte« 
überschrieben hatte. Als aber der Consul sich zum 
Kaiser gemacht hatte, riss der republicanische Tonsetzer 
den Umschlag weg und widmete das Werk nur im All- 
gemeinen dem »Andenken eines Helden«. Mit diesem Titel 
ist weniger ein eingehendes Programm gegeben, als viel- 
mehr nur eine allgemeine Directive. Man hat bekannt- 
lich den Mittclsätzen bestimmte Bilder aus dem Krieger- 
leben unterzulegen versucht: dem Trauermarsch eine 
feierliche Bestattungsscene der Gefallenen, dem Scherzo 
das geschäftige Treiben des Lagers und der Beiwacht. 
Das mag gestattet sein und jedenfalls nichts schaden. 
In den anderen Sätzen ist aber dieser Versuch nicht 
durchführbar; namentlich dem ersten gegenüber erscheint 
er unbedingt kleinlich! Das ist nicht das Bild einer 
Schlacht, wie Ausleger behauptet haben, sondern das 
einer Heldennatur, deren Hauptzüge Beethoven mit einer 
eignen Tiefe des Blicks erfasst hat und in gegenseitige 
Action bringt. Das Eigentümliche an dieser Bcct- 
hoven'schen Auffassung des Heroischen ist, dass er den 
Elementen der Kraft und des frohen Thatendranges einen 
stark elegischen und pathetischen Gegensatz beimischt. 
Es geht durch den ganzen Satz ein Zug der Trauer, über 
die Wunden, welche der Held schlagen muss; vor und 
nach den gewaltigen Streichen, die er führt, erhebt sich 
die Stimme des Mitleids, und seine grossen Entschlüsse 
umringt die Wehmuth. Dieser weiche menschliche Zug 
begleitet schon das Hauptthema, das in seiner ersten 
Hälfte den Hauptträger des kräftigen, fröhlichen Heroen- 
thums bildet 




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79 




r r r 

Bereits im fünften Tacte mit dem langen verminderten 
Septaccord kommt die schmerzliche Wendung. Noch 
stärker ist sie im zweiten Thema ausgebildet: 

mit dem übermässigen 
_g_ Dreiklang; ferner in 
r _.- ^ E p3 der wehklagenden E- 
?J moll-EpisodederDurch- 





jp f |T f f-f fe s. Diese Epi- 



führung 



sode machte Beethoven, wenn wir die durch Notte- 
bohm veröffentlichten Skizzen zu dieser Sinfonie recht 
verstehen, geradezu zum Mittelpunkte des ersten Satzes. 
Sie war von vornherein fertig und fest beschlossen, 
und um sie in die rechte Wirkung zu setzen, änderte er 
die Entwürfe zu der ihr vorhergehenden Partie immer 
wieder, bis die Rhythmen so trotzig und die Dissonanzen 
so beängstigend, so realistisch schneidend wurden, wie 
sie jetzt dastehen. Von ähnlicher Tendenz ist auch das 
Nachspielmotiv, welches den wuchtigen Schlägen des em- 
pörten Orchesters am Schlüsse des ersten Theils folgt: 




Es sind die reinen Klagen und Seufzer; ähnlich auch 
die hinsterbenden Anklänge an das erste Motiv des 
Hauptthemas, mit denen der Durchführungstheil beginnt. 
Für die formelle Bildung des Satzes hat ausser den an- 
geführten thematischen Elementen noch das kurze Motiv 
grosse Wichtigkeit, welches die Ueberleitungsgruppe zwi- 
schen dem ersten und zweiten Thema eröffnet 




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80 

Der Durchführungstheil dieses ersten Satzes der Eroica 
ist auch für den Zuhörer einer der schwierigsten selbst 
bei einer geistig vollendeten Aufführung; wegen der 
ausserordentlichen Beweglichkeit, mit welcher der Com- 
ponist Ideen und Empfindungen wechselt, und dann we- 
gen der Breite, mit welcher er sie ausführt. Dieser 
Durchführungstheil hat eigentlich zwei Gipfel; nachdem 
der erste passirt ist, scheint der Tonsetzer nochmals zur 
Höhe umzukehren, und als endlich bei der grossen fana- 
tischen Ces dur - Stelle allgemeine Erschöpfung in den 
kämpfenden Tonmassen eingetreten ist. wendet er sich 
zur Reprise nicht ohne eine Wendung, deren eigentüm- 
liche Schönheit lange Zeit über ihrer absonderlichen 
Form verkannt worden ist. Wir meinen jene Stelle — 
man nennt sie wenig geschmackvoll den Cumulus — wo 

b 

über der tremolirenden Secunde as der beiden Geigen 
das Solohorn leise den Zauberruf intonirt, der Alle wieder 
aus der unheimlichen Erstarrung ruft: das Heldenmotiv 

es g | es 6. In der ersten Wiener Probe hatte Beethoven 
dieses as gegen die Musiker zu schützen, welche meinten, 
es sei ein Fehler vorgekommen ; die Herausgeber der ersten 
französischen Partitur corrigirten es als Druckfehler in g; 
auch noch R. Wagner war dieser Meinung. Seit das 
Skizzenbuch Beethovens bekannt ist. darf nicht der lei- 
seste Zweifel mehr gehegt werden, dass Beethoven kaum 
etwas Anderes in seiner Eroica so bestimmt und klar 
gewollt hat als diese vom mechanischen Harmoniestand- 
punkte aus befremdende und unter allen Umständen ge- 
wagte, aber jedenfalls mit tondichterischer Kühnheit und 
Feinheit ersonnene Wendung. Auch die Coda des ersten 
Satzes ist ungewöhnlich und zwar dadurch, dass der 
Gomponist hier nochmals auf die Durchführung zurück- 
greift, wiederum nämlich auf die bereits berührte Episode 
in E moll : ein Beweis, wie wichtig sie ihm für die Eigen- 
art des Helden war, wie ihn sich Beethoven dachte. 

Der zweite Satz der Eroica, Marcia funebre über- 
schrieben, die Grenzen eines einfachen Trauermarsches 



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aber in jeder Beziehung überschreitend, besteht aus fünf 
Theilen. Der erste Theil stellt zunächst das Hauptthema 

Adagio assai 

m 





.im Streichquartett auf. Die 

Bläser wiederholen dasselbe, von den Violinen in zitternden 
Rhythmen begleitet. Dann folgt ein Gegenmotiv in Es dur, 
das nach dem Hauptthema zurückkehrt. Auch diese Gruppe, 
vom Streichquartett zuerst gebracht, wiederholt der Bläser- 
chor, und mit einem kurzen freien Nachspiel in Cnwll 
schliesst dieser erste Theil. Inhaltlich verbildlicht er 
jenen furchtbaren, fassungslosen Zustand der trauernden 
Seele, wo das Gefühl nach Ausdruck ringt, wo die Klage 
mit der Resignation kämpft, wo die Sprache erstarrt, 
versagt und bricht, wo die freundlichen Bilder der Erin- 
nerung nur auftauchen um von den Ausbrüchen des hef- 
tigsten Schmerzes verjagt zu werden. Der zweite Theil 
ruft das glänzende Bild des Helden zurück. Er erscheint 
wie eine Art Apotheose. Das Thema, welches ihn führt, 



in hellem Dur gehalten 




nimmt 



p Ob 



schon beim ersten Halbschluss (in G dur) einen ganz trium- 
phirenden Ton an. Am Schluss dieses Theiles ist die Rück- 
kehr ins Hauptthema, der stets im Laufe des Satzes ein 
leidenschaftlicher Acccnt vorausgeht, von einem ganz be- 
sonders tiefen und gewaltigen Ausdruck des Schmerzes 
begleitet. Der dritte Theil, welcher mit dem Hauptthema 
(in Cmoll) beginnt, ruht im Wesentlichen auf folgendem 



Thema: 




. In der ersten 



Hälfte erscheint es durch die Verkettung mit dem Motiv 




in der Form einer Doppelfuge. 

6 



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-4 82 ^ 



Sein Ausdruck ist klagend, aber die Klage hat ihre 
Herbheit verloren und fliesst nun stetig dahin. Die 
Wendungen werden mild, fast freudig. Wieder steigt das 
Bild des lebenden Helden auf: ein leidenschaftlicher, 
begeisterter Aufschwung in der Musik: Da plötzlich: 




I I 

Tss i 

liehe Besinnen: 



das schreck- 



»Er ist nicht mehr!« Ein Aufschrei 
in den entlegensten Regionen des Orchesters, ein wilder, 
fast wüster Ausbruch des Schmerzes auf dem As-dur- 
Accord. ein Chaos, aus dem die schmetternden Trom- 
peten den Ausweg suchen. Dann lenkt es mit mühsamer 
Beruhigung über in den vierten Theil, welcher im Wesent- 
lichen eine Repctition des ersten Theiles aber mit einem 
grossen Zusatz von Leidenschaftlichkeit und Aufregung 
bildet. Es wird der letzte Abschied genommen ! Der fünfte 
Theil. die Coda, schliesst das ergreifende Bild versöhnend 
ab. Wie Glockengeläute beginnt er in den Violinen, eine 

wehmüthig freundliche Melodie : 

klingt wie aus der Ferne herüber, dann geht die Musik 
für einen Augenblick in blosse rhythmische Bewegung auf; 
in den Violinen- tönt's wie Schluchzen. Noch einmal er- 
scheint dann das Marschthema, verflattert aber bald und 
zerfällt in Stücke. Als es verschwunden, stossen die 
Bläser noch ein letztes leidenschaftlich accentuirtes Lebe- 
wohl aus, über das sich sofort eine leise Fermate wie 
Grabesruhe legt. 

Das Scherzo ist von einer ganz eigenthümlichen An- 
lage. Zum Hauptthema hat es folgende Tacte: 

Presto 





Aber dieses theilt sich in die Darstellung mit einem 
Motive, das von Natur nur präludirenden und anlaufen- 
den Charakters ist: j I j j j Ij j- '. Lange Ton- 



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83 «~ 



reihen, aus diesen wenigen Noten gewoben, durchziehen 
den Satz und geben ihm sein phantastisches, heimliches 
Gepräge, den merkwürdigen nächtlichen Klang, die 
Aehnlichkeit mit dem Gemurmel einer entfernten 
Menge, mit dem Getöse einer geschäftigen Stadt, das 
der Wind auf Meilen hinausträgt zum Wandrer. 
Die Tonart ist Esdur, aber es dauert 92 Tacte, ehe 
sie mit dem Fortissimo des zum ersten Male geschlossen 
vortretenden Orchesters zum Ausdruck kommt. Es ist 
interessant zu wissen, dass Beethoven als dritten Satz 
seiner Eroica eine einfache Menuett schreiben wollte. 
Erst im Laufe der Skizzen kam er auf das eben ange- 
führte schwankende Motiv und damit auf die ganz neue 
Anlage des Satzes. Den Hörnern, welche bekanntlich im 
Trio des jetzigen Scherzo eine ziemlich gefürchtete Auf- 
gabe haben, war von Anfang an eine besondere Rolle 
zugedacht, aber im Hauptsatze der Menuett. 

Das Finale der Eroica ist in seiner ersten Hälfte ein 
Variationencyclus , dem folgendes einfache Thema zu 
Grunde liegt: 




Dasselbe, welches Beethoven früher schon zu den Cia- 
viervariationen (Op. 35) und auch zur Musik des Ballets 
»Die Geschöpfe des Prometheus« benutzt hat. Von der 
dritten Variation ab baut der Componist über dieses 
Thema eine innige Gesangmelodie, 




welche in dem Satze als zweites Thema fungirt. 
sie durchgeführt, wird die Variationenform verlassen, das 
Thema erscheint umgestaltet in eine Fuge; in andern 
Gruppen sind nur wenige Noten benutzt, auf Augenblicke 
verschwindet es ganz. Mit dem G mo//-Satze. der marsch- 
artig kräftig einsetzt, tritt die Variationenform wieder 
ein; die einzelnen Variationen haben freie Schlüsse; im 

6* 



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Uebrigen wiederholt sich der ganze Prozess der ersten 
Hälfte. Bis dahin erscheint das Finale der Eroica, so viele 
schöne Momente darin vorkommen, im Verhältniss zu den 
andern Sätzen etwas zu leicht. Am Ende jedoch, mit der 
frommen Episode, in der das zweite Thema als Andante 
erscheint, erhebt es sich und schliesst allerdings etwas 
kurz abgebrochen, aber mit dithyrambischem Schwünge. 
L. v. Beethoven Beethovens vierte Sinfonie {Ii dur Op. 60), welche 
Bdar-Sinfonie j m j a hre 1806 entstand, wurde im Anfang des Jahres 
1808 zuerst in Wien, kurz nacheinander zweimal aufge- 
führt erst im Theater und dann im adligen Liebhaber- 
concert, und erfreute sich sogleich, wie berichtet wird, 
eines reichen Beifalls. Heute theilt sie mit der ihr 
geistig verwandten 8. Sinfonie das Schicksal einer ge- 
wissen Zurücksetzung. Sie erreicht ihre Nachbarn zur 
Rechten und Linken, die Eroica und die Cmoll- Sinfonie 
weder in der Breite des Aufbaues und der äusseren Di- 
mensionen noch in der Grossartigkeit der Combinationen ; 
sie ist aber dennoch eins der eigenartigsten und vollen- 
detsten Werke der Beelhoven'schen Kunst und repräsen- 
tirt unter den Sinfonien eine Gattung für sich. Was sie 
auszeichnet, ist die Frische und Unmittelbarkeit der Ge- 
staltung. Sie gleicht darin einigen der Klaviersonaten, 
dass sie mehr phantasirt und improvisirt, unter einem 
fortwährenden Zufluss neuer Gedanken entstanden, als 
gearbeitet erscheint. Ein zweites Element, welches sie 
aufs stärkste kennzeichnet, ist der romantische Hang, 
das Helldunkel, in welchem die Phantasie, mit Ausnahme 
des letzten, in allen Sätzen dieses Werkes zu verweilen 
liebt. Dieser romantische Zug macht sich äusserlich be- 
merkbar in dem zögernden Aufbau der Melodien, in dem 
langen Festhalten der Harmonien, in der versteckten 
Einmischung der Dissonanzen, in der bald in scharfen 
Contrasten springenden, bald träumerischen Dynamik: 
Erscheinungen, die uns in keiner zweiten Sinfonie Beetho- 
vens so systematisch entgegentreten wie in allen den- 
jenigen Partien der ß-dwr-Sinfonie, in denen nicht der 
stürmische Frohmuth offen proclamirt ist. 



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85 «t- 



Nach einer dämmernden Einleitung bricht das Allegro 

des ersten Satzes in urwüchsiger Derbheit los. Das Haupt - 

thema ist folgendes: 
Allegro vivace. 





^ die beiden Elemente des 

Satzes: frohes Ungestüm und geheimnissvolles Sinnen 
verbindend. Ihm folgt ein selbständiges Seitenthema, 



welches über das Motiv 



zu einer Re- 



Das zweite Thema zerfällt 



Petition des ersten überleitet. 

in 2 Hauptgruppen, deren Grundmotive die folgenden 

Cl»r. 



sind: 




Zwischen ihnen 



stehen noch weitere selbständige Gedanken; die Ueppig- 
keit der Phantasie zeichnet diese Sinfonie aus. Auch 
die Durchführung überrascht durch eine ganz neue Idee: 

. i>. 

eine herrliche Melodie: 




mit welcher eine Strecke lang die beiden Gruppen des 
Orchesters, Geiger und Bläser einen Wechselgesang voll- 
führen. Ganz eigen ist der Schluss dieser Durchführung, 
das Einschlummern der Instrumente in entlegener Tonart, 
die Führerrolle, welche die Pauke in diesem Momente 
übernimmt, und der eilige Rückzug, den das verlorene 
Gros unter ihrem immer lauteren Commando bewerk- 
stelligt. In dem Scherzo der C wioW-Sinfonie findet sicli 
ein ähnliches und doch wieder sehr verschiedenes Seiten- 
stück zu dieser Stelle. 

Das Adagio, ein wunderbares Stück verklärter Poesie, 
hat folgenden Gesang zum Hauptthema: 

Adagio. 




errtc 



-fr 86 

Die Form dieses Satzes ist so Tein und einfach, dass 
er keiner Bemerkung bedarf. Das zweite Thema, in dem 
Momente eingeführt, wo die vom Anfange an im Satze 
lauernden Geister der Schelmerei und des Humors über das 
Mass zu gehen Miene machen, wird von der Clarinette 
vorgetragen, das Fagott bringt einen Nachgesang dazu. 
In der Stimmung knüpft dieses zweite Thema an die leise 
und edle Melancholie des Hauptthemas wieder an. 

Der dritte Satz, welcher nicht ausdrücklich alsScherzo 
überschrieben ist, hat die ausgesprochene Natur eines 
Capriccio. Er lässt eine etwas herausfordernde Lustig- 
keit gegen einige üble Humore ankämpfen. Das Anfangs- 
motiv seines Hauptthemas 




gibt den Haupt- 



stoff zum Bau des Satzes. Der in den ersten Tacten dieses 
Themas schon gegebene Gegensatz von 2 /4 und 3 / 4 Tact 
geht durch das ganze Stück und verstärkt den Eindruck 
einer bald übermüthigen, bald eigensinnigen Natur. Das 
Trio ist eins der köstlichsten Bilder naiver und unschul- 
diger Freude, eins jener Kunstwerke, die man nicht hören 
kann, ohne die Musiker zu beneiden, welche sie ausführen 
dürfen. Die Oboe führt das einfache Thema: 




In die Pausen streuen die Violinen allerhand kleine 
Neckereien hinein — am Ende des Trios wächst die lie- 
benswürdige Melodie zu stolzer Pracht heran. Schon der erste 
Satz der Sinfonie zeigt einige Mozart'sche Spuren; sie 
mehren sich im Finale so sehr, dass man die Vermuthung 
kaum abweisen kann, in den Hauptgedanken gehöre dieser 
Satz einer früheren Entstehungszeit an. Seine Themen sind 




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87 



mit dem Nachsatze 



und 




p p 

Sie ergeben einen Satz von brillantem, funkelndem 

Effect, von dramatischer Lebendigkeit und frappantem 
Humor, dessen heitere Natur nur durch einige breite, un- 
barmherzig dissonirende Accorde, die Einfälle einer rauhen 
Laune, gestört wird. 

Die fünfte Sinfonie [C moll) ist mit der Pastoral- 
sinfonie zusammen veröffentlicht worden. Beide Werke, 
welche die Opuszahlen 67 und 68 tragen, wurden auch 
zusammen in demselben Concert zuerst aufgeführt, wel- 
ches Beethoven am 22. December 1808 im Theater an der 
Wien gab, einem Concerte, das durch die Reichhaltigkeit 
seines Programms als Curiosum in der Goncertgeschichte 
dasteht. Es umfasste zwei grosse Chorwerke, die Chor- 
fantasie, das Clavierconcert in G, eine freie Fantasie, die 
Pastoralsinfonie (als Nr. 5 , die CmoM-Sinfonie (als Nr. 6 
bezeichnet). Gleichwohl sind die beiden Sinfonien zu ver- 
schiedener Zeit entstanden. Die ersten Arbeiten an der 
Cmoll-Sinfonie reichen bis in die Jahre 1800 und 1801 zu- 
rück. Das ausserordentliche, in jeder Faser Beethoven- 
sche Werk hat den Meister auch ausserordentlich intensiv 
beschäftigt und ist unter denjenigen Arbeiten, mit welchen 
er sich aussergewöhnlich lange trug — vergleichen wir nur 
die Ddur-Messe und die 9. Sinfonie — vielleicht diejenige, 
bei welcher die endgültige Form alle Intentionen des 
Schöpfers ohne Rest aufnahm. Von vielen Beurtheilern 
wird die Cmoll-Sinfonie als der Höhepunkt nicht blos 
der Beethoven'schen, sondern überhaupt der Instrumental- 
musik bezeichnet, jedenfalls ist sie eins derjenigen Kunst- 
werke, über deren Gewalt Alle einig sind. Selbst Die- 
jenigen, welche amusischen Geistes sind, pflegen vor der 
C moll-Sinfonie eine leise Regung von Respect zu haben. 
Jeder fühlt, dass aus dieser Sinfonie ein ungewöhnlicher 
Geist spricht. Es liegt etwas Titanisches in ihrem Zorn 



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-ö- 88 



und ihrem Trotze, in ihrem Schmerze und auch in dem 
Rausche der Begeisterung, in welchem sie schliesslich 
ausmündet. Man könnte sich vor diesem Kunstwerke 
an vielen Stellen fürchten, wenn nicht aus dem Hinter- 
grunde seiner nächtigen Fantasien auch freundlichere 
Genien auftauchten; es würde uns transcendental und 
nur ehrwürdig bleiben, wenn es den Blick nicht ausser 
auf unendliche Sternenweiten auch auf trauliches Erden- 
land lenkte, wo uns Boten der Sehnsucht, des Humors 
und diejenigen Menschengefühle begegnen, welche das 
Walten eines guten Gemüthes verkünden. Die Darstellung 
in der Cmoll-Sinfonie ist heiss und ursprünglich, wahr, 
nothwendig einheitlich und dabei so scheinbar einfach 
und klar, dass das Werk trotz der Grösse seines Inhalts 
populär geworden ist. Was diesen Inhalt der Cmoll- 
Sinfonie bildet, wer getraut sich das ohne Fehler zu 
übersetzen? Beethoven soll dem ersten Satze dieses 
Werkes das Motto gegeben haben: »So klopft das Schick- 
sal an die Pforte«. Wir betonen aber das Wort »»soll«. 
Es ist das Charakteristicum musikalischer Kunstwerke, 
dass sie die Fantasie des Hörers anregen, ihn wohl auch 
auf bestimmte Bilder führen. Aber es ist vermessen, das 
eine dieser Bilder für das ausschliesslich richtige zu halten 
und zu proclamiren. Die Zahl der benannten Grössen, 
welche derselben algebraischen Formel entsprechen, ist 
in der Regel nicht klein: »Ratio multiplex, veritas una«! 
Aber der allgemeine Gang der Fantasie, nennen wir es 
die Grundidee, in der Cmoll-Sinfonie ist so klar ausge- 
prägt, dass man sie nennen muss: Es ist der Weg »aus 
Nacht zum Licht«, per aspera ad astra, jener in der sin- 
fonischen Kunst so oft gesuchte und noch öfters verfehlte 
Weg! 

L.v. Beethoven j) er erste Satz ist eine der glänzendsten Bestätigungen 
Cmo, ^ i " fonie für einen in jeder Kunst sattsam erprobten Erfahrungs- 
satz: dass mit der Schwierigkeit der technischen Aufgabe 
bei starken Geistern auch die Fantasie wächst, der Flug 
der Gedanken kühner wird und die Ideen an Macht, 
Kraft und Reichthum zunehmen. Von der technischen 



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-<* 89 -fr- 



Seite aus betrachtet, ist der erste Satz der Cmoll-Sin- 
fonie eins der verwegensten Kunststücke: Denn sein 
wesentliches Grundmaterial bestellt aus den vier Noten, 
welche lapidar und erschreckend den Eingang des Werkes 

Allegro con brio. ^ 

bilden : i&y'iPfcrT k-t > I j EEj . Nach Czerny soll ein 

Goldammer Beethoven im Walde dieses Motiv zuge- 
tragen haben. Zwar hat der Satz ein zweites Thema: 




Aber dasselbe ist in dem grossen psychologischen 
Process nur ein momentanes Beschwichtigungsmittel, 
über welches die Combinationen jenes Urmotivs 
achtlos hinwegschreiten. Es wird bei seinem ersten Er- 
scheinen schon von den Bässen mit jenen vier unruhigen 
Grundnoten drohend empfangen, verfolgt und bald in den 
Strudel der wogenden Aufregung hineingezogen. Auch 
Aeltere, namentlich S. Bach, haben mit einem einzigen 
kurzen Motiv zuweilen ausgeführte Sätze gebildet. Aber 
dies sind Präludien und kleinere Stücke — hier aber 
haben wir einen ganz colossalen Satz von gegen 500 
Tacten! Dabei aber ist dieses Kunststück zugleich auch 
die höchste Leistung im leidenschaftlichen Style, welche 
bis dahin vielleicht die ganze Instrumentalcomposition, 
ganz gewiss aber die Orchestermusik aufzuweisen hat — 
eine Leistung, die in der Folge fraglich ob wieder erreicht, 
jedenfalls aber nicht überboten worden ist. Den Gang 
des Satzes im Einzelnen zu beschreiben, ist nicht durch- 
führbar, wohl auch nicht nöthig. Nach so und so viel 
rührenden und erschütternden Versuchen kommt das 
Ende auf den Anfang zurück. Es ist das Bild eines er- 
greifenden Kampfes, der durchgeführt wird: Wohin wir 
in unserer Fantasie den Schauplatz desselben legen, in 
die menschliche Seele oder in die Natur: seine Phasen 
sind mit der schauerlichsten Deutlichkeit wiedergegeben. 
Den kritischen Mittelpunkt bildet jene Partie im Durch- 
führungstheile, wo das Anfangsmotiv des zweiten Thema 



90 




entscheidend eingreifen 
will und einen verzwei- 



felten und qualvollen Heldentod erleidet. 

Wie eine holde Geisterstimme, die uns mit Trost und 
Hoffnung füllen will, setzt der zweite Satz (Andante con 
Moto, As dur, 3 / 8 Tact) mit einem lieblichen Thema ein, 
welches Celli und Bratschen unisono vortragen: 




sätze in Haydn'schen Sinfonien, indem hier wie dort das 
Hauptthema nach eingetretenen Zwischensätzen auf man- 
nigfache Weise variirt wird. An Originalität ist es dem 
ersten Satze nicht gleichzustellen, obwohl der Gedanke, 
immer zwischen dem schmeichelnden, wehmüthigen Haupt- 
theil in As dur einen pomphaften Marsch aus C dur mit 
Pauken und Trompeten eintreten zu lassen, sehr frappant 
wirkt. Ohne Zweifel ist diese dreimal auftretende und 
jedesmal mit neuen Ueberraschungen eingeführte Cdur- 
Episode als ein Hinweis auf das Finale und seine Freuden- 
sphäre zu betrachten, wie überhaupt der Charakter dieses 
Andante als eines im Ganzen vermittelnden Theiles nicht 
zu verkennen ist. Der furchtbare Geist, welcher den 
ersten Satz der Sinfonie regierte, blickt in dem Andante 
immer noch aus Wetterwolken heraus. Aber es klingt 
ihm muthige Kriegs- und Siegesmusik entgegen und die 
freundlichen und friedlichen Gestalten kommen wieder 
aus dem Versteck hervor. Eine davon, welche in den 
Holzbläsern sich unmittelbar an das Hauptthema an- 
schliesst, wirkt ganz besonders durch die Beharrlichkeit, 
mit welcher sie beständig unverändert — sogar stets in der- 
selben Tonart f' f- T —£— T ^-$ == T ^i _^_J^j y.fi 
— zurückkehrt: 55>^-"t=3= I 1 1 I * ' I l~t * M~Tfe « 





Die weitere Ausführung 
erinnert an manche Mittel- 



f ff 



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Das thematische Material des dritten Satzes: ist folgendes 
für den Haupltheil 




für den das Trio ersetzenden Mitteltheil: 




DieTheile a und 
b des Haupt- 



thema folgen im Satze unmittelbar wie oben, für die 
Entwickelung des Satzes wird besonders das Motiv b 
ausgenutzt. Während in den meisten andern Sinfonien 
Beethovens im dritten Satze eine ausgelassene Fröhlich- 
keit ihre Feste feiert, will hier — wo, wahrscheinlich 
nicht zufällig, auch die Bezeichnung Scherzo fehlt — die 
gute Laune noch nicht recht in Gang kommen. Das 
nähere Verwandtschaftsverhältniss, in dem bei Beethoven 
sehr häufig der dritte Satz zum ersten steht, kommt hier 
mit besonderer Deutlichkeit zum Ausdruck. Es zeigt sich 
äusserlich in den vielen Fermaten, welche beiden Sätzen 
gemeinsam sind, und mehr noch innerlich in dem vor- 
wiegend düstern Charakter dieses »Scherzo «. Heiter ist im 
Hauptsatze desselben nur der Rhythmus, die Harmonien 
sind gedrückt, die Melodien fragend und schwermüthig, 
fremdartig durch den Klang der Instrumente, welche sie 
an den wichtigsten Stellen vortragen: das Motiv a die sonst 
nur für den schweren Dienst verwendeten Contrabässe, das 
Motiv b die Horner. Auch der Mittelsatz, mit seinen poltern- 
den Figuren und seinem eifrigen Fugiren, verwischt den 
Eindruck des Aengstlichen, halb Unheimlichen noch nicht: 
Sein Humor ist etwas forcirt und ungeheuerlich, er deutet 
eine gute Wendung der Sache mehr an, als dass er sie schon 
bringt. Als sich der Lärm seiner gewaltigen Läufe mehr und 
mehr verloren hat, erscheint das Scherzomotiv wieder: dies- 
mal pizzicato. Man hört nichts mehr als einige von den 
Violinen halb hingehauchte Varianten des Motivs b und 
dazwischen ein seltsames, halb unterdrücktes Schluchzen 



92 Kö- 



der Fagotte. Dann bricht der Gedanke ganz ab. Da9 
Orchester macht Miene den bösen Traum zu verschlafen; 
nur die Pauke hält im pp noch den Rhythmus wach. Es 
folgen einige Tacte voll mysteriöser Harmonien und einer 
Ruhe, dass das Ohr zu hören zaudert, bis die Pauken- 
schläge rascher werden, die Violinen sich winden und 
raffen und endlich das ganze Orchester wahrhaft fieberisch 
sich auf den leuchtenden Cdur-Accord stürzt, mit dem 
der Triumphmarsch des Finale beginnt. Mit seinem un- 
beschreiblichen Jubel, mit Kraft und Schalkheit erstickt 
er alle finsteren Anwandlungen, die aus den früheren 
Sätzen in den Schluss hineinziehen möchten. Die Themen 
sind einfach bis zur Trivialität: 




In der Instrumentirung ist nichts Ausserordentliches 
als der Zusatz von drei Posaunen, die hier zum ersten 
Male in Beethovens Sinfonien erscheinen — aber der innere 
Schwung und die Kunst des Componisten erreichen mit 
diesen gewöhnlichen Mitteln eine elementare, donner- 
ähnliche Wirkung. 

Mit Recht ist die Cmoll-Sinfonie Beethovens seine 
populärste. Sie war das von allem Anfang ab. Kaum 
bekannt geworden, findet sie sich in den Programmen 
der Virtuosen-Concerte ebenso gut wie auf den eben 
ins Leben tretenden Musikfesten — eine nie versagende 
piece de r^sistance! 



- 



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-* 93 *~ 



Wie Beethoven auf die Eroica die vierte Sinfonie 
folgen Hess, so schickte er ähnlich auf den schweren 
Kampf der Cmoll-Sinfonie sich und den Freunden sei- ™ 7* Bee * hoTen 

* 1-111 t . i ■% F dur-Sinfonie 

ner Muse zur Erholung die Pastorale nach. Nr. o Pastorale 

Die Biographen erzählen uns von des Künstlers le- 
bendigem Gefühle für die Schönheiten von Wald und 
Flur, von seinem unablässigen Studium der Naturphilo- 
sophie jener Tage. Beethoven hat seinem Wohlgefallen 
an Wachtelschlag und Waldesrauschen, seiner Freude 
und innigen Liebe zu Gottes freier Schöpfung in vielen 
Werken Ausdruck gegeben; in keinem glänzender als in 
seiner Pastoralsinfonie. 

Sie gehört bekanntlich der Programmmusik an , sie 
ist aber ein Idealwerk dieser Richtung, welche, wie früher 
schon erwähnt, um die Neige des vorigen Jahrhunderts 
in Süddeutschland und Wien einen starken Anhang hatte. 
Von keinem Lessing geschreckt, unbekümmert um die 
— heute noch nicht festgestellten — Grenzen der Musik 
suchte ein grosser Theil der damaligen Instrumental- 
componisten die Stoffe mit der grössten Ungenirtheit in 
allen Gebieten der sichtbaren und der gedachten Welt: 
in Philosophie und Geschichte, in den Werken der Dich- 
ter und den Phänomenen der Natur. Jedes Verlags- 
verzeichniss brachte neue Beiträge zur beschreibenden Ton- 
kunst : immer mehrere zugleich : 3 Sinfonien a^ Belagerung 
Wiens, b: le portrait musical de la nature, c König Lear 
(im Jahre 4 792), drei weitere aus derselben Zeit, a) la 
tempesta, b) Tharmonie de la nature, c) la bataille. Und 
noch grösser war dem Anschein nach die Zahl der un- 
gedruckten Versuche, welche auf diesem Felde gemacht 
wurden. Noch bis in die Zeit Schumanns und seiner 
Neuen Zeitschrift hinein lassen sich die Spuren der rei- 
senden Orgelspieler verfolgen, welche ständig auf ihrem 
Programm ein >< Donnerwetter « mit sich führten. In einem 
Concertzettel des bekannten Abt Vogler findet sich eine 
solche Orgelmalerei, welche vor der Pastoralsinfonie be- 
reits an diese erinnert: »das vergnügte Hirtenleben, von 
einem Donnerwetter unterbrochen, welches aber weg- 



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-o- 94 



zieht, und sodann die naive und laute Freude desshalb.« 
Beethoven lachte wohl über solche Malereien, wenn sie 
kindisch ausfielen, aber er verschmähte sie principiell 
nicht, und es war auch hier, wie Thayer richtig sagt, sein 
Ehrgeiz, die Zeitgenossen in der Anwendung vorhandner 
Kunstformen zu übertreffen. 

Der erste Satz hat die Ueberschrift : »Erwachen hei- 
terer Empfindungen bei der Ankunft auf dem Lande.« 
Von der ersten ausführlichen Recension ab, die über die 
Pastoralsinfonie erschien (Allgem. Musikal. Zeitung 1810, 
S. 245; bis heute ist immer wieder die Reserve gelobt 
worden, mit welcher Beethoven sich darauf beschränkt 
habe nur den Empfindungen , den innern Gefühlen Aus- 
druck zu geben, welche das Landleben erregt. Nicht 
aber soll er versucht haben Aeusserlichkeiten des Natur- 
bildes nachzumalen. So ganz streng ist das nicht zu 
nehmen. Trotz des Titels steht in dem ersten Satze 
manches, was in die Kategorie der Empfindungen nicht 
passt. Die Triolen der Clarinetten und der andern Blä- 
ser nach dem Abschluss des Hauptthemas, der lange 
Triller der Geigen vor der Reprise sind doch zu deut- 
liche Anspielungen auf das Zirpen und Zwitschern der 
Vogel. Der feine Duft in der Instrumentirung, der durch- 
klingende Schalmeienton, die genrehafte kurzlebige Me- 
trik — das Alles ist doch in diesen ersten Satz als der 
musikalische Niederschlag reeller Erscheinungen des 
Naturlebens gekommen. Uns soll das Werk darum nur 
um so lieber sein. Was die technische Structur des 
Satzes betrifft , so zeichnet sie sich durch ihre zarte Be- 
weglichkeit aus und durch einen gewissen Miniaturen- 
charakter des verwendeten Materials. Solche leicht tän- 
delnde Themata hat Beethoven , in der siebenten und 
achten Sinfonie ähnlich, aber in keiner früheren verwendet : 
Für Cantabilität und grossen Ausdruck bietet nur die 
zweite Hälfte des ersten Thema eine bescheidene Unterlage 




irr ic. 



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95 




Der Zusatz von Dankgefühl, welcher der 

Heiterkeit diesesGedankens schon mit beigemischt ist,kommt 
in dem Zwischenmotiv, welches zum zweitenThema über- 
leitet, noch be- 
redter heraus 

In seinen immer neuen Wiederholungen kann es sich 
gar nicht genug thun : es wandert durch alle Instrumente, 
überall das Bewusstsein der glücklichen Stunde weckend, 
zu ihrem vollen Genüsse ladend. Das zweite Thema 
selbst ist nur der Abschluss der beglückten Schwärmerei: 





In den formellen Elementen zeigt es sich 



dem ersten Thema mehr verwandt als entgegengesetzt. Für 
die Durchführung hat der zweite Tact des ersten Themas 
Hauptbedeutung. Aus ihm entfaltet Beethoven breite 
Bilder, wechselnden Scenen der durchwanderten Natur 
gleich, die zum Staunen und Lauschen veranlassen. 

Im zweiten Satz hat Beethoven die malende Ten- 
denz offen eingestanden: er nennt ihn: »Scene am Bach«. 
Im Vordergrunde dieser entzückenden Composition stehen 
als die Hauptthemen zwei leicht eingängliche, gesang- 
volle Melodien, aus denen das ganze glückliche Behagen 
einer von allem Tagewerk befreiten, der herrlichsten Ruhe 
und den lieblichsten Träumereien hingegebenen Seele 
spricht. Und wir dürfen Alles mitgeniessen. Der Ton- 
dichter führt uns an den sonnigen Waldbach hin , wir 
sehen die glitzernden Wellen dahingleiten und hören ihr 
melodisches, fleissiges Gemurmel. Tausende von Lichtern 
blitzen durch die Bäume; von ihren Zweigen, ihren Gi- 
pfeln schallen kleine zarte Stimmen; es neckt sich, es 
lockt sich ; es lebt im Laub und im Grase ; der Kukuk 
ruft, die Wachtel und die Nachtigall, und aus der Schaar 
der gefiederten noch so mancher andre ungenannte 



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96 



Sänger. Es ist ein so lebendiges Bild von dem heim- 
lichen Weben der Natur, so glücklich gemischt mit mensch- 
licher Poesie, so natürlich in dieser Mischung und in sei- 
nem ganzen Verlaufe. Wer wird es überbieten? 

Im folgenden Satze wird ein »lustiges Zusammen- 
sein der Landleute« geschildert. Man versammelt sich, 
sehr munter und leichtfüssig eilt das junge Volk herbei: 



Sofort wird auch der Vorschlag zu einem Tänzc hen gem acht, 



Als immer mehr kommen, und es lauter und lauter wird, 
da ist die Möglichkeit eines Reigens Thatsache und wird 
mit urkräftiger, allgemeiner Zustimmung begrüsst. Und 
nun beginnen jene drolligen Scenen, in welchen Beet- 
hoven sich als Bauernmaler mit vollendetem Humor und 
mit weitgehender Realistik neben und über die Teniers, 
J. von Ostade, Adrian Brouwer und die andern Grössen 
der Branche stellt. In der Form dieser Schilderungen 
liegt ein zweiter grosser Spass , denn es ist darin sehr 
übermüthig die saloppe Art und Weise copirt und paro- 
dirt, in welcher, wie heute noch, auch zur Zeit der Wie- 
ner Meister ländliche Orchester zuweilen ihr Pensum 
Tanzmusik absolviren. Das sind ganz die richtigen, immer 
müden und schlaftrunkenen Bierfiedler. Man hört lange 
Strecken nur begleitende Mittelstimmen und Rhythmus. 
Dann setzt eine Oboe ein, aufs Gerathewohl. Sie scheint 
eben erwacht, und hinkt ihre Melodie ein Viertel nach 
der Zeit hinterher. Ab und zu gibt auch ein andrer ein 
paar Töne drein, um gleich wieder zu verschwinden. Von 
besonderer Komik ist namentlich der stereotype Einsatz 
des ersten Fagott, der immer nur f c bläst. Dass Beet- 
hoven specifisch österreichische Vorbilder für diesen aus- 
gelassenen Scherz im Auge hatte, zeigt der zweite Theil 
dieser Tanzmusik, der Zweivierteltact, welcher den Drei- 
viertel ablöst. Die alte österreichische Tanzmusik ist suiten- 



Alle pro. 




zunächst noch leise : 




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97 -ft- 



massig gehalten und liebt den plötzlichen Wechsel der 
Rhythmen. Nimmt man zu der Melodie dieses neuen Satzes 




mit ihrem Lärm und ihren gewaltsamen Accenten, noch 
die breiten Rhythmen und die unbewegliche Harmonie 
der Begleitung, so ist das Bild einer plumpen und schwer- 
fälligen Lustigkeit, einer Lustigkeit in Holzschuhen und 
Aufschlagstiefeln, vollendet. Ganz drastisch ist der Schluss 
dieses Mittelsatzes. Man tobt zuletzt, dass der Athem 
ausgeht: eine Fermate mit diminuendo bildet das über- 
raschende Ende dieses die Stelle des gewöhnlichen Trio 
vertretenden Theils. Die Repetition des Hauptsatzes be- 
ginnt, sie wird aber schon bald durch eine Generalpause 
unterbrochen. Augenscheinlich macht sich etwas Be- 
denkliches bemerkbar. Endlich ist man wieder im alten 
Geleise; schon setzt die Dorfmusik wieder ein: Da 
kommt statt des regelrechten kräftigen Fdur-Accords ein 

ui i w Ue pj-^ m d en Contrabässen und Cellos. Das ist 
•s^Yf | t£= e j n Donnerschlag in der Ferne. Man flüch- 
pp 

tet, rettet sich und ruft ängstlich und klagend durcheinander: 

Das Grollen 
des Donners 

im Fortissimo 

bricht das Wetter 
los. Blitze zucken: 

Windstösse fahren ein- 
^jP =^=' her, Regenschauer 

platzen nieder in mächtigen Unisonos des ganzen Orchesters: 

Auf Momente tritt 
Ruhe 



unheimliche 

ein, dann zuckt es wieder auf und schlägt scharf und 

7 





~* 98 



furchtbar drein. Den Ernst der Situation, den Höhepunkt 
der Krisis bezeichnen die Bässe mit ihrem düstern Scalen- 
gang und seinen er- w v r «. . ,-"~p . y^T '4 - 4—4- 4 



In das furchtbare Grollen und die Aufregung der 
Orchestermassen wirft jetzt auch der Piccolo seine 
schrillen Töne, die Pauke wirbelt stärker, und zum 
ersten Male in der Sinfonie brechen die Posaunen 
los. Die Harmonie ist auf einem vier Tacte langen 
Septimenaccord erstarrt! Nun scheint aber auch das 
Schlimmste vorbei zu sein. Und so gewaltig Beet- 
hoven bis hierher im Aufthürmen und Drohen war, so 
rührend theilt und glättet er nun die Wogen und lenkt 
zu dem letzten Theil der Sinfonie über, dem » Hirten- 
gesang««, der unmittelbar ohne Pause an das »Gewitter« 
anschliesst. Wenn wir an diesem beendeten Satz die 
Wahrheit, die Macht und die Naturtreue der Darstellung 
bewundern , wollen wir nicht vergessen auch der noch 
schwierigeren Kunst, die er hier voll bewiesen, unser 
Augenmerk zu schenken. Das ist das Maass, welches 
Beethoven bei der Ausführung der für die Tonkunst dank- 
baren Aufgabe hielt, der souveräne Geschmack mit dem 
er aufhörte, nachdem das Nöthigste aufs Treffendste ge- 
bracht war. 

Der »Hirtengesang« Allegretto %) soll «frohe und 
dankbare Gefühle nach dem Sturme« schildern. Er thut 
es mit Motiven, welche von hier und da erklingen 
und deren pastoraler Charakter und deren Einfachheit 
Citate unnöthig machen. Er thut es mit frommen 
innigen Gesang, mit Wendungen in das muntere 
Gebiet und mit mancher versteckten und sinnigen 
Anspielung an Motive des ersten und zweiten Satzes. 
Aber er thut das Alles in einer etwas sehr ausführ- 
lichen Weise, mit Variationen, Fugatos und andern 
Formen, die der Wirkung seiner schönen Idee von jeher 
etwas Eintrag gethan haben. Zu Beethovens Zeit wurde 
darauf hingewiesen, dass Haydn in seinen Jahreszeiten 
das gleiche Sujet, weil kürzer, effectvoller behandelt habe. 



schreckenden Accenten 




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-««■ 99 



Die siebente und achte Sinfonie sind wieder Zwillings- 
werke: beide wurden in demselben Jahre 4 809 skizzirt 
und später als op. 92 und 93 veröffentlicht. Die Musik 
beider Werke trägt die Züge einer und derselben sonni- 
gen Heimath, beide sind von grandioser Heiterkeit, die 
eine mit einem starken Schatten darin, die andere ganz 
ungetrübt — aber merkwürdiger Weise hat die achte 
nichts von der überreichen Popularität der siebenten, der 
Adur-Sinfonie erringen können. Zum Aerger Beetho- 
vens, welcher zu sagen pflegte: die achte sei viel besser 
als die siebente. In Wien wurde Jahre lang die Pasto- 
ralsinfonie schlechthin als die Sinfonie in Fdur ange- 
zeigt, als ob die achte gar nicht existirte. Erst neuer- 
dings zeigen die Concertzettel die Tendenz, dieses Hohe- 
lied des Humors zu Ehren zu bringen. 

Aehnlich wie die zweite Sinfonie eröffnet die sie- i,, T , Beethoven 
bente eine lange ausführliche Introduction , ein herr- a dur-8infonie 
liches, träumerisches Tongemälde , in dessen Bann der Nr. 7. 
Zuhörer ganz vergisst, dass es nur eine Einleitung sein 
soll. Auch Beethoven hat mit gleicher Liebe kaum eine 
zweite Introduction behandelt. Ihre Hauptmotive sind 




beide zum' ersten Male von der Oboe eingeführt, 
Aehnlich wie in der letzten Ouvertüre zu »Fidelio«. 
der in E, benutzt Beethoven die ersten beiden Noten 
des Adur- Themas zu romantischen Bildern, über 
denen jetzt Mondschein , jetzt der Glanz der pran- 
genden Sonne liegt. Plötzlich, wie auf den Wink eines 
verschwiegenen Programms bricht er dann diese Scene 
erhabner Schwärmerei ab und lenkt in neckischer Füh- 
rung der Instrumente über ins Vivace, dessen Haupt- 
thema 



Vivace. 



-<* 100 




zugleich auch im Wesentlichen das Einzige des Satzes 
ist. Derselbe ist in dieser Beziehung, in der Ausbeutung 
eines beschränkten Grundmaterials mit dem Eingangs- 
satze der Cmoll-Sinfonie verwandt, im Charakter selbst- 
verständlich ganz verschieden. Beethoven gewinnt dem 
naiven pastoralen Grundgedanken des Satzes Wendungen 
von hoher Pracht und Erhabenheit ab; das Gebiet 
des Leidenschaftlichen und des Dunklen wird nur ge- 
streift. Reich ist der Satz an langgemessenen Perioden, 
Producten einer ungewöhnlichen Macht und Grösse der 
Empfindung. Das kurz abbrechende Element, das den 
Schluss der Einleitung charakterisirte, kehrt auch in die- 
sem Vivace wieder: es überrascht uns am Eingang der 
Durchführung sowohl als an dem der Coda. Letztere 
tritt unter seltnen Zeichen ein: mit Generalpause, mit 
einer ganz unerwarteten Ausweichung der Harmonie nach 
As und einer langen Satzbildung über einem kurzen Basso 

ostinato folgenden Inhalts * ü j fajJ^ fäfe^^^ . Was 

uns andere Stellen vernehmlich genug andeuten, das zeigt 
uns diese ganz deutlich und unverkennbar, dass nämlich 
hinter der anscheinend dominirenden, manchmal grellen 
Heiterkeit dieses Satzes doch höhere und ernstere Gedanken 
wachen, die sich nicht übertäuben lassen. Es besteht ein 
Zusammenhang zwischen dieser Stelle und dem edlen Pathos 
der Introduction, ein Zusammenhang der sich auch noch 
in der Melancholie des Allegretto und in den feierlichen 
Visionen, welche dem Trio des Scherzo zu Grunde liegen, 
verfolgen lässt. Wie ein leitender Faden geht durch die 
ersten Sätze dieser Sinfonie der halbverschwiegene Kampf 
zwischen einer jetzt harmlosen, alltäglichen, jetzt wilden 



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Fröhlichkeit und einer höheren Sinnesart. Die Sinfonie 
erscheint unter diesem Gesichtspunkt als ein Lebensbild, 
aber nicht als ein rein freundliches. Das Ende deckt 
ein ironischer Humor. 

Der zweite Satz der A dur-Sinfonie, Allegretto über- 
schrieben, ist von Alters her berühmt. Die Berichte aus 
den Jugendjahren des Werkes theilen von jeder Auffüh- 
rung fast mit, dass dieser Theil zur Wiederholung ver- 
langt worden und gebracht sei. Das Allegretto besitzt 
jene seltne Art von Originalität, die sofort verstanden 
und sympathisch aufgenommen wird. Am Eingang und 
Ausgang des Satzes steht wie eine Erscheinung aus frem- 
dem Lande ein Bläseraccord, auf eine Quartsextharmonie 
kühn und vielsagend hingestellt. Dann beginnen die 
tiefen Saiteninstrumente still und leise das merkwürdig 
resignirte Thema: 

i jnujijjiujii fl i U J f iiF ' i 

mit dem gebrochnen Marschrhythmus hinzustammeln. 
Erst mit dem Eintritt der Geigen kommt Fluss in die 
Sprache : Celli und Bratschen begleiten mit einer Melodie 
von innig sehnsüchtigem Ausdruck 




Je mehr sie aus ihrem anfänglichen Versteck heraus- 
tritt, um so wärmer wird der Ton der Darstellung. Wie 
einer Bitte die Verheissung, so folgt diesem edel weh- 
müthigen Satze eine einfach sanfte, freundliche Melodie, 
die wie eine Mutterstimme tröstend und zusprechend aus 
der Clarinette weich herüberklingt: 




Der einfache Contrast von Moll und Dur wirkt hier mit 
ganz ursprünglicher Elementarkraft. Die Bässe klopfen 



unter diesem Gesang den alten Marschrhythmus leise 
weiter, der wie Cerberus unter Orpheus' Saitenspiel zu 
erweichen scheint. Mit einem Male aber fährt er wie 
eine Tigertatze hervor; schrill und heftig durchsausen 
die trotzigen Achtel das Orchester von einem Ende zum 
andern. In veränderter und erweiterter Form beginnt 
die Repetition. Nachdem die zweite Gruppe wieder vor- 
beigezogen, folgt das Ende sehr rasch mit all der eigen- 
thümlichen und schmerzlichen Schönheit eines gewalt- 
samen Abschiedes. 

Mit derselben Erscheinung eines unbarmherzigen Los- 
reissens von prächtigen Bildern endigt auch der dritte 
Satz. Das Trio mit dem Thema: 




bildet den paradiesischen Theil dieses Satzes. Es ist 
nicht auszusagen, welch ein zauberhaftes Tongebilde 
Beethoven dieser einfachen Melodie entlockt hat, wie er 
hier das Schöne in immer neuen Arten ausbreitet von der 
lieblichen stillen Idylle, mit welcher die Holzbläser ein- 
setzen, bis zu den im Sonnenglanze strahlenden, festlichen 
und feierlichen Schlüsse, in dem das Thema unter Pau- 
ken und Trompetenklang mit dem vollen Orchester wie 
auf dem stolzen Siegeswagen einherzieht. In einer genial- 
energischen Weise, die ohne Gleichen ist, hat Beethoven 
in diesem Trio den Effect einer sogenannten liegenden 
Stimme angebracht. Den ganzen Triosatz durchschimmert 
der gleiche Klang eines festgehaltenen a; bald schwebt 
dieser Ton in den Violinen über den Melodien, bald leuch- 
tet er aus den unteren Instrumenten in den Gesang des 
Orchesters hinein; am eigenthümlichsten an den Stellen 
wo das zweite Horn ihn murmelt. Schärfer als sonst 
wollte Beethoven hier das Trio gegen den Hauptsatz con- 
trastiren lassen. Die Tonarten zeigen das schon: D zu 
F. Der Hauptsatz selbst ist ein echter, der Capricen 
voller Schwarmgeist. 



CIC. 



Seine Haupttrümpfe spielt er in seinem zweiten Theile 
aus, wo auf Grund der Motive a und c der überraschendste 
Schabernack, namentlich auch in metrischen Dingen ge- 
trieben wird. Der Bau des ganzen Satzes ist abweichend, 
aber einfach, nämlich : Hauptsatz und Trio zweimal. Der 
Hauptsatz wird zum dritten Male durchgespielt, auch das 
Trio setzt zum dritten Male ein, gelangt aber nicht über 
den zweiten Tact hinaus; sondern Beethoven schlägt ein 
Schnippchen und »spritzt die Feder aus«, wie Schumann 
sagte. 

Das Finale ist einer der ausgelassensten Sätze in 

der ganzen Musik. Es tollt daher wie von der Tarantel 

gestochen, jauchzt, schreit auf in wilder Lust: 
Aüegro conbrio. 




pocht auf in überschäumender Kraft 





und mischt auch in seine Grazie 
7^ einen Zug des Grotesken : 




jf'- ffi f ~rf T&T=^ c ?-^%y ^. EinformellesElement, 

welches sich an diesen Themen nicht einfach beweisen 
lässt, aber in ihrem Zusammenhang ersichtlich wird, ist 
die Hereinziehung ungarischer Rhythmen und Anklänge. 



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10t 



DieCombinationen, in welchen Beethoven das hier skizzirte 
Ideenmaterial entwickelt, streifen zum Theil ans Masslose: 
hervorgehoben sei unter ihnen der colossale Orgelpunkt 
beim Beginn der Coda. Manche Intentionen des Ton- 
setzers sind mit einer gewissen übermüthigen Hartnäckig- 
keit ausgeführt und auf die Spitze getrieben worden. Es 
lässt sich nicht leugnen, dass darunter auch die klangliche 
Klarheit und Ausführbarkeit des Satzes gelitten hat. 
L ▼ Beethoven ^ e acn * e Sinfonie (Fdur) beginnt ohne Einleitung 
Fdar-sinfonie Themen die eine laute Fröhlichkeit, ein Behagen, 
Nr. 8. aber noch nicht einen wirklichen Humor ausdrücken: 

Haoptthema. 
Allepro tItic«. 




=1^ 



Seitenthema. 




In dem Abschnitt b des Hauptthemas liegt sogar ein 
sinnendes, zögerndes Element, welches das zweite Thema, 
trotz seines tändelnden Eintritts, theilt und in fast stär- 
kerem Grade besitzt. Der Schalk kommt erst später und 
zwar am Schlüsse dieses zweiten Thema wo die Bässe 
dem Ritardando und dem Septimenaccord ein rasches 



Ende machen 




und Kraft und Leben in 



der Versammlung wecken. Doch bleibt dem ganzen 
Satze ein elegischer Rest — sehr schönen Ausdruck hat 
er in dem zweiten Seitenthema gefunden 




Der Hauptzweck der Durchführung ist ihm die weitere Aus- 
dehnung zu bestreiten, was in einer launig barschen Art auch 



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ausgeführt wird. Trotzdem behält er mit dem heimlichen 



Dem stark humoristischen Grundzug dieser Sinfonie 
zuliebe hat Beethoven auf einen langsamen Satz in ihr 
verzichtet und infolge dessen den Mittelsätzen dieses 
Werkes einen von dem an dieser Stelle Gebräuchlichen 
ganz abweichenden Charakter gegeben. Der zweite ist 
ein richtiges Allegretto; es hüpft auf Kinderfüssen dahin, 
jugendlich durch und durch, unschuldig und reizend, 
scheinbar wie in einem Zuge hingeschrieben. Es ist 
eins der genialsten und gewinnendsten Stücke im gra- 
ziösen Genre. Der dritte Satz ist eine echte Menuett 
im alten Schnitt, in halb liebevoller, halb humoristischer 
Hingabe an altvaterisches Wesen und Brauch ausgeführt. 
Wie getreu ist die gemüthliche Gravität und die Innigkeit, 

Tempo dl Meo. 

mit der vordem ge- ß + t: des Anfangsmotivs, wie 
tanzt wurde, in dem^fi^^? t" 1 = launig die Umständlich- 
keit, mit der angesetzt, ausgeholt und der Takt probiert 



klärter Dittersdorf, eine wunderliebliche Idylle aus der alt- 
wienerischen Musikantenzeit, über dessen Charakter der 
Ciavierauszug keine genügende Auskunft gibt. Es stehen 
in dem Satze manche kleine Scherze im Style der Dorf- 
musik in der Pastoralsinfonie. — Um allen Missverständ- 
nissen in der Behandlung dieses dritten Satzes vorzubeu- 
gen hat ihn Beethoven »Tempo di Minuetto« überschrie- 
ben d. h. nicht ein blosses Titularmenuett, wie sie Haydn 
oft schreibt, sondern eins mit der Poesie und dem Tempo 
der Spiessbürgerzeit! 

Das Finale, dessen Hauptthema: 



Schluss des Satzes: 




das letzte Wort. 



wurde, 
in dem 




L. Vi 



wir schon früher erwähnten, steht mit seinen thema- 
tischen Wurzeln, aber auch mit seiner Entwickelung, sei- 
nem leichten, schäumenden, geistsprühenden Wesen auf 
dem Boden Haydn'scher Kunst. Es ist ein ins Beet- 
hoven 'sehe ausgebauter und übersetzter Haydn; der jün- 
gere Meister hat den Pulsschlag etwas gesteigert, die 
Ueberraschungen noch um eine Nüance drastischer ge- 
macht, die Formen verbreitert und Gegensätze hinein- 
gestellt, die dem Alten fern lagen. Unter ihnen verdient 
neben dem zweiten Thema 




namentlich die lyrische Episode 



mit der schönen Abendstimmung hervorgehoben zu 
werden, welche nach den einander kurz folgenden beiden 



Fermaten eintritt. 



















L — ' 






-4 



Von der ersten Wiener Aufführung der achten Sinfonie 
Februar t814) heisst es »das Werk machte kein Furore«, 
aus andern Orten berichtete man, dass es weniger gefiel 
als die andern. 

Wenn in musikalischen Kreisen schlechtweg von der 
• Neunten« gesprochen wird, ist damit wohl immer die 
neunte Sinfonie von L. v. Beethoven gemeint. In diesem 
abgekürzten Sprachgebrauche spricht sich die Sonder- 



D moii-sinfonie Stellung, welche dieses Werk geniesst, deutlich genug 
mit SchluBschor aus g s w j rc [ m ft der neunten Sinfonie ein Cultus ge- 
trieben, der seinen Grund nicht ausschliesslich in dem 
eminenten Kunstwerthe dieses Werkes findet, sondern er 
hat einen nicht unbeträchtlichen Theil künstlicher Nah- 
rung in den Theorien erhalten, welche in neuerer Zeit 
an den ausserordentlichen Charakter der neunten Sin- 
fonie geknüpft worden sind. Die Behauptung, dass dieses 



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Werk beim ersten Erscheinen nicht verstanden worden 
sei, gehört, so allgemein hingestellt, ins Reich der Fabel. 
Aus London kamen ganz unverständige und niedrige Ur- 
theile ; in andern Städten, auch Leipzig, blieben die Mei- 
nungen bezüglich einzelner Punkte getheilt. Aber in 
Wien erregte die erste Aufführung des Werks (7. Mai 
1824), so roh und ungefeilt sie auch ausfiel, doch den 
höchsten Grad von Enthusiasmus. Und gerade der Ein- 
gang des Finale wird ein Moment des seligsten Genusses, 
ein Punkt genannt, an welchem Kunst und Wahrheit ihren 
glänzendsten Triumph feiern: das Non plus ultra des 
Werks. Das einzige und noch heute von Vielen getheilte 
Bedenken gegen die Sinfonie äusserte sich in dem 
Wunsche, dass es Beethoven gefallen möchte diesem 
wahrhaft einzigen Finale eine ungleich concentrirtere 
Gestalt zu geben. Nach Czerny soll Beethoven auch 
wirklich eine Umarbeitung dieses Satzes beabsichtigt 
haben. 

Der Hauptpunkt, in dem die neunte Sinfonie formell 
von den vorausgehenden abweicht, besteht darin, dass 
ihr Schlusssatz ein Gesangstück ist. Wie kam Beethoven 
dazu, eine Instrumentalsinfonie mit Singstimmen zu 
schliessen? Die von R. Wagner zuerst ausgesprochene 
Ansicht, weil er den Bankrutt der reinen Instrumental- 
musik erkannte und aussprechen wollte, scheint angesichts 
der Streichquartette und Ciaviersonaten, die Beethoven 
dieser Sinfonie (opus 125) noch folgen Hess, nicht halt- 
bar. Die einfache Antwort ist wohl die, dass Beethoven 
ursprünglich nicht eine neunte Sinfonie, sondern dass er 
Schillers Ode «an die Freude« componiren wollte. Die 
Skizzenbücher zeigen ihn frühzeitig mit diesem Gedichte 
beschäftigt, und schon i. J. 1793 schrieb Fischreich an 
Charlotte von Schiller: «Beethoven wird auch Schillers 
Freude und zwar jede Strophe bearbeiten«. Aber mit der 
besonderen Schwierigkeit, welche die gedankentiefe Poesie 
Schillers der musikalischen Behandlung entgegensetzt, 
wohlbekannt (wie seine gelegentlichen Aeusserungen be- 
weisen), kam es ihm darauf an, die Freude, welche der 



108 *~ 



Dichter feiert, musikalisch gründlich zu fundiren. Dies war 
eine Aufgabe für die Instrumente. Bei einer ähnlichen 
Gelegenheit der Chorfantasie) hatte er diese sich in der 
concertirenden Variationenform aussprechen lassen. Wenn 
er jetzt die Sinfonieform anwendete, so war dies kein 
durchaus neues Verfahren. Verbindung von Cantate und 
Sinfonie war auch von Anderen schon versucht worden. 
So von P. von Winter in seiner Schlachtsinfonie, die bei 
ihrem Erscheinen (1814), so schwer begreiflich das diesem 
Produkt aus Lärm und Trivialität gegenüber auch sein 
mag, viel Aufsehen erregte und Beethovens *> Schlacht bei 
Vittoria« an manchen Orten aus dem Sattel hob. Auch 
eine Sinfonie »Schlacht bei Leipzig« von Maschek (1 84 4) 
gehört zu dieser Mischgattung von Sinfonie und Cantate. 
Freilich war zwischen den Formen der Sinfonie Beet- 
hovens und der anderer Leute ein grosser Unterschied, 
und indem Beethoven für die Sätze, welche zur Vorbe- 
reitung, Begründung und Einleitung der Ode dienen 
sollten, seine gewöhnlichen Sinfonienmasse des Allegro, 
des Scherzo und des Adagio nicht nur beibehielt, sondern 
auch noch steigerte, erhielt Schillers Tempel der Freude 
einen so colossalen Unterbau, ein Fundament von solchen 
Dimensionen, solcher Selbstständigkeit und solchemReich- 
thum an eigner Schönheit, dass das Hauptwerk, welchem 
dies Alles dienen soll, leicht darüber vergessen werden 
kann. Wenn man aber einmal weiss und im Auge be- 
hält, wozu die ersten drei Sätze der neunten Sinfonie 
da sind, so ist es nicht schwer, ihre Beziehungen zu dem 
Grundgedanken zu finden. 

Bei der Entwickelung seines Themas beginnt Beet- 
hoven mit der Schilderung eines Zustandes, dem die 
Freude fehlt. Dies ist die wesentliche Idee des ersten 
Satzes. Mit der Formfreiheit, welche die Werke von 
Beethovens letzter Periode auszeichnet, setzt er zu- 
nächst ohne Thema ein. Es wogt und nebelt chao- 
tisch und unbestimmt über den berühmten leeren 
Quinten. Dann, erst nach 16 Tacten, steigt in finsterer 
Majestät, voll Kraft und Trotz, aber durch einen Zug 



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109 ^ 



des Leidens gezeichnet, die Heldengestalt dieses Allegro 
zu Tage: 




Welch heroischer Eintritt, wie langgemessen der Weg — 
aber wie sonderbar wirr das Ende! Das Thema setzt 
gleich darauf zum zweiten Male von einer anderen Seite 
ein, in Bdur, ohne sich aber wieder so breit zu ent- 



falten; Ketten, aus dem Motive f r f I gebildet, 

decken und vorbereiten den Aufmarsch seiner zweiten Hälfte. 
Es capitulirt am Schluss und überlässt unmittelbar das 
Terrain an das zweite Thema und seine Vorläufer 




Gedanken- und Formenwesen der neunten Sinfonie, und 
dieses ersten Satzes insbesondere, charakterisirt. Dieselbe 
dämonische Unruhe, welche Empfindung und Fantasie 
immer wieder aufjagt. Sie treibt hier aus dem Reiche 
milder Wehmuth, freundlichen Sehnens, tröstlichen Er- 



innerns fort in das Un--£_pjgn» 
gestüm des Kampfes 3VL } 



Unmittelbar 
daranreihen 



sich wieder Bilder des Friedens und des seligen Glückes 

etc. Alle Qual schlum- 
mert einen Augenblick ; aber auch aus dem sanft wiegen- 
den Traumgebilde treten Gegensätze erkennbar hervor: 





PP ~ J»JT 

Im Nu ist ein neuer Ausbruch da, in welchem diesmal 
die wild aufschlagenden Bässe die Führung übernehmen: 

Die Holzbläser 
suchen zu 




ver- 



iftU. 



be- 




schwichtigen; sie bitten um 
einen freundlicheren Ton: ijp| 

und erreichen es, dass der erste Theil des Satzes mit einer ge- 
wissen kräftigen Freudigkeit geschlossen wird. Die Durch- 
führung entrollt das Faustische Bild weiter: Suchen und 
nicht Erreichen, rosige Phantasien von Zukunft und Ver- 
gangenheit und die Wirklichkeit von einem Schmerz er- 
füllt, der seine Rechte plötzlich geltend macht! Der 
Durchführungstheil ist verhältnissmässig nur kurz: the- 
matisch wird er hauptsächlich getragen von Bildungen 
aus dem dritten und vierten Tacte des Hauptthemas. 
Das trübe Element tritt in ihm zurück, um mit vollster 
Kraft bei der Rückkehr in den Hauptsatz auszubrechen 
an jener Stelle, wo die Pauke 38 Tacte lang ihr d wir- 
belt; wo die beiden Theile des Orchesters heftig und wild 
gegeneinander angehen — einer Stelle, an welcher die 
Mittel der musikalischen Kunst den dämonischen Inten- 
tionen Beethovens kaum zu genügen scheinen. Am 
Schlüsse der Coda, in deren Mitte das Horn einen überaus 
freundlichen und zuversichtlichen Lichtblick fallen lässt, 
wird die freudlose Grundstimmung des Satzes zu voll- 



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-<»> I i 1 



ständiger Gebrochenheit. Wir glauben in der Melodie der 
Oboe einen Trauermarsch intonirt zu hören, bis die 
Klänge der anderen Instrumente stärker und stärker 
werden und noch einmal kurz, aber lapidar, Schmerz 
und Trotz neben einander stehen. 

Der zweite Satz nähert sich der Freude schon mehr. 

Er beginnt über / "°{?-° ^ - . . - ■ 
folgendem Thema ^^^~' ri= ^^ " f J 4fc£^M=- 

welches später auch in der Verkürzung von drei Tacten ge- 
brauchtwird, ein Fugato erst heimlich und leise: am Schlüsse 
im fröhlichsten und lautesten Tumult der dahinjagenden 
Instrumente. Nur auf einen kurzen Augenblick wird 
dieses muntere Treiben von Momenten müden Sehnens 



abgelöst ; die 
derb fidelen 




Tanzweisen der Bläser: 




denen die Streich- 



instrumente in kräftigen Streichen das Anfangsmotiv des 



vorigen Themas 



zujauchzen, ersticken sie sogleich. 



Der Mittelsalz, welcher das Trio vertritt, hat als Haupt- 
gedanken folgende Melodie 



Presto 




* — t — f — i f — &^~~r^~ f •* t f 






•4=' -J 









Er schlägt pastorale Töne an und 

spielt in seinen simplen Hirtenweisen auf ländliche Ver- 
gnügungen an, aber auch in mächtig mystischen Geigen- 
klängen auf Sonnenaufgänge und die erhabenen Freuden 
der herrlichen Natur. 

Das Adagio, der dritte Satz der Sinfonie, hat eine 
abweichende, nichts destoweniger aber sehr klare Dis- 



112 



Position. Sein Hauptthema, der inbrünstige Ausdruck 
eines edlen, frommen Sinnes, der in die andere Welt 
hinüber Fragen zu richten scheint, 



i 



Viol. 



Adagio. 

mezza voce —~ 



61 Surr 



Viol. 




BUicr Viol. rrt #<\ p 

hat die Länge des Periodenbaues, welche der Beethoven 
der letzten Periode liebt. Es schliesst nicht voll ab, 
sondern es schwebt unmittelbar in den Schooss des zwei- 
ten Thema über 

Andante. 



P/J~ irrti^ " V "' »to. 



PP irrte. 

welches auch äusserlich, nach Tonart und Tactart, die 
Kennzeichen einer völlig anderen Sphäre trägt. Nach 
dieser Themengruppe beginnen Variationen, zuerst über 
beide Hauptgedanken, dann über das erste Thema allein. 
Der ganze Satz strebt einer höheren Art von Freude zu: 
Da scheint ein Mensch zu träumen vom Himmel und 
vom Wiedersehen, von seinen Jugendtagen und von seinen 
Lieben. Aber Träume gehen zu Ende. Am Schlüsse der 
ersten ,2 ' 8 Tact-Variation verkünden Trompeten und Hörner 
mit einem plötzlichen Signal: 




die Nähe des rauhen Tages. 

Das schöne Bild verschwindet, und nun kommt im 
vierten Satze das, was Faust meint, wenn er sagt: »Des 
Morgens wach 1 ich mit Entsetzen auf«. Gedacht ist wohl 
ohne Zweifel der Anfang des Finale im unmittelbaren 
Contrast zu den Himmelsklängen des Adagio. Im mög- 
lichst schnellen Anschluss an das Ende des letzteren ver- 



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liert die wirre Fanfare, der Höllenlärm, mit welchem das 
empörte, heulende Orchester einsetzt, den Charakter des 
Unbegreiflichen, Capriciösen, am besten. Dieser wüste An- 
fang bedeutet den Rückfall in die chaotische Stimmung 
des ersten Satzes. Bässe und Celli warnen in kühnen, 
heftigen Recitativen. Jetzt suchen die Geigen und die 
Bläser nach rettenden Ideen. Die einen bringen eine 
Weise aus dem ersten Satz, die anderen aus dem zwei- 
ten, dann kommt ein Citat aus dem dritten. Nichts ge- 
fällt den Bässen. Endlich intoniren die Oboen etwas 
ganz Neues. Das findet Gnade bei den Vätern des Or- 
chesters. Nachdem sie ihre Zustimmung in einem letzten 
Recitative ausgesprochen, ergreifen sie selbst das Motiv 
und führen es zu einer breiten Melodie aus: 




Es ist dieselbe, zu der dann die Freudenode angestimmt 
wird, und die, rein oder variirt, den leitenden Faden des 
ganzen Finale bildet. Zunächst wird sie in einer Fuge 
durch das ganze Orchester geführt, ohne aber demselben 
auf die Dauer einen genügenden Halt bieten zu können. 
Denn es taumelt nach einem Moment des Herumirrens 
wieder zu jener Schreckensscene zurück, mit welcher der 
Satz begann. Da kommt weitere Hülfe. Es ist diesmal 
der Sänger des Barytonsolo, der mit den von Beethoven 
selbst eingeschobenen Worten »0 Freunde, nicht diese 
Töne — sondern lasst uns angenehmere anstimmen und 
freudenvollere« die Ordnung wiederherstellt. Und nun 
beginnt er den Hymnus in obiger volksthümlicher Melodie, 
in welche die anderen Solisten und der Chor dann ein- 
fallen. 



8 



t 



-> 114 

Von Schillers Ode hat Beethoven nur einige Strophen 
benutzt und aus ihnen eine Reihe musikalischer Bilder 
entwickelt. Er lässt die Creaturen jauchzen um Küsse 
und um Reben, er tritt mit dem Cherub vor Gott, er 
malt die Bahn, die der Held durchläuft in einem wilden, 
stürmischen Fugato, dessen Kampfgetöse in einem festen, 
sieghaften Pochen endigt. Der Refrain aller Scenen, die 
Beethoven ausführt oder skizzirt, ist das vom Chor wieder 
eingesetzte »Freude«. Am ausführlichsten hat Beethoven 
die Scene des Helden behandelt; die Rücksicht auf die 
Dimensionen des Satzes gestatteten leider nicht, mit 
allen Themen des Gedichts in gleicher Weise zu verfahren. 
Es steht Vollendetes und Angefangenes neben einander, 
und bei aller Begeisterung über die entzückende Schön- 
heit des Einzelnen empfinden wir, bewusst oder unbe- 
wusst, in der Totalform des Finale einen Mangel. Be- 
sonders weihevoll und hinreissend sind die Momente, in 
denen sich Beethoven dem Sternenzelt und dem himm- 
lischen Vater nähert, der darüber wohnt. Die Worte 
»Seid umschlungen, Millionen« hat er in eine Art Cere- 
monie gefasst, die da oben am ewigen Throne zu spielen 
scheint. Sphärenhaft sind ihre Schlussklänge. Die ir- 
dische Musik vergeht in dieser Nachbarschaft ganz ins 
Stille. Nur wie heimlich setzen die Solostimmen wieder 
mit ihrem »Freude, Tochter ausElysium« ein; bald aber 
gewinnt das Ensemble seinen Muth wieder und rauscht 
in einem Enthusiasmus einher, welcher immer stärker 
wird und schliesslich in einen völligen Freudentaumel 
übergeht. Dieses Schlussbild hat Beethoven in dem rea- 
listisch schwungvollen Style ausgeführt, der mit ihm' zu- 
erst in die Tonkunst eintrat. 



III. 



Nebenmänner und Gefolge der Classiker. 
Vorläufer und Hauptvertreter der Romantik. 



ie allgemeine Musikgeschichte pflegt bei dem Ca- 
pitel »Sinfonie« schnellen Schrittes von Beethoven 
auf Mendelssohn überzugehen. Nur Schubert und 
Spohr werden als Zwischenglieder kurz berührt. Es ist 
jedoch interessant und vom historischen Standpunkte aus 
sogar nothwendig, etwas länger bei dem Kreise schöpfe- 
rischer Talente zu verweilen, deren Werke für die her- 
vorragenden Leistungen der classischen Führer den Hinter- 
grund bildeten. 

Der Umbau der Sinfonie aus einer einfachen Ge- 
legenheitsmusik zu einer Tondichtung grössten Styls hatte 
sich in dem verhältnissmässig kurzen Zeitraum von sechzig 
Jahren vollzogen. Das musikalische Publikum lebte sich 
wunderbar leicht in die Veränderung hinein, und geradezu 
erstaunlich ist es, wie schnell und richtig das Verhältniss 
zu Beethoven festgestellt wurde. Man ehrte in ihm eine 
Ausnahmeerscheinung. Beethovens Sinfonien sind die 
einzigen ihrer Zeit, von welchen die Partitur gedruckt 
wurde. Das Hauptbedenken, welches sie verursachten, 
war ihre grosse Schwierigkeit : Die Dilettantenorchester, auf 
welchen die Existenz der damaligen Concertgesellschaften 
ruhte, waren diesen Werken gegenüber quantitativ und 
qualitativ zu schwach. Der bekannte Hofrath Andre" gab 

8* 



-o- 116 «~ 

diesem Bedenken den stärksten praktischen Ausdruck, 
indem er eine kleine Serie von »leichten« Sinfonien ver- 
öffentlichte. In einer derselben folgt in der Menuett auf 
einen Walzer als Hauptsatz das Trio in Form eines figu- 
rirten Chorals. Trotz Andr£ und trotz der Schwierigkeit 
blieben aber die Beethoven'schen Sinfonien an der Spitze 
des Repertoirs, über Haydn und Mozart sogar, und die 
Orchester wurden ihnen zu Liebe mit grossen Kosten all- 
mählich umgebildet. 

In den Kreisen der Componistcn forderte der Ueber- 
gang in die neue Periode seine Opfer. Die Zahl der 
Stimmen im Sängerwalde minderte sich und ganze Ge- 
schlechter verschwanden. Es war aus mit einer »Sinfonie 
mit Guitarre« und mit ähnlichen Curiositäten : es war aus 
mit den alten, rauschenden Theatersinfonien, aus mit 
den concertirenden Sinfonien und den harmlosen Diver- 
tissements, welchen bisher ebenfalls der Titel Sinfonie 
erlaubt war. Wenn jetzt die Brandt, Braune, Blyma, 
Weyse, Kuffner und die andern Matadoren des leichten 
Styis an die Thüren der Concertsäle klopften, so scholl 
ihnen, wie dem Tamino in der Zauberflöte ein energisches 
»Zurück« entgegen. Es kamen Zeiten, wo es der Kritik 
gar nicht recht zu machen war, wo diejenigen, welche 
sich in Beethovens Pathos versuchen wollten, schlecht- 
weg »schwülstig«, die Anhänger Haydns als »kindisch« 
gescholten wurden, wo man die Form der Sinfonie für 
erschöpft erklärte und wo fast jede Recension eines 
neuen Werkes den melancholischen Anfang: »Wer jetzt 
noch mit einer neuen Sinfonie hervortritt, der etc.« trug. 

Diejenigen Männer, welche sich unter so erschwerenden 
Umständen als Sinfoniker zu behaupten wussten, welche 
neben den Classikern auf dem Repertoir standen und 
nach Beethoven einen Platz zu erringen wussten, ver- 
dienen nicht ganz vergessen zu werden. Die Nebenmänner 
der Classiker haben auch ihre historische Bedeutung. Sie 
leisteten den Führern Lehns- und Missionsdienste; das 
Gefolge hielt den Glauben an eine weitere Zukunft der 
Kunst aufrecht. 



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Unter den Tonsetzern, welche die genannten Kate- 
gorien bilden, lassen sich zwei Schulen unterscheiden. 
Die eine ist die Wiener, die andere die norddeutsche 
Schule. 

Die Sinfonien der Wiener Schule vertreten, wie vor- 
auszusetzen, den heiteren Charakter der Musik. In ihrem 
Rhythmus und in ihrem Figurenwerk herrscht ein rascher, 
feuriger Geist, die Melodien sind in der Mehrzahl flott 
und munter und geben dem Frohsinn und der Lebens- 
lust einen naiven und herzlichen Ausdruck. Es lebt 
in der Wiener Schule ein starker volkstümlicher Zug. 
Ein gewisser Localdialect klingt durch, derselbe, in wel- 



zuweilen ebenfalls sprechen. 

Die Repräsentanten dieser Wiener Schule sind auch 
der Nationalität nach grösstentheils Oestreicher und Süd- 
deutsche: die Namen einzelner sind mit in die Lebens- 
geschichte Haydns, Mozarts oder Beethovens verflochten. 

Die an Haydn unmittelbar anknüpfenden Vertreter 
derselben: Gyrowetz, Rosetti, Pleyel, Wranitzky, 
Hoffmeister hat schon Riehl in seinem Capitel über 
»Die göttlichen Philister« geschildert. Ihnen ist noch 
Krommer anzureihen, der, durch die unglaubliche Po- 
pularität und Verbreitung seiner Quartette und Quintette 
mitgetragen, auch als Sinfoniker weiter drang und sich 
länger hielt als die genannten Schulgenossen. Seine Sin- 
fonien sind denen Haydns im Allgemeinen sehr ähnlich, 
aber von einer niedrigeren Bildungsstufe aus entworfen 
und durchgeführt. Die Form hat grosse Mängel, die Ge- 
danken verrathen die derbe Atmosphäre der Zauberoper. 
Gegenwärtig wenig bekannte, aber im Repertoir ihrer Zeit 
angesehene, durch Specialzüge interessante Sinfoniker der 
Wiener Schule sind: Sterkel, Witt, Wölfl, Wilms. 



chem Haydn — z. B. in ^r fff-ff 



Allepro. 



Allegro. 

und Mozart — in 




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118 



Das Oestreichische vertritt unter ihnen am ausgepräg- 
testen WölfTl, Mozarts Salzburger Landsmann: anmuthig, 
gemüthlich, zuweilen intim; auf der Kehrseite nachlässig 
und unselbständig. Bei Sterkel tritt noch der italienische 
Bildungsgang in Melodien und Formen hervor. Witt ist 
ein kleiner Berlioz, ausgezeichnet durch Experimente und 
Künste der Instrumentirung: ganze Adagios mit Pizzicato 
in den Allegros: grosse Trommel und türkische Musik! 
Wilms überragt die Genossen durch seine leidenschaft- 
lichere Natur, welche sich musikalisch in grossen, kühnen 
Crescendos und breiten Zwischensätzen äussert. Der be- 
deutendste Wiener aus der Blüthezeit der Classiker ist 
Eberl. Hin nannte man unter den Grössen der Gat- 
tung und verglich ihn mit Beethoven, mit dem er die 
Gewohnheit theilte, auf Spaziergängen zu componiren. 
Eberl's thematische Erfindung ist wenig originell, viel- 
fach auf Mozart dircct gestützt, die Figuren bildung alt- 
väterisch und schablonenhaft. Aber in seiner Harmonik, 
in der Steigerung des Ausdrucks, im gewaltigen Aufbau 
der Perioden, in den zarten Einschaltungen der Schluss- 
theile, in der ganzen Handhabung der Form, lebt ein eige- 
nes und starkes poetisches Talent. Eberl starb jung; sein 
Ruhm als Sinfoniker ruht nur auf wenigen Werken, von 
denen die Sinfonie in D dur ihren Schöpfer lange überdau- 
erte, auch draussen «im Reich«. In ihrer dreisätzigen Form, 
in dem Violinsolo des Adagio hängt sie noch mit der 
alten Vor-Haydn'schen Periode zusammen; originell ist 
sie in der Disposition des ersten Satzes, welcher zwischen 
der langsamen Einleitung und dem eigentlichen Allegro 
in anziehenden Nüancen einen sehr hübschen Marsch vor- 
überführt; prächtig in ihrem Klang. 

Der geistige Einfluss Beethovens lässt in der Wiener 
Schule sehr lange auf sich warten. Nur Wilms und 
Eberl zeigen unter den Genannten leise Beziehungen zu 
S. Neukomm. ihm. S. Neukomm, ein directer Schüler J. Haydns, in 
den Concertsälen Deutschlands bis in die Dreissiger 
Jahre hinein eine gern gesehene Erscheinung — nament- 
lich seine Orchesterphantasie in D, eine zweisätzige Com- 



■ 11« 



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119 ^ 



Position, in der das concertirende Element viel zur Gel- 
tung kommt, war sehr beliebt — schrieb noch im Jahre 
4 818 eine Sinfonia eroica. In ihren Schlusssatz ist Hän- 
deis »Seht er kommt etc.« eingearbeitet. Als endlich 
Beethoven von den Wienern eifriger studirt wurde, wirk- 
ten zunächst die Aeusserlichkeiten des grossen Vorbildes. 
So wurden von Wien aus, dann weit und breit, die Po- 
saunen in den Sinfonien endemisch. Die Dotzauer, Rei- 
cha, Maurer, Moralt — allerlei Talente, voran die klei- 
nen, griffen zu den grossen Instrumenten. Als typisch 
für die einreissende Tonverschwendung können die Sin- 
fonien von C. Czerny betrachtet werden. Diese beiden C. Cierny. 
platt behaglichen, lärmenden Werke tragen die Opus- 
zahlen 750 und 78i ! Aus dem grossen Citatenvorrath 
der ersten (in C moll) ist eine Reminiscenz von Schuberts 
»Erlkönig« kunstgeschichtlich bemerkenswerth ! Ein andrer 
directer Schüler Beethovens, der bekannte Ferdinand F. Biw. 
Ries copirt stylistische Eigenthümlichkeiten des Meisters, 
besonders seine Ueberraschungseffecte : Plötzliche Unter- 
brechungen der Fortepartien — die Geigen schaukeln 
Tacte lang auf leisen Accordnoten — dann eine unver- 
muthete starke Dissonanz, aus der sich aber nichts Beet- 
hoven'sches entwickelt: »Parturiunt montes etc.«! Es 
ist einfach nicht zu verstehen, dass die Kritik in den 
Zwanziger Jahren Ries so lange und so nachsichtig als 
»geistreichen« Componisten passiren Hess. 

Der erste Tonsetzer, welcher im höheren Sinne als 
Beethovens Schüler bezeichnet werden kann und welcher 
zugleich die Wiener Schule und ihren Localton als einer 
der Letzten und als der Glänzendste vertritt, ist Franz F. Sohnbert. 
Schubert. 

Das Hauptwerk unter Franz Schuberts Sinfonien ist 
die grosse Sinfonie in Cdur, welche in der Reihe der 
übrigen die Nummer 7 trägt. Sie ist ein Ausnahmewerk: 
in der Breite ihrer Formen, in den unaufhörlichen Wieder- 
holungen ihres Periodenbaues, in ihrer »himmlischen 
Länge«, wie sich R. Schumann euphemistisch ausdrückte, 
etwas monströs; meisterhaft und genial, wie keine andere 



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* 120 *~ 



F. Schubert 

Cdnr-Sinfonio 
Nr. 7. 



seit Beethoven, in der musikalischen Erfindung, in der 
Stärke des melodischen Stroms, in der Fülle schwärme- 
rischer Weisen , in der Ursprünglichkeit und dem Reich- 
thum origineller Tongedanken, die auf Schritt und Tritt 
in diesem Werke entgegensprossen ; liebenswürdig und un- 
widerstehlich wie eine heitere, herrliche grossartige Frühlings- 
landschaft nach der Natur ihrer Phantasie und Stimmung. 

Die Sinfonie beginnt mit einer ausgeführten Einlei- 
tung, welche die Hörner romantisch eröffnen: 

Andante. 




p * ' pp 

Die Holzbläser nehmen diese fragende Melodie zunächst 
auf, die Celli setzen sie fort. Dann beginnt eine Durch- 
führung über die zwei ersten Tacte des Thema. Dieser Discurs, 
von den Holzbläsern schüchtern und zagend, von dem Gros 
des Orchesters mit starker Entschiedenheit und einer ge- 
wissen robusten Pracht geführt, endigt mit einem Schluss- 
resultat, welches in dem ersten Satze zu grosser Be- 
deutung gelangt. Es ist das freudig zuversichtliche Motiv 




der triumphirende Refrain in der 



Dichtung des ersten Satzes. Mit ihm scheint der Berg über- 
stiegen. Ohne Aufenthalt, mit förmlichem Ungestüm geht es 
über in das Allegro, das wie in den Strahlen der Morgen- 
sonne vor uns glitzert und flimmert. Ritterlich stolz die Geigen : 

vor freudiger Erwartung 
bebend die Holzbläser: 

so bauen die 
beiden Theile 

des Orchesters das lange Thema vor uns stückweise auf. 
In seiner zweiten Hälfte giebt es einer grossen Freude 
immer kühneren und rauschenderen Ausdruck: 





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121 4»- 



Echt Schubertisch ist der Abschluss dieses Bildes und der 
Uebergang ins Nächste. Zwei Tacte im Decrescendo 
gehalten — und wir sind aus dem C dur und dem Sturme 
des vollen Orchesters in E moll ! Das zweite Thema setzt 
beschaulich und mit jenem kleinen Anflug von Melancholie 
und Sehnsucht ein, der Schubert immer begleitet: Die 
stark beschäftigten, in dieser Sinfonie fast überbürdeten 
Holzbläser tragen es 




Erst nach 33Tacten 
gelangt es ans Ende 

und in die für diese Stelle zu erwartende normale Tonart 
Gdur. Eigenthümlich ist, dass Schubert schon hier eine 
Durchführung, wenn auch nur eine kleinere, einschaltet. 
Darin zeigt sich deutlich der Einfluss Beethovens. In 
dieser Durchführung durchstreift der Componist einen 
ausserordentlich weiten Ideenkreis. Die Holzbläser 
und das Streichorchester bringen mit dem munteren: 



r ^ ftj^j js naiv fröhliche Klänge; die Po 



saunen 




dicht daneben mysteriös schauerliche 

Es ist wie Vogelzwitschern und Waldesrauschen in einer 
Stunde, wo die Natur einschläft. Die beiden Motive sind 
durch kurz zugesetzte Auftacte aus früher aufgestellten 
Themen gebildet: das erste aus dem zweiten Thema, das 
Posaunenmotiv aus dem zweiten Tacte der Einleitung. Ein 
ganz eigner und neuer Zug an diesem Sinfoniesatze ist die 
innige Verbindung des Allegro mit der Einleitung. Dies oben 
unter b. gegebene Refrainthema aus der Einleitung schliesst 
die kleine Durchführung, von welcher hier die Rede ist. 
Es schliesst auch die grosse, die eigentliche Durchführung, 
welche nach ihr beginnt — etwas düster und in Moll 
gehalten — und am Schlüsse des ganzen ersten Satzes 
steht herrlich und in vollem Glänze die Melodie vor uns, 
mit welcher die Hörner die Sinfonie begannen. In 



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1 22 



der grossen Durchführung des ersten Satzes ist 



eine 



Combination 
des Motivs 



i f r-r mit einem andern aus 
'W^'-t-f— t ' 'T f dem ersten Thema des 




zube- 



Allegro 

merken. Nach der Reprise kommt eine Coda, welche in 
gesteigerter Empfindung noch einmal auf den freuden- und 
erwartungsvollen Eingang des Allegro einen Blick wirft. 

Das Andante der Sinfonie, ihr zweiter Satz :Amoll 2 /< 
besteht aus zwei grossen Gruppen. Das führende Thema 
der ersten ist folgendes: 

«' - Ob. 





Es hat einen Ab- 
schluss in Dur, der 

ätcretc. 

ins Land des Glücks und ungetrübten Friedens weist: 

tt t 




JJJ, 

Zu diesem Hauptthema tritt ein zweites, in welchem die 
Gegensätze des erstem gesteigert und näher an einander 

■SSL? ö^tÄtt. 

Der zweiten Gruppe ist ein ruhigerer Charakter eigen . 
Aus ihr klingen Töne der frommen Andacht und einer 
erhabnen Feierlichkeit, und an einzelnen Stellen herrschen 
ein Ernst und eine Resignation, aus denen die Gedanken 
an das Jenseits zu sprechen scheinen. Wir stehen wie 
durch Magie vor diesem neuen Bilde. Mit einem jener 
kleinen neuen Harmonie wunder, an denen Schubert so 
reich ist, führt er uns von A- nach Fdur. Das Haupt- 
thema dieser zweiten Gruppe ist das folgende: 
in? i , Vio1 - 

II. Viol. 




pp 



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123 *~ 



Es wird sofort nachdem es aufgestellt ist in kleinen 
Sätzchen motivisch entwickelt. Der Wechsel zwischen 
den zwei Chören des Orchesters, den Bläsern und den 
Geigern, gieht diesen Sätzchen ihre charakteristische 
Form. Von einer besonderen Schönheit ist die Schluss- 
partie dieser zweiten Gruppe, ihr sanfter wehmüthiger 
Abschiedscharakter, das fast übersinnliche Klangbild, in 
welchem Schubert hier mit den immer leiser, immer 
stockender gebrachten Tönen des Hornes und des Streich- 
orchesters das Verschwinden der himmlichen Vision ver- 
anschaulicht. 

Die beiden Gruppen des Andante werden nach die- 
sem Momente ein zweites Mal vorübergeführt. Bei die- 
ser Repetition besteht eine Hauptveränderung darin, dass 
die wilden Elemente des oben mit b. bezeichneten The- 
mas der ersten Gruppe einen breiten Spielraum erhalten. 
Sie treiben es bis zu einer sehr bedenklichen Spitze. 
Von ihr aus finden die Celli mit einer rührenden Va- 
riante des Thema a. den Uebergang nach der zweiten 
Gruppe, welche diesmal in Adur gehalten ist. — Trotz 
der unendlich vielen Wiederholungen im Kleinen ist die 
Disposition des Andante eine knappe und einfache. 

Das Scherzo, der dritte Satz, erscheint bei Weitem 
complicirter. Namentlich der zweite Theil seines Haupt- 
satzes übertrifft in der Menge der hier zusammentreten- 
den Ideen und in der Länge seiner Ausführung auch die 
kühnsten Beethoven'schen Vorbilder. 

Den Anfang des Scherzos macht ein Wechselspiel 
zwischen Bläserchor und Streichorchester, welchem fol- 

gendes Motiv ; ' 
zu Grunde liegt 



* * * * * * * * * * * * * " */ 

Die Violinen, zuerst etwas barsch und burschikos, lenken 
dann in den zärtlicheren Ton der Blasinstrumente ein und 
schlagen schmeichelnd eine liebenswürdige Tanzmelodie vor 





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124 *~ 




etc., welche jene mit Achtelgewinden aus 



dem Hauptthema umkränzen. 

Der zweite Theil des Hauptsatzes setzt die reizenden 

_ _ _ ._. _ « • • . • 



kurzer Gedanke von 
grosser Innigkeit: 

Das bewegte Treiben des Scherzo erhält durch das 
Trio eine köstliche Unterbrechung. Die Bläser tragen 
einen langen, gefühlvollen Gesang vor, dessen Haupttheil 
auf folgender Melodie ruht: 




Das Finale setzt mit einem humoristischen Allarm- 



Allegro vl^cc 




signal folgendermassen ein v . 

Von allen Seiten wird zum Aufbruch gerufen. In der 
zweiten Hälfte des Hauptthema: 




sehen wir den ganzen Orchesterzug in vergnügter Be- 
wegung. 

Im zweiten Thema nimmt die frohe Stimmung des 
Satzes einen sehr behäbigen Ausdruck an: 



125 




An dieser Melodie hat Schubert ein ersichtliches be- 
sondres Wohlgefallen gehabt; namentlich auf den breit 
daher schlendernden Anfang in halben Noten greift er 
immer wieder zurück: Dröhnend und mit mächtigem 
Nachklang schlagen sie uns aus den Bässen entgegen 
und führen die Gedanken von dem dunkleren Wege, den 
sie in der Durchführung streiften, wieder in heitere Sphären 
zurück. Aussergewöhnlich frei tritt die Reprise ein: mit 
dem ersten Thema in Esdur anstatt in der Haupttonart 
C. Namentlich das Finale ist derjenige Satz der Sinfo- 
nie, an welcher sich das Uebermass breiter Ausführung, 
welches dem Werke eigen ist, empfindlich macht. Ohne 
irgend einen neuen Zug zu bringen, setzt der Schluss 
dieses Satzes immer wieder an und wiederholt in immer 
andern Tonarten die zur Genüge oft vorgetragnen Ge- 
danken. Es ist dies ein Mangel, der von der Ueber- 
schwänglichkeit Schuberts, die uns häufig genug selige 
Momente bereitet, nicht zu trennen ist. Die Cdur-Sin- 
fonie bleibt trotzdem eins der reichsten und beliebtesten 
Kunstwerke. Aber man würde sie wahrscheinlich häu- 
figer aufführen, wenn sie kürzer wäre. 

Schubert schrieb diese Sinfonie im Jahre 4 828, we- 
nige Monate vor seinem Tode; aber erst 10 Jahre später 
wurde sie der Oeffentlichkeit bekannt und zwar auf 
Schumanns Veranlassung. Eine noch viel längere Warte- 
zeit haben die übrigen Sinfonien Schuberts durchmachen 
müssen. Erst im Jahre 1865 kamen die beiden Sätze 
zur Aufführung, welche von der Hmoll-Sinfonie vornan- P. Schillert 
den sind. Dass das Werk nicht ein Fragment bleiben H moil-Siufunie. 
sollte, ist unzweifelhaft. Die Originalpartitur enthält noch 
9 Takte als Anfang des Scherzo. Der Entstehungszeit 
nach dem Jahre 1822 angehörend, also 6 Jahre älter als 
die grosse Gdur-Sinfonie, ist sie dieser doch an künst- 
lerischer Vollendung überlegen: gedrungen in der Dar- 
stellung und frei von den formellen Mängeln der be- 



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126 ^- 



rühmten Schwester. Es ist eine Eigenheit der künst- 
lerischen Entwicklung Schuberts, dass sie in Sprüngen 
auf und abwärts ging. Dem Inhalt nach ist die Hmoll- 
Sinfonie mit der grossen in C gar nicht zu vergleichen. 
Hier steht der schwermüthige Schubert vor uns und ent- 
rollt uns in kurzen und ergreifenden Zügen das Bild 
einer leidenden Seele. Manche Stellen im ersten Satze 
weisen direct auf »Gretchen am Spinnrade« hin, sogleich 
das erste Thema, in welchem unter dem sehnsüchtigen 
Gesang von Clarinette und Oboe {unisono; 

Allegro moderato. 




die Geigen auf träumerisch belebtem Sechzehntelmotiv*) 
hin und herschaukeln. Das zweite Thema, eine ländler- 
artige Melodie, setzt dann mit unbeschreiblichem Wohl- 
klang in den Celli ein 




Erinnerung in Beschlag: es ist für seine Stelle fast zu 
schön und macht uns die erschütternden Gemüthsaus- 
brüche vergessen, welche doch seine Fortsetzung bilden: 




Der zweite Satz, Andante con moto (E dur 3 /h) bringt 
»himmlischen Balsam« in einfachster Schale. Die 
Melodie, auf welcher sein Hauptthema im Wesent- 

Anda nte con m oto. 

liehen ruht, ist ein schlich- 
ter, frommer Kindergesan^ : , 
Das zweite Thema tritt mit den Fragen eines beschwer- 

*) In der Partiturausgabe sind an dieser Stelle mit bemer- 
kenswerther Pietät auch einige offenbare Schreibfehler Schuberts 
conservirt worden. 




127 *~ 



ten Gemüths dagegen hin. Sie haben in der harmoni- 
schen Führung dieser Partie einen bewunderungswürdigen 
Ausdruck erhalten. Der ganze Satz ist das glänzendste 
Document für die Tiefe des Schubert'schen Geistes, für 
den erstaunlichen Reichthum einer Natur, in welcher 
neben der vollen Naivetät des Kindes aus dem Volke 
auch jene Grösse der Empfindung wohnte, die Beethovens 
Theil war. 

Seit kurzer Zeit liegen uns in der verdienstvollen 
Schubert- Ausgabe*) auch die Partituren der übrigen sechs 
Sinfonien vor, welche Schubert ausser den beiden hier 
geschilderten und in der Praxis eingebürgerten geschrie- 
ben hat. Von einer: der Cdur-Sinfonie Nr. 6, welche in p, Schwert 
ihrem ersten Satze Weber'schen Einfluss. im letzten Ver- edur-sinfonie 
wandtschaft mit dem Finale der siebenten zeigt, wissen (Nr. «). 
wir das Entstehungsjahr nicht genau, wir dürfen es aber 
nach 4 822 setzen. Die andern fünf fallen in die Zeit 
von 4 84 3 bis 4 846, ohne dass sich in der Reihenfolge, 
in der sie entstanden, eine fortschreitende Entwickelung 
verfolgen Hesse. Dem grossen Sinfoniestyle Beethovens 
nähert sich Schubert am meisten in der Bdur-Sinfonie F. Schubert 
(Nr. 2) vom Jahre 4 84 4. Hier strebt er dem grossen b dur-Sinfonio 
Meister in dem breiten Entwurf der Perioden nach; ja (Nr. 2). 
das Hauptthema des ersten Satzes ist direct aus einem 
ähnlichen im Finale von Beethovens vierter Sinfonie 
hervorgegangen. Gleichzeitig zeigt auch diese Sinfonie 
das Eigene und das Wienerische in Schubert am stärk- 
sten, vornehmlich das Andante mit den Variationen: 

i, " An ? tn ^~- S*~r. — unt * ^as ^eck 

£ _j_-f TT f {T C'-" - ff < i f jg==g dahinsprühende 
•F fcJ " r_ Finale: 

Diese Bdur-Sinfonie hat von allen der nachgefun- 
denen die ersten Chancen im Concertsaale heimisch zu 
werden. Alle die neugefundenen Sinfonien haben ihre 

*) Leipzig, flreitkopf & Härtel. 



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128 ^ 



interessanten Einzelheiten in Beziehungen auf andere 
F. Schubert berühmte Werke ihres Componisten: die erste (Ddur v. 
Sinfonien Nr. 1 j. 4 m 3} in dem zweiten Thema des Finale, das mit dem 
nnd3 ' Lied von der Forelle bestimmte Züge theilt, die dritte 
(Ddur v. J. 1815) durch einen Anklang an die grosse in 
G dur. Gemeinsam ist ihnen die Meisterschaft im Colorit, 
die angeborene Genialität in der Mischung und Verwen- 
dung der Instrumente und ein ausgeprägter Zug von 
Lebensfreude. Eine Ausnahme von der letzten Eigen- 
schaft macht nur die vierte Sinfonie (Cmoll v. J. 1816). 
Z. Schubert Sie ist »tragische Sinfonie «■ überschrieben und als ein 
TragiHche Sin- Versuch in diesem Style zu betrachten, wobei Muster wie 
fonie. Beethovens Ouvertüren zum Coriolan und zum Egmont 
und die Cherubini's zur Medea zum Grunde gelegen 
haben. Vom eigentlichen .Wesen tragischer Musik ent- 
hält sie jedoch weniger als die unvollendete Sinfonie in 
Ilmoll. 

Die norddeutsche Schule unterscheidet sich im In- 
halte von der Wiener durch eine Neigung zum höheren 
Pathos. Sie ist ruhiger und ernster, zuweilen etwas 
trocken. In Form und Styl übertrifft sie die andere 
durch Gediegenheit und Solidität und verräth einen Zu- 
sammenhang mit jener Berliner Contrapunktistenpartei, 
welche unter der Führung Kirnbergers den ersten Triumphen 
Haydns mit dem Feldgeschrei »Sebastian Bach« entgegen- 
trat. Die Sinfonien dieser Schule sind reich an Imita- 
tionen und Umkehrungen und an Fugenpartien. Sie tra- 
gen die strenge Arbeit gern zur Schau; ja es giebt Werke, 
in welchen das gelehrte Element sich ganz zum Herrn 
macht. Ein charakteristisches Product dieser Richtung ist 
Abt Vogler, die C dur - Sinfonie des Abt Vogler, in deren Finale 
die diatonische Scala als Thema durchgeführt wird. Das 
Werk genoss von seinem Entstehungsjahre 1815 bis nahe 
an die neueste Gegenwart heran ein grosses Ansehen. 

Trotz ihres natürlichen Gegensatzes zu der Wiener 
Schule schloss sich die norddeutsche keineswegs gegen 
die Classiker ab: Mozart war das Ideal, von welchem 



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129 -ö>- 



sie ausging, und eins ihrer historischen Verdienste be- 
steht darin, dass sie sich zum Träger des Beethoven - 
Geistes machte. 

Die ersten Vertreter der norddeutschen Schule sind 
die beiden Romberg und Fr. Schneider. Andreas A. Bomberg. 
Romberg, der Componist der »Glocke«, galt als der aner- 
kannte Führer. Von seinen Sinfonien, unter denen sich 
auch eine mit Janitscharenmusik befindet, ist die in D, 
welche Jahre lang ein Liebling der Orchester war, be- 
sonders hervorzuheben. In ihrem ersten Satze, welcher 
in freier und selbständiger Weise an die tragischen Mo- 
tive des Don Juan anklingt, zeigt sie die der Schule 
eigentümlichen ernsten Züge ausserordentlich deutlich. 
Sein Vetter Bernhard Romberg, einer der grössten B. Bömberg. 
Cellospieler seiner Zeit, heute noch durch seine Kinder- 
sinfonie weit bekannt, hat sich in der Gattung der höhe- 
ren Sinfonie durch die »Trauersinfonie auf den Tod der 
Königin Louise« ein rühmliches Denkmal gesetzt. Ohne 
Choräle, Begräbnissgesänge und äusserliche Hülfsmittel 
wird hier eine erhebende Todtenfeier vollzogen, der lei- 
denschaftliche Schmerz und die sanfte Klage haben den- 
selben natürlichen schlichten Ausdruck gefunden ; wahres, 
echtes Gefühl und edle Haltung machen diese Sinfonie 
zu einem hervorragenden Kunstwerk. Nach Geist und 
Styl erinnert es an Mozarts »Maurerische Trauermusik.« 
Friedrich Schneider war einer der Ersten, welche in Fr. Sohneider. 
Beethovens Fusstapfen zu treten suchten. Vom Jahre 1803 
ab hat er über vier Jahrzehnte lang das Gebiet der Sin- 
fonie gepflegt und in den Scherzi oft eine bedeutende 
Höhe erreicht. Die Zahl seiner Sinfonien beträgt gegen 
zwanzig. 

Als der letzte und bedeutendste Vertreter des ur- 
sprünglichen Styles der norddeutschen Schule ist W. 
Kalliwoda zu betrachten, der von der Mitte der zwan- W. Kalliwoda. 
ziger Jahre ab ein Vierteljahrhundert hindurch einen 
bedeutenden Platz im Repertoir einnahm. In ihm schien 
das Geschick wieder einen Meister ersten Ranges be- 
scheeren zu wollen. Vielseitig, auf jedem Gebiete sicher, 

9 



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~* 130 * 



oft neu. originell und doch natürlich und einfach, macht 
er wiederholt den Eindruck eines Auserlesenen und 
nähert sich der letzten Stufe zur Unsterblichkeit. Obwohl 
das eminente Talent Kalliwodas nicht zu seiner vollen 
Entfaltung gelangt ist und in fast jedem seiner Werke 
ein unfertiger Rest bleibt — hier die übermässige Breite 
der Ausführung, dort die Ungleichheit der Theile — ist 
doch das Studium seiner Sinfonien sehr genussreich. 
Jede enthält Perlen und Proben einer musikalischen Ur- 
kraft. In der ersten Sinfonie Kalliwodas {Fmoli machen 
wir auf die schöne Einleitung und das naiv kräftige 



aufmerksam. Ihr Scherzo hat in dem Hauptthema 
.4 . ;, , n lV _ aC< i » g f if f g i f i eme zufällige Aehnlich- 



den Satze der Schumann'schen /^-mo//-Sinfonie. Diezweite 
Sinfonie Kalliwodas zeigt bedeutende Fortschritte in der 
Form. Die Verbindungsgruppen sind gedankenvoller ge- 
worden und können der Stütze durch Figurenwerk entrathen. 
Der poetische Glanzpunkt des Werkes liegt in der kleinen 
Coda des Larghetto, welche der scheinbar schon ge- 
schlossenen Darstellung nocli einen ganz neuen traulich 
herzlichen Gedanken in Canonform nachsendet. Die dritte 
Sinfonie Kalliwodas darf im Allgemeinen als ein Haupt- 
werk aus der Periode ihrer Entstehung 1831 bezeichnet 
werden. Leider ist der letzte Satz den vorhergehenden 
nicht ebenbürtig und in allen wünscht man die Darstel- 
lung etwas gedrungener. Ohne diese Mängel würde sie 
für alle Zeiten die Repertoire zieren können. Viele Par- 
tien haben Beethovens grossen und kühnen Zug; im zwei- 
ten Thema des ersten Satzes glauben wir uns direct in 
die Sphäre der Rassumowsky - Quartette dieses Meisters 
versetzt. Der erste Satz ist einer der charaktervollsten 
Sinfonie-Sätze, die je geschrieben worden sind; in seiner 
blüthenlosen Starre und Strengehat er kaum seines Gleichen. 



(zweite; Themades 
ersten Satzes: 




Allegro 




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AlUgro. 

nernes Hauptmotiv J "" I ' ' ° ' -"_L~' 

welches schon fremdartig in die Einleitung hineinklingt, 
gehört zu jener Classe von Themen, mit welchen es nur 
ein Genie wagen darf. Die vierte Sinfonie [Cmoll) zeigt den 
Componisten in Formen und Gedanken wieder als einen 
ganz anderen. Ihrem erregten Wesen liegt vielleicht 
ein verschwiegenes Programm zu Grunde; namentlich 
das Finale, wo nach einem hoch leidenschaftlichen Ein- 
gang plötzlich das sinnende Andante wieder erscheint, 
legt diese Vermuthung nahe. Die fünfte Sinfonie Kalliwodas 
{Hmoir,, welche im Ganzen etwas leichter wiegt, hielt 
sich durch das den langsamen Satz vertretende einschmei- 
chelnde Allegretto 




lange in der Gunst des Publikums. Die sechste und siebente 
Sinfonie Kalliwodas stehen gegen ihre Vorgängerinnen zu- 
rück und erlangten in den Concertprogrammen keine feste 
Position. 

Eine besondere historische Bedeutung hat die nord- 
deutsche Schule dadurch, dass sie das romantische Ele- 
ment der Musik pflegte und ausbildete. 

Jean Paul nennt bekanntlich die Musik die roman- 
tischste, d. h. die von Natur aus und von jeher roman- 
tische unter den Künsten. Und in früherer wie in neuerer 
Zeit ist mit Recht darauf aufmerksam gemacht worden, 
dass auch schon die Werke S. Bachs und anderer älterer 
Meister romantische Züge tragen. Geschichtlich datiert 
aber der Begriff der musikalischen Romantik erst seit 
dem Anfang unsers Jahrhunderts. Zwiespältigkeit und 
Mischung galt als Wesen der Romantik. In diesem 
Sinne wurden Mozart und Beethoven im Gegensatze zu 
Haydn als romantische Componisten bezeichnet: Mozart 
weil er in seinen Allegrosätzen die Instrumente ohne 
Weiteres aus bewegtem Figuren spiel in ruhigen Gesang 

9* 



132 



übergehen Hess, Beethoven weil er Scherzi, d. i. heitere 
Sätze schrieb, bei denen man sich ängstigen konnte, und 
weil er auch sonst in demselben Athem Dinge verband, 
welche im schärfsten Gegensatze zu einander standen. 
Haydn that eins nach dem anderen und hielt seine 
Gedanken und Stimmungen einfach und frei von Mi- 
schungen. Desgleichen auch die Wiener Schule, die ihm 
vorzugsweise folgte. 

In die norddeutsche Schule dringt dagegen der 
romantische Geist schon frühzeitig ein. Wir begegnen 
seinen ersten Spuren bereits bei A. Romberg in den kleinen 
chromatischen Durchgängen und Wechselnoten, welche 
einzelne im Grunde muntere Weisen 



Alle gro moderato. 




iD-dur-Sinfonie) sentimental durchblitzen. Die Heimath 
dieser Art romantischer Musikelemente ist vornehmlich die 
französische Oper. In den durch ihre Herbheit der nord- 
deutschen Schule nahestehenden Sinfonien von Tomaschek, 
dem böhmischen »Schiller der Musik«, und von M6hul, welche 
i. J. 4 8*0 die deutschen Concertsäle mit einem gewissen 
Eclat passirten, greift die Romantik schon tiefer in den 
Satzbau und in die Gedankenentwickelung hinein. Vom 
Jahre 4 84 5 ab wird der romantische Styl der herrschende, 
und alle die Sinfoniker, welche neben Beethoven etwas 
bedeuten, repräsentiren eine Seite des romantischen Gei- 
stes. Die musikalische Romantik hat mit der Romantik in 
Litteratur, Poesie und bildender Kunst fortan mehrere 
Jahrzehnte lang hervorragende Berührungspunkte. Auch die 
musikalischen Romantiker kennzeichnet das Festhalten an 
Lieblingsstimmungen, das Hervortreten der Persönlichkeit 
des Darstellers in der Darstellung, der subjective Ton und 
die aus diesen Erscheinungen hervorgehende Einseitigkeit 
und Gleichförmigkeit der Werke. Die musikalischen Ro- 
mantiker pflegen Specialitäten des Gemüthslebens und 
der Fantasie und haben in der Form Manieren, die immer 
wiederkehren und für welche sie schnell Nachahmer und 



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133 *>- 



Schüler finden. Wie die allgemeine Romantik läuft auch 
die Geschichte der musikalischen im Zickzack. Sie springt 
von dem phantastischen Gebiete auf das sentimentale 
über, von da auf das naturfrohe und naive, und läuft 
endlich von dieser letzten Station, von der Hingabe an 
das Genre und an das Kleinleben, in eine Periode der 
Realistik und des Naturalismus aus. Die romantische 
Epoche hat in der Musik sehr belebend und anregend 
gewirkt, Ideen einer früheren Zeit vertiefend ausgeführt, 
neue Klang- und Ausdrucksmittel zum Vorschein gebracht 
und die Litteratur mit Werken bereichert, welche allge- 
meinen bleibenden Kunstwerth haben. Sie bedeutet eine 
zweite Blüthezcit in der Geschichte der Sinfonie und hat 
in Mendelssohn und Schumann zwei Meister hervor- 
gebracht, welche an Originalität und Reichthum der mu- 
sikalischen Erfindung den grossen Classikern der Wiener 
Periode nahestehen. 

Die phantastische Richtung der Romantik vertritt in 
der Sinfonie zuerst C. Maria von Weber. Von seinen C. M. v. Weber 
zwei Sinfonien, die beide in C dur stehen, ist die spätere 
die bedeutendere. Sie war (vom Jahre 1844 ab) längere 
Zeit bei den Orchestern sehr beliebt und dürfte auch 
heute noch einer freundlichen Aufnahme gewiss sein. Es 
ist ein bescheidenes, liebenswürdiges und sehr mannig- 
faltiges Werk, heute doppelt interessant durch die vielen 
Einzelheiten, welche direct auf den Schöpfer des Freischütz 
hinweisen. Das Andante, das poetische Hauptstück der Sin- 
fonie, hat Wolfschluchtsbässe und Agathecantilenen. In 
seiner düster feierlichen Pracht, in der stillen Schwer- 
muth, welche aus den schmelzenden Klängen der Blas- 
instrumente spricht, ist es einer der schönsten langsamen 
Sätze, welche zur Zeit Beethovens, und ganz unabhängig 
von diesem Meister, geschrieben worden sind. Die freie 
Disposition macht es einer dramatisirten Erzählung 
ähnlich. Der Schauplatz ist nächtlich, zu den handelnden 
Personen stellt die Geisterwelt Mitwirkende. Im ersten 
Satze, welcher im Style die contrapunktischen Merkmale 
der norddeutschen Schule trägt, überwiegt der muntere 



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134 *~ 



ritterliche Ton; die spannenden phantastischen Momente 
liegen in den leisen Solostellen der Contrabässe. Das 
Finale, in welchem immer die Hörner mit komischer Be- 
flissenheit vorausstürmen, war als einer der drolligsten 
Sätze seiner Zeit besonders beliebt. 
H. Onslow. Ei n späterer Vertreter derselben Richtung ist On slow, 
ein geistreicher, temperamentvoller Componist, welcher 
unter die Ersten gehört, deren Adagios den Beet- 
hoven'schen Maassen nachstreben. Onslow ist apart, ele- 
gant, reich an Ideen, in Figuren und Rhythmen vielfach 
neu ; in den Durchführungssätzen verrathen leider triviale 
Episoden einen Mangel an musikalischer Durchbildung, 
welcher den Werken Onslows eine schnelle Vergessenheit 
bereitet hat. Die verbreitetste seiner Sinfonien war die 
in A dur. Die Hauptthemen ihres ersten Satzes 




Jvl ÜU e^ I m "8 en den romantischen Charakter 

von Onslows musikal. Erfindung erläutern. Wie die 
Romantiker der phantastischen Richtung von der franzö- 
sischen Oper im Allgemeinen viele Impulse empfingen, so 
zeigen diese und andere Melodien Onslows speciell den Ein- 
fluss der Romanzen Boieldieus. 

Die sentimentale Richtung der Romantiker ist durch 
Mozart und Cherubini vorbereitet. Sie kommt auch in 
den Sinfonien der Wiener Schule mit Schubert zum Aus- 
druck. Ihre weitere Vertretung findet Jsie hauptsächlich 
in den Sinfonien von L. S pohr und F. Men delssohn- 
Bartholdy. 

Die Sinfonien von Louis Spohr sind in ihrer Mehr- 
zahl der heutigen Generation bereits wieder fremd ge- 
worden. Fast zwei Menschenalter hindurch war dieser 
unermüdlich strebende Künstler auf diesem Gebiete thätig 
und nahm an allen den Bestrebungen thätigen Antheil, 
welche von Beethoven bis auf Liszt der Weiterentwicke- 
lung des sinfonischen Styls galten. Die erste unter Spohrs 



i 



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I 35 



gedruckten neun Sinfonien ;in Es dur) kam im Jahre 
18H, in Stimmen gedruckt, in Umlauf und erfreute 
sich bald ehrenvoller Anerkennung. Sie zeigt bereits die L. 8pohr 
fertige Individualität des merkwürdigen Künstlers: dieEadur-sinfouie. 
Zeitgenossen fanden in ihrer ruhigen Würde einen Gegen- 
satz zu dem Feuer Mozarts und Beethovens, lobten die 
weniger gedanklich bedeutenden als angenehmen Melo- 
dien und tadelten die allzuhäufige Wiederkehr seiner 
chromatischen Gänge und die unruhige Modulation. Bis 
gegen das Jahr i 830 kehrt das Werk auf den Repertoiren 
immer wieder. Seine zweite Sinfonie {D molt) schrieb 
Spohr für die philharmonische Gesellschaft in London, die 
mit diesem Werke zugleich die erste Bekanntschaft des 
Tactstocks machte. Spohrs dritte Sinfonie [C moll), seine 
vierte (» Weihe der Töne «) und seine fünfte {Cmoll) bilden 
den Höhepunkt in der sinfonischen Thätigkeit ihres Ver- 
fassers und sind bis heute noch in den Programmen zu 
finden. Namentlich seine dritte Sinfonie (v. J. 1829) ist 
eins der liebenswürdigsten Denkmäler der ersten, un- L « SP 0 * 11 
schuldigen Jugendzeit der musikalischen Romantik. Manche Cmon-sinfoni*. 
Zeilen in dieser Dichtung — wir denken an das zweite 
Thema des ersten Satzes — sind veraltet, aber aus dem 
Ganzen spricht der überschwängliche Geist milder, weicher 
Schwärmerei, dem Spohr zuerst einen eignen Ausdruck 
verlieh, noch in erster Frische. Bei Mozart liegen die 
Quellen dieser Spohr'schen Kunst; Schubert kannte er 
nicht, als er seine ersten Sinfonien schrieb, und von 
Beethoven'schen Anregungen macht er nur einen sehr 
vorsichtigen Gebrauch; der italienischen und französischen 
Oper, Cherubini namentlich, verdankt er Einiges. In der 
Hauptsache schuf sich Spohr seine Sprache selbst, 
und wie viel von den verminderten Schlussintervallen: 

und von anderen Wendungen seines 

romantischen Idioms in die Werke mitlebender und folgen- 
der Künstler übergegangen ist, wird man mit Staunen bei 
Betrachtung dieser C-moll-Sinfonie gewahr. Ihr Larghetto 
namentlich, der vollendetste, gedankenreichste und mannig- 



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136 *~ 



faltigste Satz des Werkes, hat in den Sinfonien gleich- 
zeitiger und späterer Sinfoniker mächtig nachgewirkt. 
Am ersten Satze ist das Beste die Einleitung mit dem 



charakteristischen, suchenden Quintenmotiv ^ 



und der Schluss der Durchführung, an welchem diese Ein- 
leitung wieder erscheint. Auch das erste Thema des 
Allegro, in seinem Anfang nicht hervorragend, erhält 
durch die poetische Anknüpfung an das citirte Motiv der 
Einleitung einen werthvollen Schluss. 

Das Larghette (Fdur 9 / 8 l hat zum Hauptthemaemelange, 
behaglich ausgeführte Melodie, das Kind einesHerzens, wel- 

Largbetto. 



ches seinen Frieden gefunden 
Nur leichte Schatten finden hier einen Zutritt: 




PF *!* ^^^-. Der Glanzpunkt dieses Satzes ist 
das Cantabile 




bei dem Spohr einen neuen Instrumentationseflect an- 
wendete. Sämmtliche Geigen, Bratschen und Celli tragen 
die Melodie im Unisono vor. Die Wirkung ist grandios! 

Das Scherzo dieser Sinfonie ist in seiner Herkunft 
verwandt mit dem in Beethovens fünfter: 

i^jij jj^ i j^j Tn in 

In der Ausführung bleibt es etwas gleichförmig. In 
lauter kleinen Zügen gepflegt, eines lebendigeren drama- 
tischen Impulses baar, bildet es für den Zuhörer einen 
einigermassen mühsamen Genuss. 

Der Humor Spohrs vergräbt sich mit Vorliebe in 
Miniaturen. So streiten auch im Finale gegen die 
grössern Intentionen des kühn scherzenden Hauptthema, 
das an das Finale von Beethovens zweiter erinnert, 



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--fr 137 



allerhand kleine 



Arabesken, unter denen namentl ch folgende Figur 




einen breiteren Raum einnimmt. 



Die andere Cmoll-Sinfonie Spolirs (geschrieben im 
Jahre 1838 für die Wiener Concerts spirituels) hat eirie j |< g ^ r 
pathetischere Tendenz. Sie begiebt sich, allerdings nicht (;. mo ii-sinfonie 
sehr weit, direct ins Gebiet der Leidenschaften hinein. Nr. 5. 
Spohr war sich der Einseitigkeit seiner musikalischen Na- 
tur bewusst und strebte zeitlebens ernstlich darnach seine 
Phantasie auch ausserhalb der elegischen Grenzen hei- 
misch zu machen. Es ist aber nicht zu verkennen, dass 
ihm bei solchen Versuchen die Originalität des Ausdrucks 
versagt und dass er sobald wie möglich den Rückzug 
auf vertrautes Terrain anzutreten pflegt. Für die erstere 
Thatsache bildet das Hauptthema im ersten Allegro dieser 
Sinfonie eine genügende Illustration: 




Einen schönen poetischen Zug 
;• theilt dieser erste Satz der fünften 



Sinfonie mit dem der dritten: das Thema der lang- 
samen Einleitung tritt plötzlich in die Durchführung 
hinein und kehrt dann bis zum Ende des Satzes mehr- 
mals wieder. Der Schluss des Allegro sticht durch Macht 
des Ausdrucks hervor und schliesst das ganze Bild mit 
den Klängen edler Trauer ab. Man hat den Eindruck, 
dass das Werk einer Fortsetzung nicht bedarf. Eigen- 
thümlicher Weise, wie im Sinne eines freundlichen Leit- 
sterns für das ganze Werk steht die Einleitung zu diesem 
C-moll-Allegro in Cdur! 

Das Larghetto dieser Sinfonie kommt im Geiste und 
auch in der thematischen Erfindung Beethoven sehr nahe ; 




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* 138 



es ist einer der schönsten langsamen Sätze, den Spohr 
geschrieben hat. Der Mittelsatz dieses Larghetto contras- 
tirt mit dem Haupttheile , führt aber seine Aufgabe, eine 
unruhige Scene darzustellen, in einer namentlich nach 
Seite der Instrumentation hin bemerkenswerth originellen 
Weise aus. Wir geben h er das Hauptthema dieses 
Larghetto : 

Larghetto. — — ~ — — ^ 




Das Scherzo, ein für Spohr aussergewöhnlich kräftiger 
Satz, stützt sich im Hauptthema auf ein chromatisches 

Motiv *T F l welches, von den Hörnern aus durch die 



Bläser wandernd, ein heitres Leben im Orchester wach 
hält. Der zweite Theil des Hauptsatzes verdankt dem 
Aennchen aus Webers Freischütz (»Grillen sind mir 
böse Gäste«) Einiges. Das graziös elegische Trio ist den 
Holzbläsern in der Hauptsache allein überwiesen. 

Im Finale herrscht der Ton einer milden Heiterkeit. 
In kunstvollen Formen fugirend und imitirend, bilden sich 
fröhliche Spiele um das dem Hauptthema folgende Seiten- 

Allegro. 

sätzchen : 




Als zweites 

Thema des Finale erscheint die Melodie der Einleitung 
zum ersten Satz. Die Sinfonie erhält dadurch in Form 
und Idee eine sehr schöne Abrundung. Mehr als beachtet 
wird, sind die Sinfonien Spohrs reich an solchen geist- 
und sinnreichen Wendungen. 

Zwischen den beiden C moll- Sinfonien steht die 
L. Spohr »Werne der Töne.« Dieses »charakteristische Tongemälde 
• Die Weihe dfr in Form einer Sinfonie«, wie es der Componist nennt, er- 
schien im Jahre 1834, fällt also in eine Periode, in wel- 
cher die Tendenz, die Instrumentalcomposition an poe- 
tische Vorwürfe zu binden, wieder einmal energisch auf- 
gelebt war. Diese Periode, welche zufällig mit der 
Blüthezeit der Romantik in der Litteratur zusammenfällt, 



■ 



datirt von dem Franzosen H. Berlioz, dem sich Mendels- 
sohn und Gade in ihren poetisirenden Concertouvertüren 
auf dem Gebiete des Orchesters in besonnener Distanz 
anschlössen; Schumann vertrat eine ähnliche Tendenz 
in der Ciaviermusik mit seinen Charakterstücken. Auch 
auf Spohr übte diese Richtung einen grossen Reiz, und 
in seiner energischen Art ging er gleich praktisch ans 
Werk. Der »Weihe der Töne« liegt ein ziemlich langes 
Gedicht von Carl Pfeiffer, einem Casseler Freunde des 
Componisten, zu Grunde, welches nach einer Vorbemer- 
kung in der Partitur im Concertsaal bei der Aufführung 
der Sinfonie entweder vertheilt oder laut vorgetragen 
werden soll. Die Concertdirectionen begnügen sich in- 
dessen mit einem kurzen Auszug, einer Art Inhaltsangabe, 
die den Tempi der einzelnen Sätze beigeschrieben wird 
und die Intentionen von Dichter und Componist, wenn 
auch nicht immer ganz, so doch annähernd trifft Etwas 
unglücklich gewählt erscheint sofort die Bezeichnung des 
ersten Largo: »Starres Schweigen der Natur vor dem 
Erschaffen des Tons«. Thatsächlich will Spohr hier nur 
etwas Aehnliches schildern wie J. Haydn im Chaos der 
Schöpfung, wie Beethoven im Anfang der neunten Sin- 
fonie: eine Welt, der die Freude fehlt, in der das Leben 
noch nach Formen ringt. Das thut er in der Einleitung 
durch träge, lastende Melodien in den Bässen und andern 
tiefen Instrumenten und durch wühlende Harmonien. Der 
erlösende Jubal ist sehr bald geboren: Schon nach 23 
Tacten beginnt das Allegro. Es bringt als Hauptthema 
eine echt Spohr'sche Melodie: 

^ Allegro. 



Ein zweites Thema besitzt dieser Satz nicht: An seiner 
Stelle erscheint eine lange concertirende Partie, in welcher 
die Holzbläser das Vogelgezwitscher nachzubilden su- 
chen. Dergleichen Aeusserlichkeiten , Künsteleien und 
unreife Stellen sind in Programmsinfonien nichts Sel- 
tenes. Aber in der »Weihe der Töne« scheinen sie nicht 



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ausschliesslich aus dem Principe hervorgegangen, son- 
dern aus einer temporären Schwäche der musikalischen 
Erfindungskraft, die im Allgemeinen nöthigt, das Werk 
— so viel Liebenswürdiges es enthält — hinter die bei- 
den C-moll-Sinfonien zurückzustellen. Namentlich die 
Uebergangspartien von Bild zu Bild, von einem Thema 
zum andern , entbehren der Gedankenkraft und behelfen 
sich mit leerem Figurenwerk. Auch die Dichtung zwang 
nicht zu den kleinlichen Malereien, in welchen Spohr die 
Stimmen der gefiederten Sänger wiederzugeben glaubte; 
sie bringt in dem Verse, welchen das Allegro illustriren 
will, eine Reihe höherer Momente, welche der Componist 
bei Seite liegen liess. Dagegen hat Spohr in diesen Satz 
eine Scene hinein escamotirt, von welcher der Dichter 
nichts weiss: einen Aufruhr der Elemente. Mit seinen 
heftigen Acccntcn bildet er zu der musikalischen Idylle 
der Themengruppe einen nicht unwillkommenen Gegensatz. 

Im zweiten Satze sucht Spohr Wiegenlied, Tanz 
und Ständchen zu vereinigen. Namentlich das Wiegen- 
lied ist mit einer sehr gelungenen Melodie wiedergegeben, 
von der man fast bedauert, dass wir sie so wenig un- 
vermischt gemessen können 

Andantino. . 



Der Tanz, ein französischer Zweivierteltakt, vertreibt 
diese Melodie schnell, und ihn löst später das Ständchen 
ab. Merkwürdigerweise ist seine Ausführung dem Fagott 
übertragen. Es steht im 9 /, 6 Tact: 




Diese drei Melodien sind , ähnlich wie in der Ballscene 
des Don Juan, zusammengestellt und bilden in ihren 
Combinationen für den Vortrag bedeutende Schwierig- 
keiten. 

Der dritte Satz: »Kriegsmusik, Fortziehen in die 
Schlacht, Gefühle der Zurückbleibenden, Rückkehr der 
Sieger, Dankgebet« beginnt mit einem Marsch (in D). Mit 



Iii 



demselben kehren die Krieger auch nach dem Siege zu- 
rück. In der Zwischenzeit stimmt die Clarinette in einer 
sehr sprechenden, beklommenen Weise eine klagende 
Melodie an: in den Celli banges Sinnen, das volle Or- 
chester bringt leidenschaftliche Ausbrüche des Schmerzes. 
In der Ferne hört man ab und zu abgerissene Motive 
des Marsches. Nach der Rückkehr der Krieger wird als 
Dankgebet der Ambrosianische Lobgesang: »Herr Gott, 
Dich loben wir« geblasen; die Violinen umspielen ihn 
mit jubelnden Figuren. » 

Der letzte Satz: »Begräbnissmusik, Trost in Thränen« 
überschrieben , wird durch ein Larghetto {Fmoll C) einge- 
leitet, welches in seiner Form dem Schlüsse des vorher- 
gehenden Satzes, dem »Dankgebet« ähnlich ist: Der Cho- 
ral »Nun lasst uns den Leib begraben«, von den Celli 
und den beiden Clarinetten vorgetragen, wird von den 
andern Instrumenten mit Motiven begleitet. Nament- 
lich die Zwischenspiele, in dumpfen Paukenwirbel ge- 
hüllt, sind ausserordentlich ergreifend und eindrucksvoll. 
Nach dieser Trauerscene folgt der Trost in Thränen als 
Allegretto [Fdur »/^ mit folgendem Hauptthema: 




ersten Satze eine wichtige Stelle im Thema einnimmt. 
Spohr hat es in allen Sätzen dieser Sinfonie untergebracht: 
Hier erscheint es wie der bescheidene Hausgeist in einer 
Ecke versteckt, dort offen im Vordergrunde; vielfach in 



und auch an den Stellen des Aufschwungs so masshaltend, 
wie es der fromme Grundton der Stimmung verlangt, ist 
dieser Schlusssatz der »Weihe der Töne« nicht immer 
verstanden worden. Von der gebräuchlichen Haltung 
eines Sinfoniefinales weicht er völlig ab; zum Charakter 




Es schliesst mit dem Quinten- 
motiv d g, welches schon im 




Immer elegisch, friedvoll 



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142 ^ 



des Tongemäldes, welches mit dem Ausblick auf das 
Jenseits abschliesst, passt er sehr wohl. 

Spohr hat später nur noch eine rein musikalische 
Sinfonie geschrieben. Es ist die Nr. 8 [Gdur], welche 
Bponr nacn ( | er instrumentalen Seite manches Neue und In- 

* °iir 1 8 teressanle enthält. Das Scherzo, im Trio mit einem Vio- 
linsolo ausgestattet, ist in der Erfindung, welche sich 
ganz auf das virtuose Element lehnt, der eigenartigste 
ihrer vier Sätze. In den übrigen Sinfonien blieb er von 
der »Weihe der Töne« ab beim Princip der Programm- 
musik. Zunächst kam im Jahre i&M seine »historische 
L. Bpohr Sinfonie im Style und Geschmack vier verschiedener 

Hihtoriache sin- Zeitalter«. Der erste Satz soll die Periode Händel und 
foni«. Bach veranschaulichen. Er versucht das in einer aus 
trockenen Sequenzen zusammengebauten Fuge, mit einem 
Pastorale in der Form des Siciliano (»*/g Tact) als Mit- 
telsatz. Der zweite Satz gilt der Periode Haydn-Mozart. 
Dieser stand Spohr selbst geistig am nächsten und da- 
rum ist wohl dieses Andante der gelungenste Satz der 
Sinfonie. Auch hier schaut der chromatische Spohr 
überall hervor: aber er thut nichts was seine Modelle 
entstellt: Einiger Spässe und Derbheiten, welche Spohr 
den beiden Wiener Meistern insinuirt, wären sie fähig 
gewesen, wenn auch gerade nicht im Andante. Die Beet- 
hoven'sche Periode, als die dritte, ist durch ein Scherzo 
vertreten, welches mit einem Solo von drei Pauken be- 
ginnt. Sie geben das Motiv 



Im Uebrigen schiebt Spohr dem Beethoven einen Eigen- 
sinn zu, welcher selbst für diesen über alle Möglichkeit 
hinausgeht: In einem Satze, der gegen 400 Tacte um- 
fasst. ein einziger thematischer Gedanke von 8 Tacten 
Länge! Wider allen Beethovenschen Brauch bleibt auch 
das Trio an dieser fixen Idee haften! Noch schlimmer 
kommt »die allerneueste Periode«, welche den vierten 
Satz einnimmt, weg: Ein Hexengebräu aus Nonen, Sep- 
timen und freien Dissonanzen, winselnden und schmach- 



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143 *~ 



tenden Vorhalten ! So wild ist auch Berlioz nie gewesen, 
so sehr haben auch die Pacini, Mercadante und Meyer- 
beer nicht gelärmt, so süsslich und zerflossen waren Ros- 
sini und Bellini niemals! Und wer in aller Welt mag 
zu den ewigen und tollen Gedankensprüngen dieses Satzes 
gesessen haben ! Ist die Historie in den andern Sätzen dieser 
Sinfonie nur unzulänglich — so wird sie hier zur Parodie ! 

Die nächste Prograjnmsinfonie Spohrs (im Jahre 1842 
veröffentlicht) heisst «Irdisches und Göttliches im Men- ^ . ^ 
schenleben« und ist betitelt a's » Doppelsinfonie <«! Das lIrd ! B und 
letztere darum, weil in ihr zwei Orchester aufgestellt aottiiche8*im 
sind, die sich in der Regel ablösen, hie und da auchMenschenieben.. 
vereinen. Das erste Orchester hat im Streichquartett 
nur einfache Besetzung. Diese Anordnung führt zu einer 
Reihe neuer und schöner Klangwirkungen, deren häufige 
Wiederkehr allerdings den Endeindruck schwächt. Sie ist 
ein weiterer Beweis, wie Spohr sich immer etwas Neues 
ausdachte und in seiner Art auch ins Werk setzte. Der 
erste Satz gilt der Kinderwelt. Hier sein Hauptthema: 



Glück schildert er nicht; auch ihn drücken chromatische 
Schmerzen. 

Der zweite Satz schildert die Zeit der Leidenschaf- 
ten. Diese nahen in chromatischen Sechzehntelgängen 
der Bässe, stören die friedvollen Melodien der Holzbläser 
und schwellen zu einem Sturm an, der sich in einem 
Allegro (C-Tact austobt, das in seinem Haupttheil mit 
Scchzehntelläufen angefüllt ist. Eine Art kräftiger Marsch- 
musik bildet einen Widerpart dagegen. 

Der dritte Satz ist überschrieben: Endlicher Sieg des 
Göttlichen. Ein Presto in 6/4 Tact [Cmoll] beginnt auf- 
geregt und lenkt dann in freundlich muntere Melodien 
über. Sie führen zu einem Adagio, welches, pompös in- 
strumentirt , mit einem feierlich gehobenen Gesang ein- 
setzt, und, ähnlich wie in der »Weihe der Töne» der 
Schlusssatz, mild und leise ausklingt. 




Freilich: ein 
ungetrübtes 



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~*0" \ 44 



L. Spohr 



Den Vorwurf zu Spohrs letzter Sinfonie (Nr. 9, Hmoll) 
bilden »die Jahreszeiten«. Dieses der musikalischen Kunst 
• Die Jahres- xie ^ bietende Thema wird hier in zwei Abtheilungen ab- 
reiten«, gehandelt, deren erste den Winter, den Frühling und den 
Uebergang zwischen beiden enthält, die zweite den Som- 
mer und Herbst. Das dichterische, allgemein künstleri- 
sche Talent Spohrs und noch mehr sein musikalisches — 
beide haben sich der reizenden Aufgabe gegenüber sehr 
kühl verhalten. Nur der letzte Satz erhebt sich an ein- 
zelnen Stellen, mit einer Paraphrase des Rheinweinliedes, 
über eine mittlere Temperatur. 

Die sentimentale Richtung der Romantik erreicht in 
Mendelssohn ihre Spitze. Der romantische Beiklang, 
welcher viele Compositionen Schuberts wehmüthig färbt, 
welcher alle Werke Spohrs wie mit einem Hauche von 
Sehnsucht überzieht, nimmt bei Mendelssohn einen ener- 
gischeren Charakter an und äussert sich schwermüthig und 
klagend. Mendelssohn ist eine vielseitigere, beweglichere 
und reichere Natur als Spohr und wirft häufig jede ro- 
mantische Fessel ab. Aber die Nachfolger ergriffen die 
romantische Sentimentalität seiner Werke als Hauptseite 
seines Wesens. 

Mendelssohns sinfonisches Hauptwerk ist die Amoll- 
Sinfonie. Sie ist unter dem Beinamen »die schottische« 
bekannt: die Hauptmelodie des munteren Satzes, welcher 
in ihr die Stelle des Scherzo einnimmt, soll dem reichen 
Volksliederschatz Schottlands entstammen. Aber die 
Beziehungen zwischen dem Werke und seinem Titel sind 
tiefer: M. schreibt, dass ihm die ersten Themen an den 
Stätten Maria Stuart's kamen. Die Sinfonie entstammt der 
künstlerisch reifsten Periode des Componisten, einem Ab- 
schnitt derselben, wo auch die Frische und der Reichthum 
seiner Phantasie die Höhe jener Jugendtage behaupteten, 
in denen die Sommernachtstraum - Ouvertüre entstand. 
Die »Walpurgisnacht«, die mit dieser Sinfonie zugleich 
das Licht der Welt erblickte, schickt in dieselbe manche 
Grüsse hinein. Das Werk trägt in den gemischten Stim- 
mungen, welche es wiedergiebt, in seiner Hinneigung zum 



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naiv Volksthümlichen die Kennzeichen der Frühromantik. 
Es ist unter den Werken, welche diese Richtung in Poesie 
und Kunst hervorgebracht hat, eins der individuellsten 
und zugleich abgeklärtesten. An neuen, melodisch ein- 
dringlichen, eigenen Gedanken reich, besitzt die Sinfonie 
in der Darstellung den zugänglichen Charakter, welcher F. Mendelssohn 
den Werken Mendelssohns gemeinsam ist, im hohen Grade. A moil-sinfonie 
Im Periodenbau herrscht ein Masshalten und eine Regel- ( schotti8cne )- 
mässigkeit, die uns fast zu gross dünkt. Wenn trotzdem das 
Werk bei seiner ersten Aufführung (im Jahre \ 842j nur einen 
massigen Anklang erregte, so lag der Grund in der Neue- 
rung, dass Mendelssohn die vier Sätze der Sinfonie attacca 
d. h. ohne die gewöhnlichen Unterbrechungen auf einan- 
der folgen lässt. Diese Anordnung, welche auf einen 
«ngern poetischen Zusammenhang der Sätze hinweist, 
schien die Zuhörer zu ermüden. In der Folgezeit hat 
sie ausser Schumann in seiner Dmoll-Sinfonie kein Com- 
ponist adoptirt. In den kleinen Sinfonien von Ph. E. Bach 
und der Vor- Haydn'schen Periode Hessen sich die 
Pausen zwischen den einzelnen Sätzen leichter entbehren. 
Das Thema der Introduction der Amoll-Sinfonie 

Andante. 




gehört zu den Lieblingsgedanken Mendelssohns: Paulus 
in der Stunde der Reue, der lebensmüde Elias intoniren 
diese schwermüthige Melodie. In der Schule des Meisters 
ist sie vielfach variirt worden. Mendelssohn hat die 
ausserordentlich bedeutende Idee des Introductionsthemas 
in der Sinfonie nicht weiter verfolgt, im Adagio nimmt 
er einen flüchtigen Bezug darauf und im ersten Allegro 
knüpft er direct an die vier ersten Noten desselben an. 
Folgendes ist das Ilauptthema dieses Allegro: 

Allegro un poco agitato 




Die Erregung, welche in dieser Wendung halbverdeckt 
durchscheint, wird mit dem Schlüsse des Hauptgedankens: 

10 



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zunächst zu melancho- 
lischer Ruhe gebracht. Bald aber bricht sie in dem Seiten- 
gedanken : 





mit den heftigen, kurzen Stessen aus, durch welche sich 
Mendelssohns Sprache der Leidenschaft von denen an- 
derer Künstler unterscheidet. Das zweite Thema geht 
mit innigen Tönen 





in die klagende tragische Sphäre der Intro- 

duetion zurück. 

Ein äusserst liebenswürdiger rührender Nebenge- 
danke schliesst die 
Themengruppe : 

Besonders schön wirkt er, als er gegen den Schluss 
der Durchführung hin sich unmittelbar neben die wilde 
Gestalt des oben mit c) bezeichneten Themas stellt. Diese 
Durchführung selbst ist nicht nur musikalisch formell 
vollendet, sondern auch ein poetisches Meisterstück, ge- 
nial in Aufbau und Ausdruck der Stimmung. Dieser Ein- 
gang, der Ruhe und Vergessenheit in neuen Träumen 
sucht, die allmähliche Einführung des Gonüicts, der nicht 
zu vermeiden war, — die wiederholten Versuche abzu- 
brechen — der endliche Ausgang mit der Trost und Re- 
signation predigenden Melodie der Celli — das wirkt 
Alles mit einer Unmittelbarkeit, wie sie an dieser Stelle 
in Sinfonien nur selten erreicht wird! Wie ergreifend 
auch der letzte Abschluss des ganzen Allegro — als nach 
allen Stürmen die Melodie der Introduction ihr freund- 
lich bleiches Antlitz wieder zeigt! In seiner harmonischen 



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Mischung von menschlicher Tiefe und Anmuth, freier 
Dichtersprache und vollendeter Form würde der Satz 
allein hinreichen die Bewunderung zu erklären, welche 
Mendelssohn bei seinen Zeitgenossen erregte. 

Auf einem andern Grundcharakter basirt ist der zweite 
Satz der A moll-Sinfonie, das Vivace. Von dem phan- 
tastischen Elemente, welches Mendelssohn für seine 
Scherzi bevorzugt, hat es nichts. Es ist ein künstlerisch 
vollendetes Genrebild pastoraler Natur, welches uns nur 
bedauern lässt, dass Mendelssohn dieses Gebiet so selten 
betreten hat. Die Themen, welche in theilweise strengerer 
Arbeit durchgeführt werden, sind folgende: 



Vivace. 




Einen das Trio vertretenden Mittelsatz hat das Vivace 
nicht, aber eine kleine Einleitung von wenigen Takten, 
in der fröhliche Signale auf das bevorstehende lustige 
Treiben hinweisen. Auch das Adagio beginnt mit einer 
kurzen Einleitung, die den Zusammenhang mit der Intro- 
duetion mit einigen, allerdings sehr feinen Strichen her- 
stellt. Das Hauptthema hat in seiner ersten Hälfte fol- 
gende Gestalt: 

Adagio. 




Unmittelbar nachdem es abgeschlossen, tritt das zweite 
Thema: 




ein, fremdartig und feierlich wie Hamlets Geist. Im gan- 
zen weitern Verlauf des Satzes geht es mit dem andern, 
von dem die Celli bevorzugten Besitz ergreifen, keine 



t(T 



148 ^ 



nähere Verbindung ein, sondern stellt sich ihm nur, im- 
mer wieder überraschend, wie mahnend und warnend, 
entgegen. Diese ungewöhnliche Disposition der Themen 
giebt dem Satze einen dramatischen Charakter. 

In dem letzten Satz verschwindet das romantische 
Colorit einigermassen. Die Themen stürmen einer behag- 
lichen Sphäre zu 
Allegr o con splrlto. 




s 

erreichen sie 



crrfc. 



und geben den Gefühlen heroischer Kraft freudigen 
Ausdruck : 




Was leidende Miene trägt, 
wie das Thema 




das rücken liesende Stim- 



men, Orgelpunkte und andere Hülfsmittel der Instru- 
mentation und der Harmonie in eine verklärende Ferne. 

Die hier angeführten Themen gehören dem ^ersten, 
dem Haupttheile des Schlusssatzes zu. Mendelssohn 
nennt diesen ersten im C-Takt geschriebenen Theil Alle- 
gro (juerricro — und bietet damit der Erklärungskunst 
einen verlockenden Stoff. Der zweite, kürzere Theil des 
Finale bestellt aus einem Satze im fi / b -Takte, in dessen 



Hauptmotive: 



das schottische Ele- 



ment der Sinfonie noch einmal zu entschiedenster Geltung 
kommt. Diese Wendung bildet in der Melodik der schot- 



--0- 1 19 At- 



tischen Volksmusik eine stereotype Schlussformel. Be- 
kanntlich fehlt der schottischen Scala die Septime. 

Der schottischen Sinfonie steht unter den andern 
Sinfonien Mendelssohns die vierte (Op. 90) an Werth und 
Popularität am nächsten. Sie heisst die italienische und 
gilt als die künstlerische Frucht der längeren italienischen 
Reise, welche der junge Mendelssohn im Jahre 1830 unter- 
nahm. Direkt erkennbare südliche Elemente bringt die 
Sinfonie in ihrem Schlusssatze: einer ausgelassenen, p jj^eig^im 
bacchantisch lustigen Scene, welcher eine neapolitanische Adur . Siufonie 
Tanzform, der wilde Saltarello, zu Grunde liegt. In den (italienische), 
andern Sätzen sind Beziehungen zum Süden nicht nach- 
zuweisen. Der erste Satz mit seinem heiteren Grundton 
hat gleichwohl zu vielen schwärmerischen Parallelen mit 
dem »ewig blauen Himmel des Landes, wo die Citronen 
blühen« Veranlassung gegeben. Es herrscht in ihm eine 
kräftig glückliche Phantasie, die wohl an die Stimmung 
eines Jünglings denken lässt, der fröhlich und jubelnd 
hinauszieht in die schöne Welt. Das erste Thema, wel- 
ches ohne Einleitung einsetzt: 
AHegro vivace. 




J= hat einen stürmischen Charakter; 
das zweite: 




ist ruhiger, hat etwas vom sentimental -romantischen 
Element; aber ein freudiger Schwung lebt auch in ihm. 
In der Durchführung tritt ein neuer dritter Gedanke auf: 

welcher dann 

auch in den Schlusstheil des ersten Satzes aufgenommen 
wird. 



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~* 150 



Der zweite Satz [Andante con moto, Dmoll beginnt 
wie eine schwermüthige Ballade mit folgendem Haupt- 
thema, zunächst von Bratschen, Clarinette und Fagott 
vorgetragen : 



Andante con moto 




dem dann ein freundlicher Gesang entgegentritt: 




Diese anheimelnde Begegnungsscene wiederholt sich mit 
kleinen Intermezzos einigemale: Die trauernde Gestalt 
hat das letzte Wort und wie mit leisen Seufzern ver- 
schwindet der Satz in die umwölkte Ferne. Sind in die- 
sem langsamen Satze schon nordische Anklänge nicht 
zu verkennen, so tritt in dem folgenden Satze, einem 
3 4-Takt ohne weitere Gattnngsbezeichnung. das deutsche 
Element mit der grössten Bestimmtheit vor. 

Der Hauptsatz dieses traulichen Stückes knüpft mit 
seinem Ländlerthema: 

Con moto moderato^ 

an die gemüthlichsten Bilder an, welche die Wiener 
Meister von deutscher Fröhlichkeit und Geselligkeit ent- 
worfen haben. In dem Mitteltheil dieses Satzes lebt die 
Romantik unsrer Wälder in der Seele des jungen Men- 
delssohn auf: unser C. M. von Weber scheint vor seine 
Phantasie zu treten und in dessen Hornklängen spricht 
der junge Tondichter einige der herrlichsten Zeilen seiner 
italienischen Sinfonie. 

Der letzte Satz, mit einem fanatischen Unisono seinen 
unbändigen Charakter ankündend, bringt als erstes Thema 
folgendes : 




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Es zieht in einer langen Entwicklung auf, durch- 
streift die Nuancen seelischen Ausdrucks von der zar- 
ten Anmuth bis zum wilden Toben und bringt alle Kräfte 
des Orchesters, die Solisten und die Massen in immer 
heftigere Action. Dem Aufmarsch dieses Hauptthema 
folgt eine Nachhut aus derben Elementen, aus stampfen- 
den und pochenden Figuren, wie: 




gebildet. Die weicheren und feineren Geister haben in 
den Kreisen dieses Satzes nur einen bescheidenen Platz 
Das zweite Thema sucht sie einzuführen: 

— _ r- erneuter 




und längerer Vorsuch, die ins Bedrohliche steigenden Wogen 
der Fröhlichkeit zu glätten, wird in der Durchführung 



dieses Satzes mit der Figur 




unternommen. Wie der erste Satz der Adur-Sinfonie 
manches aus der Notturnosphäre, so bringt dieser letz- 
tere wörtliche Einzelheiten aus den grotesken Partien 
der Sommernachtstraummusik, speciell aus der Ouver- 
türe. 

Die italienische Sinfonie ist als Nr. 4 erst nach dem 
Tode des Componisten veröffentlicht worden; der Ent- 
stehungszeit nach geht sie der schottischen um mehrere 
Jahre voran : sie wurde von Mendelssohn zuerst im Jahre 
4 833 in der Philharmonischen Gesellschaft zu London 
aufgeführt. Zwischen diesen beiden Hauptsinfonien 
Mendelssohns liegt sein »Lobgesang«, den er als »Sinfo- 
niecantate nach Worten der heiligen Schrift« bezeichnet. 
Die Mischung von Sinfonie und Cantate, wie sie in diesem 
Werke sich zeigt, ist älter als Beethoven und seine neunte 
Sinfonie. Die eigenthümliche Anlage dieses Lobgesangs 
ist jedoch mit Berufung auf ältere Vorlagen noch nicht 
recht zu verstehen. Sie hing wohl mit der bekannten 



F. Mendelssohn 
»Lobgesangc 
Sinfonie- 
Cantate. 



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152 



Lieblingsidee Mendelssohns zusammen: einmal die Musik 
zu einem ganzen Concertabend zu componiren, um so 
einem gemischten Programme etwas Einheit zu geben. 
Einen Theil dieser Absicht verwirklichte er, als er den 
Auftrag ausführte, die Musik zum Guten bergfest in Leipzig 
zu componiren (im Jahre < 840). Was die Tonkunst be- 
sitzt, das zog er herbei zu der Dankfeier, welches einem der 
wichtigsten Culturereignisse, einem Wendepunkte in der 
Geschichte der Menschheit galt. Voran Hess Mendelssohn 
die spielenden Massen schreiten. Sie loben den Herrn (im 



Dann lobt man ihn mit Psalter und Harfen, in einem «feinen 
Ton.« Dieser feine Ton ist der Kern des ersten Theils 
des Allegretto der Sinfonie (Gmoll %1; seinen Ausgang 
bildet eine Choralparaphrase. Dem dritten Satze, dem 
Adagio (D dur 2 . 4 ) , dem frommsten und ehrfurchtsvollsten 
Theile der Sinfonie scheint der Gedanke zu Grunde zu 
liegen : »Betet an den Herrn in seinem heiligen Schmucke.« 
Er bildet den Schluss des Sinfoniethcils im Lobgesang. 
Nun setzt die Cantate ein. In ihrem ersten Chore sucht 
sie die Verbindung mit dem Vorausgehenden, indem sie 
das oben angegebene Thema des ersten Sinfoniesatzes 
zu den Worten »Alles was Odem hat, lobe den Herrn« 
aufnimmt. Der Höhepunkt dieser Cantate ist das dra- 
matische Recitativ des Tenors »Hüter ist die Nacht bald 
hin ?« 

Weniger bekannt, im Drucke erst seit dem Jahre 



F. Mendelssohn < 868 vorliegend, ist Mendelssohns »Reformationssinfo- 
Reformations- nie«. Das Werk ist interessant als ein halb decla- 
Sinfonie. rirter Beitrag Mendelssohns zur Programmmusik. Auf 



die Reformation selbst nimmt es den klarsten Bezug im 
letzten Satz, dessen Mittelpunkt der Choral »Eine feste 
Burg« bildet. Um ihn herum treten noch kriegerische 
Liedweisen, die den Charakter der Volkslieder des Mittel- 
alters tragen. Der religiösen, ernsten Seite der Reformation 
selbst, ihrer streitbaren Natur, ihrer Freudigkeit am Kampfe, 



ersten Satze) mit Posaunen : 




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ihrer Festigkeit im Glauben und im Gottvertrauen ist der 
erste Satz gewidmet. Mit einer gewissen Starrheit und 
Unbeugsamkeit hält diese Gomposition ein kurzes Motiv 

Allegro. 

fest: r =1 — trt-^— — das von der Einleitung bis zum 



-tr a — 

Schlüsse, wie der feste Wächterruf in der Nacht, den 
Satz durchschallt. Wie das Kleinod, dem das Mühen gilt, 
ist die Melodie des Lutherischen Amen (das sogenannte 
»Dresdner Amen«, das auch Wagner in seinen Parsifal 



aufgenommen hat): #J | f -fj ^f_ l 2^ ' I " -j 

in die erste Abtheilung der Sinfonie hineingestellt. 
Der Zeit der Reformation gilt der zweite Satz, ein 
Allegro vivace, die musikalische Verkörperung einfachen, 
altvaterisch schlichten und kräftigen Frohsinns. Die 
Melodie desselben erscheint als metrische Umbildung des 
zweiten Thema im Vivace der schottischen Sinfonie. 
Das Trio besitzt Weihnachtsklang. Das Andante hat 
nach der Kürze des Umfangs und nach seiner erregten 
Haltung Aehnlichkeit mit einem Rccitativ. 

Im melodischen Style weicht die Reformationssinfonie 
von den drei vorhergenannten Werken ab. Nichts von 
den weichen Sext- und Terzvorhalten, welche in den 
Weisen der mittleren Periode immer wiederkehren, und 
wenig von der Rücksicht auf das Violinmässige, welche 
in der Motivbildung der andern Orchesterwerke häufig in 
den Vordergrund tritt. Es geht ein herber, aber cha- 
raktervoller Zug durch die Melodik der Reformations- 
sinfonie, der allein dazu berechtigen würde, diese Com- 
position der Jugendzeit Mendelssohns zuzuweisen. Sie 
theilt ihn mit seiner ersten Sinfonie, der in Cmoll. 
Diese ist (als Opus 41) der philharmonischen Gesellschaft^ MendelB8olm 
in London gewidmet, vor längerer Zeit schon durch Cmoll - Sinfonie - 
Schlesinger in einer gestochenen Ausgabe veröffentlicht, 
aber für Aufführungen so gut wie nicht benutzt worden. 
Der Stoff, welchen sie der Vergleichung und der bio- 
graphischen Betrachtung bietet, ist nicht unbeträchtlich. 



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1 54 



Im Style steht sie auf dem Boden der »Hochzeit des 
Camacho«, der »Heimkehr aus der Fremde« und lässt gar 
nichts von der eigenthümlich phantastischen und reich 
beweglichen Natur des Componisten der Sommernachts- 
traummusik ahnen. In den Gedanken folgt sie nament- 
lich der Führung Beethovens; der erste Satz knüpft 
direct an Ideen des Gdur-Concerts, der Coriolanouver- 
türe und der Waldsteinsonate dieses grossen Vorbildes 
an. Trotz dieser Unselbständigkeit ist aber das Werk 
wegen der Kraft, Frische, Knappheit und der Entschie- 
denheit, mit der es sich auf gedanklich Wichtiges richtet, 
ein sehr erfreuliches und besitzt eigne Lebensfähigkeit. 

Die naive Richtung der Romantik tritt mit der phan- 
tastischen ziemlich gleichzeitig in die Musik herein. Ihre 
ersten Vertreter, unter welchen wir den liebenswürdigen, 
lyrisch schwungvollen F. E. Fesca (vier Sinfonien 1817 
bis 23) nennen, gehören noch dem Stylbereiche der nord- 
deutschen Schule an. Ihr Hauptmeister ward R. Schu- 
mann. In der grossen Reihe hoher Dichtergaben, deren 
Vereinigung Schumanns Individualität imposant macht, 
sticht sein naiver Zug besonders hervor. Mit ihm vertritt 
er in der Sinfonie kräftiger, als es vor ihm geschehen, 
jenen Rousseau'schen Zug zur Natur und Einfachheit, 
dessen Aufleben den gesundesten Theil der romantischen 
Bewegung bildet, denselben Zug, welcher unsere Dichter 
zum Volkslied zurückführte und unsere Maler, Ludwig 
Richter voran, den grossen Schatz von Poesie neu entdecken 
liess, der sich dem sinnigen Auge in der Alltäglichkeit 
des heimischen Lebens, auf dem naheliegenden Terrain 
des eigenen Landes aufthat. Der jugendliche Ton, die 
grosse Dosis ungezwungener Natürlichkeit ist es in erster 
Linie , durch welche Schumanns Musik ihre erfreuende 
und erfrischende Macht übt. Diesen inneren Eigenschaften 
verdankt sie auch viele von ihren eigenthümlichen for- 
mellen Elementen: die Figuren und Gesang ineinander- 
ziehende Themenbildung, die aphoristischen und ver- 
steckten Melodien, die jetzt ungenirt losen, jetzt seltsam 
verketteten Rhythmen, die Naturlauten gleichenden Dis- 



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-<* 155 



sonanzen, und alle die neuen Elementarbildungen, durch 
welche Schumanns Schöpfungen für die weitere Entwicke- 
lung der Tonkunst von grosser Bedeutung geworden sind. 

In die Reihe der Sinfoniker trat Schumann ungefähr 
ein Jahr, bevor Mendelssohns »schottische Sinfonie« 
erschien. 

Die echten Romantiker pflegen ihr Bestes gleich beim 
Anfang zu geben. Schumanns sinfonischer Erstling war 
die Sinfonie in B dur (Op. 38 , eine seiner schönsten Ton- 
dichtungen und dasjenige Werk, welches seinem Namen 
mit einem Schlage die historischen Würden erwarb. Die 
Bdur-Sinfonie hält sich an die bekannten Hauptformen 
der Gattung und bewegt sich im Wesentlichen in ver- 
trauten und jedem Menschen naheliegenden und lieben 
Ideenkreisen — aber Schumann behandelt Idee wie Form 
mit ungewöhnlicher Freiheit und Kühnheit. Ja in der 
kurzen, ungenirten Ausdrucksweise . welche er in einzel- 
nen Sätzen entwickelt, liegt eine Originalität, die nicht 
blos vor 40 Jahren neu war. die auch heute noch 
discutabel sein würde, wenn nicht der Grund einer fort- 
reissenden Natürlichkeit und einer mächtigen Phantasie, 
auf denen sie ruht, zu stark durchleuchtete. Schumann Ä - Sohumann 
selbst nennt in einem Briefe an Griepenkerl seine Bdur- B dur-sinfonie. 
Sinfonie »in feuriger Stunde geboren.« Sie war in der 
kurzen Zeit von vier Tagen im Entwurf fertig. 

Die poetische Idee des Werkes soll*) mit dem Ge- 
dichte »Du Geist den Wolke trüb und schwer« von Adolf 
Böttiger in Beziehung stehen. Die Worte »Im Thale zieht 
der Frühling auf« scheinen diejenigen gewesen zu sein, 
welche die Phantasie des Componisten am stärksten leiteten. 

Dunklen Bildern und Ideen giebt Schumann in die- 
sem Werke, welches den Stempel einer glücklichen Zeit 
überall trägt, nur so weit Raum, als es das Gesetz des 
Gegensatzes, das Lebenselement der Sonaten- und Sin- 
fonieform, fordert. 



*) Nach einem auf der Leipziger Stadtbibliothek befindlichen 
Widmungsblatt Schumanns an den Dichter. 



^ 156 ^ 




Die Einleitung stellt zuerst diesen Gegensatz hin. 
Feierlich und ernst, auch etwas drohend, erhebt sie sich 

Andante an poco maestoso. 

in ihrer ersten Hälfte. * 
In lapidarer Form 

bringt sie das Motiv voraus, welches in dem Gefüge des 
ersten Satzes die Hauptstütze bildet.*) Klagende Weisen 
tauchen in den Holzbläsern auf, schwer und kurz schlagen 
die Massen mit Accorden drein. Da mit einem Male, mit 
einem Ruck in der Harmonie, kommt Flötenklang: der 
Horizont hellt sich auf; in den Geigen beginnt es zu 
rauschen und in einem grossen, mächtigen Zug geht es 
über in das kräftige, frische Leben des Allegro: 

AUogro tnolto vivace. 

** * * + ' » ff 




So lautet das Haupt- 



thema — für den ersten Satz einer Sinfonie eine unge- 
wöhnlich leicht gefügte, fast wunderliche Erscheinung, 
die in ihrer Naivetät dem Geiste Haydns und älterer Meister 
nahe steht. Auch das zweite Thema ist in seiner Bildung 
ungewöhnlich : 

Es gleicht mehr einer Kette von Naturlauten als einem 
künstlerisch gestalteten Gesang. Was sonst noch an 
Melodie in der Themengruppe vorkommt, das reducirt 
sich auf Scalenmotivc und auf kurze und kecke Andeu- 
tungen. Neben diesen anspruchslosen und bagatellartigen 
Ideen stehen aber Perioden, in welchen sich die Harmonie 
in dem grossen Style Beethovens aufbaut, kühn, sicher 




*) Nach des Componisten erster Intention hiess das Motiv 

: gab aber auf den damals nur 




für Naturtüne eingerichteten Hörnern einen komischen Effect. 



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und leicht gestaltet. Alles ist vom Leben getragen und 
eine mächtig ' drängende Stimmung verräth die unge- 
wöhnliche Künstlernatur, die auch aus Kleinigkeiten Be- 
deutendes bildet. Die Durchführung nimmt einen dop- 
pelten Anlauf. Das erste Mal geht der Weg über die 
beiden ersten Tacte des Hauptthemas. Ihren dunklen 
Combinationen fügt der Componist noch eine neue, un- 
bestimmt suchende Melodie bei: 




Auf der Höhe angekommen, erhebt die Flöte ihre Stimme 
und jubilirt wie eine Lerche mit der losen Sechzehntel figur, 
welche die zweite Hälfte des Hauptthemas bildet. Das Tri- 
angel klingt romantisch drein. Beim zweiten Male geht der 

Weg über ein Nebenmotiv -j ^-^-^^ ^^ ^ ^ j^i^j ^t^^^. 

und führt unmittelbar in den dritten Theil des Satzes 
über. Die Stelle, wo das Hauptthema in den breiten 
Rhythmen der Einleitung von Trompeten und Hörnern 
getragen und mit dem vollsten Glänze des Orchesters 
wieder eintritt, ist eine der herrlichsten in allen Sinfonien ! 
Die Reprise ist sehr kurz gehalten, der zweite Theil des 
Hauptthemas sogar übergangen. Dafür fügt der Componist 
eine breite Coda an, die sehr viel Neues bringt. Besonders 
schön und innig berührt uns nach den stürmischen und 
hastigen Anläufen, mit denen sie beginnt, der fromme 
und ruhige Gesang 




Die rhythmischen Stockun- 



gen, welche den graden Gang dieser Melodie aufhalten, 
sind eine Liebhaberei Schumanns. Aus ihr entwickelte 
sich mit der Zeit mehr und mehr eine erschwerende und 
störende Manier. 

Der zweite Satz JLarghetto Es dur 3 / 8 ; erscheint durch 
die letzt angeführte Episode in der Coda des ersten Allcgro 



ideell vorbereitet. Er redet die Sprache eines Herzens, das 
leise zagt, bittet und vertraut. Ein tief religiöser Zug 
lebt darin. In Geist und Form dieses Larghetto ist viel 
Beethovensches, namentlich in den Uebergangsgruppen. 
Als Hauptthema dient dem Satze folgende Melodie: 

Larghetto. 





cretc. 





trcsc. ~~fp cr«*ti ' if f 

Die Ausweichungen ihrer ersten Tacte sind ganz Schu- 
manns Eigen. In der kurzen Gruppe, welche der Repe- 
tition des Themas durch die Celli ;in B) vorausgeht, tritt 

ein Beethovensches Motiv 

hervor. Der Gegensatz zum Hauptthema besteht aus einer 

knappen Partie, in welcher das Motiv 

durch die Instrumente wandert. Auch in diesem Satze 
bringt der Schluss etwas ganz Neues: einen wie aus 
der Ferne herüber tönenden Posaunenchor. Wie mit 
einer stummen, tiefsinnigen Frage klingt das Larghetto 
aus, und unmittelbar, ohne eigentliche Pause, schliesst 
sich das Scherzo mit seinem energischen Thema an: 

AHegro vivace. 





Der zweite Theil des Hauptsatzes ist ungewöhnlich knapp 
gehalten. Eingeleitet wird er durch eine selbständige, 
liebenswürdige Idee 




crtsc. 



Dem finstren Tone, der den eigentlichen Scherzosatz be- 



159 -Ge- 



herrscht, stellt Schumann zwei Trios gegenüber, auch 
hierin kühn und neuernd. Von beiden ist das erste na- 
mentlich von grosser und gewinnender Originalität: ein 
Wiegen auf weichem Rhythmus, ein Klingen und Grüssen 
lieblicher Accorde, das aus der Ferne näher und näher 
kommt und wie die starke Melodie der Winde anschwillt! 
Für die rhythmische Grundidee dieses Trio 

liegen in Beethovens erster, 

für die Mystik seines Klanges in desselben Componisten 
neunter Sinfonie Vorbilder vor. Ein kleines, munteres Motiv 




m 



bildet den Ab- 




schluss der wunderbaren Partie. Das zweite Trio ent- 
wickelt eine harmlose, jugendliche Fidelität auf Grand 
eines altbekannten Allerweltsthema: 

Das erste Trio 

wird am Schlüsse des Scherzo noch einmal citirt, es 
erscheint mit innigen, sehnenden Blicken und verschwindet 
mit einem Seufzer. Das Finale der Sinfonie ist aus 
Heiterkeit und Kraft gemischt. Es dreht sich in ver- 
gnügter Stimmung in originellen, anmuthig possirlichen 
Wendungen 

Allegro animat 




(erstes Thema) und führt wunderliche Dialoge, in welchen 
den ausgezeichnet gelaunten Bläsern von den Geigen 
unwirsch und barsch geantwortet wird 




Aus dieser eigenartig klingen- 
den Stelle entwickelt sich 



f f 7TT 

/ 1 Viol. 1 

dann das eigentliche zweite Thema des Finale, der Aus- 




-fr 160 -Öl- 



druck eines in Ruhe, Dankbarkeit und Festigkeit gesam- 
melten Gemüthcs: 




Unter den vielen Zügen des Humors, die sich in diesem 
Finale linden, sei namentlich auf die Stellen aufmerksam 
gemacht, wo sich die Bässe mit den Celli und Bratschen 



des Motivs \ bemächtigt haben. 

Der Entsteliungszeit nach liegt die vierte Sinfonie 
Schumanns Op. 120, nicht weit von der ersten. Sic 
wurde im Jahre 1841 als Nr. 2 aufgeführt und erfuhr 
später, als sie ihre jetzt bekannte Gestalt erhielt, nur 
einige Abänderungen, die sich hauptsächlich auf die In- 
strumentirung bezogen. Sie ist in ihrem Kunstwerth der 
B. Sohamann B-dur-Sinfonie mindestens gleich, wenn nicht überlegen 
Dinoll-Sinfonieund ihr auch im Charakter nahe verwandt. In der Ge- 
schichte der Sinfonieform bildet Schumanns Dmoll- 
Sinfonie ein wichtiges Document. Wir denken hierbei 
weniger daran, dass in ihr genau wie in Mendelssohns 
A-moll-Sinfonie die vier Sätze des Werkes ohne Unter- 
brechung auf einander folgen, also gleichsam einen ein- 
zigen grossen Satz bilden sollen, als vielmehr an die 
glücklichen Versuche Schumanns die einzelnen Sätze in 
einen engeren materiellen Zusammenhang zu bringen und 
dem ganzen Werke eine strengere Einheit zu geben: Die 
Introduction ist mit der Romanze, der letzte Satz mit 
dem ersten durch Gemeinsamkeit und Verwandtschaft 
der Themen verknüpft. Aber auch innerhalb der ein- 
zelnen Sätze, namentlich im ersten, zeigt der formelle 
Aufbau gelungene Neuerungen von Bedeutung. Ange- 
sichts der Sicherheit und Leichtigkeit, mit welcher sie 
vollzogen sind, kann man nur erstaunt sein, dass vor- 
mals und neuerdings wieder die Frage aufgeworfen werden 



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-fr 161 



konnte, ob Schumann der grossen Form völlig Herr ge- 
wesen sei. 

Das Thema, mit welchem nach einer etwas schwer- 
müthigen Introduction das erste Allegro einsetzt, ist 
folgendes : 

Lebhaft, 




allerdings formell eine blosse Figur, aber eine Figur voll 
Charakter, aus der eine starke Erregung spricht. Es ist 
höchst meisterlich, wie Schumann dieses schwierige Thema 
handhabt, jetzt zum Ausdruck trotzig stürmender Kraft, 
jetzt des Zweifels gebraucht und dann mit ihm in freu- 
dige Regionen einlenkt. In keinem Tacte lässt er das- 
selbe aus der Hand. Ob als Hauptglied, ob als Arabeske, 
immer ist es da und beherrscht die ganze Themengruppe, 
so dass, obgleich Alles singt und lebt, ein zweiter eben- 
bürtiger Hauptgedanke in dieser nicht aufkommt. Um 
so üppiger blühen die neuen Ideen im Durchführungs- 
theile. Da ist zunächst das geheimnissvolle Motiv der 



Posaunen 




welches sich mit den 



Umbildungen der Hauptfigur verbindet; da ist ferner 
die feierlich, prächtige, mit Fermaten gekrönte Gruppe, 

deren Thema: 




später die Spitze und den Kern des Finale der Sinfonie 
bildet, da ist vor Allem die schöne, zarte, echt Schu- 
mann'sche Gestalt, die, noch post festum eintreffend, 
den Platz und die Bedeutung eines zweiten Thema 
in dem Satze erhält: 




fresc. 



In der dem Componisten eigenen Weise ist auch diese 
Melodie an verschiedene Instrumente vertheilt. 

Aus der freudigen Sphäre, in welche der schwung- 
volle feurige Schluss des ersten Satzes versetzt, ruft 

H 



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-fr 162 -fr- 



ii ns der Einsatz des folgenden dämonisch ab. Ohne 
Zweifel hat dieser accentuirte Dmoll-Accord, den die 
Bläser wie einen Schmerzensruf ausstossen, mit dem be- 
kannten Quartsextaccord, welcher das Allegretto in Beet- 
hovens siebenter Sinfonie einleitet, eine geistige Verwandt- 
schaft. Aber bei Schumann wird die Wirkung des ele- 
mentaren Mittels dadurch verschärft, dass die Zwischen- 
pause der beiden Sätze wegfällt. Es ist wie ein Regen- 
schauer bei blauem Himmel! 
edel wehmüthigen Gesang 
Ziemlich langsam 



Die Romanze mit ihrem 




gehört zu dem Schönsten, was 

die Musik an Volkspoesie besitzt. Mit der grössten Natür- 
lichkeit schliesst ihr Schumann die nachdenklichen Ge- 
danken an, welche das thematische Material der Intro- 
duetion der Sinfonie bilden: 




Die klagende Melodie hat sie geweckt. Eine ausserordent- 
lich liebenswürdige Idee des Componisten aber ist es, aus 
ihnen den freundlichen, sonnigen Ddur-Satz zu ent- 
wickeln, welcher die Mitte des kleinen Tonbildes ein- 
nimmt. Zu der Schönheit der Zeichnung und der Inten- 
tion kommt hier auch noch der warme milde Klang, den 
die Celli der Melodie geben, und der Reiz, den der zier- 
liche Schmuck der Solovioline darüber giesst. 

Das Scherzo hat einen kräftigen Humor, am Schluss 
des Hauptthemas 




spricht der Uebermuth der Jugendkraft, der Schumanns 
beste Compositionen kennzeichnet. Aus dem Grund- 



motiv des 



Hauptthemas : j~ : fj~J ~ TT$ 



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~* 1 63 



bildet der zweite Satz zärtliche und innige Varianten. 
Das weiche, träumerisch sinnige Trio, mit seiner sanft 
dahingleitenden Melodie: 




kehrt nach der Wiederholung des Hauptsatzes zurück. 
In seine einfache Herzlichkeit mischen sich schmerzliche 
Töne. Es nimmt einen langen Abschied und klingt dann 
noch wie aus weiter Ferne wie in Traumesschatten an. Als 
es ganz still geworden, intoniren die ersten Violinen wieder 
das Sechzehntelmotiv des ersten Allegro in der Form eines 

Langsam. 

schüchternen Vorschlags: 




M- Die Posau- 



nen und Hörner sind vor der Hand noch anderer 
Meinung und wollen bei der ernsten Weise bleiben. 
Die Mehrheit entscheidet aber zu Gunsten der Violinen, 
die Holzbläser gehen mit ihrem Antrag sogar noch weiter 
und stellen Motive auf, die dem freudigen Gezwitscher der 

Vögel zu gleichen scheinen: 

So wird der heitere Charakter des letzten Satzes festgestellt. 
Diese 16 langsamen Takte, welche den Uebergang vom 
Scherzo zum Finale bilden, enthalten einen Reichthum von 
Fantasie und von musikalischen Ideen, welcher für eine 
eigene neue Composition ausreichen würde. Das Haupt- 
thema des Finale ist uns aus der Durchführung des ersten 

Bewegt. 

Satzes bekannt : - j ft-ir -g 




ff 



HDfl Mit der 



Entschiedenheit, die der Grundstimmung des Finale ent- 
spricht, rückt es sofort im dritten Tacte nach C dur. 
Die Bässe in ihrem schwerfälligen Geiste halten noch 
eine ganze Weile an der Sechzehntel (igur fest. Das 
Finale hat seine schwülen Momente: Sie finden sich 

in dem g „ rT^ -. welches oft durch das Orchester 
Motive -Y-r * —yj^ fährt, namentlich aber am Em- 
il* 



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164 



gang der Durchführung, wo dem über das Hauptthema ge- 
bildeten Fugato ganz eigenthümliche Dissonanzen, in ihrem 
besonderen Klange eine eigenste Erfindung Schumanns — 
vorhergehen. Aber immer folgen diesen flüchtigen Trü- 
bungen Partien von vollendeter Anmuth. Das zweite 
Thema ist ihr Hauptträger: 




in seiner Mischung von Grazie, Caprice und jugendlich 
fröhlicher Naivetät ein echter Schumann. Dasselbe geht 
in eine Periode von kühnem, harmonischem Aufbau über, 
in der die Kraft aufbraust. Der Posaunenklang kenn- 
zeichnet sie. Nach Beendigung der Reprise lenkt der 
Satz noch einmal auf ein ruhigeres Gebiet über, mit 
einem unerwarteten neuen Thema: freundlich fragenden 

Charakters: ^If.^jj^V ^^^ . Um so stürmischer 

bricht dann der jubelnde Schluss ein. Er hat die Form 
einer Stretta, frei nach italienischen Mustern ! Das letzte 
Presto hat noch nie seine Wirkung verfehlt. 

Mit seiner D moll-Sinfonie zugleich brachte Schu- 
mann eine zweite kleine Sinfonie in drei Sätzen zur 

E. Schumann ersten Aufführung, die unter dem Titel »Ouvertüre, Scherzo 
Ouvertüre, und Finale« als Op. 52 veröffentlicht wurde. Auch diese 

Scherzo, Finale. Sinfoniette zählt, nach der Häufigkeit der Aufführungen 
zu schliessen, unter Schumanns beliebteste Compositionen 
und hat den Schülern dieses Meisters besonders oft als 
Modell gedient. Was sie so anziehend und wirkungsvoll 
macht, ist der stark ausgeprägte Ton ritterlich phant- 
astischer Romantik. Darin und in der ganzen Richtung 
der Phantasie erscheint sie als das Seitenstück zu den 
vierhändigen Märchenbildern. Man könnte ihr eine neuere 
oder ältere »Aventiure« unterlegen. Es lebt in ihr ein 
weltfahrender, abenteuerlicher und munterer Sinn, 




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165 *~ 



Sie erzählt von Lieben und Sehnen 

- — ^ . ^ (1. Satz.) 




und auch von Fehden und wehrsamen Streichen: 




* Hl T^T f dassSchumann 



am Eingang des Werkes so deutlich den Geist Cherubinis, 
des Componisten der »Abenceragen« vorbeiziehen lässt. 
Auch Webers romantische Harmonien klingen in der Ouver- 
türe durch. Musikalische Erfindungen bietet die kleine 
Sinfonie von eigenster und reizendster Art; in der Ausfüh- 
rung steht sie jedoch hinter den beiden Sinfonien in 
B und D beträchtlich zurück. Die Ungezwungenheit des 
Componisten artet hier vielfach in Lässigkeit und Breite 
aus; ja der letzte Satz trägt in den Mendelssohnschen 
Citaten und in dem eigensinnigen Beharren an alltäg- 
lichen Einfällen, in der Monotonie des Rhythmus und 
Metrums die unverkennbaren Spuren einer versagenden 
Phantasie. 

Auf einem andern Boden als diese drei Werke steht 
Schumanns Cdur-Sinfonie, die (als Op. 64) in der Ver- 
öffentlichung der in Dmoll vorausging und bekanntlich g, Bohumann 
die zweite genannt wird, aber nach der Entstehungszeit cdur-Sinfonie. 
und nach der ersten Aufführung Schumanns dritte Sin- 
fonie ist. In dieser Sinfonie hat Schumann hohe pa- 
thetische Intentionen =j^^^^=^^^^^^^^^^= welches 
verfolgt. Das Motiv: ff * J_ - l - L I ' = die Trom- 
peten und Hörner an den Eingang der feierlich sinnen- 
den Introduction hinstellen, durchzieht, mit Ausnahme 
des Adagio, alle Sätze des Werkes wie ein geheimniss- 
volles Geisterwort und bietet uns die Richtschnur für 
den aussergewöhnlichen Flug , welchen Schumanns Phan- 



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166 



tasie in dieser Tondichtung zu nehmen gedachte. Es 
handelte sich hier für den Componisten um die grossen 
Leidenschaften und die höchsten Ideen einer tiefen 
Menschenseele, um Faust'sche Probleme: um den Weiter- 
bau auf jenem grausig schönen Terrain, auf welchem 
die neunte Sinfonie steht. Es ist auf Grund dieser 
zweiten Sinfonie namentlich, dass Schumann von einer 
Anzahl treu ergebener Verehrer als der »Erbe Beetho- 
vens« proclamirt wird. Wir wissen was Schumann mit 
diesem grössten Tondichter des Jahrhunderts gemeinsam 
hat. Wir stellen die zweite Sinfonie um ihrer Intention 
willen sehr hoch — aber wir glauben doch, dass es eine 
Irrlehre ist, sie als die Hauptsinfonie ihres Autors zu er- 
klären. Sie ist in dem Werthe der musikalischen Grund- 
ideen selbst sowohl als in ihrer Behandlung ungleich; sie 
mischt Perlen und Sand und steht an Frische und Na- 
türlichkeit der Gestaltungskraft den vorausgehenden Sin- 
fonien sowohl in einzelnen Satzgruppen , wie auch in 
ganzen Sätzen nach. Mit der C dur- Sinfonie beginnt ein 
Abschnitt der Entwicklung Schumanns als Instrumen- 
talcomponist, in welcher der naiv -romantische, volks- 
thümliche Zug seiner Erfindung die vornehmere künst- 
lerische Sphäre häufig verlässt. Namentlich in den Fi- 
nalsätzen der C dur-Sinfonie und in dem der ihr folgen- 
den Fsdur-Sinfonie tritt diese Erscheinung zu Tage und 
leider gerade an ihren Hauptthemen. Zu dem Besten 
der C dur-Sinfonie zählt im ersten Satze der Abschnitt, 
welcher das zweite Thema entwickelt, und das Thema 
selbst, welches in der Introduction schon angekündigt wird: 




Das Hauptthema des Satzes 




P crem. 




, in seinem caprieiösen Cha- 



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167 




rakter allerdings sehr wohl verständlich, leidet schon 
an der Monotonie des Rhythmus, welche die schwächeren 
Werke Schumanns kennzeichnet. In der Durchführung 
ist ein müder, stockender Schritt, der die Höhe nur er- 
strebt. Doch sind darin in der Gattung des leidenden Aus- 
drucks grosse Schönheiten. Die Glanznummern der Sinfonie 
sind der zweite und dritte Satz; jener ist ein Scherzo. 

welches in dem Haup t - -j 
satze aus dem Motive? 

entwickelt ist. Es dringt aus der anfangs bewölkten 
Sphäre zuweilen zu einer grandios freien Stimmung vor, 
namentlich in den Hdur-Schlüssen. Die Frühlingsklänge, 
die sich in den Holzbläsern vereinzelt hören lassen, er- 
scheinen im ersten Trio zu einem Gedichte zusammen- 
gereiht. Das zweite Trio, welches nach der Repetition 
des Hauptsatzes einsetzt, gehört zu den schwächeren 
Partien der Sinfonie. Der dritte Satz ist ein Adagio, 
das in seiner Anlage einer Phantasie über folgendes 
Thema gleicht: 

Adagio. 





^£^-jvf*^E5= . Dieser tiefe, seelenvolle Gesang 

beherrscht den Satz: ein selbständiges Thema tritt ihm 
nirgends auf die Dauer entgegen. Die wunderbare Melodie 
scheint, der trauernden Peri gleich, den Himmel zu suchen. 
Und sie findet die Pforte offen. Da: an den Stellen, 
wo die Violinen in Trillern von der höchsten Höhe wieder 
herabschweben, kann man einen Blick hineinthun. Dieses 
Adagio, eins von den wenigen neuen, deren Kürze 
man bedauert, wirft noch etwas von seinem Glanz in 
den letzten Satz der Sinfonie hinein. Kurz nach dem 
Abschlüsse des ersten Thema, dessen Hauptkern folgender: 
Aiiegro noito. da wo die Violinen 

ihre Achtelfiguren 




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anfangen — ergreifen im Finale die Celli den Gesang des 
Adagio und bilden aus ihm das zweite Thema des Schluss- 
satzes. Die spätere Stelle — sie ist an den Generalpausen 
leicht zu erkennen — , wo diese schöne Melodie gleichsam 
unter allgemeiner Trauer ins Grab gelegt wird, ist eine der 
ergreifendsten im ganzen Finale. An gross gedachten Com- 
binationen ist dieser Schlusssalz reich. Wir rechnen da- 
hin ausser der Einführung des zweiten Thema aus dem 
ersten Satze auch die Aufnahme eines bekannten Beetho- 



venschen Gedankens : 




Was den Eindruck des Finale beeinträchtigt, das hängt 
mit dem Charakter des Hauptthema und seiner mehr 
wiederholenden, als umbildenden Durchführung zusammen. 
Die dritte Sinfonie Schumanns (Esdur Op. 97} rückt 

S. Schumann den beiden Vorgängen in B- und Dmoll wieder näher. 

Esdur-Sinfonie.Ihr Grundcharakter ist ein heiterer. Wird doch ange- 
nommen, dass sie zu dem frischen Leben des Rhein- 
landes in inneren Beziehungen steht. Sie ist Schumanns 
letzte Sinfonie, entstand in Düsseldorf und kam am Anfang 
der fünfziger Jahre zur Veröffentlichung. In ihrem Style 
unterscheidet sie sich von den ersten Sinfonien in Bdur 
und Dmoll, obgleich sie mit ihnen die Richtung der 
Phantasie theilt. Eine gewisse Schwerfälligkeit hat Platz 
gegriffen, die sich in dem ersten Entwurf der Tonge- 
danken und in ihrer nur Transpositionen bietenden Ent- 
wickelung äussert. Ja sogar bis auf die Instrumentirung 
erstreckt sie sich. Der Klang ist oft pomphaft, aber in 
seiner Feierlichkeit monoton ; vorzugsweise marschirt das 
Orchester in schwerer Rüstung und breitem Tritt. Wo 
sind die geistvollen, lebendigen, sprühenden und charak- 
teristischen Violinfiguren hingekommen? Doch hat auch 
diese Sinfonie noch sehr schöne Partien. Dahin zu 
rechnen ist im ersten Satze namentlich das zweite 
Thema: 




* t ■ 



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~* 1 69 



vom zweiten Satze der Haupttheil, der in einer gewissen 
altvaterischen Fröhlichkeit gehalten ist. 

Der Mittelsatz in diesem zweiten Satze, der dem Trio 
des Scherzo entspricht, erhält eine eigenthümliche Fär- 
bung dadurch, dass die einfache elegische Liedweise, wel- 
che die Holzbläser spielen, über einen grossen, tremoli- 
renden Orgelpunkt gespannt wird. Für den bescheidnen 



Sehr massig. . ,. 

Grundstoff .< — lstdieAus- 



sehr reichlich bemessen. Nach dem Andante ;Asdur C). in 
welchem sich sentimentale Elemente mit tändelnden 
mischen, kommt noch ein zweiter langsamer Satz Es 
mott C) mit feierlichem Posaunenklang, in den seltsam 
aufgeregte Figuren hineinspielen. Man denkt an ein 
»Gretchen im Dorna. Eine kirchliche Scene zu schildern, 
soll auch in diesem Satze Schumanns Absicht gewesen 
sein. Er schrieb ihn kurz nachdem er einer Feierlich- 
keit im Dome zu Cöln beigewohnt und gab ihm ursprüng- 
lich eine erklärende Ueberschrift. Von dieser Domscene 
ist noch ein Nachklang im Finale zu finden. In der 
Hauptsache entrollt aber letzteres eine Menge der lau- 
nigsten, anmuthigen und frischen Scenen, in deren necki- 
scher Leichtigkeit wieder der alte Schumann lebt. Nur 
das Hauptthema des Schlusssatzes und die Gruppen, 
welche zu ihm gehören, bilden eine schwächere Partie. 



des Satzes: 




führung 




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IV. 



Die Programmmusik und die nationale 
Richtung in der Sinfonie. 



r^gjRleben Mendelssohn und Schumann kommen von den 
jBoög übrigen deutschen Componisten, welche zur Zeit 
Ikk^B dieser Meister Sinfonien schrieben, nur die wenigen 
Namen ernstlicher in Betracht, welche im vorhergehenden 
Abschnitt aufgeführt sind. Es gingen und kamen noch An- 
dere: die Gährich, Hesse, Kittl, Lührss, G. G. Müller. Ihre 
Werke wurden einmal gespielt und dann mit Hochach- 
tung bei Seite gelegt. Die Spuren , welchen diese Ton- 
setzer folgten, waren hauptsächlich die Mozart's und die 
des jungen Beethoven; einzelne stimmten in den roman- 
tischen Ton Weber's und Spohr's ein. Der früh verstor- 
bene Norbert Burgmüller ist das einzige unter den 
deutschen Talenten jener Periode, welches einen selbstän- 
digeren und kräftigeren Eindruck hinterliess. Seine Cmoll- 
sinfonie, wenigstens ihre Miltelsätze: Adagio und Scherzo, 
vermögen noch heute zu interessiren. 

Diejenigen Sinfonien, welche neben denen Mendels- 
sohn's und Schümanns Epoche machten, kamen vom 
Auslande: von Hector Berlioz und von Niels Gade. 
Jener eröffnete eine neue Periode der Programmmusik, 
dieser begründete eine Schule von ausserdeutschen Sin- 
fonikern, in deren Werken Elemente der Volksmusik die 
Grundlage oder eine reiche Zugabe bilden. 



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Unter »Programmmusik« versteht man bekanntlich 
eine Musik, welche als die Darstellung bestimmter innerer 
oder äusserer Vorgänge aufgefasst sein will, welche Ge- 
schichten in Tönen zu erzählen und nachzumalen ver- 
sucht und die Phantasie an gegebene Objecte bindet. Die 
Tendenz dieser Kunstrichtung ist so alt wie die Musik 
und hat ihre natürliche Stütze in der Thatsache, dass 
Tonverbindungen wesentliche Merkmale geistiger Ideen 
und körperlicher Erscheinungen wiedergeben können. In 
der Vocalmusik bildet die Uebereinstimmung von Ton- 
und Textideen ein wichtiges Kriterium für den Kunst- 
werth der Gompositionen. So lange es eine künstlerische 
Instrumentalmusik giebt, sind auch in dieser zu allen Pe- 
rioden Versuche gemacht worden, bestimmte Programme 
durch die Töne zu übersetzen. Diese Versuche waren 
in der Regel von neuen, aber auch von verwunder- 
lichen Resultaten begleitet. Immer haben die Pro- 
grammmusiker eine poetische Hinneigung zu Ausnahms- 
zuständen , zu aussergewöhnlichen Ereignissen und zu 
Gegenständen gezeigt, welche ausserhalb der mensch- 
lichen Anschauung und Erfahrung liegen. So schildert 
schon Froberger einmal Jacobs Himmelsleiter, ein ander- 
mal einen Schiffbruch und einen Ueberfall durch See- 
räuber, Kuhnau die » Unsinnigkeit« Sauls. Für die 
neueste Epoche der Programmmusik ist eine ähnliche 
Neigung geradezu zum Merkmale gemacht worden. Ist 
von ihr die Rede, so erinnert man sich, mit Unrecht, 
aber doch thatsächlich , in erster Linie der grässlichen 
Stoffe, welche sie zur Behandlung gewählt hat. Man denkt 
an die Hinrichtungsscene, an den Höllensatz in Berlioz's 
Sinfonie fantastique, an die Banditenscene in seinem Ha- 
rold, an Liszt's Mefistosatz im »Faust«, an den Inferno 
in der Dantesinfonie, an den Mazeppa, den Prometheus 
und die » Hunnenschlacht « des letztgenannten Compo- 
nisten. Das sind Partien, in welchen die neue Programm- 
musik zugleich auch von dem Style, welcher bis dahin 
in den Sinfonien üblich war, sehr bemerkbar abweicht. 
Wo die Extreme der Leidenschaften, wo Zustände der 



grössten Erregung, Ereignisse unerhörten Charakters, wo 
die Superlative der Phantasie berührt werden sollen, da 
bauen diese Componisten wie die Cyclopen mit unbe- 
hauenen Blöcken. Da lassen sie die Elementarkraft des 
blossen Klanges und des blossen Rhythmus wirken und 
gewähren der Macht des musikalischen Rohmaterials, dem 
physischen Elemente der Musik einen weiten Spielraum. 
Da stützen sie ganze Perioden nur auf das Fundament 
dissonanter Harmonien . auf hin- und hersausende chro- 
matische Figuren , auf das brutale Treiben von Motiven 
und Themen, welche die Kunstmusik als trivial verwirft. 
Die Linien dieses naturalistischen Styls liegen bereits in 
Beethoven vor ; in einzelnen Stellen seiner dritten, sechsten, 
siebenten und neunten Sinfonie beispielsweise. Seine 
Hauptnahrung entnahm dieser Styl jedoch der romanti- 
schen Oper. Man vergisst über den Producten gewalttä- 
tiger Charakteristik und über den Befürchtungen, welche 
ihr naturalistischer Styl erregen kann, sehr leicht, dass 
die Werke der Programmmusiker auch sehr reich sind an 
eigenartigen Schönheiten freundlich ruhiger Natur und 
dass ihre Hauptvertreter durch Aufstellung neuer, zweifel- 
los berechtigter Principien und durch Ausbildung neuer 
Ausdrucksmittel die allgemeine Entwickelung der Tonkunst 
gefördert haben. Die Geschichte der Sinfonie ist noch 
jung, denn die Kunst zählt nach Jahrhunderten. Mag die 
Programmmusik noch so oft Fiasko machen; ihr Princip wird 
nicht sterben. Nach der ganzen Entwickelung der In- 
strumentalmusik kann in der Zukunft sein Boden nur 
breiter und fester werden. Schon heute liebt das Publi- 
kum einen poetischen Anhalt für die sinfonischen Ge- 
bilde und unter den Componisten hat das Programm 
mehr Anhänger, als sich öffentlich dazu bekennen. 

Berlioz's Debüt bildet die Sinfonie fantastique 
(18271. Die Idee zu diesem Werke ist ganz Berlioz's eigene 
H. Berlios Erfindung . als solche für den abenteuerlichen Charakter 
Sinfonie fauta- se i ner dichterischen Neigungen und seiner Ansichten vom 
Wesen und Zweck der Kunst überhaupt sehr bezeich- 
nend: Ein junger Künstler, liebestoll und lebenssatt, nimmt 



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173 <«>- 



Opium. Die Dosis des Giftes, zu schwach um zu tödten, 
bewirkt nur einen tiefen Rausch und eine Reihe von 
Träumen, in denen die Liebesgeschichte des Künstlers 
repetirt und zu einem phantastischen ungeheuerlichen Ab- 
schluss weiter geführt wird. Die Musik versucht diese 
Traumbilder in fünf Sätzen wiederzugeben. 

Der erste, »Reveries — Passions« (Träumereien — Lei- 
denschaften überschrieben, schildert die Zeit der erwa- 
chenden Liebe und der ersten Begegnung mit der Ge- 
liebten. Er besteht aus einem schwermüthigen und sehn- 
suchtsvollen Largo, welches den Platz der Einleitung 
einnimmt, und aus einem leidenschaftlichen Allegro. 

Das Hauptthema des letzteren, von der Flöte zuerst 
eingeführt: 

Alle gro. 

~~ üü j_rn' 

soll die Gestalt der Geliebten bezeichnen. Dasselbe kehrt, 
gewöhnlich durch zitternde Rhythmen begrüsst. als Leit- 
motiv in allen Sätzen der Sinfonie wieder, Berlioz nennt 
es ihre »idee fixe«. Der zweite Satz (Adur schildert 
»un bal «. ein Ballfest. Nach einer kurzen Einleitung, 
welche düstre Traumfiguren enthält, nimmt die Musik den 
Charakter eines deutschen Walzers an : 





Dessen Durchführung wird von erregteren, tiefere 
Saiten des Gefühles anschlagenden Episoden mehrmals 
unterbrochen. In das rauschende Ende des Satzes lächelt 
Rossini herein. 

Der dritte Satz, »Scene aux champs« :Auf dem Lande) 
betitelt, beginnt mit einem Dialog zwischen Englisch Horn 
und Hoboe, welche sich Motive des Kuhreigens zurufen. 
Das Gesammtorchester stimmt bald in die ländlichen Wei- 
sen ein, bald vertauscht es sie mit dramatischen Phra- 



— aö- 174 -fr— 



sen, welche die Sprache einer zwischen Zweifel und Hoff- 
nung schwankenden Seele reden. An den Stellen, wo 
die »id£e fixe« erscheint, wird der Ausdruck rührend 
schmerzlich. Der Satz zeigt eine eigenthümliche Mischung 
von Gemüthsschilderung und Landschaftsmalerei. Ber- 
lioz verstand in einem hohen Grade die Kunst, die dra- 
matische Darstellung seelischer Zustände mit einer an- 
schaulichen, poetischen Wiedergabe der äusseren Scenerie 
zu verbinden. Sein Childe Harold und seine Romeo- 
sinfonie enthalten Musterstücke dieser Art. In letzterem 
Theile erinnert die »Scene aux champs« vielfach an das 
Andante von Beethoven's Pastoralsinfonie. Hier wie dort 
das Yogelgez witscher, das Rauschen des Windes, das 
Säuseln der Bäume, der Reichthum an naturalistischen 
Details in den grossen Fluss einer klaren musikalischen 
Darstellung eingezogen. Das Hauptthema der pastoralen 
Partie der Scene ist eine gesangvolle Melodie, welche 
fogendermassen anfängt: 




Sic erscheint, so oft sie wiederkehrt, in immer neuen 
Reizen des Colorits. Von grossartigem Eindruck ist na- 
mentlich die Stelle, wo Bässe, Celli und Bratschen, alle 



in vielstimmigen Griffen mit dem Rhythmus JBJ ^ ^ 

begleiten. Die Gabe, schöne und eigenthümliche Klänge 
zu finden, war Berlioz angeboren. Kurze Zeit, bevor er 
seine Sinfonie fantastique schrieb, studierte er noch Me- 
dicin. 

Mit dem vierten Satze der Sinfonie »Marche au sup- 
plice« [Der Gang zum Richtplatz nehmen die Opium- 
träume des jungen Künstlers eine abenteuerliche Wen- 
dung, eine Wendung, welche uns den eigentlichen Traum- 
gott der Sinfonie fantastique. ihren Componisten H. Ber- 



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i 0 



lioz nämlich, als Parteigänger janer Blut und Gräuel 
liebenden französischen Neuromantik zeigt, welche Victor 
Hugo in Epos und Drama einführte: Der junge Künstler 
hat seine Geliebte ermordet und wird dafür hingerichtet. 
Die Musik zu einem solchen dichterischen Vorwurf kann 
nicht anders als schauerlich sein. Dieser Zweck schliesst 
Sparsamkeit in den Mitteln der Instrumentation aus. Kurz 
vor dem Momente, wo das Fallbeil fällt — heftiger Schlag 
des ganzen Orchesters, zwei Pizzicatonoten des Streicher- 
chors, ungeheurer Wirbel sämmtlicher Pauken und Trom- 
meln — taucht der Gedanke an die Geliebte noch ein- 
mal auf. Die »id£e fixe*« erklingt im Solo einer schrillen 
C-Glarinette. Der Stelle geht ein schroffer Harmonie- 
wechsel von Bmoll (Bläser) und Gmoll Geigen) voraus, 
welcher bei den ersten Aufführungen der Sinfonie in 
Deutschland die Meinungen besonders erhitzte. Eine tie- 
fere Auffassung der ganzen Scene, das tragische Element der- 

AllejTetto. 

~* k ' ' *jP ' ^ ^ ' * ^ ' ' ' 

zur Geltung, welche wiederholt dumpf und schwer durch 
die Bässe schreitet. 

Im letzten fünften Satze der Sinfonie — »Songe d'une 
nuit du Sabbat* (Walpurgisnachtstraum; — kommt der 
Held des Werkes unter die Verdammten: unter Hexen, 
Höllengeister und Gespenster aller Art. Auch die Geliebte 
erscheint an diesem Schreckensort: grausame Verzerrun- 
gen und Verschnörkelungen der idöe fixe der Sinfonie be- 
zeichnen sie musikalisch. Die Musik beginnt unheimlich 
und wird dann wild und grässlich. Mit den schauerlichen 
von Glocken begleiteten Tönen des Dies irae wechselt ein 
diabolischer Tanz, welcher sich in die Form einer Fuge 
kleidet. Das ganze Finale ist eine musikalische Höllen- 
breugheliade und als solche eine Leistung, welche ästhe- 
tisch abstösst, technisch aber und kunsthistorisch ihre 
Bedeutung hat. 

Berlioz schrieb später zu der Fantastique, welche den 



176 



H. Berlios 



Nebentitel «Episode de la vie d'un artiste« führt, eine 
wenig bekannt gewordene Fortsetzung: »Lelio, ou Retour 
ä la vie.« 

Die nächste Sinfonie von Berlioz, welche grössere 
Verbreitung gefunden hat, ist »Harold en Italie«. Sie 
Harv,ld en dichtet einige der musikalischen Behandlung entgegen- 
kommende Nebenscenen von Byron's »Childe Harold« in 
freier Art nach und ergänzt und beschliesst dieselben 
mit einem neu erfundenen Finale im Style der französi- 
schen Neuromantik. Eigen ist in der Anlage dieser Sinfonie 
das in allen Sätzen durchgehende Bratschensolo. Dasselbe 
entstand als Huldigung für den vermeintlichen Wohltäter des 
Componisten. den berühmten Paganini. In der poetischen 
Oekonomie des Werkes repräsentirt es die Partie Harold's, 
des Helden. Das Leib- und Leitthema des melancholi- 
schen Ritters, welches diesen bis zu seinem letzten Athem- 
zuge begleitet, ist folgendes: 

Adagio. 




Der erste Satz zeigt uns »Harold in den Bergen.« Ein 
Largo, dessen erstere Hälfte durch ein melancholisch- 
düsteres Fugato der Streichinstrumente gebildet wird, er- 
öffnet ihn. Das Allegro, welches ihm folgt, ist ein breit 
ausgeführtes Pastoralgemälde, stylistisch und materiell 
dem ersten Satze von Beethoven's siebenter Sinfonie ver- 
wandt. Seine beiden Themen sind: 




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-<* 177 ^ 



Den Bildern, welche auf Grund derselben entrollt 
werden, mischt Harold mit den Tonen seiner Bratsche 
abwechselnd Jubel und Trauer ein. Die Glanzpartie des 
Satzes beginnt nahe am Ende nach den beiden Ferma- 
ten, welche dem Fugato über das Haroldthema voraus- 
gehen. Ueber die mächtigen Unisonogänge, in welchen 
hier das Hauptthema vorüberrauscht, sind Harmonien 
gebreitet, welche wie blendende Lichtstrahlen wirken. 

Der zweite Satz der Sinfonie heisst »Marche des 
Pelerins« Pilgermarsch . Sein Hauptthema bildet ein 
frommes einfaches Marschlied: 




Alle acht Tacte wird dasselbe von einer Unisono- 
Phrase der Bläser 
unterbrochen, 



welche anschaulich genug die ihre Litanei hersagende 
Wallfahrerschaar vorführt. Die Mitte des Satzes nimmt 
der Vortrag eines feierlich religiösen, in den ruhigen Rhyth- 
men der alten Zeit geführten Hymnus ein. Harold be- 
kundet seine Nähe mit leisen Arpeggien ; die Bässe setzen 
in decenten Pizzicato-Tönen den Rhythmus des Marsches 
fort. Noch einigemal hören wir wie vom Weiten das fromme 
Wanderlied, dann gehen die Töne schlafen. Es kommt die 
Nacht und stille Sterne blinken. Die kleine Composition ist 
ein Meisterstück, in welchem die Realistik der Darstellung nur 
dazu dient, die Poesie des Bildes noch beredter zu machen. 

Der dritte Satz : »Serenade d'un montagnard des Ab- 
ruzzes ä sa maitresse« — »Ständchen in den Abruzzen« — 
beginnt mit einem kleinen Scherzosatze, welchem wahr- 
scheinlich eine italienische Originalmelodie zu Grunde 
liegt. Die italienischen Pifferarii waren seit alten Zeiten 
an drolligen, schelmischen Weisen reich und bringen sie 
noch heute auch auf die deutschen Märkte: 



Allegro assai 




12 



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178 



Piccolo und Oboe blasen das zusammen, und Bratschen 
mit Clarinetten geben in ausgehaltenen Tönen und trä- 
gen Harmonien das nöthige Dudelsackcolorit dazu. Nun 
tritt der Liebhaber auf und stimmt auf dem englischen 
Horn eine schmachtende, anmuthige, gutgemeinte, zuwei- 
len stockende, schüchterne und ungeschickte Melodie an: 
Allegretto-. . ^ 



stimmt mit ein und sinnt noch den rührenden Tönen der 
Liebe nach, als die Dorfmusikanten schon längst nach 
Hause gezogen sind. 

Die Idee des Harold-Finale müssen wir wieder auf 
Rechnung jener romantischen Ausschreitungen setzen, 
welche in Frankreich im zweiten Jahrzehnte unseres Jahr- 
hunderts eine Litteratur von Ritter- und Räubergeschichten 
salonfähig machte, für die Deutschland nur in den Werken 
von Spies und Cramer geächtete Seitenstücke kannte. Ber- 
lioz's Jugend, seine Zeit der geistigen Entwickelung fiel 
mitten in diese Periode hinein. In ihrem Geiste dichtete er 
die Schlusssätze zur Sinfonie fantastique und ihm getreu 
lässt er Harold in der Gesellschaft von Banditen zu Grunde 
gehen. Der Satz — «Orgie« überschrieben — schildert 
dieses Ende in Zügen, die zum Theil rührend sind. Er 
beginnt wie das Finale der neunten Sinfonie mit Remi- 
niscenzen an die früheren Sätze. Vor Harold's Geist tritt 
die fugirte Einleitung aus dem ersten Satze, der Pilger- 
marsch zieht vorüber; als letzte Erinnerung an reinere 
Zeiten tönen Fragmente aus dem Ständchen: Die wilde, 
wüste Orgie verschlingt Alles. Unter ihren brutalen At- 
taken zerbricht auch Harold's Thema und verflattert in 
Brocken. Zuweilen werden die wüthenden Triller, die 
bacchantischen Läufe und die grotesken Tanzweisen der 
Banditenmusik durch unheimliche Klänge unterbrochen, 
welche Gewissen, Reue und Strafgericht zu repräsentiren 
scheinen. 

Einen der seltsamsten Versuche, auf dem Gebiete der 




| in welche die Ge- 



Auch Harold 



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179 



Sinfonie neue Formen einzuführen, unternahm Berlioz i. 
J. 4 839 mit seiner dramatischen Sinfonie: »Romeo und ^ Bertio* 
Julie«. Das Werk ist musikalisch zu einem Theil Melo- R 01Beo „ jQ i ie 
drama, zum andern Sinfonie und zum dritten Oper. Es 
beginnt mit einer Introduction. Eine Fuge schildert den 
Tumult der kämpfenden Parteigänger, mit welchem Shake- 
speare die erste Scene des Dramas eröffnet. Recitative 
von Posaunen und Oboekleiden repräsentiren den schel- 
tenden und Frieden stiftenden Fürsten. Nun folgt ein 
Prolog, in welchem der Chor in psalmodirendem Ton den 
Inhalt der Tragödie vorausschickt. Derselbe wird mehr- 
fach durch geschlossene Instrumentalsätzchen und durch 
Gesangstücke nnterbrochen , welche musikalisch günstige 
Punkte der Handlung vorausmalen. Das Orchester weilt 
bei der Schilderung von Lustbarkeiten, der Chor bei dem 
Märchen von der Fee Mab, ein Solist widmet dem Preis 
der Liebe mehrere sehr hübsche Romanzenverse. Die 
Nummer 2 der Sinfonie ist rein instrumental. Ein An- 
dante und ein Larghetto schildern Romeo's Schwermuth 
und Sehnsucht; ein Allegro gilt dem Ballfest. Die Num- 
mer 3 beginnt mit dem Chor der heimkehrenden Capu- 
lets; die zweite Hälfte ist rein instrumental; eine aus lang- 
samen und bewegten Sätzen gemischte Schilderung der 
Liebesscene zwischen Romeo und Julie. Die Nummer ^ 
behandelt nochmals in der Form eines Orchesterscherzo 
Mercutio's Märchen von der Fee Mab. Die Nummer 5 
bringt den Trauerchor bei dem Leichen begängniss Julia's. 
In der Nummer 6 wird durch einen Orchestersatz Ro- 
meo's Tod geschildert. Die siebente, die Schlussnummer, 
hat die übliche Form eines Opernfinale. Sie spielt am 
Grabe Julia's. Die beiden Parteien stossen in Chören zu- 
sammen und erneuern den alten Streit in gesteigerter 
Heftigkeit. Die Fuge aus der Introduction wird repetirt. 
Dann erscheint der Pater Laurentio, giebt in Recitativen 
beschwichtigende Erklärungen und mahnt in einer Arie 
zu Frieden und Eintracht. Ein Versöhnungschor bildet 
den Abschluss des Werkes. 

Im Ganzen und im Zusammenhang ist diese drama- 

4 2- 



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180 *>- 



tische Sinfonie nur ganz selten aufgeführt worden ; in ein- 
zelnen Sätzen verdient sie Beachtung. Unter den Chö- 
ren sind die beiden Nummern, wo die Capulets in der 
Nacht vom Feste heimkehren, und der, wo sie Juliens 
Leichenzug begleiten, durch die Poesie im Style und in 
den Tongedanken unstreitig hervorragend. Noch Bedeu- 
tenderes ist in Instrumentalsätzen geboten. Die Fee Mab 
ist eine einzig und unerreicht dastehende Leistung auf 
dem Gebiete fein phantastischer Elfenmusik. Die Liebes- 
scene in Nr. 3 und Romeo's Soloscene Nr. t) sind 
Meisterstücke in der Berlioz eigenthümlichen Kunst, die 
stimmungsvolle und lebendige Schilderung äusserlicher 
Situationen und Vorgänge mit einer dramatischen Wie- 
dergabe erregter Seelenzustände zu verbinden. 

Einen Nachfolger, welcher die Idee der »dramatischen« 
Sinfonie aufnahm, fand Berlioz in Felicien David, des- 
sen Odesinfonie udie Wüste« in den vierziger Jahren na- * 
mentlich wegen ihres orientalischen Colorits grosses Auf- 
sehen machte. Heute ist diese Composition sowie die in 
dieselbe Gattung gehörende Odesinfonie Christoph Co- 
lli mbus desselben Autors von den Repertoiren ver- 
schwunden. 

Schon im vorigen Abschnitte ist der Versuche gedacht 
worden, welche Spohr in der Programmmusik unter- 
nahm. Er folgte dieser Richtung mit grosser Reserve und 
vermied sowohl die Stoffe, wie die musikalischen Mittel, 
welche für die Berlioz'sche Epoche die charakteristischen 
sind. 

Derjenige Tonsetzer, welcher das Princip der Pro- 
grammmusik nach Berlioz mit der grössten Entschie- 
denheit aufnahm, ist Franz Liszt. Liszt ging aber über 
seinen Vorgänger wesentlich hinaus und ordnete dem Pro- 
gramm auch die Formen der Compositionen vollständig 
unter. Seine Sinfonien sind dreisätzig, zweisätzig, ein- 
sätzig, je nachdem; die dichterische Idee bestimmt den 
musikalischen Plan. In dieser Freiheit, in der Kühnheit 
und Sicherheit, mit welcher die Grundlinien des Formen- 
baues entworfen und durchgeführt sind, bilden die 



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~* 181 «>- 



Liszt'schen Sinfonien Originalleistungen, wie sie die Ge- 
schichte der Gattung nicht grösser kennt, und repräsenti- 
ren eine geistige Kraft und ein künstlerisches Gestal- 
tungsvermögen von ausserordentlicher Stärke. Auch den 
internen musikalischen Styl der Liszt'schen Musik hat 
vielfach die Forderung bestimmt, dass Ausdruck und 
Darstellung in erster Linie charakteristisch und anschau- 
lich sein müssen, und eine grosse Reihe seiner Eigen- 
thümlichkeiten sind aus der Treue gegen das Princip 
hervorgegangen. Dahin gehören die bei ihm noch zahl- 
reicher als bei Berlioz hervortretenden Stellen, wo 
blosse Klangphänomene, rein accordische, instrumentale, 
dynamische und andere naturalistische Bildungen die Trä- 
ger der musikalischen Entwicklung bilden. Dahin gehö- 
ren specifische Eigenheiten der Liszt'schen Rhetorik: ihr 
Reichthum an Interjectionen , an Ausruf ungszeichen und 
Gedankenstrichen, an pathetisch fortschreitenden Sequen- 
zen und anderen primitiven Ausdrucksmitteln der musi- 
kalischen Declamation, wie sie Liszt namentlich in den 
Momenten der Extase gern verwendet. 

Andere Erscheinungen des Styls müssen auf die Na- 
tur und die Schranken der musikalischen Begabung Liszt's 
zurückgeführt werden: der vorwiegend eklektische Cha- 
rakter seiner Melodik, seine Abhängigkeit von chromati- 
schen Gängen, melodischen Ausnahmsintervallen und an- 
deren Reizmitteln der Diction, die zu stehenden Formeln 
verbraucht werden; endlich der grössere Theil jener Satz- 
bildungen, in denen Perioden und grössere Redetheile durch 
unaufhörliche Wiederholungen und blosse Transposition 
des ersten Gliedes entwickelt werden. Es kommt zu die- 
sen Eigenheiten auch noch der Umstand, dass einzelne 
Compositionen Liszt's augenscheinlich sehr flüchtig hin- 
geworfen sind. Aber eine ausserordentliche Gabe, mit 
wenigen Strichen einen Charakter zu zeichnen, leuchtet 
auch noch aus den schwächsten unter seinen Orchester- 
werken. Die Mehrzahl von allen fesselt durch den Geist 
und die Hingabe, welche sich in der Haltung des Ganzen 
aussprechen, durch die Wärme des Ausdrucks, die Macht 



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der poetischen Anschauung, welche einzelne Stellen be- 
lebt, durch eine Reihe schöner Momente, deren Genia- 
lität selbst vom Standpunkte des absoluten Musikgenusses 
nicht geleugnet werden kann. Dass aber Liszt, ähnlich 
wie dies Gluck seiner Zeit bei der Operncomposition ge- 
than, auf diesen absolut musik.il ischen Standpunkt bei 
seinen Programmsinfonien verzichtet, soll der Zuhörer nie 
vergessen und dem Componisten mit einiger Gutwillig- 
keit — den poetischen Gegenstand der musikalischen 
Schilderung fest im Kopfe! — entgegenkommen. In die- 
sem Falle wird man die Formen und den Ideengang der 
Liszt'schen Orchestercompositionen vielleicht sogar leich- 
ter finden, als die anderer programmloser Symphonien, 
und ihnen Anregung und Genuss verdanken. 

Die Liszt'schen Orchesterwerke umfassen — ausser 
einigen Bagatellen — 2 Sinfonien und i 2 sogenannte sin- 
fonische Dichtungen. Unter den beiden Sinfonien ist die 
Faustsinfonie (nach Goethe; die durch die Menge der 
Ideen und durch die Kunst, mit welcher sie entwickelt 
sind, hervorragendere. Sie ist in drei Sätzen gehalten, 
welche Liszt »Charakterbilder« nennt, womit also ein An- 
schluss an den scenischen Verlauf der Goethe'schen Dich- 
tung von vornherein abgewiesen wird. Hierin verfährt 
Liszt ungleich mehr musikalisch, als Berlioz in »Romeo 
und Julie«. 

Der erste Satz gilt der Hauptfigur des Gedichtes, dem 

P. Liwt »Faust«. Vier Themen sollen die Grundzüge seines Cha- 

F»uat-Sinfonie. rakters repräsentiren. Das erste, Zweifel, Gram, Gefühl 

der Oede ausdrückend: 
> Lanto. 





J» Celli, Brauchen 

beruht in seiner vorderen Hälfte 
auf dem übermässigen Dreiklang. 

J> dolente ' 

Es findet seine nächste Fortsetzung in einer Reihe 
kleiner, freier Monologe, die zwischen den Instru- 
menten wechseln, und tritt dann in ein wildes Allegro 




183 -fr- 



üher, in welchem die Klagen des Hauptmotivs von den 
Flammen der Verzweiflung und Empörung umlodert er- 
scheinen. Das zweite Thema ist weniger original als das 
erste, erinnert an Spohr'sche und Schumann'sche Weisen ; 
aber wirkt an seiner Stelle warm und edel. Es reprä- 
sentirt lebenswilligere Elemente der Faustnatur: Ringen, 
Streben, Hoffen. Das Hauptglied seines technischen Or- 
ganismus bilden die folgenden Tacte: 




Am Schlussje des Satzes, der dieses Thema entwickelt, 
wird die Stimmung wieder trostlos: die Bläser klagen 
und bitten: 




Es folgt eine kurze Episode traumhaft phantastischen 

Charakters, in welcher schattenhafte Figuren ^Violini con 

sordini} das erste Thema flüchtig umschweben. Wie eine 

freundliche Vision erscheint nun als drittes Thema eine 

Melodie, aus einem Motive von a entwickelt, welche dem 

schwärmerischen Zuge im Faust, seinem Sehnen und 

Lieben gilt: 

Andante. 




Sie setzt im neuen Tempo ein, wechselt die Tactarten, 
schliesst nicht streng ab und veranschaulicht damit auf 
einmal eine ganze Reihe Freiheiten der Gestaltung, in 
denen Liszt zum Zweck einer lebendigen , dramatischen 
Darstellung vom üblichen Gange abweicht. Man wird 
dieses Thema auch im zweiten und im dritten Theile der 
Sinfonie wieder finden. Es bildet eins der wichtigsten 



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— > 181 «~ 



»Leitmotive» des Werks. Faust trennt sich von dem be- 
glückenden Bilde wie vom Freudenrausche ergriffen; die 
Energie erwacht wieder, Thatkraft und Stolz regen sich 
und finden ihren Ausdruck in dem vierten Thema: 
„ Grandiose 



JjT Tromp.l.n 

* > r 5]lJ."£JjL-.fJ-.J3 j ; > , r>:\ 

♦ rlc. 

Von da ab folgt der Satz der gewöhnlichen Construc- 
tionsart der Hauptsätze in Sonate und Sinfonie: mischt 
und verarbeitet die thematischen Elemente — allerdings 
mit Festhalten der Themen im ganzen Umfange — in 
einem Durchführungstheile, und repetirt danach die ganze 
erste Gruppe mit Modificationen , welche als die mora- 
lischen Wirkungen des Thema c aufzufassen sind: Die 
Liebe hat Faust's Wesen verwandelt. 

Der zweite Satz der Faustsinfonie ist »Gretchen« über- 
schrieben. Dieser Gretchensatz ist durch Einzelauffüh- 
rungen bekannt geworden und hat auch in denjenigen 
Kreisen Freunde gefunden, welche der Natur und der 
Form der Faustsinfonie, wie überhaupt der ganzen Liszt- 
schen Kunst, apathisch oder feindlich gegenüberstehen. 
Er verdankt diesen Erfolg der gleichbleibenden Freund- 
lichkeit des Inhalts und der gewinnenden Einfachheit, 
mit der Gretchens holde Mädchengestalt gezeichnet ist. 
Ein kurzes Präludium von Flöten und Clarinetten leitet 
den Satz ein, dessen erstes, schlichtes Thema einen lieb- 
lichen, zarten Charakter hat: 

And ante. 

l n f^JT^r.Tr- -vr - . ttt 

Beim ersten Eintritt trägt es die Oboe vor : nur von einer 
Bratsche begleitet, ein Meyerbcer scher Instrumentations- 
effect! Das zweite Thema: 





yecv ergte. 

das vom heimlichen Liebesglück zu erzählen scheint, ist 
eine von Liszt's gelungensten Melodien. Eine sehr ge- 
wählte schöne Harmonie erhöht die eigenartige Wirkung. 
Zwischen den beiden Themen liegen einzelne frappante 
Momente: ein Oboeneinsatz auf einer jähen Modulation, 
als wenn in Gretchen plötzlich der Gedanke an Faust 
erwachte: eine kleine Episode, in welcher zuerst Flöten 
und Clarinetten« dann die Violinen mit, erst schüchtern 
und leise, dann laut und stürmisch erregt, um die Motive 



wie um *>Er liebt mich« 



und 



und »er liebt mich nicht- spielen. Bald nachdem das 
zweite Thema verklungen, setzt das Horn mit dem Lie- 
besgesang des ersten Satzes ein {S. Thema c : Faust tritt 
auf! Mit diesem Momente beginnt eine wunderschöne 
Scene des Gefühlsaustausches, über welches der Instru- 
mentenklang magisches Mondlicht leuchten lässt. In Faust's 
Seele wird es ruhiger und milder, seine düstren Gedan- 
ken überkleidet ein heller Schimmer; Jubel und Jauch- 
zen klingen aus seiner Brust. 

Der dritte Satz führt den »Mephistopheles« ein. Die 
ersten Tacte entwerfen kurz und meisterlich das Signa- 
lement des kalten, frechen, kecken, frivolen Patrons, ge- 
ben ein Bild von seiner herausfordernden Gemeinheit 
ebensowohl als von der vollendeten Sicherheit und Leich- 
tigkeit seines Auftretens. Dann beginnt die »'Spottgeburt« 
ihre Arbeit : spotten, verneinen und verhöhnen. Die The- 
men Faust's aus dem ersten Satz werden verzerrt, ver- 
renkt und mit burlesken Schnörkeln versehen. Das erste 
Thema wird durch Tempo und angehängte Figuren zur 
Fratze gemacht, das zweite durch einen bissigen Rhyth- 

Allogro vivace. 

mus in folgende Miss- —^ ^^=1^ —— ' TT~i\ — "T T 
gestalt verwandelt : y [. J J T T« 1 *«r-^-»T^~~ 

Zur besonderen Zielscheibe seines malitiösen Humors hat 



I 86 



sich Mephisto, »der Geist, der stets verneint«, das Liebes- 
motiv der Sinfonie ausersehen. Er zerreisst es, wirft die 
Stücke hin und her, verfolgt es unaufhörlich, zieht ihm 
Narrenkleider an: 




— und auf dem Gipfel des Uebermuthes angelangt, jagt 
er es endlich in einer regelrechten Fuge zu Tode. Es ist 
etwas dämonisch Fortreissendes in dieser Schilderung der 
Mephistofeiischen Lustigkeit, und die Bewunderung, die wir 
der Virtuosität zollen müssen, mit welcher Liszt die 
Themen der frühern Sätze umgebildet hat. wird in Nichts 
dadurch vermindert, dass wir uns an das Muster erin- 
nern, welches in der Sinfonie fantastique von Berlioz hier- 
für bereits vorlag. Es kommen übrigens in diesem Fi- 
nale der Faustsinfonie doch Momente vor, welche über 
ein Charakterbild Mephisto's im engeren Sinne hinausgehen 
und an den Verlauf der Goethe'schen Dichtung an- 
knüpfen: Mitten in den wildesten Excessen der Höllen- 
musik ertönen feierliche und dumpfe Klänge, die an 
Grab und Geisterwelt erinnern. Gretchens blasses Bild 
schwebt vorüber. Ihr Hauptthema (aus dem zweiten Satz) 
tritt schliesslich klar und vollständig vor und wird zum 
Zauberschild, vor welchem Mephisto das Feld räumt: 
Die Musik geht in ruhigen Orgelton über, ein Männerchor 
tritt auf und declamirt in der alten knappen Weise der 
frühchristlichen Psalmodie » Alles Vergängliche etc.«: Der 
Solotenor flicht in diese einfach weihevollen, kirchlichen 
Klänge zum letzten Male Gretchenmotive hinein, und so 
klingt das Werk mit einer mystisch verklärten Wen- 
dung aus. 

P. LiBit Liszt's Dante-Sinfonie hat nur zwei Abtheilungen : 

Dante-Sinfonie. Inferno und Purgatorio, Namen, die uns in Phantasie- 
gebiete führen, welche die Musik, in erster Linie die kirch- 
liche, seit alten Zeiten oft genug aufgesucht hat. Dass 



1 87 



Liszt in seiner Schilderung von Holle und Fegfeuer der 
Divina Comedia Dante's folgt, wird aus einzelnen Zügen 
des ersten Satzes bemerkbar, namentlich durch die süsse 
Scene, welche der Erscheinung des classischen Liebes- 
paars, Francesca und Paolo, gewidmet ist. Keineswegs 
aber versucht der Componist die ganze Pragmatik der 
Dichtung ins Musikalische zu übertragen und den Dich- 
ter auf allen Gängen zu begleiten, sondern beschränkt 
sich, wie in der Mehrzahl seiner Programmcompositionen, 
auch hier darauf, wenige hervorragende Ideen, solche, 
die musikalisch fassbar sind, nachzudichten und denje- 
nigen Theil ihrer Seele bloszulegen, welchen die Töne 
voller und mächtiger wiedergeben können als die Worte. 
Das Purgatorio trägt eine Art musikalische Ueberschrift: 
eine wuchtige Melodie der Bassinstrumente, die das hier 

stehende Thema y «_ ■ _ »i rr ^ ^""f^HF-t-f-— 



unter unheimlicher Begleitung von Paukenwirbel und 
Tamtamschlägen in dreimaligem Anlauf höher und höher 
tragen. Diese Melodie soll uns die Worte vor die Phan- 
tasie rufen, die über Dante's Höllenthor stehen: «Per me 
si va nella cittä dolente etc.« Das berühmte »Lasciate 
ogni speranza etc.«, von Trompeten und Hörnern in dem 
bekannten Style der Opernorakel und Geistererscheinun- 
gen hingeschmettert, bildet ihren Abschluss. Der nun fol- 
gende erste Theil gilt der Schilderung der Hölle, ihrer 
Schrecken und Schauer, und bestreitet diese Aufgabe mit 
dem Aufgebot aller düstern und furchtbaren Elemente 
der modernen Musik: mit chromatischen Figuren und Mo- 
tiven, mit freien Nonenaccorden und zusammengeketteten 
Dissonanzharmonien, mit einer bald zuckenden, bald 
fieberisch hastenden Rhythmik, mit Instrumentencombina- 
tionen. die drohen und ängstigen, mit allen Hülfsmitteln 
der Ton weit in ihrer doppelten Natur, als Kunst und als 
Naturerscheinung. Den Abschluss dieser Partie bildet die 
erneute Intonation des Themas des «Lasciate«, jetzt noch von 
Posaunen und Tuben verstärkt. Und nun erklingen dop- 



-<»> 1 88 



pelte Harfen, duftig und leicht schweben Figuren in Flö- 
ten und Violionen auf und nieder, die Bassclarinette 
stimmt ein Recitativ an: Clärinetten und englisch Horn 
lösen sich mit schmachtenden und wehmüthigen Weisen 
ab : Das classische Paar erscheint in der Hülle eines mu- 
sikalischen Dialoges, der zu Liszt's schönsten Erfindungen 
zählt und an Zärtlichkeit, Innigkeit und Wärme an das 
Beste heranreicht, was die moderne Oper auf diesem 
Gebiete aufzuweisen hat. Das Thema des »Lasciate« ver- 
scheucht dieses liebliche Bild, und die Greuel der Hölle 
vollführen einen zweiten Reigen. 

Wenn dieser Satz im Totaleindruck Liszt vorwie- 
gend von der Seite des unerbittlichen Charakteristikers 
zeigt, so ist der Purgatorio dagegen eine Idylle grössten 
Styls, durchaus anheimelnd und mehr als das: auch er- 
hebend. Der erste Theil des Purgatorio beginnt wie eine 
Scene auf der Bergeshöhe: Leise säuselnd sammeln sich 
helle Accorde und umwogen uns wie leichte Wolken, an- 
muthig sanfte Melodien, die in Wagner's »Charfreitags- 
zauber« passen würden, wechseln mit einer religiösen 



einsamen Violinfiguren wird Umschau gehalten, nach dem 
Wege zum Himmel gesucht und leise der Erde gedacht, 
die mit ihren Leidenschaften unendlich weit abliegt von 
diesem reinen Gefilde. Den zweiten Theil des Purgatorio 
bildet ein Fugensatz über folgendes Thema: 

• - LamentoSO. 



signation und Betrübniss. Das oben angeführte religiöse 
Thema schliesst ihn ab und leitet zum letzten Abschnitte des 
Purgatorio über: einem Chorsatze. In ihm in toniren Frauen- 
stimmen das Magnificat und führen seine frommen Themen 
in einer einfachen Weise durch, welche sich dem Palestrina- 



Andante. 






Aus diesem Fugensatze klingen Re- 



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styl nähert. Das Orchester geht in schimmernden Klängen 
mit; bald zart und mystisch wie eine Aeolsharfe, bald 
mächtig und in ruhiger Pracht dahinrauschend. Liszt 
hat für diesen Schluss zwei Lesarten gegeben, von denen 
die erste leise ahnungsvoll verhallt, die andere exstatisch 
und verzückt im Forte abbricht. 

Die »sinfonischen Dichtungen« Liszt's sind ein- 
sätzige Compositionen , die sich, der Mehrzahl nach, in 
ihrer Grundform der freien Phantasie nähern , wie sie 
Liszt so häufig angewendet hat, wenn er in seinen Trans- 
scriptionen für Pianoforte eine Rundschau über die wich- 
tigsten Momente und Themen bekannter Opern: (Don Juan, 
Fliegender Holländer etc.l veranstaltete oder wenn er in 
»Ungarischen Rhapsodien« der gebildeten Welt von den 
Weisen und dem Wesen der Zigeuner musikalischen Be- 
richt erstattete. In dieser ihm geläufigen Form compo- 
nirte er zunächst auch für das Orchester. Die ersten neun 
der sinfonischen Dichtungen erschienen auf einmal im Jahre 
1856, die drei letzten folgten geraume Zeit später. In 
ihrem Inhalt schliessen sie sich allen gegebenen Program- 
men zwanglos und ungebunden an: Die einen im Cha- 
rakter gross gepinselter Handzeichnungen und Illustratio- 
nen zu äusseren historischen Momenten, die anderen wie 
Exegesen, welche ethischen Ideen nachsinnen, die mei- 
sten sinnliches Darstellen und inneres Nachfühlen frei 
vereinend. Auch die sinfonischen Dichtungen verlangen, 
wie Liszt's grosse Sinfonien und theilweise noch mehr 
als diese, etwas Liebe und eine mitarbeitende Phantasie 
vom Hörer. 

Der ersten dieser sinfonischen Dichtungen, die zu- 
weilen auch »Bergsinfonie« genannt wird, liegt ein F - Liwt 
Gedicht von V. Hugo zu Grunde: »Ce qu'on entend sur ^"* iB £ r nie 
la montagne.« Das Gedicht ist eine bedeutende Vision, ^fon^X,, 
fast im Style der Johanneischen Offenbarungen. Der Dich- Dichtungen) . 
ter, lauschend »auf entlegner Bergeshöh« dem Geräusch, das 
von unten zu ihm dringt, unterscheidet bald den Gegensatz 
zweier Stimmen. Die eine, gewaltig, klar und rein , singt 
vom ewigen Walten der Natur und von der Gottheit ; die 



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190 



andere, dumpf, voll Schmerzenslaut, voll Weinen, Kla- 
gen, Lästern, voll Angst und Leidenschaft, gehört der 
Menschheit. Der Dichter folgt den Melodien beider, wie 
sie sich kreuzen, sich mischen, und schliesst mit schwer- 
müthigen Betrachtungen und bangen Fragen. Liszt hat 
diesen Schluss geändert, die Gegensätze des Dichters zur 
Versöhnung geführt und seiner Musik einen religiös feier- 
lichen, hymnenartigen Ausgang gegeben. Der Eingang 
des Werkes folgt dem des Gedichtes und malt in einem 
langen Präludium das verworrene Gemurmel nach, wel- 
ches der Dichter von seiner Bergeshöhe zunächst aus- 
schliesslich wahrnimmt. Die Musik bildet hier eine Com- 
bination aus tiefen Trillern und Arpeggien, unterbrochen 
von lang und ruhig hallenden Accorden. Aus dieser Fluth 
reiner Naturklänge steigen jetzt freundliche Figuren auf, 
die zur Melodieform hinstreben. Dann setzt das ernste 
Hauptthema des Satzes ein: 



Maestoso. 





welches in erster 



Linie die feierliche Macht der Natur zu repräsentiren 
hat. Die Stimme der Menschheit erklingt in chro- 
matischen — ^ _ _ y~"V__ sie wirft schmerzvolle Disso- 
nanzen hin: 



Seufzern: 





und frägt in schwer 
klagenden Tönen : 

Ein erster Durchführungssatz bringt die thema- 
tischen Elemente beider Parteien in leidenschaftliche 
Berührung. Die Rolle des Friedensstifters übernimmt 
ein Andante religioso, das mit Posaunen folgendes Thema 
einsetzt: 



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191 

Anda nte religioso . 

^ti-Jt^Z ^ M^ f lf • T 1 ^ l^E ginntein zwei- 
ter Durchführungssatz noch leidenschaftlicher, farben- 
reicher und länger als der erste. Er läuft in ein neues 
Thema aus, welches wie Triumphgesang klingt: 




Der eigentliche Abschluss des Werkes ist jedoch nicht 
ihm, sondern dem vorhin berührten Andante religioso 
zugetheilt. 

Nr. 2 der sinfonischen Dichtungen ist »Tasso« be- r< 
titelt. Genauer gehört zu dem Titel noch der Zusatz 
»>lamento e trionfo«. Denn das lamento bietet dem Zu- 
hörer eine sehr willkommene Richtschnur zur Orienti- 
rung im Werke. Es wird in einem Thema verkörpert, wel- 
ches dem venetianischen Volksgesang entnommen ist- 
Heute sind die LagunenschifTer stumm geworden. Aber 
noch vor wenig Jahrzehnten sangen sie bei jeder Fahrt, 
und einer ihrer Lieblingsgesänge, fast ihr ständiges Abend- 
lied, waren die Anfangsstrophen von Tasso's »Jerusalem« : 
»Canto Tarmi pietose e'lCapitanoChe'l gran Sepolcro liberö 
di Cristo.« Sie trugen diese in einer merkwürdig elegischen 
Melodie vor. Als Liszt im Jahre 4 849 zur Goethefeier für 
die Aufführung des Tasso eine Musik zu schreiben hatte, 
erinnerte er sich jener schwermüthigen und eigenthüm- 
lichen Schiffermelodie und legte sie in folgender Gestalt: 




dem musikalischen Lebensbilde des italienischen Dichters 
zu Grunde. In verkürzter Form, aber immer an den 
übermässigen Secunden und an den Triolen kenntlich, 
geht dieses Thema als ordnender Geist durch alle Scenen 



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192 ^ 



F. Lisit 

Pröludes. 



und Abtheilungen der Composition. Es eröffnet das Werk, 
es folgt dem ersten leidenschaftlichen Satze, es drängt 
sich in die heitere menuettartige Tanzscene hinein, welche 
der Repetition des leidenschaftlichen Satzes vorausgeht, 
und es bringt das Werk zum festlichen Abschluss. Die 
ganze Composition kann als eine Reihe von Variationen 
über jenen üondoliergesang angesehen werden. 

Die Nr. 3 der sinfonischen Dichtungen bilden die 
»Pröludes«. Der Titel, einer Meditation po^tique von 
Lamartine entnommen, ist in diesem Falle mehr irre füh- 
rend als erläuternd. Die »Pröludes«, wie sie Liszt aus- 
geführt hat, sind eine Reihe Bilder aus dem menschlichen 
Leben: ernste und heitere. Die letztern wiegen bedeu- 
tend vor; die chromatischen Stürme sind auf ein Mini- 
mum beschränkt, und das ist wohl der Grund, weshalb 
die Preludes unter allen den sinfonischen Dichtungen 
Liszt's die grösste Popularität und die geringste Oppo- 
sition gefunden haben. Auch in der Form nähern sie 
sich dem allgemeineren Brauche und ruhen, wie in der 
Sinfonie und Sonate üblich, auf nur zwei Themen, von 
denen das erste das feierliche und ernste Element ver- 
tritt: Wir wollen es in derjenigen Form hersetzen, in 
welcher es in der Reihe von Variationen, die es durch- 
läuft, seine vollständigste Ausbildung erfahren hat: 

Andante. 





k ci-m ■ .ii r y ~ 










■ j. j S i ^ ' * 





Das zweite, leicht und anmuthig, zuerst von den Hörnern 
gebracht 




wird für Liebesidyllen und Pastoralscenen variirt. 
F. Liait Die Nr. 4, »Orpheus« genannt, ist eine kurze freie 

Orpheus. Fantasie über ein mildes, einfaches Thema: 

Allegro modcrato, >m 

der seine Euri- 




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193 ^ 



F. Liszt 



dice beweint und den Hades singend besiegt, hat diese 
Composition nichts zu thun. Sie lässt die dämonische 
Macht der Musik, ihre starken und amphionischen Wunder 
ausser Betracht und will nur die verklärende, sänftigende 
und adelnde Macht der Kunst veranschaulichen. Mehr 
als andere der sinfonischen Dichtungen trägt der Orpheus 
ein bedenkliches Merkmal der Programmmusik : den Cultus 
der blossen Stimmung zur Schau. 

Die Nr. 5 und 6: «Prometheus« und »Mazeppa« 
sind in Bezug auf Charakterzeichnung, Kühnheit der Skiz- p^eibeäs u 
zirung, Uebersichtlichkeit der Form die bedeutendsten Mazeppa. 
unter allen sinfonischen Dichtungen Liszt's. Namentlich 
im Mazeppa lebt ein Zug dämonischer Verve. Im Inhalt 
sind diese beiden Compositionen ebenfalls verwandt: Sie 
schildern Grässliches: die grausamsten körperlichenSchmer- 
zen und — Qualen der Seele dazu! Mehr als alle andern 
Orchestercompositionen Liszt's verbrauchen diese beiden 
Compositionen harte Dissonanzen und die aufregendsten 
Ausdrucksmittel der Musik. Prometheus ist mehr ein Cha- 
rakterbild, an welchem der Trotz einen hervorstechenden 
Zug ausmacht, in Mazeppa nimmt die äusserliche, jedoch 
geniale Malerei des unheimlichen Todesritts den Haupt- 
platz ein. Dem Sturm von qualvollen, quälenden und 
empörten Figuren tritt nur eine getragene Melodie der 
Klage gegenüber. 

DieJj'Festkjlänge« (Nr. 7 der sinfon. Dichtungen) p, i,j sz t 
übertragen dasselbe Princip einer stark realistischen Schil- Festklänge, 
derung, welches die Composition des Mazeppa beherrscht, 
auf ein freundlicheres Gebiet. Sie führen uns verschie- 
dene Momente eines grossen Volksfestes vor: ernstere, 
heitere und groteske. Wir hören, wie aus der Ferne, ver- 
einzelte muntere Klänge aus dem Festzuge herüberschal- 
len, wir treten unter die erregte und jubelnde Menge, 
sehen ihre Scherze, ihre Spiele und Tänze; wir nehmen 
an feierlichen Acten Theil und werfen auch Blicke auf 
vertrauliche Scenen, die abseits vom Platze spielen. Diese 
grosse Menge des Stoffes ist vom Componisten zum Theil 
nur leicht skizzirt. Aber er hat den flüchtigen Skizzen 

13 



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194 ^ 



F. Lisst 

Heidonklage. 




eine prägnante Farbe gegeben, welche den verworrenen 
Beiklang, welcher den Kundgebungen und Gefühlsäusse- 
rungen grosser Massen eigen ist, zu einer deutlichen, 
halb humoristischen Anschauung bringt. Keck eingemischte 
Dissonanzen thun dies. Den Hauptträger der musikalischen 
Durchführungen bildet ein der Populärmusik entstammen- 
AUegro. 

Thema: 



de 



welches vielfachen Variationen unterzogen wird. 

Die »Heldenklage« Höroide funebre Nr. 8 d. s. D.; 
ist ein Bruchstück aus einer unveröffentlicht gebliebenen 
Sinfonie, welche Liszt bereits im Jahre 1830 componirt hat. 
Sie zeigt, dass Liszt schon früh in dem Besitze aller jener 
rhetorischen Styleigenthümlichkeiten war, welche in seiner 
Musik der Deutlichkeit der Declamation und dem Eindruck 
der Grundstimmung den Vorrang über die rein musika- 
lische Entwickelung geben. Den Gegenstand der Darstel- 
lung bildet in dieser Composition der Ausdruck eines tie- 
fen und edlen Schmerzes. In seiner starren Form ver- 
bildlicht ihn ein Marschsatz. Zu Grunde liegt ihm ein 
Thema , das sich auf folgendem Motive in . Sequenzen 
entwickelt : 

^.y. j .— jg-yr*/ r t r-fT-4 -[ • _- fcq 

Den zur fliessenden Thräne, zur lösenden Klage ge- 
milderten Schmerz zeigt die weiche Melodie, mit welcher 
die Bläser den schönen Desdur-Satz des Piu lento be- 



F. Liazt 

Hnngaria. 



ginnen : 



Die 



Instrumentation dieses Werkes ist stark militärisch: mehr- 
fache Trommeln, auch Tamtam! 

Die Hungaria (Nr. 9 der s. D.} feiert das leidende, 
streitende und siegende Ungarn. Nach einigen Tacten 
banger Einleitung beginnt ein Marschsatz über folgendes 
Hauptthema: 



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195 ^- 

Andante marclale. 




der die erste Hälfte der Composition ziemlich ausfüllt. 
Mehrmals von klagenden Episoden unterbrochen, geht er 
allmählich in einen erregteren Charakter über und führt 
uns schliesslich direct aufs Schlachtfeld, wo die Trompe- 
ten ihre ernsten Weisen hell hinausschmettern. Es setzt 
nun eine ungemein frische und schneidige Musik ein (Vivo 
2/4 Tact), in welcher Schlagfertigkeit und Kraft dem Froh- 
sinn {Triangel; die Hand reichen. Sie führt zu einem 
triumphirenden Abschluss der Composition, zu welchem 
die heitersten und freudevollsten »Volksweisen aus der Hei- 
math des Tonsetzers ihre Spenden bringen. 

Die Nr. <0 der s. D. «Hamlet« schildert uns den F. Lisrt 
Helden von Shakespeare's Tragödie von zwei Hauptsei- Hamlet, 
ten: den düster brütenden und den leidenschaftlich wü- 
thenden Hamlet. In der Mitte der Dichtung erscheint 
Ophelia wie in einem Schattenbilde. 

Die »Hunnenschiach U Nr. \\ der s. D.) beginnt F« Lls«* 
wie mit einer Erzählung vom finsteren Attila. Bald reisst Hunnün5chlac,lt - 
den Dichter aber die Phantasie mitten hinein in die Schil- 
derung der wilden Kämpfe, die in den Ebenen der Cham- 
pagne das Geschick des Abendlandes entschieden. Hörner 
allarmiren in erschreckenden Signalen, die Massen füh- 
ren ihre wuchtigen Streiche, heisser und heisser wird der 
Kampf. — Reitermotive auf der einen Seite wie von den 
Walküren des Wagnerschen Nibelungendramas, Choral- 
musik auf der Seite der Christen! Die letztere behält 
den Sieg und führt das Werk zu einem feierlich jubeln- 
den Ausgang. Die Composition sucht den Anschluss an 
das bekannte Gemälde Kaulbachs, auf dem über den 
Wolken die Geister der Gefallenen den Kampf wieder 
aufgenommen haben, durch Instrumentationsvorschriften 
zu erreichen. In ihrer kühnen realistischen Malerei ge- 
hört Liszt's Hunnenschlacht zu den charakteristischsten 
Werken in der Schule der neueren Programmmusiker. 

Einen sehr freundlichen Abschluss fanden die Or- 



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F. Liart chesterarbeiten Liszt's mit der Composition »Die Ideale« 
Die Idealp. N r - der s. D. . Sie gehen der Schillerschen Dich- 
tung in den einzelnen Hauptmomenten nach, schildern 
das leidenschaftliche Streben des Jünglings, die Macht 
der Begeisterung, die Freuden, welche der Mensch im 
Genuss der Natur, in der Arbeit, in der Freundschaft 
findet die Leiden der Enttäuschung, welche ihm das Leben 
bereitet. Wie der Refrain im Rondo, so kehrt nach je- 
dem dieser kleinen Tonbilder das Thema wieder, welches 
der musikalische Ausdruck des Ideals sein soll, dem der 
rechte Mensch in allen Lagen folgt: eine lange Melodie, 
die wir in ihrer kürzesten Form hier folgen lassen: 




Die »Ideale« zeichnen sich durch ihren Reichthum 
an liebenswürdigen Elementen des Ausdrucks aus; ein 
mild überschwenglicher, inniger Ton herrscht in ihnen 
vor. Den absoluten Musiker stört hier fast nur das lange 
Stehenbleiben, das unaufhörliche wörtliche Wiederholen 
derselben Motive, welches die Programmpartei als sty- 
listisches Resultat der entrückt schwelgenden Stimmung 
zu erklären geneigt sein dürfte. 

Nur wenige Tonsetzer sind bisher in Liszt's Fuss- 
tapfen getreten, und die Zahl von sinfonischen Dichtungen 
und grossen Sinfonien, welche einem Programm folgen, ist 
verhältnissmässig eine kleine geblieben. Dass die Richtung 
mit äusseren und inneren Hindernissen zu kämpfen hat. 
zeigt sich noch stärker darin, dass die späteren Vertreter 
derselben fast ohne Ausnahme vermittelnde Wege ein- 
schlagen. Als die an Kühnheit und Rücksichtslosigkeit 
der Form hervorragendste, dem Liszfschen Vorbilde am 
treuesten folgende Leistung aus der Reihe der Nachfolger 



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1 97 -&>- 



dürfte die »Faustphantasie« des Ungarn E. v. Miha- 
lovich zu bezeichnen sein, die jedoch im Repertoir kei- 
nen Eingang gefunden hat. Bekannter sind die Arbeiten 
von Georg Riemenschneider: »Nachtfahrt« und «Juli- 
nacht«. Nur die »Julinacht«, der einige Verse von H.Lingg 
zu Grunde liegen, ist ausdrücklich als sinfonisches Ge- 
dicht bezeichnet. Sie bildet eine Art Instrumentalcan- 
tate aus fünf knappen Sätzen, welche ohne Unterbrechung 
auf einander folgen. Der Anfangs- und Schlusstheil sind 
identisch. Die Composition ist in äusserlicher Schilde- 
rung sehr zurückhaltend: Sie gedenkt nur andeutend der 
Schwüle der Julinacht und der Ländlichen Tanzweisen, 
die der träumende Dichter aus der Ferne hört ; die Haupt- 
tendenz ist darauf gerichtet, eine Stimmung zu zeichnen, 
die zwischen banger Erregung und still glücklichem Ge- 
niessen getheilt ist. In der Bildung und Entwickelung 
der musikalischen Gedanken ist kein Atom von Liszt's 
Art, wohl aber der Einfluss von Mendelssohn, Rubinstein, 
auch Spohr zu bemerken. 

Die »Nachtfahrt« entwirft in dreitheiliger, sehr gut 
abgerundeter Form, einem Gedicht von J. N. Vogl fol- 
gend, ein knappes Bild der Eindrücke, welche die Nacht 
auf ein dichterisches Gemüth ausübt. Die Musik skizzirt 
die dunklen Mächte, die beklemmenden Elemente, die 
Geisterhand der Nacht; sie gedenkt aber auch des Wal- 
tens freundlich anmuthiger Elfen, und setzt sich zum End- 
ziel, die Ruhe und Frieden athmende Natur des nächt- 
lichen Lebens zu feiern. Das Colorit der Compositionen 
Riemenschneider's ist sehr blühend, zuweilen aber, be- 
sonders in der »Julinacht«, dick und derb. 

Ziemlich verbreitet sind die sinfonischen Dichtungen 
von C. Saint- Saens. An erster Stelle dessen »Danse 
macabre« (op. 40), zu Deutsch: Todtentanz. Mit den 
Darstellungen unserer mittelalterlichen Maler, die den Tod 
als Lehnsherrn aller Stände, als Mittelpunkt eines Triumph- 
zuges zeigen, dem Kaiser, Päpste und Könige so gut wie 
das arme Bäuerlein und der nackte Bettler folgen müs- 
sen, hat dieser Danse macabre nichts zu thun. Im An- 



Oh Riemen- 
schneider 

Julinacht. 



0. Elemen- 
Bchneider 

Nachtfahrt. 



C. 8aint*Saeus 

Danse macabre. 



1 98 

schluss an ein Gedicht von H. Cazalis schildert St. Saens 
den Tod hier als einen Fiedelmann, welcher zur mitter- 
nächtigen Stunde die klappernden Skelette aus den Grä- 
bern und zu einem wirklichen Tänzchen lockt. Mühsam 
und im engsten Kreise von Moll dreht sich die Melodie 

dieses Reigens: ^^^^j^J^g ^j^^^^^^^ und was 

der Tod als Violinspieler zur Belebung auf sei- 
ner verstimmten Geige beisteuert (G d a es) klingt mehr 
nach Requiem als nach Walzer: 




Beide Themen werden in einer Reihe von Variationen 
weiter geführt. Die Fröhlichkeit bleibt armselig und küm- 
merlich; immer liegt ein Schatten von Trauer und Klage 
darüber, und in der Instrumentation melden sich die 
schauerlichsten Elemente. Mitten in einem krampfhaften 
Versuche, die Bewegung in Schwung zu bringen, bricht 
die Musik ab. »Der Hahn kräht In der Oboe) und stück- 
weise verschwindet das gespenstische Bild. 

An die Originalität des Todtentanzes reichen die übri- 
gen sinfonischen Dichtungen von St. Saens nicht heran; 
ihre musikalischen Mittel entstammen zum grössten Theile 
dem Decorationsschatze der französischen Oper. Alle drei 
entnehmen ihren poetischen Gegenstand der antiken My- 
8t. Saens thologie. Die erste unter ihnen, »Le rouet d'Omphale« 
Le rouet d'Om- (op. 3<) lässt das Spinnrädchen in bekannten Figuren 
phaie. drehen. Hercules erscheint in einer gravitätischen Bass- 
melodie. Die Form, welche der Composition zu Grunde 
liegt, ist die der Sonatine. Den Durchführungstheil hat 
St. Saßns dazu benutzt, die verführerische Ueberredungs- 
kunst Omphale's in einer neuen, graziös pikanten Melodie 
zu veranschaulichen. 
8t. 8a6ns Im »Phaeton« lässt St. Saßns den vorwitzigen 
Phaeton. Lenker des Sonnenwagens in einem phantastisch leicht 
flatternden Thema aufsteigen; beim Beginn der Fahrt 
stimmt der Göttersohn eine behagliche Melodie an: 



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\ 99 




des Flugs eine Art Abschiedsgesang an die dem Blick 
entschwundene Erde: 

Allegro. 



Als dann die Fahrt aus dem 

Geleise geräth, repetirt die Flugmusik, aber mit chroma- 
tischen Wendungen, abreissend und von Tonart zu Ton- 
art irrend. Jupiter macht der Verzweiflung und dem 
Leben Phaetons mit einer Trompetenfanfare ein Ende, 
und das Stück klingt mit einem letzten Citat der Ab- 
schiedsmelodie elegisch aus. 

»La jeunesse d'Hercule« (op. 50), die letzte von 8t. 
den sinfonischen Dichtungen des Componisten, das Su- La jeunesse <r 
jet »Hercules am Scheidewege« illustrirend, beginnt nach Hercule. 
einer kurzen ernsten Einleitung mit einem Thema ä la 

AUegro. 

Spohr: 



welches 

mit der auf ihm errichteten Satzgruppe die Gestalt der 
Tugend repräsentiren soll. Das Laster erscheint in der 
Form einer Balletmusik, die sehr graziös anfängt, dann 
aber in ein Bacchanale übergeht, welches man am 
Ende kaum noch fesselnd nennen kann. Zu seinem ver- 
lockenden Theil haben Auber und Wagner, zu seiner 
roheren Hälfte Meyerbeer, Berlioz und Raff beigetragen. 
Der dritte Theil der Composition knüpft wieder an den 
ersten Satz an, wendet ihn aber ins Heroische und streut 
zuckende und blitzende Motive ein, die auf das Feuer 
des Scheiterhaufens und die Apotheose des Halbgottes 
hinweisen. 

Der letztgenannte Componist: Joachim Raff, ist 
derjenige, welcher nach Berlioz und Liszt am erfolg- 
reichsten das Banner der Programmmusik in das Gebiet 
der grossen Sinfonie hinübergetragen hat. Diejenigen 
unter seinen neun Sinfonien, welche hier in Betracht 




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<* 200 *~ 



kommen, sind die Sinfonie »Im Walde« pp. 153 und die 
»Lenore« (op. 177;. Raff hat in beiden Werken die vier- 
sätzige Gestalt der Sinfonie etwas modificirt, indem er 
seine Compositionen in drei Abtheilungen gruppirt; aber 
wenn man die einzelnen Abtheilungen näher prüft, so 
findet sich der vermisste vierte Satz irgendwo als blinder 
Passagier. 

In der Waldsinfonie führt der erste Satz den Titel: 
»Am Tage: Eindrücke und Empfindungen«. Er ist origi- 
nell eingeleitet durch einige präludirende Tacte, in wel- 
chen die beiden Hauptthemen des Satzes verkürzt ihre 
J. Baff Schatten voraus werfen. Das erste Thema setzt dann 
•im Waidec im munteren Wandertone ein: 

Allegro. 




Der Abschluss desselben 

und die Ueberleitung zum zweiten Thema dauern etwas 
lange, dann aber kommt letzteres als ein echter Raff: 




Die Terzenbegleitung der Melodie, Nonen- 

accorde als harmonische Stütze der Hauptpunkte gehören 
zum Signalement dieses Componisten; wenn er zum Ge- 
müthe sprechen will, kommt ihm in der Hälfte aller Fälle 
diese volksliedartige Weise auf die Zunge. Sie folgt ihm wie 
eine Erinnerung aus Heimath und Kinderjahren und fehlt 
fast in keinem von RafTs grösseren Werken. Die Anlage 
des Satzes ist die für ein erstes Allegro der Sinfonie 
übliche. In der Durchführung treten zu den beiden Haupt- 
themen noch allerhand kleine Waldteufel ; auch verschie- 
dene niedliche Kunststücke ^Canons etc.) hat der Compo- 
nist hier untergebracht, welche kaum Jemand beachtet. 
Die schönsten Stellen des Satzes liegen abseits vom Haupt- 



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-o- 201 



wege: da wo das Orchester still den einfachen Rufen 



des Horns lauscht: 




Die zweite Abtheilung, betitelt »In der Dämmerung - 
besteht aus zwei Sätzen: A. »Träumerei«, B. »Tanz der 
Dryaden«, welche dem Adagio und dem Scherzo entspre- 
chen, wie wir sie sonst in der Sinfonie zu finden gewohnt 
sind. Raff hat sie dadurch enger verbunden, dass er ohne 
Pause in das Scherzo übergeht und an dessen Schlüsse 
das Hauptthema des langsamen Satzes noch einmal an- 
klingen lässt. In der »Träumerei« ist die Führung einer 
Melodie übertragen : 




3= an welcher man die Kunst bewundern 



kann, mit welcher Raff, ein Genie der Eklektik, Beet- 
hoven'sche, Schumann'sche und Wagner'sche Elemente 
zusammenzuschmelzen verstand. Der in seiner Wirkung 
edle Gesang entspringt der Brust des Träumers. Die 
Traumbilder selbst, welche sich diesem zeigen, bestehen 
aus leichten Gaukeleien: concertirenden Figuren und Phra- 
sen der Bläser. Der »Tanz der Dryaden« — Hauptsatz 
Amoll, Trio Adur — ist nichts als ein Pflichttanz, eine 
jener rein handwerksmässigen Leistungen, die den Genuss 
der RafTschen Compositionen immer wieder erschweren. 
Die dritte Abtheilung der Sinfonie heisst: »Nachts. Stilles 
Weben der Nacht im Walde. Einzug und Auszug der 
wilden Jagd mit Frau Holle und Wotan. Anbruch des 
Tages«. Man muss fragen, wie kommt auf einmal die 
nordische Sage mit Frau Holle und Wotan in ein Ton- 
werk, welches sich — unbeschadet des Dryadencitats — 
bisher in der Sphäre einer reinen Naturdichtung bewegt 



hat? Indess beginnt der Satz zwar gar nicht nächtlich, 
aber musikalisch sehr ansprechend mit einer Fuge über 
ein Thema: 




welches ziemlich ähnlich auch dem Componisten C. Gold- 
mark bei seiner Sinfonie »Ländliche Hochzeit« eingefallen 
ist. Aber dann überkommt Berlioz's böser Geist den Ton- 
setzer und auf Conto der »Frau Holle« entfesselt er ein 
Spectakelstück, das noch hässlicher, dabei aber viel ge- 
wöhnlicher und uninteressanter ist, als die Höllenscenen 
der Sinfonie fantastique und die Orgien des Childe Ha- 
rold. Eine Coda, welche die Fuge wieder aufnimmt 
und leise verklingen lässt, sucht den Endeindruck zu 
retten. 

J. Baff Die Sinfonie »Lenore« ist Raff's beste Leistung auf 

Lenore. dem hier in Betracht kommenden Gebiete: ein edel ge- 
dachtes Werk, frei von den Auswüchsen einer ästheti- 
schen Halbbildung, und musikalisch das Beste zusam- 
menfassend, was Raff zu bieten hatte. Eine volle Origi- 
nalität der motivischen Erfindung, wie wir sie von den 
Führern und Meistern unserer Kunst verlangen, ist auch 
in der Lenore nicht zu finden. Fast jedes ihrer Themen 
zeigt in einem Theile, zuweilen in der ganzen ersten 
Hälfte auf fremdes Eigenthum, hier sind Beethoven's 
Quartette die Quelle, dort tritt uns Schumann's Clavier- 
concert entgegen. Aber die einmal aufgestellten Gedan- 
ken sind in dieser Sinfonie zuweilen mit dem Schwung 
und der Wärme behandelt, die den grossen Künstler 
macht, und verfiele nicht Raff auch hier hin und wieder 
in bequeme Breite, in das rein formale »Musikmachen«, 
so würde die »Lenore« geeignet sein, den Namen ihres 
Schöpfers bei der Nachwelt zu fixiren. 

Die erste Abtheilung der Sinfonie schildert das »Lie- 
besglück«. Sie besteht aus zwei selbständigen Sätzen, die 
dem gewöhnlichen ersten Allegro und dem Adagio in der 
Sinfonie entsprechen. In dem Allegro herrscht ein er- 



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^ 203 -Ge- 



regter Geist. Die Liebe spricht in Tönen des Ueber- 
sch wangs, in Themen, die kein Ende finden wollen: 

Allegro. 




Dem Jubel und dem still glücklichen 

Sinnen folgen Scenen, aus denen Sehnsucht und Dank- 
barkeit zugleich sprechen. 




p — -~ y =— nT^=- p =— pp 
Einen der schönsten Momente des Satzes, einen Augen- 
blick still süssen Erinnerns, zeichnet Raff wieder mit 
seinem Lieblingsgedanken, mit der Terzenmelodie: 




In dem Durch- 



führungstheil dieses Allegro lassen sich Klänge banger 
Ahnung hören. Der zweite, der langsame Satz der ersten 
Abtheilung gleicht einem Gespräch der Liebenden, be- 
herrscht von dem ruhigen Tone der des Besitzes sicheren 
Liebe. Naive, trauliche, herzliche Gedanken, von der Art wie 

A:u', ,,ntn l arghett o. 



das Hauptthema beginnt: E ^fe^f^^Eg^ 



werden ausgetauscht; lächelnd hält der Bursche dem 
Kosen und Flüstern seines Mädchens still, freund- 
lich bestimmt zusprechend beschwichtigt er die Sorgen 
Lenore's, die in der recitativartigen G ismoll- Epi- 
sode des Satzes einen erregten Ausbruch finden. Die 



I 



204 ^ 

zweite Abtheilung, betitelt »Trennung besteht in der 
Hauptform aus einem Marsch, der alten. Zuschnitt 
hat und in manchen Wendungen direct an den »Hohen - 
friedberger« erinnert. Der Krieg ist ausgebrochen: Wil- 
helm muss fort. Ein Mittelsatz fAgitato in Cmoll) ent- 
hält die Abschiedsscene der Liebenden: ein Tonbild aus 
leidenschaftlichen, wie rathlos irrenden Figuren, wehmüthig 
klagenden Weisen und schmerzvollen Accenten zu- 
sammengesetzt. Dann setzt der Marsch wieder ein, am 
Schlüsse hört man ihn wie aus der Ferne. Es ist viel 
poetische Kraft in dem einfachen Entwurf dieser zweiten 
Abtheilung. Die dritte Abtheilung behandelt die »Wieder- 
vereinigung im Tode« mit Grab- und Choralmusik, in 
welche sinn- und wirkungsvoll die Motive des Trennungs- 
marsches und der langsamen Liebessccne hineingezogen 
sind. Den schauerlichen Geistercharakter der Situation 
deutet ein in den tieferen Instrumenten unaufhörlich wüh- 
lendes kurzes Motiv J~fi J) an. 

Von den übrigen sieben Sinfonien Raff's gehören noch 
mehrere der Programmmusik an: »In den Alpen«, »Jah- 
reszeiten«, »An das Vaterland«. Wie die unbenannten 
Werke der Gattung aus der Feder des Componisten, unter 
denen die Gmoll -Sinfonie die werthvollste ist. theilen sie 
unleugbare, grosse Schönheiten mit unbedeutenden zier- 
lichen Spielereien und öden Partien der blossen Routine. 
Die Vorzüge einer ungewöhnlichen, starken Einbildungs- 
kraft, eines warmen Gemüths. welche dieser Tonsetzer 
besass, wurden wett gemacht durch den Mangel an jener 
Sammlung und Hingabe, welche ein wesentlicher Theil der 
Poesie selbst ist, durch das Fehlen jener Kritik, welche 
Büreaudienst vom Dienste der Kunst unterscheidet. 

Aug. Klughardt Eine andere Sinfonie »Lenore«, die ebenfalls der Bal- 
»Lenoret u. lade Bürger's folgt, ist von August Klughardt veröflent- 

Ddur-Sinfonie. ü c ht worden. Sie hat vier Sätze, unter denen ein Adagio 
wegen seines Reichthums (an innigem, ungekünsteltem 
Ausdruck hervorragt. Auch in den anderen Sätzen, wo 
das Element der Situationsmalerei überwiegt, spricht Ge- 



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205 ^ 



müth und Herz in fesselnden Partien. Das Werk ist we- 
nig bekannt geworden; grössere Erfolge hat der Compo- 
nist in letzter Zeit mit einer freundlichen Ddur-Sin- 
fonie gehabt, welche der Schule der Programmmusik 
nicht angehört. Durchaus wohlklingend, bietet sie im 
letzten Satze auch Originelles. 

Unter denjenigen neueren Sinfonien, welche in der 
hergebrachten viersätzigen Form ein Programm durchzu- 
führen suchen, ist als eine der frühesten Abert's »Co- 
lumbus« zu nennen. Eine der musikalisch gehaltvollsten 
Programm Sinfonien der vermittelnden Richtung besitzen 
wir in dem »Wallenstein« von Jos. Rheinberger. J- Rheinberger 
Der Componist hat aus der Schiller'schen Trilogie die Wallenstein. 
Figur der » Thekla«, die Lagerscene mit der Capuziner- 
prcdigt und den Tod Wallensteins zur musikalischen Illu- 
stration ausgewählt und diese drei Objecte an das Adagio, 
das Scherzo und das Finale der Sinfonie vertheilt. Den 
noch freien ersten Allegrosatz benutzt er zu einem »Vor- 
spiel«. Das letztere führt uns am Anfang mitten hinein 

in das frische, kräftige Lagerleben: 
Allcgro con fuoco. 



Wallenstein steht hier noch fest und herrisch in der 
Menge; später zeigt ihn der Componist in seinem Schwan- 
ken zwischen düsteren Ahnungen und freundlichen Zu- 
kunftsträumen. Auf letztere bezieht* sich wohl das eigen- 
tümliche Thema der Bläser, welches mit dem langen 
Verweilen auf einem Tone beginnt und dann so traulich 
Schubertisch schliesst. Einzelne Melodien des Vorspiels 
sind von einer so ausgeprägt weiblichen Schönheit, dass 
sie uns von Wallenstein weg an Max und Thekla denken 
lassen. Dahin gehört das träumerisch wiegende Thema: 



Sinfonie verwendet ist. Dahin wohl äuch die italienisch 





welches auch in 
dem Adagio der 



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206 ^ 



anklingende, direct mit der erst später erfundenen) »Man- 
dolinata« verwandte) Melodie: 





welche die Durchführung einleitet und einen grossen 
Theil derselben trägt. Die Nähe der Schicksalsmächte 
wird im Vorspiel in kurzen schwermüthigen Motiven, in 
Fermaten, welche den lebendig bewegten Gang der Dar- 
stellung bedeutsam unterbrechen, angedeutet. Ihnen na- 
mentlich scheint die hymnenartige Melodie zu gelten, 
deren Hauptmotiv folgendes ist: 



Sie tritt imme r 



in dunkler Instrumentirung auf, so oft sie in dem Satze 
erscheint. Beim letzten Male geht ihr eine sehr eindring- 
liche Klage aus dem Munde der Clarinette voraus. Auch 
im zweiten, im langsamen Satze der Sinfonie, kehrt sie 
wieder. 

Zu den leichtverständlichen Werken der Programm- 
musik gehört Rheinbergers Tongemälde nicht; am we- 
nigsten das »Vorspiel« mit seiner Fülle an theilweise sehr 
vieldeutigen Themen. In der musikalischen Behandlung 
des Materials macht sich der Einfluss Beethoven's in einer 
seltenen Stärke bemerklich. Durch das »Vorspiel« blickt 
deutlich die zweite »Leonorenouvertüre«. 

Das Adagio der" Sinfonie, »Thekla« überschrieben, 
wird von folgender schönen Hauptmelodie getragen: 

Adagio. 4 ^ —* 

Auch das zweite Thema ist in seinem mädchenhaf- 
ten, zarten Charakter nicht misszuverstehen. Während 
es die Bläser singen, begleiten die Violinen mit munteren 
Motiven, welche das träumerisch schwärmerische Bild der 
Tochter Wallensteins mit einem anheimelnden Zusatz 
von Zierlichkeit ergänzen. Am Ende der Themengruppe 




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-<* 207 *~ 




erscheint eine kleine Episode erregter Natur, welche der 
Blumenscene Gretchens in Liszt's »Faust* ähnlich ist. Sie 



stützt sich musikalisch auf das kleine Motiv: 



In der Schlusshälfte des Satzes wird Thekla wiederholt 
von Gefühlen stürmischer Unruhe ergriffen. In einem 
derartigen Momente ist es, wo das früher erwähnte 
Hymnenthema des ersten Satzes beschwichtigend eintritt. 

Das Scherzo »Wallenstein's Lager« wird viel einzeln 
aufgeführt. Es verdankt diese Bevorzugung seiner be- 
stimmten Charakteristik, der Einfachheit seiner Form und 
seiner launigen Natur. Die Stütze seines Hauptsatzes 
bildet das Thema: 




Um dasselbe herum reiht sich eine 
kleine Suite lebendiger Bilder, welche 
das Soldatenleben von seiner fröhlichen Seite veran- 
schaulichen. Der Triangel klingt, die Becken; ab und 
zu giebt auch die grosse Trommel grotesk einen dumpfen 
Schlag darein. Man spielt und tändelt anmuthig und 
gemüthlich; zuweilen werden auch die Scenen wilder, 
barsch und derb. Unter den vielen Nebenthemen, welche 
im Satze erscheinen, macht sich besonders das folgende 
bemerkbar: 




Es ist die Melodie zu »Wilhelmus von Nassau«, einem 
niederländischen Reiterliede, welches in der Zeit der Re- 
formation sehr beliebt war. In versteckteren und offenen 
Anspielungen durchzieht dieser Volksgesang das ganze 
Scherzo vom Anfang an. Schliesslich intoniren es die 
Bläser in seiner Originalgestalt zur Freude des Chorus, 
welcher es brausend aufnimmt. Da auf einmal: General- 
pausen, Dissonanzen — ein Wirrwarr entsteht. Der Ca- 



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208 *~ 



puziner ist da! Seine Predigt vertritt das Trio des Scherzo. 
Ausserordentlich gelungen hat Rheinberger den bald bis- 
sigen, bald larmoyanten, bald salbungsvollen Ton nach- 
geahmt, welchen der Pater bei Schiller anschlägt, und 
die Drastik der originellen Scene wird in der Musik noch 
dadurch erhöht, dass hier auch die Reaction der unfrei- 
willigen Zuhörer zu einem treffenden lebendigen Aus- 
druck kommt. Der Haupttrumpf, welchen die übermü- 
thigen Landsknechte dem Strafredner entgegenstellen, ist 
das Reiterlied. 

Der vierte Satz der Sinfonie, »Wallensteins Tod« hat 
einen kurzen Prolog :Moderato Dmoll %], welcher den 
tragischen Inhalt des Kommenden in schreckenden und 
klagenden Tönen kurz feststellt und dem unglücklichen 
Helden einen edlen Trauergesang widmet. Dann beginnt 
mit dem Allegro vivace Ddur e /a eine Schilderung der 
letzten Stunden Wallensteins. Ein Tongemurmel, dem 
im Scherzo von Beethovens Eroica ähnlich, sagt uns, 
dass die Scene in der Nähe des Soldatenlagers spielt, 

, ir . , .. , Allegro vivace. 

Wir hören muntere 
kriegerische Weisen : 

Auch Wallenstein scheint ihnen zu lauschen, bis er all- 
mählich in Träumereien versinkt, drückender Natur die 
einen, liebenswürdig entzückend die anderen: 





efc. 

Das Schlussbild seiner Visionen (Allegro C) gleicht einem 
Triumphzuge. Wallenstein erwacht. Wieder hören wir 
den Lärm des Lagers. Der Fortgang ist wie vorhin. Nur 
lenkt die Traumscene jetzt in eine wunderschöne Schlum- 
merscene (Adagio % Hdur) über. Zum dritten Male be- 
ginnt darauf die Musik mit der Schilderung des Treibens im 
Lager. Wieder träumt Wallenstein. Jetzt aber werden die 
Motive von grellen Signalen der Posaunen und Trompeten, 
von wilden Figuren, von Dissonanzen und von einem 
grässlichen Aufschrei des ganzen Orchesters abgelöst. Die 



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209 



Katastrophe ist vorbei! Mit einem kurzen Epiloge, dessen 
Knappheit auf die Realistik der letzten Scene sehr be- 
ruhigend wirkt, entlässt uns der Componist. 

Schiller hat neuerdings zu anderen Programmsinfonien 
Veranlassung gegeben, die im Publicum noch wenig be- 
kannt geworden sind: M. Moszkowsky's »Jeanne d'Arc«, 
J. L. Nicode's »Maria Stuart« und H. Huber's «Teil«. 

Eins derjenigen Werke, in welchen zwischen Pro- 
gramm und Musik nur ein lockerer Zusammenhang be- 
steht, ist die vielgespielte Sinfonie »Frithjof« von Hein- 
rich Hofmann. Der Componist beschränkt sich auf den 
erotischen Theil der bekannten Sage E. Tegner's, und 
entwirft in dem ersten, zweiten und vierten Satze seiner 
Sinfonie von dem Glücke Frithjofs und Ingeborg's, von 
ihrer Trennung und ihrem Wiederfinden, eine Schilde- 
rung, welche an und für sich beredt ist, aber sicher auch 
auf jedes andere Liebespaar ebenso gut passen würde. 
Das Localcolorit. unter welchem wir die Bilder nach dem 
Titel des Werkes gern sehen möchten, ist in einem ein- 
geschobenen dritten Satze »Lichtelfen und Reifriesen« 
extra beigegeben. Im ersten Allegro der Sinfonie, »Frith- 
jof und Ingeborg« überschrieben, wechseln, in der Sprache 
der modernen Oper geflüsterte, zärtliche Geständnisse, 
schmeichelnde und kosende Reden und überschwäng- 
liche, glühende Erklärungen. Die beiden Hauptgestalten 
sind in ihren Themen mit Motiven charakterisirt , wel- 
che im Finale der Sinfonie wiederkehren. Frithjof mit 

Allegro. 

Ingeborg mit: 



H. Hofmann 

»Frithjof«. 





Der zweite Satz heisst »Ingeborg's Klage«. Das trauernde 
Mädchen ist repräsentirt durch: 




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210 



und durch das Schumann'sche Cdur - Sinfonie] : 

Pitt animato. 

das hoffende durch : 




In der sehr kurzen Durchführung ist 

eine Episode der Erinnerung an Frithjof gewidmet. Sie 
steht auch motivisch mit dessen Thema in einem er- 
kennbaren Zusammenhang: z^t V^j^ffffi^^j E- 

Die »Lichtelfen« des dritten Satzes »Intermezzo«) wer- 
den durch folgendes Hauptthema gezeichnet: 

Allcgro modcrato 



fP Vlol. c. 





Die »Reifriesen« führen über: 




einen Tanz 



aus, dessen wilder Charakter durch hohe Triller und 
durch compacte Bläsermassen noch verstärkt wird. Die 
Erfindung und die Entwickelung der Themen zeigt den 
Einfluss von Mendelssohn und Gade. Das Eigenste des 
Componisten liegt in der lebendigen Farbenmischung, zu 
deren Reizen ein Glockenspiel einen aussergewöhnlichen 
Beitrag steuert. 

Der vierte Satz, >• Frithjof s Rückkehr«, beginnt mit 
einer anschaulichen Einleitung. Hornsignale tönen von 
allen Seiten, allarmirende Figuren der Violinen rufen uns, 
einem festlichen Ereigniss zuzuschauen. Die heimatlichen 
Helden kehren als Sieger zurück, wie uns das aus Wag- 
ner'schen und Weber'schen Elementen zusammengesetzte 
und mit einem frischen Kopfe gekrönte Haupthema sa- 
gen will: 

Allegro vivaco. 




ff Viul. 



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211 *~ 



Die Seitengedanken und das zweite Thema: 




wenden sich intimeren Herzensangelegenheiten zu. Schliess- 
lich erscheint Ingeborg mit ihrem Thema aus dem ersten 
Satze der Sinfonie. 

Eine kürzlich veröffentlichte Programmsuite H. Hof- 
mann's, »Im Schlosshofe«, gehört zu den besten Lei- 
stungen des Componisten. 

Ebenso und noch mehr lose als im »Frithjof« sind c » Goldmark 
die Beziehungen zwischen Titel und Inhalt in der Sin- ^.* d "?£ e 
fonie »Ländliche Hochzeit» von Carl Goldmark. Der 
Gegenstand ist für ein bescheideneres Genrebild, etwa im 
Umfang und Styl der »Festklänge« von Liszt, sehr ge- 
eignet; aber für eine Sinfonie oder eine grosse Suite — 
das letztere ist die Goldmark'sche Composition eigentlich 
— nicht wichtig genug. Auch ist der ländliche Charakter 
des zur Darstellung gewählten Ereignisses nicht eben ein- 
dringlich veranschaulicht; einzelne Partien widersprechen 
ihm geradezu. Aber die Goldmark'sche Sinfonie hat 
ihren musikalischen Werth. Sie verbindet Reichthum der 
Phantasie mit einem theilweise eigentümlichen, immer 
aber fertigen und sicheren Ausdruck. 

Der erste Satz besteht aus einer Reihe von 12 Va- 
riationen. F. Lachner hat diese Form für den Eingangs- 
satz der Suite eingeführt. Von ihm unterscheidet sich 
Goldmark dadurch, dass er die Variationen frei durch- 
führt. Nur wenige bringen das ganze Thema; in einzel- 
nen finden wir nur kurze motivische Fragmente dessel- 
ben, in einer dritten Gruppe herrscht nur ein ideelles 
Verhältniss zum Modell. Der üeberschrift nach bedeutet 
dieser erste Satz den »Hochzeitsmarsch»«. Im technischen 
Sinne marschmässig sind nur der Anfang und der zu 
diesem zurückkehrende Schluss. Die Variationen haben 
wir uns als Figuren aus dem Hochzeitszug oder als Stim- 
mungsbilder zu denken: einzelne phantastisch oder innig 



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und beschaulich; die Mehrzahl flott, feurig und freude- 
voll. Das Thema selbst beginnt, in den Bässen allein, 
mit folgender Periode: 



Mod<*rato. 




welcher der entsprechende Nachsatz folgt. Es schliesst 
mit einem freien Abgesang: 



K L f t « 




9- 


0 


















L f — "f — ' 'b^ '- 





dessen lange Noten sich sehr hübsch in den Variationen 
bemerklich machen. Von besonderem Reize ist die In- 
strumentation des Satzes. 

Der zweite Satz — »Brautlied« überschrieben — ist 
eine knappe Composition in der Form der dreitheiligen 
Arie. Der Hauptsatz hat reizende Elemente Schubert- 
scher Melodik. Sein führendes Thema ist das folgende: 

Allcgretto. 




Dem Mittelsatz 



die ungewöhnliche Wahl der Tonart Unterdominantej 

den Charakter grosser Wärme. 

Der dritte Satz. »Serenade«, hält die kunstvollere 

Form der Sonate ein. Seine Themen: 
Alle gromo «terato. 




und das in der Durchführung bevorzugte: 




sind beide leichter scherzender Natur. In der Instru- 
mentirung, die zuweilen eine dorfmässige Einfachheit be- 
sitzt, und in der Harmonie, in welcher die liegenden Bass- 
quinten eine grosse Rolle spielen, hat der Componist 
ländliche Züge sehr launig eingewebt. 



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213 



Der langsame Satz der Sinfonie führt den Titel »Im 
Garten«. Die Einleitung dieser Scene und der mit ihr 
identische Ausgang wird mit Recht als der schönste Mo- 
ment der ganzen Sinfonie angesehen. Das Thema, wel- 
ches demselben zu Grunde liegt: 
Andante, ci&r. 



^U" «M^-^^-f — ] bildet in dem 



p 

wilden Finale der Sinfonie dann nochmals eine kurze, 
zarte, träumerische Episode. Den mittleren Theil des 
Satzes (Gesdur, ^-Tact bildet ein Liebesdialog, in der 
glühenden Sprache von Wagner's »Tristan und Isolde* 
geführt. 

Der Schlusssatz der Sinfonie heisst Tanz. Sein Haupt- 
thema : 

Allepro molto. 




welches zunächst in der Form der Fuge ausgeführt wird, 
bringt kecke und volksthümliche Elemente in die Com- 
positum hinein. Unter allen Theilen der Sinfonie ist das 
Finale derjenige, welcher den ländlichen Charakter der 
Hochzeit am treuesten veranschaulicht und ein wirkliches 
Stück realistischer Programmmusik bildet. Eigenthüm- 
lich und mehrdeutig sind die nach Klang und Tonart so 
fremden Hornaccorde, welche an mehreren Stellen des 
Satzes mitten in den stärksten Tumult hineintönen. 



Von dem Zeitpunkte ab, wo Haydn ihre Umgestaltung 
begann, blieb die Sinfonie den Deutschen ziemlich allein 
überlassen. Nur die Franzosen stellten in längeren Abstän- 
den einzelne nennenswerthe Mitarbeiter, wie: Gossec, 
M6hul, Berlioz. Nach Analogie der Entwickelung, welche 
die Vocalmusik, zuletzt noch in der Oper, genom- 
men hatte, war anzunehmen, dass eines Tages auch die 
Geschichte der Sinfonie den internationalen Charakter 
tragen und dass der Wettstreit der Nationen sich auch 
dieser Kunstgattung bemächtigen werde. Nach 80 Jahren 



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214 



trat diese Wendung endlich ein. Doch erfolgte sie mit einer 
ebenso wichtigen als überraschenden Nuance. Die neuen 
Sinfoniker kamen aus Ländern, welche sich an der höheren 
musikalischen Kunstarbeit bisher nicht betheiligt hatten. Sie 
brachten neue Weisen, neue Klänge, einen ganzen Schatz 
von Naturmusik mit, für welchen die Stimmung durch 
die Arbeit der Romantiker aufs Günstigste vorbereitet 
war. Mit den Programmsinfonien theilen die nationalen 
das realistische Element in der Darstellung; der pathe- 
tische und hochdramatische Zug jener ist ihnen bis auf 
einzelne neueste Ausnahmen russischer Herkunft fremd. 
Ihr liebstes und eigenthümlichstes Gebiet ist das Genre. 

Das erste Interesse für die Musik der sogenannten 
Nebennationen erwachte schon am Ende des achtzehn- 
ten Jahrhunderts. Noch ehe Herder's »Stimmen der Völ- 
ker« erschienen waren, lenkte Delaborde's »Essai sur la 
musique etc.« die Aufmerksamkeit der gebildeten Musik- 
welt auf die Gesänge und die Tanzweisen der bisher 
musikalisch unbeachtet gebliebenen Nationen. Die All- 
gemeine Musikalische Zeitung verfolgte vom Anfang ihres 
Bestehens (<798) alle Erscheinungen auf diesem Gebiete, 
die Sammlungen und die Berichte. Die wesentlichste 
Beachtung erregten die Scandinavier. Bei ihnen nahm die 
Pflege der alten Nationalweisen zuerst wissenschaftliche 
Formen an, und sie lenkten diesen Schatz zuerst in das 
Gebiet der Kunst hinüber. Kuntzen, Weyse, P. E. Hart- 
mann schrieben die ersten dänischen Opern, Opern, in 
welchen der Stoff der Handlung und ein Theil der Me- 
lodien vaterländisches Gut waren. Hierdurch angeregt 
und ermuntert, componirte der junge Däne Niels Gade 
seine berühmte Ouvertüre »Nachklänge aus Ossian«, wel- 
cher i. J. 4 843 schon seine Cmoll-Sinfonie folgte. In dieser 
Sinfonie fanden die Kenner und die Freunde der nordi- 
H. Gade sc h en p oe sie den Geist der Frithjofsage und der Edda 
Cmoll-Sinfonie. w i e der. Sie erschien ihnen wie ein nordisches Musik- 
epos, welches von den alten, gewaltigen Recken und 
ihren Kriegen und Siegen, von schlichten Jägern und 
Hirten und ihren naiv frohen Festen, von einer Natur, 



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215 



welche unter unscheinbarer Hülle intimen Reiz barg 
und von freundlichen Elementargeistern belebt war, er- 
zählt. Wie der Stoff neu und poetisch, so war die Dar- 
stellung liebenswürdig. Das nordische Element drang 
sich nirgends äusserlich auf, technisch blieb es in einigen 
düsteren Balladenmelodien und in kurzen Dialogen der 
Bläser versteckt. Im Style der Composition begegnete 
man dem romantischen Charakter der Zeit. Es war ein 
schöner menschlicher Zug in ihm, dass er der begeister- 
ten Schilderung einen wehmüthigen Ton beimischte, einen 
Ton, welcher der Trauer darüber Ausdruck zu geben 
schien, dass jene Welt, die in der Tondichtung mit ihren 
Göttern und Helden auflebte, in Wirklichkeit längst da- 
hin gegangen war. In diesem Sinne beginnt der erste 
Satz der Sinfonie mit einem klagenden Prolog: Ein me- 
lancholischer Flor liegt über der liebevollen Melodie, die 
wie aus der Ferne während der Einleitung durch die In- 
strumente zieht 



Moderato. 



Vi ol. 





==. Dann aber ergreifen die 



Trompeten das Wort und leiten eine Scene ein, in der 
sich rauhe Kräfte machtvoll regen. Das Thema 

Alle ff ro. 1 BI5».r J j ^ J 1 



VloL 




durch mehrfache Wiederholungen ge- 
steigert, bildet den Hintergrund des 
Bildes: Der Held tritt auf mit seiner 
Schar: 



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216 




Allepro. 

Die Gestalt 
ist uns aus 

der Einleitung bekannt; nur kräftiger und fester steht 
sie hier vor uns. Mit diesem einen Thema hat Gade den 
ganzen Satz bestritten, bald rückt er ihn in die Ferne, 
bald in eine düstere, bald in eine freundlichere Beleuch- 
tung, wendet ihn hier ins Träumerische, dort ins Heroi- 
sche. Nur während der kurzen Durchführung, in welcher 
der «/ 4 -Tact der Einleitung wieder einsetzt, tritt ein 
freundlich sinnender Nebengedanke ein: 

#^ 




Als zweiter Satz folgt ein Scherzo Cdur fi / 8 -Tact . 
Das Thema hat in der ersten Hälfte nur rhythmisches 
Leben: Melodielos, fassungslos vor freudiger Aufregung, 
rollt es in schnellen Achteln dahin — die zweite Hälfte 
bildet ein keckes Citat aus dem Hochzeitsmarsch der 
»Sommernachtstraum «-Musik. Auch im Trio begegnet 
sich Gade mit Mendelssohn. Seinen motivischen Inhalt 
bildet im vorwiegenden Theil eine jener schattenhaft da- 
hinhuschenden Figuren, die Mendelssohn in den phan- 
tastischen Sätzen einbürgerte : 
vivace. %. ff* 

Der Nachsatz 




Tir treibt ein an- 

l>. V iol. r. »or<l. 

muthiges Spiel mit Motiven, die der Natur abgelauscht 

zu sein scheinen: 
n 




Den Kern des dritten Satzes Andantino grazioso, 
Fdur ^4' bildet ein freundlich ernster Gesangssatz, des- 
sen Hauptperiode folgende ist: 

Andantino. 




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Die kurzen Zwischensätze, welche die Wiederholungen 
dieser Hauptgruppe auseinanderhalten, haben den oben 
berührten klagenden Charakter und ruhen auf folgendem 



Motive 



A C <>*' 




EinTrio- 




lenrhythmus, welcher zuerst in der Cellofigur 

auftritt und dann durchgeführt 
wird, wirft in die zweite Hälfte 
des Satzes hellere Lichter hinein. 

Der letzte Satz beginnt mit einem wahren Freuden- 
allarm. Mit ausgelassenen Dissonanzen setzt das Tutti ein : 
Molto Allegro. 

im breiten Behagen wiegt es sich 





schier endlos, wenn die fröhliche 

Hauptmelodie, deren Schubert'sches Gesicht nicht zu ver- 
kennen ist. angestimmt werden soll: 




Der Satz ist an selbständigen, schönen 

Themen überreich. Mit besonderer Wucht macht sich 
folgende Melodie der Bläser geltend: 




die das gesammte Streichorchester mit breit arpeggirten 
Accorden, wie mit mächtigem Harfenklang umrauscht. Die 
ausserordentliche Instrumentirungskunst, welche Gade in der 
ganzen Sinfonie beweist, feiert hier ihre stärksten Triumphe. 
Wenn die Trompeten ihre fröhlichen Signale in die glän- 
zend kräftige Scene hineinwerfen, welche um den eben 
skizzirten Gesang sich bildet, da steht Bürger 's »Lenore« 



-o- 218 



N. Gade 

Bdur-Sinfonie 



vor uns: »Und jedes Heer mit Sing und Sang — Mit 
Paukenschlag und Kling und Klang — Geschmückt mit 
grünen Reisern — Zog heim zu seinen Häusern!« 
Auch das Heldenthema aus dem ersten Satze der Sin- 
fonie hat Gade in das Finale hineingezogen. Dass die 
Menge des poetischen Stoffes in diesem Schlusssatze nicht 
ganz bewältigt worden ist, lässt sich nicht verkennen. 
Auch die anderen Sätze kann man formell vollendet 
nicht nennen, besonders das Scherzo ist unverhältniss- 
mässig breit. Doch aber bleibt der Sinfonie ein mäch- 
tiger Zug in der Gestaltung, und in ihren nordischen Me- 
lodien und Motiven ein originelles Element von sicherer 
und grosser Wirkung. 

Unter den übrigen Sinfonien Gade's — es giebt im 
Ganzen acht — ist die vierte in Bdur, 4 851 veröffent- 
* licht; die verbreitetste. Ihr Scherzo — es hat einen 
Spohr'schen Zug im Hauptsatz und zwei allerliebste 
volksmässige Melodien als Trios — ist der beliebteste 
unter den vier Sätzen. Im ersten Allegro tritt das scherzende 



Seitenthema : 



und die schelmisch liebenswürdige Episode 





vor der letz- 



«rtte. 



ten Intonation des kräftigen Hauptthema ; im letzten Satze 
das recitativartig, zögernd und fragend in den Violinen 
beginnende zweite Thema hervor: 

Allegro. 





Es sind die wirklich eigenartig gedachten Stellen der Sin- 
fonie. Das ganze Werk ist von dem abgeklärten Geiste 
milder Anmuth beherrscht und formell eine der reifsten 



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Arbeiten der neueren Composition. Gleichwohl steht sie an 
geschichtlicher Bedeutung hinter der weniger abgerundeten 
Cmoll-Sinfonie Gade's über allen Vergleich weit zurück. 
Denn in der späteren Sinfonie ist Gade ein hervorragen- 
der Vasall Schumann's und Beethoven's, in jener ersten 
aber erscheint er als die Spitze und der Führer einer neuen 
Epoche. Jene Cmoll-Sinfonie gab der höheren Instrumen- 
talmusik Impulse von grösster Bedeutung. Sie lenkte mit 
frischer Schärfe den Blick auf die nationalen Lieder und 
Tänze, und bewies, dass dieser Schatz auch für die 
grossen Formen der Composition nutzbar gemacht wer- 
den könne. Sie appellirte an die Heimathsliebe der Ton- 
setzer in allen Ländern und leitete eine Bewegung ein, 
die jedenfalls zu den wichtigsten Erscheinungen der neue- 
ren Musikgeschichte zählt. War diese Bewegung im Liede, 
in der Ciaviermusik (Field, Chopin;, in der romantischen 
Oper Weber's, Boieldieu's, Auber's auch schon vorbe- 
reitet, so gebührt Gade doch das Verdienst, sie auf das 
wichtige Feld der Sinfonie gelenkt und da in Fluss ge- 
bracht zu haben. 

Wir haben heute eine Reihe solcher auf nationalen 
Elementen ruhender Sinfonien und sinfonieartiger Werke, 
von denen einige auch im Repertoir Fuss gefasst haben. 
Der dänischen Schule gehört zunächst Emil Hart mann 
an, dessen Esdur-Sinfonie in Styl und Stoff unmittelbar an 
Gade anschliesst. In denselben Kreis sind auch die Nor- 
dischen Suiten von A. Hamerick zu stellen, welche 
allerdings mit Mendelssohn'schen, Wagner'schen und an- 
deren Elementen stark getränkt erscheinen. Ein Posi- 
tives besitzen sie in ihrem eigenen Klangleben. Dem Ver- 
ständniss kommen ihre Ueberschriften entgegen. Norwe- 
gen und Schweden sind in der Sinfonie neuerdings 
durch S. Svendsen, in der Ciaviermusik durch E. Grieg 
speciell vertreten. Diesen beiden »Jungscandinaviern« 
wird zuweilen bewusste Opposition gegen Gade und seine 
dänische Schule zugeschrieben. Nur bis zu einem be- 
schränkten Punkte geschieht das mit Recht. Die Ver- 
schiedenheit beider Schulen beruht auf den benutzten 



» 220 ^ 



Quellen. Die dänischen Volksweisen haben vorwiegend 
einen ernsten und strengen Charakter; in ihrer techni- 
schen Struclur sind sie jedoch vorwiegend abendländisch. 
Die scandinavischen Melodien hingegen, welche Grieg 
und Svendsen benutzen, weisen auf ein fremdes Ton- 
system hin, das sich abseits des grossen europäischen 
Kunststromes entwickelt hat. Stellt man sie, wie es die 
genannten Tonsetzer thun, in unser bekanntes Harmonie- 
gebäude ein, so zwingen sie zu einer freieren Behand- 
lung der Dissonanz, zu manchem grellen Wechsel zwi- 
schen Dur und Moll und zu Accordfolgen , welche uns 
ungewohnt berühren. Sie repräsentiren eine eigenthüm- 
liche Empfindungswclt, in welcher das Träumerische einen 
breiten Raum einnimmt. Ein starker Schatten von Me- 
lancholie liegt in der Regel auch noch über den kurzen 
Tanzweisen, an welchen der norwegische Tonschatz be- 
sonders reich ist. Sie bilden Idyllen, in welchen zu dem 
ergötzlichen Moment auch ein rührendes hinzutritt. Das 
letztere liegt in der Beschränktheit der melodischen und 
rhythmischen Kreise, in welchen sich ihre Munterkeit be- 
wegt. In diesem Punkte berühren sie sich mit der sla- 
vischen Volksmusik. 



J. 8. Svendaen Svendsen giebt namentlich in seiner Ddur-Sin- 
Ddur-Sinfonie. fonie bezeichnende Proben von den Formen und auch 



von der Seele seiner heimathlichen Volksmusik. Das 
Hauptthema des ersten Sates ruht in seinem Grundmotiv 
auf einer kurzen scandinavischen Tanzweise: 
Molto Allepro. *. 



eine suchende und sehnende Gestalt, bildet gegen die 
drängenden und heftigen Elemente dieser fröhlichen Melo- 
die einen sehr starken Contrast. Es besteht nicht aus 
einer einfachen Melodie, sondern aus einer Gruppe melodi- 



für die Entwickelung des Satzes die Hauptrolle über- 
nimmt. In dem Entwurf dieses Satzes liegt sehr viel 




. Das zweite Thema, 



scher Sätzchen, unter denen dasMotiv 




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Genialität. Der Gegensatz zwischen froher Lebens- 
lust und sinniger Träumerei, welchen die Themen aus- 
sprechen, tritt auch da auf, wo wir ihn nicht erwarten, 
z. B. in der Entwickelung des Hauptthemas selbst, und 
bewirkt unaufhörlich ungesuchte Effecte, kleine und grosse. 
Eine besondere Kunst liegt in der raschen Modulation 
der Stimmungen. Mit einem Schlage versetzt der Com- 
ponist uns aus der Majestät der Bergwelt in die stille 
Schönheit der Fjords. Die dynamischen Mittel nament- 
lich sind mit frappantem Erfolge benutzt. Das einzige, 
formell etwas unreife Element dieses Allegros bilden die 
Fugatos, welche über das erste Thema versucht werden. 

Die aus der Hingabe an das Wesen der Volksmusik 
fliessende Neigung zu einfacher Elementarwirkung zeigt 
sich auch in dem Andante der Sinfonie: an der Stelle 
besonders, wo das zweite Thema mit den langen, leisen 
Accorden der Streichinstrumente eingeleitet wird, über 
welche die Bläser einander sanfte Hirtenmotive zusingen. 
Das Hauptthema dieses Satzes, ein edler breiler Gesang, 
welcher zuerst auf den tiefen Saiten der Violinen erklingt: 



das glänzende coloristische Talent des Componisten 
zu entfalten. Von besonderer Schönheit ist die Stelle, 
wo es als Hornmelodie von den Pizzicato-Rhythmen der 
Geigen umspielt wird. 

Den nordischen Charakter der Sinfonie bringt der dritte 
Satz derselben, ein Allegretto scherzando (Gdur'-7 4 ) am ent- 
schiedensten zum Ausdruck. Zwar fängt er in deutscherGe- 

müthlichkeit an : ifc^f^ T TTJ -l -j-V ^f=4 -4 1 " f^jH^ - 
Aber schon nach <2 Tacten beginnt der zweite Satz mit 



einem Motive: 




dessen scan 



dinavische Abkunft durch die untergelegte Harmonie noch 




dient im weiteren Ver- 
lauf des Satzes dazu, 



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I 



222 

deutlicher wird. Von derselben Natur ist das Thema 
des dritten Abschnitts, der in Bdur einsetzt: 

* ^J» Flut« 

Ziemlich spannend klingt er lange aus. Da setzt in den 
Violinen mit ganz wunderbar zart belebten Tonfarben — 
die auf geschickter Benutzung einer seltenen Spielart be- 
ruhen — Adur ein, und darüber intoniren die Holzbläser 
eine neue nordi 
sehe Melodie: 

Sie ist von Hause aus von etwas derberem Schlage, ent- 
faltet aber ihren ganzen schwerfällig drolligen Charakter 
erst dort, wo sie Bässe und Violinen im Canon durch 
ein gewaltiges Forte führen, das Trompeten und Hörner 
stürmisch genug einleiten. Schnell wie es gekommen, ist 
es auch vorbei. Der Componist zieht mit der ihm eige- 
nen Raschheit einen phantastischen Schleier über die 
Scene, unter welchem sich allmählich das erste Thema 
des Satzes wieder zu regen beginnt. Es folgen nun Re- 
petitionen in freier Folge. Die Form, durch welche die 
grosse bunte Menge lustiger Bilder in diesem Satze fest 
zusammengehalten wird, ist eine Modifikation des Rondo- 
satzes. An der Wiederkehr des gemächlichen Haupt- 
themas hat der Zuhörer immer wieder einen Anhalt und 
Sammlungspunkt. 

Das Finale beginnt mit einer Einleitung. Alle The- 
men sind nordisch. In der Durchführung überwiegt die 
Arbeit die Phantasie. Ein sehr schöner Moment der In- 
spiration ist der Eintritt des zweiten Themas. Er ge- 
bietet den Wolken, und siehe: es erscheint ein freund- 
licher Stern. Dass dieses zweite Thema nichts anderes 
ist, als die Melodie der Einleitung, nur in schnellerem 
Gang, hebt nur die Wirkung. 
J. 8. Svendsen Die zweite Sinfonie Svendsen's Bdur) beruht auf 
Bdur-sinfoni«. einem tieferen Stimmungsgrunde als seine erste. In allen 
ihren Sätzen lauert die Schwermuth. und noch im Finale 





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-> 223 



wechseln die Momente des gewaltsamen Aufraffens der 
Kraft mit Augenblicken gänzlicher Verzagtheit. Am freie- 
sten von trüben Anwandlungen hält sich der dritte Satz, 
eine als Intermezzo bezeichnete Pastoraldichtung, die 
Beethovensch beginnt und dann ganz in dem nordischen, 
neckischen und kindlichen Schalmeienton aufgeht. Auch 
der erste Satz hat eine ausgeprägt norwegische Melodie in 
seinem zweiten Thema, welches in diesem Satz die Rolle 
des guten, tröstenden, mit Heimaths- und Jugendbildern 
zusprechenden Geistes übernimmt. Im Andante, das 
manchen Brahms'schen Zug enthält, hat der freundliche 
Gegensatz in einem kurzen, immer repetirenden — oft 
bescheiden versteckten — Achtelmotiv einen rührend nai- 
ven, unschuldigen Ausdruck gefunden. In der Form reifer 
als die Ddur-Sinfonie, zeigt sich Svendsen in der zwei- 
ten Sinfonie doch weniger originell. Ausser den bereits 
angeführten Meistern gehören noch Schumann ;im ersten 
Satz , Schubert im dritten; zu den Componisten, deren 
Einiluss bemerkbar wird. 

Auch der Engländer F. Cowen hat vor einigen Jah- 
ren eine »Scandinavische Sinfonie« veröffentlicht, welche p Q owen 
von der Mehrzahl der deutschen Concertinstitute mit Bei- Scandinjlviöch e 
fall aufgeführt worden ist. Diese Sinfonie gehört je- Sinfonie, 
denfalls unter die bedeutendsten Instrumentalcompositio- 
nen, welche seit Jahrzehnten jenseits des Canals ent- 
standen sind. Wäre der erste Satz, dessen melancho- 
lisches Hauptthema 

Modorato. 




schliesslich zum Quälgeist wird, etwas reicher an Ideen, und 
der letzte ein total anderer, so würde diese Sinfonie unter 
die hervorragendsten neueren Nummern ihrer Gattung einzu- 
reihen sein. Die einfachen Ideen des Andante mit dem 
Titel »Sommernacht am Fjord«, in welchen ein (im Ne- 
bensaal zu versteckendes Hornquartett die Träumerei der 
Violinen mit derben Tanzweisen unterbricht, die ganz 
wie aus der Ferne herüberklingen, haben die Poesie und 



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^> 224 *~ 



den Effect für sich. Ebenso ist das Scherzo in anderer 
Art wirksam und frappant: ein freundliches Gespenster- 
stück, in welchem der flüchtige, schattenhafte Charakter 
mit einer genialen Consequenz durchgeführt wird. Die 
Geigen hinter Sordinen mit einem eiligen Motive huschend 

Allegro molto. 

& ~<h j£-Lr jj/r*^/ f'i^cT?-j"pH > der Mittelsatz, ein 

Nebel aus zitternden Rhythmen und mysteriösen Modu- 
lationen, in den die Bläser nichts als Accordnoten 
hineintropfen: das Ganze getrieben vom hellen Klang des 
Triangel. Es ist seit der »Fee Mab« von Berlioz in dieser 
eigenen Art von Phantastik vielleicht kein so runder und 
gelungener Satz componirt worden! 

Gade's Weckruf fand aber auch weit über die scan- 
dinavischen Länder und Kreise hinaus seinen Wieder- 
hall. Am wenigsten von Belang ist das, was aus Un- 
garns grossem originellen Musikschatz für die grossen 
Formen der Orchestercomposition fruchtbar gemacht 
wurde. Wir registriren hier einfach die Ungarischen 
Suiten von H. Hoff mann und von Raff. 

Von den Franzosen nennen wir G. Bizet's Suite 
l'Arl6sienne und B. Godard's Scenes poetiques als her- 
G BUet vorragende Beiträge zur Nationalmusik in Suite und Sin- 
,rAri<sicnne€ f° n i e - Die Suite Bizet's bringt eine Reihe von Orchester- 
sätzen, welche ursprünglich zu der Musik gehörten, welche 
der Componist der »Carmen« für das Schauspiel Daudet's: 
l'Artesienne d. i. das Mädchen von Arles geschrieben 
hatte. In der durchaus geistreichen Musik sind mehrere 
provengalische Volksweisen verwendet worden. Der pi- 
canteste und kunstvollste Satz ist das Finale, »Carillon« 
genannt. Die Hörner wiederholen in ihm unaufhörlich 
das Motiv eines Glockenspiels: gis e fis. 

Godard's Scenes poetiques sind kurze pastorale 

B. Öodard Skizzen: »Im Walde«, «Auf der Flur«, "Im Gebirge«, »Im 
seinen Dorfe«. Ein anmuthiger, kecker Jugendgeist, der in der 

poetiques. Naturschwärmerei nur eine Gastrolle zu geben scheint, 
spricht daraus. Thematisch sind die kleinen Sätze noch 



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225 



loser und leichter als die der Bizet'schen Suite entworfen 
und durchgeführt. Ihr Hauptreiz liegt in der wirklich 
poetischen Instrumentation. Der letzte Satz, bei welchem 
die grosse Trommel bedeutend mitwirkt, ist der origi- 
nellste und zeigt das eigentliche Schelmengesicht des 
Autors. 

Von italienischen Beiträgen zu der nationalen Rich- 
tung ist die Sinfonie von G. Sgambati zu erwähnen, 
in deren viertem Satze, »Serenata« betitelt, eine italie- 
nische Volksmelodie gebracht wird. Die Sinfonie Sgam- 
bati's ist diejenige unter den Werken der Gattung, welche 
am stärksten das nationale Element mit dem leiden- 
schaftlichen Style der Programmmusiker verbindet. 

Von den Slaven haben wir zunächst An ton Dvo- 
rak zu nennen. Der ausgesprochen nationale Satz in ^* ^ orak 
dessen Ddur- Sinfonie (op. 60) ist das Scherzo. Es un- 
terscheidet sich in Form und Charakter kaum von den 
bekannten und bedeutenden »Slavischen Tänzen« dieses 
Componisten und soll wohl auch durch den überschrie- 
benen Titel: «Furiant« dieser Gattung zugewiesen werden. 
Ein wildes Blut wallt in diesem Satze; zu der Frische» 
mit welcher sein Hauptthema herein stürzt, gesellt sich 
auch ein querköpfiges Element, eine eigensinnige Ausge- 
lassenheit, die in einem aus Beethoven's vierter Sinfonie 
bekannten Wechsel von Zweiviertel- und Dreivierteltact 
und in den dissonirenden Vorhaltsnoten deutlich zum 
Ausdruck gelangt: 

Presto. 

»f~S g £ * £ fit 



Ddur-Sinfouie. 




Der Hauptsatz ist nur 

sehr kurz, der Mittelsatz 

dagegen im Beethoven'schen Style breit ausgeführt und 
mit einem neuen Thema bereichert. Es ist folgendes: 




l.-, 



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w 

Das hier mit b! bezeichnete Schlussglied ist dasjenige, 
welches in der jetzt beginnenden Durchführung beider 
Themen bevorzugt wird. Die im Anfangstheile der neuen 
Melodie liegenden weicheren Elemente bleiben im Hin- 
tergrunde. Das Trio dieses Scherzo entwickelt sich in 
seinem ersten Theile ziemlich zögernd: Sein Thema baut 
sich stückweise auf und schliesst fragend und unent- 
schieden : 




Der Klang des Piccolo bringt darin das national slavi- 
sche Element sehr drastisch zur Geltung. Von der zwei- 
ten Hälfte des ersten Theils und durch den anderen Theil 
des Trios regt sich's dann freundlicher: durch die Bläser 
und die Celli streifen ruhige Gänge, die nach Melodie 
zu suchen scheinen. Einen ausgesprochenen wirklichen Ge- 
sangton vermeidet der Componist, der in seinem Scherzo 
weniger einen heiteren Satz, als ein musikalisches Cha- 
rakterbild geben wollte: das Gemälde einer mit unwir- 
schen Elementen kämpfenden Fröhlichkeit. Das Scherzo 
ist in der Form der einfachste und übersichtlichste Satz 
der Dvorak'schen Sinfonie. Die anderen Sätze stellen in 
Betreff der Gedankenentwickelung und der durch sie be- 
dingten Form dem Zuhörer durchschnittlich schwere Auf- 
gaben, und es scheint uns durchaus nicht ein blosser 
Zufall zu sein, wenn das Publicum dieser Sinfonie etwas 
kühl gegenüber steht. Namentlich durch den ersten Satz 
und durch das Finale geht ein unsteter Zug. Die Phan- 
tasie hat die Menge der Gesichte nicht bewältigt; die 
Ideen durchkreuzen und verdrängen einander, die Episo- 
den vergewaltigen die Hauptgedanken, und die ganze 
Darstellung macht das Folgen und Verstehen zu einer 
harten Arbeit. 



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Der erste Satz hat in seiner Themengruppe nicht weniger 
als sechs verschiedene Ideen, welche um die Führung ringen. 

Diese vier Tacte bilden die vordere Hälfte des Hauptthema, 
dessen erster Abschluss bereits bedeutend hinausgeschoben 
wird. Nach einer etwas stürmischen Unterbrechung im be^- 
schleunigten Tempo kehrt das Thema im glänzenden Eorte- 
Klang, aber nur auf einen flüchtigen Augenblick zurück. Vor 
dem Eintritt des zweiten Thema passiren wir noch eine 
Reihe von Nebenmotiven, aus denen das folgende als 
das für die Satzentwickelung wichtigste hervorzuheben ist : 




TisTJ 



Das zweite 
Thema (in 




Hdur gestellt gelangt zu keiner Bedeutung, dagegen 
nimmt der ihm folgende Nachsatz: 



j> etprrt». 

im Ideenkreise des Allegro eine hervorragende Stellung 
ein. Der ganze Satz gewährt das Bild einer um freund- 
liche Ziele kämpfenden Stimmung, und enthält in seinen 
heiteren Partien eine Menge liebenswürdiger Züge, blü- 
hende musikalische Einfälle pastoralen und idyllischen 
Charakters. In ihnen ist ein leichter Einfluss Schubert's 
zu bemerken, während für die pathetischen Excurse, die 
den weniger gelungenen Theil des Satzes bilden, Beet- 
hoven und noch mehr Brahms augenscheinlich zum Muster 
gedient haben. 

Das Adagio Bdur 2 /i wird von folgendem Hauptge- 
danken beherrscht: 
Adagio. 




Als zweites Thema folgt ihm ein schwärmerisch zärt- 
licher Gesang: 

45* 



228 *- 



4' 




mm 




dessen Einführung 



durch eine kurze 



selbständige Episode, von freudigem Aufschwung beherrscht, 
wunderschön vermittelt wird. Der ganze Plan des Satzes ist 
noch leicht zu übersehen: Nach dem Abschluss des Seiten- 
themas repetirt die Hauptmelodie, und die eben erwähnte 
Episode leitet zu einer kurzen Durchführung über. Letztere 
setzt mit leidenschaftlicher Bewegungein. geht aber sehrbald 
in den milden träumerischen Ton über, der dem ganzen 
Adagio seinen Charakter gicbt. Auch durch seine melo- 
dischen und modulatorischen Wendungen erweist es die 
Verwandtschaft mit dem langsamen Satze von Beetho- 
ven's Neunter. Im Finale seiner Sinfonie steht Dvorak 
wieder auf dem Boden, auf welchem seine dichterische 
Kraft das Eigenartigste und Beste gicbt. Die Themen 
dieses Satzes, von denen wir als die hauptsächlichsten 
folgende zwei citiren: 




die uns an die alte Wiener Sinfonie, an Wenzel Müller, 
an lustige Sonntags-Nachmittage und an vergnügte Men- 
schen erinnern. In der Durchführung verlässt Dvorak die 
in diesen Weisen gegebene Sphäre, zögert und scheint 
über die Berechtigung der fidclen Motive in Bedenken zu 
gerathen. Dieser Theil enthält sehr viele humoristische Züge 
von grosser Wirkung. Ausserordentlich drastisch ist der 
wilde Einsatz , mit welchem die Hörner das Motiv 

! j p=p T f f JIE in das pp. des Orchesters hineinwerfen. 

Jedoch nimmt das caprieiöse Element das Interesse des Zu- 
hörers etwas zu lang und zu kühn in Anspruch. Der Satz 
schliesst mit einem Presto über das Thema a}. 




| sind echt böhmische Melodien, 



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Von weiteren national gefärbten Beiträgen böhmischer 
Componisten zur Suite und Sinfonie ist wenig bekannt 
geworden. Wir erwähnen die gedruckte Suite von A. 
Hrimaly wegen ihres »Intermezzo«. 

Stärker als in anderen Ländern hat sich der Cultus 
nationaler Musik in Russland entwickelt. Die höhere 
Orchestercomposition ist hier fast gänzlich in seinen 
Dienst getreten, und selbst diejenigen Componisten, deren 
Bildung eine entschieden westliche und internationale ist, 
können sich jener nationalen Strömung nicht entziehen. 
Das patriotische Streben der jungen russischen Tonsetzer 
wird durch den Reichthum an heimischen Weisen begün- 
stigt, über welche das vielstämmige Riesenreich verfügt. 
Augenscheinlich sind es die der Cultur ferner stehenden 
Völkerschaften, zu deren musikalischen Schätzen sich die 
Vertreter der im Entstehen begriffenen Schule besonders 
hingezogen fühlen. An Gedankengehalt bieten die Wei- 
sen dieser Naturvölker durchschnittlich wenig: vorwiegend 
kurze Tanzweisen, welche sich durch fortgesetzte 
Wiederholungen desselben Motivs weiter fristen. Sie 
halten in Bezug auf melodischen Werth keinen Ver- 
gleich aus mit dem, was die Ungarn und Böhmen auf 
diesem Gebiete aufzuweisen haben, und selbst die Melo- 
dien der Scandinavier sind ihnen an Reich thum der Phan- 
tasie, an Freiheit und Mannigfaltigkeit der Form überlegen. 
In dieser Beziehung bieten die russischen Allegrothemen 
der künstlerischen Behandlung grosse Schwierigkeiten. 
Aber diese Nomadenmusik hat andere Seiten, von wel- 
chen aus sie auf die kunstmässige Composition sehr be- 
lebend einwirkt. Sie neigt zu dramatischen Formen und 
bietet im rein Klanglichen die erstaunlichsten Original - 
erscheinungen. Das Tonleben jener russischen Stämme, 
welche an den Ufern der Wolga, an den Küsten des 
Schwarzen Meeres und in den Thälern des Kaukasus dem 
Krieger- und Hirtenberuf obliegen, nährt sich von den 
Klängen der Natur; ihre Harmonien bilden sie nach der 
Gnade von Instrumenten, welche der sanglustige Reiters- 
mann zu Pferde handhaben kann, ihre Accorde werden 



230 -en- 



tlieht von gebuchten Künstlergesetzen geregelt, sondern 
vom Zufall, von der praktischen Bequemlichkeit und dem 
Streben, sich Gehör zu schaffen. Von daher kommt in 
den Orchesterwerken der jungrussischen Schule der bu- 
kolische Grundton, die häufige Verwendung einfacher und 
doppelter liegender Stimmen, von daher kommen die ele- 
mentaren Ausbrüche ungezügelter Lust, von daher der 
Eifer und auch das Glück, mit welchem diese Tonsetzer 
ungewohnten instrumentalen und harmonischen Combi- 
nationen nachgehen, die naive Freude an dem Wechsel 
der Klangfarben, das Behagen, mit welchem sie lange 
Strecken ein unbedeutendes Motiv von einem Instrumente 
zum andern wandern lassen. Von der künstlerischen 
Seite, in Bezug auf Phantasie und Form geprüft, sind 
diese national-russischen Orchestercompositionen im Durch- 
schnitt erfreulich. Wie jede in der Bildung begriffene 
Schule, hat auch die jungrussische barocke und unreife 
Werke auf ihrem Conto stehen: ungeheuerliche Versuche, 
Stoffe aus der russischen Sage und Geschichte musika- 
lisch zu bewältigen. Aber die Mehrzahl der Componisten 
hält sich ungefähr an den Typus, welchen Glinka in 
seiner bekannten Kamarinskaja aufgestellt hat. In Deutsch- 
land hat bisher nur wenig von den Arbeiten der natio- 
nalen russischen Schule Eingang gefunden. Die Rimsky- 
Korsakow, Dargomyzsky, Cui, Balakirew sind so 
gut wie unbekannt geblieben; jüngere Collegen haben 
abschreckend gewirkt. Hauptsächlich ist die Richtung bei 
P.Tschaikow»ky uns <| urcn Tschaikowsky vertreten, welcher ihr nur 
Serenade. k a ] D angehört. Seine hier in Betracht kommenden Werke 
sind die Serenade für Streichinstrumente [op. 48) und die 
Suite fop. 53; für volles Orchester. Die Serenade enthält 
in ihrem einleitenden, ersten Satze eine interessante Ver- 
bindung von alter ^Händel'scher) und neuer ;Schumann'- 
scher) Musik. Ihr zweiter Satz, ein gut imitirter deut- 
scher Walzer, weist namentlich in den zweistimmigen 
Solostellen der Violinen naiv liebenswürdige Züge auf, 
und ihr dritter, Elegie betitelt, zählt in seiner schönen 
Abendstimmung zu den poetisch hervorragenden Stücken 



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231 ^ 



der Gattung. Russisch ist nur das Finale, eine Burleske 
über ein kurzes Tanzthema. Sie geht in ihren Scherzen 
über das Maass hinaus und streift die Trivialität, ein 
Fehler, in welchen der durch Begabung und Bildung übri- 
gens ausgezeichnete Componist hin und wieder verfällt. 
Die Suite bringt das nationale Element viel entschiedener 
zur Geltung. Der erste Satz durch einige russische The- P ' T8ohftlkoWßk y 
men und durch einen geistigen Charakterzug der ganzen Suite * 
Schule: die Hartnäckigkeit im Verfolgen kleiner Einfälle. 
Bald naturalistisch, bald gelehrt, versuchen die Instru- 
mente, wie weit sie es mit dem aufgesetzten Motive wohl 
treiben können. Der Walzer unterbricht mit vielen Strin- 
gendos und Ritardandos die behagliche Grundstimmung 
seines Hauptthemas. In der Mitte veranlasst das Er- 
scheinen einer gewöhnlichen Achtelfigur einen wahren 
Tumult. Specifische russische Melodien hat der Satz 
nicht, aber mehrere der reinen Freude am Klingen von 
Accord und Ton gewidmete, schöne Stellen. Namentlich 
der Ausgang des Ganzen gehört in diese Kategorie. Der 
dritte Satz ist eine echt russische Burleske, welcher fast 
von Anfang bis zum Ende ein und dasselbe rhythmische 

Motiv zu Grunde liegt JT^j^T^lJ. ' ^ wanrem Fana- 
tismus feiern es die Instrumente. Der vierte Satz ist 
eine gut gedachte Träumerei, in der Form eines Alter- 
nativs. Die beginnende Melodie in Amoll ist national, 
der Gegensatz in Adur freie und für die Länge nicht 
recht ausreichende Erfindung. An Klangeffecten , Soli 
von englischem Horn, Piccolo, Harfe, hohen Harmonien, 
rauschenden Mischungen des Rhythmus ist dieser Satz 
sehr reich. Der letzte Satz mischt ein russisches, kurzes 
rhythmisch gleichförmiges Tanzthema mit freien Stellen, 
deren musikalischer Gehalt wesentlich auf Accord- und 
Instrumentationseffecten beruht. Nicht blos dieser Satz, 
sondern die ganze Suite entfaltet nach dieser Seite hin 
eine unverkennbare Originalität und äussert eine nach- 
haltige sinnliche Wirkung. 

In neuerer Zeit ist in Deutschland mehrfach die Es- 



> 



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^ 232 *~ 



A. Borodin 

Esdur-Sinfonie 



dur-Sinfonie von A. Borodin aufgeführt worden und 
hat weniger beim Publicum, aber ganz entschieden in den 
musikalischen Fachkreisen grosses Interesse erregt. Diese 
Sinfonie gehört nach ihrem Stoffe der jungrussischen 
Schule inniger an, als dies bei den Arbeiten Tschai- 
kowsky's der Fall ist. Sie zeichnet sich durch künst- 
lerische Reife und Abklärung aus und scheint deshalb 
besonders geeignet, die Bekanntschaft mit dieser für die 
Zukunft vielleicht nicht unbedeutenden Richtung zu ver- 
mitteln und ein Bild von dem zu geben, was die Jung- 
russen wollen, was sie heute schon leisten und was ihnen 
noch fehlt. Diejenigen Sätze, welche den Nationalcha- 
rakter am schärfsten ausprägen, sind der erste und 
dritte; der zweite ist zur Hälfte russisch und der vierte 
ganz germanisch. 

Der erste Satz beginnt mit einer schwermüthig träu- 
merischen Einleitung. Die Bässe stellen die Haupt- 
Adagio. 

melodie auf: 

welche von den Holzbläsern und Geigern mit auf- 
munternden Motiven beantwortet wird. Die Harmonie 
deckt die Formen des Gesanges mehr zu, als sie die- 
selben hebt. Da wendet sich die Phantasie mit einem 
energischen Rucke einer heiteren Sphäre zu; unver- 
muthet stehen wir im Allegro. In den Hörnern und Holz- 
bläsern beginnt ein helles, munteres Klingen, das nur 
auf Rhythmen gestützt ist. Die anderen Instrumente 
probieren dazu jetzt zart, jetzt kräftig brausend, Motive, 
die zu dem neuen Tone passen, und endlich ist Alles zur 
fröhlichen Fahrt bereit. Die ersten 26 Tacte des Allegro, 
welche der Feststellung von Tonart und Thema vorher- 
gehen, sind für das Wesen der russischen Kunstmusik 
charakteristisch: sie zeigen uns ihre Liebe zu den Ele- 
mentarkräften der Musik, ihre Freude am blossen Rhyth- 
mus und am Accord, ihre Neigung, ohne bestimmten Ge- 
dankenpfad, ohne die Stütze fest erkennbarer Motive 
durch die klangliche Wildniss zu streifen, den Punkt 




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-fr 233 *~ 



welcher sie mit der Natur verknüpft und von der ge- 
sitteten älteren Kunst des Abendlandes unterscheidet, 
den Punkt, in dem ihre Stärke und zugleich ihre Schwäche 
liegt. Das Thema, welches Borodin nach dem Abschluss 
dieser tumultuarischen Scene aufstellt, ist aus der Me- 
lodie der langsamen Einleitung abgeleitet und hat fol- 

<*) Alle pro molto. 

gende Gestalt: ^A^ ? f f~^ f Zljl? XI*L ?~ff T p 'H^ - Auf ge- 
wichtige Gegenthemen hat der Componist fast ganz ver- 
zichtet. Ein einziges, das Öfter erscheint: 




nimmt seinen Abschluss 



identisch mit dem des ersten Thema. Die anderen — unter 

/ I A A A A A A A * A __*_ 

denen das Geigenmotiv & V\i ijJjljljJJ j - 

xr 

durch seinen festen Schritt bemerkbar — treten nur 
episodisch auf. Dem jugendlichen, treibenden Ele- 
mente des Hauptthema wird nur vorübergehend durch 
eine sentimentale Wendung Halt geboten. Alles ist in 
diesem Satze Bewegung und sprossendes Leben, aber 
von einer grossen Gleichförmigkeit der Gestaltungen. Denn 
diese ruhen bis auf wenige Ausnahmen alle auf der kur- 
zen Form jenes mit a) bezeichneten Thema. Es herrscht 
Poesie in dem Satze: aber es ist die Poesie der Steppe, 
welche uns an den Wechsel von Höhen und Thälcrn 
gewöhnte , stille Plätzchen fürs Gemüth liebende Deutsche 
zunächst etwas befremdet. Sehr anzuerkennen ist die 
Kunst, mit welcher Borodin das führende Motiv immer 
wieder in neue Orchesterfarben kleidet und den Satz 
ohne Stockungen immer leicht im Fluss erhält. Beson- 
ders schön ist der Schluss des Satzes, ein Andantino 
mit Abschiedsstimmung, durch rhythmische Verlängerungen 
der beiden Themen a und b gebildet. 

Der zweite Satz, ein Scherzo {Prestissimo 3 /„ Esdur) 
hat zum Haupthema folgende Melodie: 




die aber in Violin figuren ver- 
steckt und auch wegen ihrer auf die Symmetrie verzich- 
tenden Periodisirung schwer zu verfolgen ist. Als Trio 
bringt dieses Scherzo eine Art Dudelsackmusik , in der 
folgende drollige Melodie durch die Instrumente wandert: 




Der Satz, welcher als Bild aus 

dem musikalischen Volksleben verstanden sein will, ist 
mit viel Humor durchgeführt, namentlich das Fagott trägt 
viel zu einem heiteren Effecte bei. 

Der dritte Satz [Andante 3/ 4 Ddur) zerfällt in drei 
Abschnitte. Der erste beginnt mit einem breiten Gesang 

Andante. v ^— ^ . _ ^ ^ 

r i r? r rf^- r'r r i r rrrr r ff- 




den die Celli anstimmen, englisch Horn 
und Flöte fortsetzen. Er klingt eigen- 
thümlich melancholisch, und die Verzierungen, die er ent- 
hält, deuten auf orientalische Abkunft. In der Harmonie, 
die in Dissonanzen still liegt, herrscht ein merkwürdig 
dämmernder Charakter, eine Beklommenheit, der am 
Schlüsse dieses Abschnitts ein plötzlicher starker Aufschrei 
Luft macht. Der zweite Abschnitt wird lebendiger, die Vio- 
linen betheiligen sich am Gesänge, und in den Bläsern zu- 
nächst erhebt sich ein rhythmisches Motiv, das bald näher, 
bald ferner zu klingen scheint. Es verschwindet wieder, 
lebt nur noch in den Schlägen der Pauken fort, tritt dann 
wieder stärker auf, wächst bis zur Macht tönender Glocken 
und erregt einen allgemeinen Aufschwung. Das Tutti 
stimmt — wir sind in den dritten Abschnitt eingetreten 
— die Melodie, mit welcher der Satz begann, im Style 



> i 



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235 «>- 



einer feierlichen Freudenhymne an, und mild und sanft 
klingt das Andante aus. Der scenische Charakter dieses 
Satzes ist nicht zu verkennen und lässt verschiedene 
Deutungen zu. Der Schlusssatz der Sinfonie, zu dessen 



Hauptthema 




Schumann, zu dessen Durchführungstheile Mendelssohn 
die Muster geliefert hat, verlässt den heimathlichen 
Boden. 



V. 



Die moderne Suite und die neueste Ent- 
wickelung der classischen Sinfonie. 



P"öSS3ie Werke der Nationalen und der Programmmusiker 
hE§2J bilden einen wichtigen Theil in der sinfonischen 
" ^%a» Production der letzten Jahrzehnte. Jedoch repräsen- 
tiren sie nicht die Hauptströmung. Diese hält vielmehr an den 
Traditionen fest, welche in den Werken Beethoven's und 
der Romantiker niedergelegt sind. Ja : mitten in der beweg- 
testen Zeit des Streites, welcher sich um Werth und Be- 
rechtigung der neuen Programmmusik erhob, um das 
Jahr 1860, lebte plötzlich eine Kunstgattung wieder auf, 
deren Blüthezeit noch hinter den Tagen der Wiener 
Classiker zurückliegt. Es ist die schon im vorhergehen- 
den Capitel wiederholt berührte Suite. 

Die Wiedereinführung der Suite entsprach dem prak- 
tischen Bedürfnisse nach einer einfachen musikalischen 
Naturkost, dem Verlangen nach grösseren Orchester- 
compositionen, welche sich, wie die Symphonie, in gebil- 
deten Formen bewegen, den Geist aber mit schwerer Ge- 
dankenarbeit und den Strapazen unserer hohen Cultur 
verschonen sollten. Dass man mit dieser humanen 
Mission gerade die alte Suite betraute, war eine weitere 
Wirkung jenes historischen Sinnes, welcher seit dem Vor- 
gehen Mendelssohn's die Musikwelt stärker zu durchdringen 
begann und welcher in den Gesammtausgaben und Ein- 
zelausgaben von Werken älterer Meister, in der Gründung 



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und Thätigkeit der Tonkünstlervereine immer mehr Aus- 
druck und zugleich Förderung fand. Es war ein Jahr- 
zehnt lang der Hauptfehler der modernen Suite, dass 
man ihr das historische Studium und die Abhängigkeit von 
alten Mustern zu deutlich ansah. Die alte deutsche Or- 
chestersuite bildete den Sammelplatz, auf welchem sich 
die charakteristischen Tanz- und Liedweisen aller Nationen 
zusammenfanden. Davon ausgehend hätten die moder- 
nen Suitencomponisten sich in erster Linie darnach um- 
sehen müssen, was das neunzehnte Jahrhundert an 
künstlerisch verwendbaren Elementen der Volksmusik 
bietet. Und dass es solche bietet, hatte Chopin bewiesen. 
Statt dessen copirte aber die Mehrzahl die Sarabanden, 
Giguen, Couranten, Allemanden der Bach'schen Ciavier- 
suite, trug aus der neueren Zeit ein Scherzo, wenn es 
hoch kam, einen Marsch herbei und vervollständigte das 
Ganze mit Variationen und Fugen. Der oft missverstan- 
dene contrapunktische Styl der Alten wurde ersichtlich 
höher angeschlagen, als das volkstümliche Princip ihrer 
Suite. 

Das Verdienst, als der Erste nach hundert Jahren 
wieder Suiten geschrieben zu haben, hat Joachim Raff 
für sich in Anspruch genommen.*} Der Hauptantheil an 
der Neubelebung und Einführung der alten Kunstform 
muss jedoch Franz Lachner zugeschrieben werden. In 
der Sinfonieperiode der dreissiger Jahre von den Preis- 
richtern, nicht aber vom Publikum ausgezeichnet, fand 
dieser Tonsetzer noch spät in der Suite einen Wirkungs- 
kreis, auf welchem er viele Freude bereitet und seinem 
Namen ein bleibendes Andenken erworben hat. Auch 
Lachner gehört der contrapunktischen Richtung der mo- 
dernen Suite an. Aber die wirklich volksthümliche Natur 
seines Talents äussert sich bei ihm auch, gerade wie bei 
den Alten, in der strengen Form. Seine Fugen sind 
frisch und kräftig, frei und effectvoll. Lachner hat sogar 
für die moderne Weiterbildung dieses ebenso schwierigen 



*) Siehe M. Hauptmann, Briefe an F. Häuser II, 249. 



238 



F. Lachner 

Suite No. 1 
(Dmjlli. 



als interessanten Styls werthvolle Fingerzeige und An- 
regungen gegeben. Lachner spricht echten Suitenton: 
Auch wo er gelehrt wird, bleibt er klar und verständlich; 
wenn es nicht anders geht, ist er lieber trivial als gekün- 
stelt, und der Undeutlichkeit geht er so sehr aus dem Wege, 
dass er sich darüber oft ins Redselige und Breite ver- 
liert. Eine besondere Specialität in seinen Suiten bilden 
die Märsche. Sie zeichnen sich aus durch eine einfach 
kernige Rhvthmik und durch eindringliche Melodien, welche 



oft mit aparten, blühenden 



Figuren gewürzt 



sind. Oft 



sind diese Märsche gar nicht declarirt und segeln unter 
der Flagge von Ouvertüren und Intermezzos. Aber auch 
an traulichen Idyllen sind die Lachner'schen Suiten reich. 
Eine, im besten Sinne des Wortes, gut bürgerliche Poesie 
beherrscht die Mehrzahl seiner Menuetts und Andantes. 
Die Sprache, welche er in ihnen vorzugsweise spricht, er- 
scheint aus den Idiomen Schubert's. Spohr's und Mendels- 
sohns als ein neues Viertes hervorgegangen. 

Unter den sieben Suiten Lachner's ragt die erste 
(D moll; durch Werth und Popularität hervor. Ihr erster 
Satz besonders, ein „Präludium", in welchem das Thema: 

Alle g to son troi 




mit Kraft und Kunst durchgeführt wird, ist einer der 
effectvollsten Sätze in der neueren Suitenliteratur: natur- 
frisch und mit manchem kecken Harmoniesprung dahin- 
fliessend, originell und individuell in seiner Mischung von 
Derbheit und Anmuth. Der zweite Satz, Menuett, ist 
eins der liebenswürdigsten Rococcobilder in romantischer 
Färbung. Der Hauptsatz tänzelt auf folgender Melodie hin : 




Das Trio hat dieselbe Grazie, aber mehr Chorcharakter: 
als ob Massen anträten. Sein Thema wird von einer Art 
von Basso ostinato gravitätisch begleitet: 



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239 












C - 




f. f . 


•(«. 

5 



Der dritte Satz besteht aus 
einem Cyclus von Variationen, 
welchen folgendes Thema zu 
Grunde liegt: 



Megro moderato. _ - 



ff>C<IU 



Die Bratschen begleiten dasselbe in der oberen Octave. 
Die Variationen — 23 an der Zahl — sind vorwiegend 
im älteren Style gehalten und entfernen sich niemals 
weit vom Thema, welches in andere Tempi und Tact- 
arten gesetzt, mit wechselnden Figuren umkleidet, aber 
einschneidenderen Umbildungen nicht unterzogen wird. 
Die grosse Hälfte der Variationen übt trotzdem die tiefere 
Wirkung von Charakterstücken aus; ein Theil ist als 
virtuoses Spielwerk zu betrachten. Den Cyclus beschliesst 
ein Marsch, welcher über den Verband der Suite, zu 
welcher er gehört, und aus den Concertsälen hinaus in 
die V olkscapellen gedrungen ist. Sein Thema allein, 
welches zuerst wie aus weiter Ferne hörbar wird, genügt 
schon diese Popularität zu erklären: 



VW>1 




Das Finale der 

Suite, ihr vierter Satz, besteht aus einem wehmüthigen 
Andante als Einleitung und einer sehr streitbaren Fuge 
über folgendes Thema: 



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240 



Allegro modarato. * 



F. Lachner 

Suite No. 2 
(Emoll). 



F. Lachner 

Suite So. 3 
(Fmoll). 





/" CoatraklM« C«m Fag. 

Die zweite Suite Lachner's (Emoll) hat unter ihren 
fünf Sätzen zwei Fugen, welche beide durch eigenthüm- 
liche Anlage interessiren. Die eine in der Gigue durch 
die eingelegten homophonen Partien und die dra- 
matisch schwungvollen Steigerungen am Schlüsse; die 
andere, im ersten Satze durch die poetische Verbindung, 
welche sie mit der melancholischen Introduction eingeht: 
In dem Moment, wo der Satz abschliessen könnte, 
taucht das leidenschaftliche Anfangsmotiv der Einleitung 

auf, setzt sich als zweites 

Thema fest, und die Fuge wird zur Doppelfuge. Das Menuett 
dieser Suite, dessen Trio ein graziöser Canon zwischen 
Violine und Bratsche ist, nähert sich dem Charakter der 
Mazurka, das Intermezzo, namentlich im Mittelsatze, dem 
Marsch. 

Die dritte Suite Lachner's (Fmoll) beginnt mit 
einem „Präludium" im müden Ton. Ihr zweiter Satz, 
Intermezzo, überdeckt eine tief elegische Stimmung, aus 
welcher zuweilen pathetische Klagen hervorbrechen, mit 
einem leicht tändelnden Motiv. Die Sarabande bildet 
eine ähnliche Verbindung von gefühlvoll weichem Gesang 
mit behaglichen Tanzmotiven. Zwischen den beiden Sätzen 
steht wieder ein längerer Variationencyclus, dessen Thema 
mit dem Allegretto von Beethoven's siebenter Sinfonie 
in naher Verwandtschaft steht. Auch dieser Satz klingt 
mild aus. Unter seinen energischeren Partien ragt die- 
jenige Variation hervor, in welcher die Holzbläser uni- 
sono sich auf der chromatischen Scala tummeln. In den 
Schlusssätzen der Suite, einer Courante mit einem Schu- 
mann'schen Violinthema und sehr hübschen Klangeffec- 
ten, und einer modernisirten, balletmässigen Gavotte 
wirft die Composition alles Trübe ab und wendet sich 
kräftigen Geistes dem Frohsinn zu. 



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* 241 ^ 



In der vierten Suite Lachner's [Esdur] ist das 
contrapunktische Element wieder stärker vertreten. Der 
erste Satz, Ouvertüre benannt, fugirt am Schlüsse, der 
fünfte, eine sehr kräftig einsetzende, modernisirte Gigue, 
durchaus, und beide Male ist die Fugenform wieder in 
interessanter, freier Weise mit einfach melodischen, an- 
muthigen Episoden durchzogen. Der erste Satz ist nur 
dem Namen nach eine Ouvertüre, nach dem Charakter 
ein Marsch mit ausserordentlich populärem Thema. 
Er gleicht einem Festzug, der von Jungfrauen eröffnet 
und von Militär geschlossen wird. Zwischen den beiden 
Gruppen bildet ein energisch frohes Thema, dessen Hei- 
math in Weber's Euryanthe liegt, den Uebergang. Der 
wirkungsvollste Satz der Suite ist das Scherzo pastorale 
mit einem reizenden Cellosolo im Trio. 

Die fünfte Suite Lachner's ;Cmoll) weicht von den 
vorausgehenden wohlthuend durch die Knappheit der 
Sätze ab. Ihre hervorragendsten Partien sind der Mittel- 
satz des Andante, ein sehr klar wirkender Canon zwischen 
Solovioline und Bratsche, und das Trio im Scherzo, ein 
edler Gesang, auf welchem Schuberts Geist ruht. Im 
Finale, welches in der Form des Sonatensatzes gehalten 
ist, taucht als zweites Thema eine bekannte Oberon- 
gestalt auf. 

Der poetische Plan von Lachner's sechster Suite 
C dur} steht mit dem deutschen Kriege in den Jahren 
4 870 — 71 im Zusammenhang. Schon die Gavotte, welche 
hereinfährt wie „Zieten aus dem Busch", erinnert an sol- 
datische Elemente. Das Finale ist einer der bedeutendsten 
patriotischen Tribute, welche die Musik jener Zeit dar- 
gebracht hat. Es vereinigt die Trauerfeier mit Sieges- 
jubel und Dank. Klagende Recitative im Spohr'schen 
Style leiten eine mild und resignirt gehaltene Paraphrase 
des Heldenchorals „Ein' feste Burg ' ein. So wie die Be- 
gleitmannschaft vom Grabe des Kameraden mit fröhlichem 
Spiele wegzieht, folgt dann auch hier der Trauercere- 
monie ein demonstrativ munterer und energischer, kurz 
und keck rhythmisirter Marsch, eine der flottesten Compo- 



F. Lachner 

Suite Nr. 4 
(Esdnr). 



F. Lachner 

Snite Nr. 
(Cmoll). 



F. Lachner 

Snite Nr. G 
(Cdnr). 



16 



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^ 242 

sitionen, welche Lachner in dieser seiner Specialgattung 
geschrieben hat. 

P. Laohner. Die siebente und letzte Suite Lachner's, „.Ballsuite" 

Suite Nr. 7 genannt, macht mit der Modernisirung der Gattung Ernst. 

»Baiismte.. gj e besteht, mit Ausnahme des Intermezzo und der ln- 
troduction, aus lauter Tanzsätzen, die heute noch prak- 
tisch leben: Polonaise, Mazurka, Walzer, Dreher, Lance. 
Leider ist die vortreffliche Absicht von der musikalischen 
Erfindung wenig unterstützt worden. Mit erfreulicherem 

J. Herbeck. Gelingen hat einen ähnlichen Versuch J. Herbeck in 
seinen „Tanzmomenten u durchgeführt. 

Die Lachner'schen Suiten waren in dem Jahrzehnt 
ihrer Entstehung sehr beliebt und haben die meisten 
Werke der Gattung, welche mit ihnen gleichzeitig hervor- 
traten, bis heute an Lebenskraft weit übertroffen. Wenn 
sie jetzt anfangen zu altern und aus den Con- 
certsälen zu schwinden, so bleibt ihnen noch lange die 
Sympathie der Freunde des vierhändigen Clavierspiels 
gewiss. 

Unter denjenigen Suiten Bach'scher Richtung, welche 
mit den ersten Arbeiten Lachner's bedeutend concurrirten, 
J. Baff sind die Cdur-Suite von J. Raff und die Amoll- 
Snite (Cdor). suiteH. Esser's (die zweite dieses Componisten) hervor- 
H. Esaer zuheben. Es sind in erster Linie Documente für den 
Suite (A moll). merkwürdigen Begriff von der Kunst der alten Meister, 
wie er um die Mitte unseres Jahrhunderts noch bei selbst 
bedeutenden Musikern festsass. Auch in den Charakter- 
etüden des trefflichen Moscheies regnet es eitel ..Figural- 
musik" wenn die Alten geschildert werden sollen. Raff 
contrapunktirt steif, gleichförmig und so ruhelos und 
hastig, dass Einem der Athem vergeht. Esser jagt barocke 
Passagen mit unablässigen Sequenzen und Imitationen 
im Kreise herum. In Raffs Suite werden erst die letzten 
Sätze, das Adagietto, Scherzo und Finale, welche aus 
Mendelssohn'schen und Schumann'schen Quellen schöpfen, 
natürlicher, freier und phantasie voller. Esser hat ausser 
dem Ueberfluss an Vorhalten und archaistischen Disso- 
nanzen aus der alten Suite doch auch etwas von ihrer 



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-> 243 -&>- 



Kraft (in der Introduzione), und von ihrer Grazie Alle- 
gretto) in seine Copie gebracht. 

Auch die mit den genannten Werken ziemlich gleich- 
altrige Cdur-Suite von W. Bargiel bildet alte Formen W. Bargiel 
nach: Courante, Allemande, Sarabande, Air und Gigue. Suite. 
Aber der Componist erfüllt sie frisch zu mit modernem, 
zum Theil Schumann'schem, Geiste. Dadurch wird diese 
Suite zu einer der interessantesten Erscheinungen in der 
Gattung. Sie überragt die Sinfonie Bargiel's an Natürlich- 
keit der Haltung, an Beweglichkeit der Phantasie und 
verdient in's Repertoir wieder aufgenommen zu werden. 

Die contrapunk tische Tendenz der modernen Suite J( 0 0rimm 
gipfelt in den beiden Suiten Julius Otto Grimm's. Es Snite in Canon . 
sind Suiten in der Form des Canons durchgeführt. Die form 
erste ;C dur; für Streichorchester bewegt sich in knappen Nr - 1 < c 
Bahnen. Ihrem ersten Satze, welcher den festlichen Ton 
der Mozartschen Jugendsinfonien anschlägt, liegt das 
Schema der Sonatine zu Grunde. Das Andante hat drei- 
theilige Liedform, der dritte Satz ist ein Menuett ein- 
fachster Fassung ohne Seitensätze, das Finale ein Minia- 
turrondo. Der Canon liegt immer sehr offen oben auf: die 
Stimmen folgen einander in der Octav und in kurzen 
Abständen ohne Künstelei. Nur im letzten Satze wählt 
Grimm für den zarten Mittelsatz (in As; die Distance 
achttaktiger Perioden. Trotz der Fesseln in der Schreib- 
art äussert die Composition eine schöne geistige und sinn- 
liche Wirkung. Ein besonderer Reiz des Klanges liegt 
über dem Andante, welches vom Soloquartett allein vor- 
getragen wird, und über dem warm, gemüthlich und innig 
einsetzenden Trio des Menuett. 

Grimm's zweite Suite Gdur) erregt und befriedigt j, o. Grimm 
höhere Ansprüche. Irren wir nicht, so war sie vor der Suite in Canon- 
Drucklegung als Sinfonie betitelt. Sie ist für volles Or- form 
ehester geschrieben: ihre Sätze haben breite Formen mit Nr ' 2 ( adur '- 
ausgeführten Durchführungspartien und ihre Gedanken 
durchstreifen grosse Kreise und berühren entgegengesetzte 
Regionen. Der Zuhörer vergisst über dem Gang der 
Leidenschaften die kleinen Reize des Canons, den der 

16* 



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Componist selbst häufig auf die Nebenplätze der Dich- 
tung, in die Begleitungsmotive und in den Figurentheil, 
zurück verwiesen hat. Obgleich der Canon hier beschei- 
dener auftritt, als in der kleinen ersten Suite, ist er mit 
noch grösserer Kunst, manichfaltiger, freier und prak- 
tischer gehandhabt. Letzteres dadurch, dass die Melo- 
dien kürzer und schärfer gegliedert sind. Auch hier 
wiegt der Canon in der Octav und mit schnell folgenden 
Stimmen vor; aber es sind, wie im langsamen Satze 
der Canon in der Umkehrung, auch seltenere Arten ver- 
wendet. Auf Momente schweigt die canonische Kunst 
und vor dem Einerlei bewahrt ein häufiger Wechsel in 
der Besetzung der führenden Stimmen. Den grössten 
poetischen Werth hat unter den vier Sätzen der Gdur- 
Suite das Adagio, eine ernste Betrachtung über das 

Motto Adagio 6 

Thema: 




8. Jadaesohn Einen Nachfolger auf dem interessanten Pfade fand 
Drei s«reno<ieii. Grimm in S. Jadassohn, welcher in seiner ersten 
Serenade Gdur; den Canon als die Form für leichte 
Gedanken und kleine Scherze benutzt. In seiner zweiten 
Serenade Ddur; hat derselbe Componist auf den Canon 
verzichtet, in seiner dritten 'Adur] ihn auf einen heitern 
Satz Intermezzo} beschränkt, dafür aber in beiden Werken 
eine Vertiefung des Inhalts angestrebt. 

Die contrapunktische Gruppe der modernen Suiten- 
componisten ist allmählich durch eine andere Richtung 
verdrängt worden, welche ihren Ausgang von den Diver- 
tissements Mozarts, von den Gartenmusiken des 18. 
Jahrhunderts nahm und den ganzen Nachdruck auf den 
idyllischen und einfachen Charakter der Gattung legte. 
T Der nach Zeit und Rang erste Repräsentant dieser 

Ser nlde"!* zwe ^ en Gruppe der modernen Suite ist Johannes 
"Ddur 6 l " Brahms. Seine erste Serenade .Ddur, op. welche 
im Jahre 1862 erschien, besteht aus sechs Sätzen. Sie 
beginnt mit einem grossen Allegro in breiter Sonaten- 
form, in welchem der pastorale Ton vorherrscht. Das 



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245 



Horn, ein Lieblingsinstrument des Componisten, stellt 
als Hauptthema eine naiv fröhliche Melodie 

M Allcyro molto. 




hin. welche von primitiven Harmonien begleitet und in 
ungenirten Modulationen weiter geführt wird. Das sinnige 
zweite Thema tritt in einer Fassung auf. die Brahms 
original zugehört 




Celli und Bratschen nehmen die zarte Schwärmerei so- 
fort auf und geben ihr im Verein mit den Holzbläsern 
den intimsten Abschluss. Ein kurzer Nachgesang, aus 
welchem das reinste Glück des Herzens spricht, geht in 
ein freudig hüpfendes Seitenthema 




über, welches das Material für den Anfang der Durch- 
führung liefert. Letztere selbst trägt in einzelnen ge- 
künstelten und gewaltsamen Stellen die Merkmale der 
Entwicklungszeit des Componisten. Eigenthümlich schön 
ist der Eingang in die Reprise des Satzes. Darch ein der 
Ddur-Harmonie eingeschobenes C rückt das kecke Horn- 
thema hier in ein überraschendes und das Ende der 
Scene kündendes Dämmerlicht. Der Schluss des Satzes 
ist ausserordentlich subtil: ein zartes Solo der Flöte, zu 
welchem Bratschen und Clarinetten decent die Harmonie 
hinzufügen. 

Der zweite Satz (Scherzo Dmoll 3 , 4 ) hat in seinem 
Hauptthema: 



■ 



246 ^ 




Aehnlichkeit mit dem in 



Brahms' zweitem Clavierconccrt. Die Stimmung zeigt auf 
ein pochendes Herz und wird erst vom Seitensatze ab eine 
ruhig freudige. Ihr thematischer Ausdruck zeigt von da 
ab Wiener Einflüsse, der Seitensatz Schubert'schen: 




das Trio 



Poco piä moto. 



Haydn-Mozart'schen. 

Der Werth des Adagio (Bdur 2 /*) ruht besonders auf 
dem Hauptthema, welches eine der herrlichsten melo- 
dischen Erfindungen von Brahms bildet: 
Adagio non troppo. 



cui^ yui' — y — ■ ^— 1 ■ r 

Noch schöner fast ist der concertirende Nachsatz: 




Ihm folgt eine Episode 
mit folgender Melodie 




Auch ihre Be- 



gleitung mit murmelnden Zweiunddreissigstelfiguren er- 
innert an die „Scene am Bach" in Beethovens Pastoral- 



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247 ^ 



sinfonie. Das Adagio zersplittert sich von da ab einiger- 
massen und entschädigt die Aufmerksamkeit vorwiegend 
durch feine Details. 

Den vierten Satz bilden zwei zusammengehörige Me- 
nuetts: (Gdur das erste, Gmoll das Alternativ), welche 
den Originalcharakter der alten Serenade aufs Drastisch- 
ste wiedergeben. Namentlich der Gdur -Satz ist ein 
originelles, kostbar drolliges Genrebild, zu welchem die 
moderne Suitenlitteratur vielleicht nur in dem Walzer 
von Volkmanns Fdur-Serenade ein nahestehendes Seiten- 
stück aufzuweisen hat. Nur die beiden Clarinetten und 
ein Fagott spielen es: Jene geben die Anmuth und Liebens- 



Modorito. 



Würdigkeit in 




etc., das letztere bringt 



in dem komischen Murkybass 'J J 



•te. 



mit welchem es die Melodie begleitet, das Costüm der 
alten Zeit hinzu. 

Ein als fünfter Satz folgendes Scherzo Allegro '/J 
beschwört in seinem Hauptthema: 
Allegro. 

Ii 




den Vergleich mit Beethovens zweiter Sinfonie (Trio im 
Scherzo^ etwas zu keck herauf und wird bei Aufführungen 
am besten gestrichen. 

Ein Rondo beschliesst als sechster Satz die Serenade. 
Sein Hauptthema: 

Allegro. 




welches einen leichten Anflug von Schumann'schem Wesen 
hat, passt sehr gut zum Bilde einer fröhlich nach Hause 
ziehenden Gesellschaft Unter den Nebenthemen des Satzes 
hat das folgende: 



218 



für die Entwicklung und Durchführung hervorragende 
Bedeutung. 

J, Brahms ® ie zweite Serenade von Brahms (Adur op. «6, 
Serenade Nr. 2 nur wenig jünger als die in Ddur, verhält sich zur 
(Adur). letzteren wie die Schwester zum Bruder. Sie ist noch 
zarter, heimlicher, inniger und tiefer; zu gelegener Zeit 
kehrt sie aber auch den Wildfang noch stärker heraus. 
Ueber ihrem Klang liegt ein mattes Colorit: wie im ersten 
Satze seines Requiem, wie Meliul in seinem Uthal, hat 
Brahms die Violinen weggelassen und den Bratschen die 
Führung des Streichorchesters übergeben. An formeller 
Reife steht die Adur -Serenade über der ersten, an 
äusserer Wirkung unter ihr. 

Der erste Satz (Allegro moderado, Adur) hat zum 
Hauptthema eine jener unscheinbaren, für Brahms be- 
zeichnenden Melodien, deren seelischer Fonds sich erst 
bei näherem Eindringen erschliesst: 



Allepro moderato 




f. f ff f 



Das zweite Thema, welches der glücklichen Stimmung 
einen lebhaften, aber immer noch reservirten Ausdruck 
giebt, hat Wiener Localton: 




fi~ f t - ft - 




Unter den Seitengedanken, welche zwischen den beiden 
Themen auftreten, ist der folgende für die Durchführung 

Ergeht 




von Wichtigkeit: 
in eine Episode über, deren führendes Motiv: 



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-fr 249 




an die Magelone-Romanzen 

des Componisten erinnert. 

Der zweite Satz, Scherzo (Vivace 3/ 4 , Cdur; vertritt 
mit dem Finale die energische Heiterkeit in der Serenade . 

Tirace. ± 

Sein Hauptthema 1 j CJ* 1 1 mj % j ff ■ f f | f ; von den 

Bläsern frisch herausgeschmettert, beherrscht den Satz 
allein. Wie in ihm und in der Mehrzahl der Themen der 
Adur-Serenade, tritt auch in dem sanften Trio die Melodie 
Arm in Arm mit einer Parallelstimme auf: 




Das ganze Scherzo hält sich in knappen Dimensionen. 



Der dritte Satz: Adagio ( l2 / 8 Amollj hat als erstesThema 



folgendes: 



Adagio 




selbe wird von nachstehender Bassfigur begleitet 




Das- 



schliesst sich den 

Modulationen der Melodie in Transpositionen an und 
bleibt ihr immer zur Seite, wodurch der Haupttheil des 
Adagio sich der Form des alten Passacaglio nähert. Der 
Charakter des Satzes ist ruhig, sehnend, sinnend und 
träumerisch. Die schnell vorübergehenden, erregten Mo- 
mente in ihm kommen mit dem heftig einsetzenden 



Motiv 



zum Ausdruck. Das zweite Thema: 




und die zugehörige Gruppe bilden nur ein ausdrucksvolles 
Intermezzo. Weder die Durchführung noch die Reprise 
wissen von ihm. 



250 *> 



Der vierte Satz: „Quasi Menuettcr ;Ddur, 8 /4) ist 
durch das zögernde Element, welches seine freundliche 
Stimmung und seinen schlichten Melodiebau beherrscht: 




eigen thümlich charakterisirt. 

Der Schlusssatz „Rondo" Allegro 2 /« Adur] erhält 
durch die Hauptthemen 




sein fröhliches Gepräge. Die liebenswürdige Schüchternheit, 
welche in den Gesichtszügen dieser Serenade einen her- 
vortretenden Theil bildet, blickt noch einmal aus dem 
kleinen, dem zweiten Thema vorhergehenden Seitensatze, 
in welchem sich Clarinetten und Fagotte, anfangs in cano- 



nischem Style, über das Motiv 




unterhalten. 

Der von Brahms aufgestellten Ideenrichtung folgt 
auch Robert Volkmann in seinen drei Serenaden für 
Streichorchester, hält sich aber in knappen Formen. Das 
Schema der ersten und der dritten Serenade gleicht dem 
der kleineren sinfonischen Dichtungen Liszt's, die zweite 
bildet eine Suite von vier selbstständigen und getrennten, 
aber kurzen Sätzen. Die Serenaden von Brahms können 
eine Sinfonie ersetzen, die von Volkmann eignen sich 



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-<* 251 



sehr gut zu Zwischennummern im Concert und sind als 
solche auch ausserordentlich beliebt. Dem Inhalt nach 
gehören sie zu den gelungensten und gehaltreichsten 
Leistungen der neueren musikalischen Genremalerei. Die 
poetisch bedeutendste unter ihnen ist die dritte Dmoll^'^ ^j^* 1 "^ 
mit dem Solocello. Der Solist hat in dieser Serenade ^"pmoiiV 
eine ähnliche Rolle wie der Solobratschist in Berlioz's 
Haroldsinfonie. Das Cello personificirt einen Melancho- 
licus, der in allen Lagen immer wieder auf sein Leib- 
Laxgtatto, non tropp 



thema zu- 
rückkommt: 




Ob der Chor zu- 
stimmt oder wider- 




spricht, der Cellist bleibt bei diesem Motiv; wird jener 
heiter und ausgelassen, so sieht er einsilbig zu, und das 
Freundlichste, was sich ihm abgewinnen lässt, ist eine 

Andante espresslvo. 

elegisch kla- - - - 
gende Melodie: 

mit welcher die lebendig gehaltene Composition auch einen 
rührenden und versöhnenden Abschluss erhält. 

Die beliebteste unter den Serenaden Volkmanns ist e. Volkmann 
die zweite in Fdur und zwar wegen ihrer zweiten Serenade Nr. 2 
Nummer, eines Walzers über folgendes Hauptthema: (Fdur). 

Allegretto moderato. 




Es ist eigentlich kein Walzer, sondern ein Walzerchen, 
ersichtlich für alte Leute gedacht — ein Cabinetstück 
liebenswürdig altfränkischer Musik. Von den beiden 
Theilen, aus welchen der erste Satz der Serenade be- 
steht: Allegro moderato (Fdur 3/4) und Molto vivace 
(Dmoll 8 / 4 ), ist der zweite der originellere: Mit impo- 
santer Consequenz und doch reich an Abwechselung und 
effectvollen Steigerungen ist er auf folgendes spröde 

Molto Ttvaee. «_ 

Motiv gebaut :! 



. Besonders schön 



ist der Eintritt seines Mittelsatzes in Ddur. Die Sere- 




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252 ^ 



nade schliesst mit einem Geschwindmarsch. Die drei- 
taktige Construction seines Hauptthema, 

Aüegro moderato. _^ 

und in dem ganzen Satze verrathen die ungarische 
Atmosphäre, welche alle drei Serenaden Volkmann's 
mehr oder weniger durchweht, besonders deutlich. 

Die erste Serenade Volkmann's (Cdur; wird von 
demselben kräftigen Maestoso alla Marcia, welches sie 
eröffnet, auch beschlossen. Die Mitte der Composition 
nimmt ein längeres Allegro vivo ein, welches auf Grund 

AD« (TO TiTO. 

des Thema: 




eine Reihe kecker, trotziger Gänge thut. Die schönsten 
Partien der Serenade bilden die beiden langsamen Sätze, 
welche dieses Allegro vivo einrahmen. Der erste ist sehr 
kurz in der Weise der überleitenden Largi Händeis, der 
zweite hat die dreitheilige Liedform, zum Hauptthema 

folgende edel senti- At 1 ?i 
mentale Melodie: 




Unter der grossen Zahl jüngerer Tonsetzer, welche 
im Anschluss an Brahms und Volkmann die Suite 
pflegen — R. Fuchs. A. Klughardt, J. Brüll, H. Reinhold, 
v. Stanford, A. Bifd etc. — nimmt der Erstgenannte 
einen festen und angesehenen Platz im Repertoir ein. 
Seine drei Serenaden für Streichorchester, oft gespielt 
und gern gehört, sind das Product einer harmonischen 
Künstlernatur und jener feinen Bildung, welche auch be- 
kannte und gewöhnliche Ideen mit neuem Interesse zu 
umgeben vermag. Ein besonderes Talent zeigt Fuchs 
in seinen Serenaden als Colorist. Mit den einfachsten 
Mitteln, Verdoppelung von Mittelstimmen, Theilung der 
einzelnen Instrumente, entwickelt er in seinem Streich- 
orchester ein Leben, eine Abwechslung, einen Reiz im 
Klang, welcher die Wirkung der einfachen Serenaden - 
gedanken wesentlich erhöht. 



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Die erste Serenade von R. Fuchs Ddur) zeigt viel E. Fuchs 
durchdachte Detailarbeit und Hinneigung zu den kleineren Serenade Nr. 1 
Künsten der Contrapunktik. Die Themen lieben das IDdur». 
interessante Halbdunkel der Mittelstimmen, einzelne Mo- 
tive, welche wie das die Serenade eröffnende: 

Andante. 

einen platten Ausgang nehmen, 

werden durch Nachahmungen und Umbildungen ver- 
edelt. Durch Innigkeit der Empfindung zeichnet sich • 
unter den Sätzen der Serenade der Gesdur-Theil des 
Allegro scherzando aus. Der breiteste ist der Schlusssatz 
Dmoll a/g). Sein Durchführungstheil verlangt Aufmerk- 
samkeit auf das Motiv: 

Allegro. 





welches vom Hintergrunde aus längere Zeit neckisch 
drohend den Satz beherrscht Das zweite Thema dieses 
Finale lässt von Ferne den traulichen Wiener Walzerton 
hören. 

Die zweite Serenade von R. Fuchs ;Cdur> ist leb- 
hafter als die erste und neigt dem Volkston mehr zu als Serenade Nr. 2 
jene. Am kecksten kommt er im folgenden Thema des (^'dun- 
Finale zum Ausdruck: 
Presto. 



K. Fochs 




Das Larghetto dieser Serenade besteht aus Thema und 
vier Variationen, welche, zwischen Dur und Moll wech- 
selnd, vorwiegend figurativ gehalten sind. 

In die dritte Serenade ;Emoll) klingen, wie bei B. FuchB 
Volkmann, ungarische Elemente herein. Ihr schönster Serenade Nr. :i 
Satz ist das zarte Allegretto grazioso mit dem in der 
Bratsche versteckten Thema. 

Mit einer Sinfonie in C dur, deren Finale als geist- 
voll und lebendig besonders zu loben ist, hat Fuchs neuerer 
Zeit sich einen Platz in dieser höheren Gattung erworben. 



(Kmoll). 



■ 



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i>5 \ 



Trotz der Concurrenz von Programmmusik und Suite 
nimmt die Sinfonie classischer Richtung immer noch den 
ersten Rang in der modernen Orchestercomposition ein. 
und ihr Repertoir ist in den letzten Jahren durch eine 
Reihe vortrefflicher Arbeiten bereichert worden, welche 
ihr diese Vorherrschaft noch auf längere Zeit sichern 
helfen. Es ist nicht zu leugnen, dass auf der modernen 
sinfonischen Production das Vermächtniss Beethovens 
immer noch schwer lastet. Es werden in seinen Formen, 
aber ohne seine Phantasie und seine Kunst Durchführ- 
ungen geschrieben, bei denen wieder gefragt werden 
kann: „Sonate, que me veux tu?" Aber trotzdem re- 
präsentirt die Summe der neueren Sinfoniecomposition 
einen bedeutenden Theil des besten Talents und des 
ernstesten Fleisses, über welchen die dermalige musi- 
kalische Generation verfügt. 

Merkwürdig bald ist die Herrschaft der Mendelssohn- 
• sehen Schule erloschen. Mendelssohn nahm die Geister 
seiner Zeitgenossen mit einer Kraft in Beschlag, der sich 
Beisaiger. selbst ältere Tonsetzer nicht entziehen konnten. Reissi- 
ger's Es dur- Sinfonie (1839) bietet hierfür den Beleg. 
Taubert. A jj er Sinfoniker, welche sich seiner Richtung ganz 
Biet«. hingaben, hatten nur einen kurz dauernden Erfolg. Nach 
einem Jahrzehnt schon schwanden die Sinfonien von 
Hiller. Taubert, die Es dur -Sinfonie von Rietz, Hillers Emoll- 
Sinfonie (mit dem Motto: „Es muss doch Frühling 
werden'-} vollständig vom Repertoir, und die spätem 
Hol, Zellner. Nachzügler der Schule (Hol: Dmoll- Sinfonie, J. Zellner 
„Melusina", haben weitere Beachtung überhaupt nicht 
mehr gefunden. Auch diejenigen Werke, welche mit 
ihrer geistigen Basis tiefer in Schumann hinabtauchen, 
sind schneller bei Seite gelegt worden, als sie es ver- 
dienten. Wir nennen die bereits erwähnte Sinfonie in 
Bargiel, Cdur von W. Bargiel und die Adur-Sinfonie von 
Beinecke. C. Reinecke, welche in ihren letzten beiden Sätzen 
wirklich originelle Erfindungen des Humors und der An- 
muth bietet. 

In gleicher Progression, wie der geistige Einlluss der 



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255 



Hauptmeister der Romantik verblasst, wächst die Ein- 
wirkung Beethovens in der neuen Sinfonie. Neben ihm 
in zweiter Linie tritt das Vorbild Schubert's stärker her- 
vor. Seine Cdur-Sinfonie, mit ihrem Finale namentlich, 
und Beethovens neunte Sinfonie sind diejenigen Werke, 
durch welche die frühere Periode in die gegenwärtige Sin- 
fonielitteratur am mächtigsten hineinklingt. 

Unter den namhaften Sinfonikern der Gegenwart ge- 
bührt nach der Anciennetät der Vortritt: Anton Rubin- A. RubiMtein 
stein. Seine* erste Sinfonie fFdur;, im Jahre 1854 ver- Sinfonie Nr. 2 
öffentlicht, heute nur wenig gekannt, fällt noch in die ( Fdur >- 
Blüthezeit der Mendelssohn 'sehen Schule und trägt in 
ihren ersten beiden Sätzen die Spuren derselben. Ihre 
letzten Sätze sind selbstständig und lassen die Vergessen- 
heit bedauern, welche sich über das ganze Werk gebreitet 
hat. Von den fünf Sinfonien des Componisten sind zwei 
Gemeingut der musikalischen Welt geworden: Die 
Sinfonie ,.Ocean- und die ..dramatische Sinfonie' 4 
(Nr. 4). 

Obgleich die Oceansinfonie Franz Liszt gewidmet 
ist, steht sie doch mit der Programmmusik nicht im 
engeren Zusammenhang. Ihr Styl ist der Beethovcn'sche 
und ihr Titel giebt der Phantasie nur einen leichten An- 
halt. Dass Rubinstein unter die grössten musikalischen 
Erfindernaturen der neueren Zeit gehört, beweist nament- A. Bubinstein 
lieh der erste Satz der Oceansinfonie: ein geniales,sinfonie»Ocean«. 
reiches Tonstück, von mächtiger Stimmung getragen, im 
grossen Zuge entworfen, mit glücklichen, eigenthümlich 
anschaulichen Musikgedanken dargestellt! Sucht man 
nach den näheren poetischen Beziehungen des Satzes 
zum Titel, so stellt sich am ungezwungensten das Bild 
der Ausfahrt ein. Dazu stimmt das erste Thema: 




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f 




3 wie es erst erwartungsvoll leise aufflattert 
3 und dann in der prangenden Pracht des 
vollen Orchesters vorüberzieht. Seinen Ab- 
schluss erhält es in einer breit ausgreifenden, vom warmen, 
innigen Gefühl durchwogten Gesangmelodie 

grosse Bedeutung hat. Zu der stillen Majestät des 
Oceans passen die lang und ruhig dahinklingenden Drei- 
klangsharmonien , an denen die Bewegung des Satzes 
so häufig Halt macht. Den drohenden und beängstigen- 
den Charakter des Meeres deutet das Trompetenmotiv 

an, welches namentlich dort an der 
Stelle, wo das liegende g mit den Har- 
monien des Chors in Dissonanzen lange wechselt, zu sehr 
unheimlicher Wirkung gelangt. Das zweite Themades Satzes: 

etc. giebt in anmuthiger Form ernst be- 
schaulichen Gedanken Raum. Die Durch- 
führung der vielseitigen Ideen zeichnet sich durch Ruhe 
und Vornehmheit aus. 

In dem zweiten Satze der Sinfonie: Adagio (Emoll C) 
ist folgende Melodie 

Adagio non tanto. 






die führende. Das zweite Thema, seinem Charakter nach 
noch tiefer fragend, fängt mit einer aus Schumann's 
C dur- Sinfonie bekannten Wendung an: 

In den Streich- 
instrumenten erhalten durchgeführte lei'cnte Begleitungs- 




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^ 257 ^- 



figuren die Gedanken an das Spiel der Wellen wach. 
Die Ausführung der Ideen ist knapp ; die poetische Haupt- 
stelle des Satzes liegt kurz vor der Reprise: da, wo das 
Horn seinen Ruf in die Stille hinaus erschallen lässt, 
wo die Pauke zu dem Solo der Clarinette ausdrucksvoll 
wirbelt. 

Der dritte Satz (Allegro, 2/4, Gdur) könnte eine lustige 
Seemannsscene bedeuten. Das Hauptthema beginnt derb 

Allopro. 

fröhlich animirt ^ 

ContrabKue 

und erweckt bei den anderen Instrumenten in einer 
Reihe wilder Triller ein verstärktes Echo seiner Stim- 
mung. Im zweiten Thema wird der Humor etwas breit 
und querköpfig. Das an und für sich treffliche Material 
des Satzes ist in der Verarbeitung ziemlich zersplittert 
worden. 

Das Finale beginnt froh bewegt, als wenn es heim- 
wärts ginge. 

Das Hauptthema wiegt sich lange auf 

Allegro eon fnoeo. 

und den Sequenzen dieser 




Motive und schliesst dann kräftig bestimmt mit 

= ab. 

Eine dankvolle Stimmung äussert sich in ruhigerer 
Weise auch im zweiten Thema: 





Ihren feierlichsten Ausdruck findet sie aber in dem Chorale, 
welcher von der langsamen Einleitung ab bis zum Schlüsse 
des Satzes ein Hauptglied desselben bildet. Gross und er- 
haben gedacht ist das Finale der Oceansinfonie — doch 
sind die poetischen Intentionen musikalisch nicht so ge- 
lungen verkörpert worden wie im ersten Satze. 

In neuerer Zeit hat Rubinstein den vier Sätzen seiner 
Oceansinfonie noch einen fünften und sechsten hinzu- 

17 



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258 



gefügt: ein Adagio in Ddur, welches als zweite Nummer 
der neuen Ausgabe an die Gedanken des zweiten Themas 
des ersten Satzes leicht anknüpft, und als vorletzte 
Nummer ein phantastisch belebtes, von innigem Gesangs- 
ton durchzogenes Scherzo in Fdur. 
A. Bnbinstein Die „Sinfonie dramatique" (Nr. 4, Dmoll) ist Rubin- 
»sinfoni« <ir»- stein's bedeutendste Leistung auf dem Gebiete der höhern 
matique«. Orchestercomposition. Nach der natürlichen Grösse von 
Empfindung und Phantasie, nach der Stärke der ange- 
borenen Dichterkraft, nach Einfachheit und Bestimmtheit 
des Ausdrucks gemessen, bildet sie eine der hervor- 
ragendsten Erscheinungen in der ganzen sinfonischen 
Litteratur. 

Ihr erster Satz namentlich ergreift und erschüttert 
wie wenige Tonstücke. Dem Inhalte nach tragischer 
Natur, zeigt er manche, auch technisch erkennbare, Be- 
rührungspunkte mit den Eingangssätzen der Faustsinfonie 
von Liszt und Beethoven's Neunter; mit der letzteren 
in der Menge gewaltiger Trugschlüsse und in den ein- 
schneidenden Wirkungen des verminderten Septimen- 
accords. Die Form ist eigenthümlich, aber einheitlich 
und klar disponirt. Eine Hauptstütze des ganzen Orga- 
nismus bildet die murrende und suchende Figur, mit 

welcher die Bässe die 
Einleitung beginnen: 

Sie geht im Laufe des Satzes viele Verwandlungen ein: 
erscheint bald in breiten, bald in flüchtig dahineilenden 
Rhythmen, stellt sich jetzt an die Spitze des Orchesters 
und verbirgt sich dann in der Mitte und in der Tiefe. 
Aber immer ist sie da, regulirt den dämonischen Puls 
der Tondichtung mit ihrem Schlage und durchklingt den 
ganzen Satz wie Windesbrausen und Glockengeläute. 
Den regelmässigen Begleiter dieser Hauptfigur bildet von 
der Einleitung ab das leidenschaftlich zuckende Motiv: 

welches sich mit schmerzhafter Dis- 





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259 



sonanz häufig in die Klagen der Instrumente hineinbohrt. 
Der Expositionstheil des Allegro zerfällt in fünf Scenen. 

Die erste breitet in einem langen Zuge das Hauptthema, 
ein getreues Abbild leidenschaftlicher Verwirrung, hin: 



AUegro moderato. 




Seine Aufregung bricht sich an einer Gruppe, in welcher 
die Musik nicht in zusammenhängenden Gedanken, sondern 
in Interjectionen und Naturtönen spricht: in fanatisch 
herausgestossenen Trillern, im kurzen schweren Aufschrei 
der Bläser und in scharfen Dissonanzen, welche in ihrer 
Art und ihrer Einführung an diejenigen erinnern, welche 
im ersten Satze von Beethoven's Eroica der Emoll-Episode 
vorangehen. Und nun beginnt die dritte Scene. Von einem 
milden und beschwichtigenden Gesang der Clarinette 
präludirt, tritt das zweite Thema ein , eine der schönsten 
musikalischen Darstellungen vom Zustande eines Herzens, 
in welchem die Hoffnung mit der Furcht kämpft: 

Co* , Cor. 




In jedem Takt ein anderer schöner Zug: Wie die Violinen 
Trost zusprechen, wie das Horn absetzt und ansetzt, höher 
und höher geht, zuletzt im langen Gang sich ausspricht, 
selbst in der kleinen Dissonanz des a im ersten Takte 
— in Allem liegt eine Wärme, Anschaulichkeit, Unmittel- 
barkeit, eine Naturwahrheit, wie sie nur die genialsten 



~* 260 



Künstler ab und zu erreichen. Die Scene wird haupt- 
sächlich auf Grund der beiden eingehakten Takte weiter- 
geführt und endigt mit einer Wendung, welche der eigen- 
thümlichen Schönheit des ganzen Bildes würdig ist: 
Kurz und überraschend moduliren die Bläser in sanften 
Accorden von B- nach Ddur und halten die neue Har- 
monie leise mit einer langen Fermate wie eine freund- 
liche Vision fest. Als sollte der Traum nicht gestört 
werden, bringen darauf die tiefen Streichinstrumente pp 

i gehen aber bald mit 



das Motiv 



ihm wieder in's Stürmische und zur fünften Scene des 
Expositionstheils über, deren Thema heroischer Natur ist: 




mm 



'Die Durchführung beginnt als wörtliche Wiederholung 
der ersten Scenen, setzt aber dann die Schilderung des 
Conflicts zwischen Muth und Zweifel mit selbstständigen, 
neuen thematischen Ideen fort und nimmt nach dem 
Schlusstheil einen trüben und hocherregten Charakter an. 
Mit harten Dissonanzen und chromatischen Passagen, 
welche in Liszt'scher Weise stylisirt sind, wird der 
Uebergang zur Reprise bewerkstelligt, welche den Inhalt 
des Expositionstheils in gesteigertem Ausdruck, das Haupt- 
thema noch wilder und das zweite Thema noch rühren- 
der, recapitulirt. 

Der zweite Satz, ein Presto (Dmoll) in drei Theilen. be- 
ginnt mit einem^ *^ ! 10 - , 9 , 1 — 2— , 
kleinen Schreck t * ^i^j 1 ? 1 L i 1 1 
Erst nach diesen durch die Generalpausen mächtig ver- 
stärkten Allarmsignalen setzt das stürmische Hauptthema, 
in seiner Construction auf folgendes kurze Modell gestützt: 

ein. Durch das ganze Stück 
bleibt ein herber, harter Zug 




vorherrschend. Die freundlichen Seitenpartien, welche 



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in mannichfachen Nebenthemen betreten werden, wie: 




Viol 




O \ I* Jg^f^g^ f ühren immer wieder 

in den Hauptweg zurück, und selbst in dem Allegretto, 
welches in dem Satze die Stelle des Trio vertritt — der 



Allegro noti troppo. 



Yiol. . 



Anfanglautet: 




— verdrängen 



P BU»tr 

die überwiegenden allarmirenden Elemente die Versuche 
zum freundlichen Gesang. 

Das Adagio (Fdur, ß/ 8 ) der Sinfonie ist einer der 
schönsten melodiereichsten Sätze der neueren Instru- 
mentalmusik, von einer Milde in Charakter und Stimmung, 
die seine Betrachtung zum reinsten Genuss macht. Seine 
Hauptmelodie : 

Adagio 





in welcher die Beethoven'schen Ele- 
mente reich vertreten sind, wird durch 

ein Seitenthema abgelöst und ergänzt, dessen Ausdruck 
und Abschluss eigenthümlich schön ist: 

C«Ui o. Bntftcftirn 




Auf diese Hauptgruppe folgt eine Scene, die, melo- 
disch auf Bagatellen beruhend, über kurze Motive schwärmt 
und in entlegenen Harmonien träumt. In derSüssigkeitder 



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262 



Stimmung, in der ungezwungenen Innigkeit des Tons er- 
innert sie an eine Liebesscene. Ueber dem Ende des 
Satzes, wo die Bässe und Celli choralartige Weisen an- 
stimmen, liegt religiöse Weihe. 

Nach einer langsamen Einleitung beginnt das Finale 
mit einem Thema, das in seiner stürmischen Natur und in 

AUe yro c on fnoeo. 

seinen An- B _ jv T~~"^ i — — — wörtlich mit einem sehr 
fangsnoten: =\F ^y^T " dl^^ 7 ^ bekannten Gedanken aus 

Beethoven's Kreutzer-Sonate übereinstimmt. Das Finale 
ist lebendig froh gedacht, aber ziemlich breit und mit 
Einmischung seltsamer Einfälle ausgeführt Unbedingte 
Schönheit in Form und Charakter besitzt das zweite Thema : 




Als der junge Rubinstein mit seiner ersten Sinfonie 
auftrat, befand er sich in einer ziemlich zahlreichen 
Gesellschaft mitstrebender Talente: Leonhard, Heisted, 
Pape, Goltermann, Kufferath, Pott, Veit, Wüerst, Ulrich, 
Gouvy, Dietrich. Von diesen vielen neuen Sinfonikern 
der fünfziger Jahre, welche in der Mehrzahl Mendels- 
sohn'sche Ideen kleiner münzten, haben sich nur sehr 
wenige für längere Zeit behauptet: Gouvy und Ulrich 
fanden mit mehreren Werken ehrenvolle Beachtung, 
eine populäre und bedeutende Position errang nur 
Albert Dietrich mit seiner zweiten Sinfonie in Dmoll. 
A. Dietrioh Diese Dm oll -Sinfonie Dietrich's, seit 20 Jahren ein 
Sinfonie Dmoll Liebling des Publikums, ist eins der anziehendsten Kunst- 
werke der neueren Zeit. Ihr Schwerpunkt liegt in der 
edel weichen Schwärmerei, in der jugendlich glücklichen 
Ueberschwänglichkeit, welche alle Partien der Sinfonie 
romantisch durchdringt. Sie hinterlässt, wie wenige 
Compositionen, den starken Eindruck einer eigenen In- 
dividualität und den Wunsch, dass sich die liebens- 
würdige, gehaltvolle Künstlernatur, der wir dieses Werk 
verdanken, noch in einer grossen Reihe so freundlicher 
und anmuthiger Sinfonien äussern möge. 



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263 ^ 



Der erste Satz beginnt heroisch mit folgendem, von 
sämmtlichen Streich-Instrumenten im Unisono vorge- 
tragenen Hauptthema: 
Allejro. 




Schon im ersten Seitensätzchen aber nähert sich die 
Phantasie friedlichen Regionen und lenkt dann im zwei- 
ten Thema 




in ihr Lieblingsgebiet, in das der herzlichen Idyllen 
ein. Die Mittelsätze der Sinfonie bieten für solche 
das Terrain ohne Beschränkung dar. Wir suchen in 
dem Kreise der gleichzeitigen Dichter und bildenden 
Künstler vergeblich nach Parallelen, wenn wir die ge- 
müthlich traulichen, einfach sinnigen, und doch vor- 
nehmen Melodien hören, welche uns Dietrich in dem 
Andante und in dem Scherzo seiner Dmoll- Sinfonie 
bietet. Die Themen seines langsamen Satzes (Andante, 
Fdur), der zwischen 6 / 8 - und %-Takt wechselt: der träu- 
merisch freundliche Gesang des Hornes 

Andante. 





V" 

und die halbschelmische 
der Celli 





Cuntriü>u»»e 



klingen wie Volkslieder, reichen 
aber über deren Form in der 



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26 i 



kunstvollen und gewählten Anlage und Durchführung 
hinaus. 

Das Scherzo beginnt einfach kräftig: 

Allcgro cnorglco. V|»|. 



SB 





In seinen Seitensatz 



und in sein 



>'-«i*— 



fallen Strahlen aus Schumann'schem Lichte. Das zweite 
Trio ist eine echt Dietrich'sche, herzlich liebe Weise: 




^= welche sich in empfänglichen 

Gemüthern für's Leben festsetzt. Einen poetischen Zug 
in der Gestaltung des Scherzo bildet die Einflechtung 
der Hauptmelodie des Adagio. 

Das Finale der Sinfonie ähnelt im Hauptthema: 

AllegTO. 




wieder einem bekannten Schumann'schen Typus. Das 
zweite Thema: 




V Celli ».Br«Uch. ercsc. 



bringt noch einmal den eigen schwärmerischen Zug 
Dietrich's zu warmen, schönen Ausdruck. Die Uebergangs- 



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265 



partie zwischen den beiden Themengruppen ist dem 
Humor gewidmet. 

Noch einige Zeit vor das Dietrich'sche Werk, in das 
Jahr 4 863, fällt die Entstehung einer anderen berühmten 
D moll - Sinfonie. Es ist die von Robert Volkmann. 

Volkmann's D moll -Sinfonie ist die Schöpfung eines & Volkmann 
männlich kräftigen Geistes, ein fest und gedrungen hin- Sinfonie Nr. 1 
gestelltes Werk, welches nach Wesen und Styl der Beet- {D moll, • 
hoven'schen Schule angehört. Der erste Satz dieser 
Sinfonie steht mit seinem trotzigen, entschlossenen Zuge 
in directer geistiger Verwandtschaft zu der gewaltigen 
Neunten. Ja, dort an der Stelle, wo am Schlüsse der 
Durchführung die Bässe von den langen festgebannten 
Harmonien sich trennen und ihre chromatischen Gänge 
antreten, da klingen auch die Beethoven'schen Themen 
leibhaftig an! Gleichwohl besitzt die Volkmann'sche 
Sinfonie, und namentlich ihr erster Satz, geistige und 
technische Selbstständigkeit im hohen Grade, eigene be- 
deutende, in Ernst und Frohsinn immer treffende, auf's 
Ziel schnell hingehende Gedanken und eine eigene schlicht 
belebte, auf jeden Prunk und Reiz verzichtende Dar- 
stellung. 

An der Spitze des ersten Satzes steht das Thema: 




mit seinen drohenden und schweren Gedanken. Während 
es noch leise in den Bässen fortgrollt, erheben die 
Holzbläser und Violinen ihre tröstenden und bitten- 



den Stimmen: 

und die erste Scene des Satzes schliesst mit einem Com- 
promiss. der die düstere Stimmung in einen heroischen 
Entschluss bg * 

überleitet: gjj- k ' 'Y~f =^±± 
^ Jf 





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266 -&>- 



Es ist eine besondere und sehr bemerkenswerte 
Idee Volkmann's, an Stelle des einen Themas eine ganze 
dreigliedrige nnd vollständig dramatisch entwickelte The- 
mengruppe zu setzen. Der Satz bleibt vorwiegend streit- 
barer Natur. Die Momente der Ruhe, wie sie am ent- 
schiedensten das F dur-Thema 




ausdrückt, bil- 



den nur Episoden. Die Durchführung wiederholt in ver- 
grösserten Verhältnissen den Auftritt zwischen den bitten- 
den Bläsern und dem grollenden Streichorchester, mit 
welchem der Satz begann, und die gewaltig eingeleitete 
Reprise nimmt den gewöhnlichen Verlauf. 

Das Andante {B dur, 3 / 4 ) hat zum Hauptthema eine 
hauptsächlich von der Clarinette getragene Melodie, 
welche Frieden suchend folgendermassen beginnt: 



Andante. 




Die vier Takte, 



welche ihr präludirend vorangehen, sind sehr wichtig: 



Sie bringen in 




ein Motiv, welches für 



die Entwicklung des Satzes die treibende Kraft bildet 
und den kleinen Variationen , welche aus den Fi- 
guren des Hauptthema abgeleitet werden, beständig zur 
Seite geht. Der im allgemeinen ruhige Ton der kleinen 
Dichtung wird am Ende der Durchführung einmal hoch 
leidenschaftlich. Es ist eine ausserordentlich mysteriöse 
Stelle: die, wo nach den gewaltigen Asdur-Accorden das 
Horn zu den stillen Modulationen der Violinen 30 Takte 
lang immer sein C anschlägt. Sie ruft auch klanglich 
das Bild aus Wagner's Walküre vor die Phantasie, wo 
Siegmund in seiner Seelennoth, einsam vor dem Herde 
in der dunklen Hütte nach „Wälse" ruft. 

Das Scherzo stimmt einen rüstig muntern Ton an. 
In der Figur seines f Aiicgro nea^roppo. | 

Hauptthemas q^j> 3^ ^^^^^ ^Sd~^^^-^-^ 



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267 ■&>- 



und in der contrapunktischen Form seiner Entwickelung 
leben noch einmal Geist und Methode der alten nord- 
deutschen Schule auf. Das lieblich kosende Trio, welches 
das geschäftige Treiben des Hauptsatzes mit ländler- 
artigem Tone unterbricht: 

trägt die reizenden Farben der Frühromantik. 

Das Finale der Sinfonie, ein Tonstück freudig ge- 
hobenen Charakters fällt, mit seinem Hauptthema: 




und noch mehr mit dem Nachsatz des zweiten Thema: 




in den Stylkreis der Mendelssohn-Schumann'schen Periode. 

Das zweite Thema selbst, eine rhythmisch energische 
Bildung 



ist der Hauptträger der zwischen Pathos und Fröhlich- 
keit hinsteuernden Gedankenentwickelung. Es giebt viel- 
fache Veranlassung zu polyphonen Künsten, zu ver- 
wickelten Harmonien und zu seltneren Klangcombi- 
nationen, in welchen der Posaunenton ein wichtiges 
Element bildet. 

Volkmann's zweite Sinfonie (B dur) gehört dem B. Volkmann 
frohen und heitern Gebiete an. Ihr erster Satz vereinigt Sinfonie Nr. 2 
ausgesprochen volksthümliche Züge im ersten Thema ( Bdur )- 




mit specifisch Schumann'schen im Seitensatz: 



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Die Ausführung dieser leitenden Gedanken ist sehr 
knapp; überraschend schnell tritt der Schluss ein. 

Der zweite Satz: Allegretto (Esdur, */a) ist ein be- 
hagliches Scherzando mit folgendem Hauptthema: 

Allegretto. 




Sein Seitensatz tändelt anmuthig auf dem Motiv 

^zthS^f-f^-f^^ zrzz hin. Unter den mancherlei 

Aehnlichkeiten, welche der Satz mit dem berühmten 
Allegretto in Beethoven's achter Sinfonie gemeinsam hat, 
tritt als die nächste das folgende Motiv: 

- ^-4 L ^-^— j?~f f"T r~T : l hervor. Die originellste Idee 
im Stücke bildet das Thema des Mittelsatzes: 




Eigenthümlich launisch weicht es in seinen Schlüssen 
lange dem Grundton aus. 

Der dritte Satz (Andantino, Gmoll, 6 /y) ist nicht viel 
mehr als eine langsame Einleitung zum Finale. Das 
Thema beider Sätze ist dasselbe. Das Andantino. bringt 
es in ruhiger Bewegung, in melancholischer Färbung und 
in der eigenthümlichen Instrumentirung der Steppenmusik: 

Andantino. . 

10b. K l K a C-^. J Ji 




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2G9 



das Finale \Bdur, «/ 4 ) im raschen Tempo, in humoris- 
tischer Attitüde und mit aller derjenigen Verve , deren 
es fähig ist, am Anfang in folgender Form: 



Allegro vivace 




Clar. 4t&> 

Mit ihren beiden letzten Sätzen gehört Volkmann's 
Bdur- Sinfonie eigentlich in das vorhergehende Capitel: 
Nationalmusik in der Sinfonie. Sie ist der Kaiserlichen 
Russischen Musikgesellschaft in Moskau gewidmet und 
giebt dieser Widmung durch die Schlusssätze einen ernst- 
lich praktischen Ausdruck. Tschaikowsky's Serenade 
;op. 48) stimmt in dem Thema ihres Finale mit dem gleichen 
der Volkmann'schen Bdur- Sinfonie fast wörtlich über- 
ein, und auch die Ausführung in Variationen, welche sich 
von Nummer zu Nummer mehr erhitzen und bis zu 
dithyrambischer Ausgelassenheit weiter geführt werden, 
ist dieselbe, wie sie die russischen Componisten seit 
Glinka für ihre kleinen heitern Pastoralmotive zu wählen 
pflegen. 

Zu den bekanntesten Sinfonien der neuesten Periode Max Bruch 
zählt die in Es dur von Max Bruch. Sie ist ein Werk Sinfonie Nr. \ 
in classischer Richtung, durch einen objektiven Zug in 
der Darstellung ausgezeichnet, im Inhalt vorwiegend 
heroischer Natur. In der musikalischen Factur zeigt sie 
eine Hinneigung zum Einfachen und Kernigen, kräftige 
Harmonik und volksthümliche, liederartige Melodik. 

Ihr künstlerisch bedeutendster und reichster Satz ist 
der erste Allegro maestoso C), eine ernste Dichtung, die 
uns wie ein Stimmungsbild am Vorabend eines wichtigen 
Tages anmuthet. Er beginnt ruhig gedankenvoll mit dem 
schönen Hauptthema: 

.. i Allegro m aesto so 

' Horn 




Die hoffenden Elemente dieser Melodie steigert der 
Nachsatz zum Ausdruck stolzer Kraft: 



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p p f 

Der ideelle Gegensatz zu dieser Gruppe ist wie diese 
ebenfalls zweitheilig. Er beginnt mit einem Unruhe und 
c) 

Zweifel bergen- 
den Motive: 

und schliesst mit einem in freundlicher Sentimentalität 
beschwichtigenden Gesangthema: 





Die Durchführung beschränkt sich auf verschiedene 
Kreuzungen der Themen a und c. 

Als zweiter Satz folgt ein Scherzo (Gmoll l /4) 5 eine 
breit ausgeführte und sehr populär wirkende Composi- 
tum, welche mit der Lagerscene in Rheinberger's „Wal- 
lenstein" manche Berührungspunkte hat. Das Haupt- 
thema des Satzes ruht auf einem äusserlich malenden 

Motiv: 

Presto. 




welchesTIald gewaltig in die Höhe wirbelt Die Seiten- 
sätze bringen frohe Rufe 

und Scenen, die den harmlos enthusiastischen Spielen der 
Jugend zu gleichen schei nen. Das unschuldige Thema: 





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271 *~ 



wird mit einem unermüdlichen Eifer wiederholt und 
durchgeführt. Die Hauptpartie in dem belebten, fröh- 
lichen Bilde ist der Mittelsatz mit seiner vom Unisono 
des Streicher- und des Bläserchors herüber und hin- 
über gesungenen derb behaglichen Melodie: 




Der dritte Satz: „Quasi Fantasia" betitelt (Grave, 
Esmoll, Q, beginnt in sehr schwermüthiger Stimmung mit 

Orare. 

einer, wie folgt: 




ansetzenden und sich bis zum endlichen Abschluss lang 
streckenden Melodie. Alle Motive im Satze tragen den 
Charakter einer bangen Stunde. In der Mitte taucht 
das beunruhigende Thema c) des erten Satzes der Sin- 
fonie wieder auf. Ohne Pause geht dieser langsame Satz 
in das Finale über, das ähnlich wie in Mendelssohn's 
Schottischer Sinfonie halb programmatisch als „Allegro 
guerriero" bezeichnet ist. Im poetischen Plan der Sin- 
fonie bedeutet dieses Finale die von Aussen kommende 
Rettung, die glückliche Entscheidung: Der musikalischen 
Form nach ist es eine ausgeführte und idealisirte Marsch- 
composition, in welcher ein flottes Thema: 

mit einem 




sentimentalen: 




etwas einförmig wechselt. 



272 



Die zweite Sinfonie von Bruch Fmoll) ist wenig 
bekannt geworden. Dem düster und trüb beginnenden 
und froh endenden Werke, welches nur aus drei Sätzen 
besteht, liegt offenbar ein Programm zu Grunde, welches, 
wie in ähnlichen Fällen in der Regel, nur zum grossen 
Schaden für die Wirkung und das Verständniss der Com- 
position verschwiegen worden ist. Nicht an Ernst der 
Anlage und Arbeit, wohl aber an Frische der musika- 
lischen Phantasie steht diese zweite Sinfonie Bruch's hinter 
der älteren zurück. Der hervorragendste Satz ist der 
mittlere, in welchem intime Gedanken ihren eigenen 
Ausdruck gefunden haben. 

Die nächsten Componisten, welche nach Bruch auf 
dem Gebiete der Sinfonie weitere und andauernde Be- 
achtung gefunden haben, sind Friedrich Gernsheim, 
Felix Draesecke und Hermann Götz. 
F. Gernsheim Die G m oll -S in f on ie von F. Gernsheim steht 
Sinfonie Nr. i auf classischem Boden und entnimmt der Eroica, der 
(ümoii). Neunten, dem Violinconcert Beethoven's und der grossen 
Cdur- Sinfonie Schubert's eine Reihe merkbarer An- 
regungen. Am selbstständigsten erfindet der Componist 
da, wo die Sinfonie sich auf dem pathetischen Gebiete be- 
wegt. Das in diese Kategorie gehörige Thema, welches 
an der Spitze ihres ersten Satzes steht, ist unter die 
stattlichsten Sinfonie -Gedanken der neueren Zeit zu 
rechnen: 




In allen ihren Partien erfreut diese Sinfonie durch 
edle Richtung, durch Geschmack und Masshalten. 
F. Gernsheim Die zweite Sinfonie Gernsheim's Es dur] ist vor- 
Sinfoni«? Nr. 2 wiegend idyllischer Natur. Ihre hervorragendsten Sätze 
(Esdurj. sind dje m im ereri: Notturno (in Asj und Tarantella 
(in Q. 

Die beiden Sinfonien von F. Draesecke zeigen in 
F. Draesecke. i nrem Autor einen Charakterkopf, welcher streng an 
seinen Ideen festhält und sie mit einer Consequenz 



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^ 273 



■durchführt, die oft geistreich und genial, zuweilen aber 
auch ermüdend wirkt. Die Elemente einer weicheren 
Empfindung und einer schönen Sinnlichkeit sind in den 
Werken des Componisten durch einzelne Glanzstellen ver- 
treten. Daraus ist in der ersten Sinfonie (Gdur) die 

Adagio. 

Clarinettenmelodie 




der Einleitung, aus der zweiten (Fdur; das zweite 
Thema im ersten Satze 




c o 

hervorzuheben. Im Allgemeinen aber herrscht in diesen 

Sinfonien ein harter Zug vor. Ihre Hauptstärke liegt in 
den humoristischen Sätzen. Der drastischen, auch in 
den grotesken und burlesken Excursen immer fein und 
witzig gehaltenen Komik des Scherzo in der ersten und 
des Finale in der zweiten Sinfonie Draesecke's haben 
wir aus der neueren Litteratur wenig zur Seite zu 
setzen. 

Grösserer Popularität als die letztgenannten Werke h. Götz 
erfreut sich die Sinfonie (Fdur) von Herrn ann Götz, Sinfonie Fdur. 
des Componisten der „Zähmung der Widerspenstigen*'. 
Sie verdankt diese ihrem zweiten Satze „Intermezzo", 
einem der reizendsten Genrebilder der modernen Musik. 
Die Nummer wirkt ebenso durch ihren fröhlichen, popu- 
lären und doch noblen Inhalt, wie durch die originelle 
Anlage. Das Horn beginnt mit: 
"JAllegretto. 

i tmjr r j i T z 

Die Holzbläser antworten ebenso naiv mit einem mun- 




teren Thema 




welches die Vio- 



linen aufnehmen und weiterführen. Nach einer luftigen 
Cadenz der Flöte setzt der Seitensatz in gedämpfterer 
Stimmung ein: 



48 



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Celli, zweite Violinen und Fagotte legen eine sentimental 
sinnende Melodie darunter. 

Der Gedanke und seine Durchführung erinnern eine 
Weile an das Scherzo der Schumann'schen Cdur- Sin- 
fonie, bis die Trompete mit dem Hornthema des Eingangs 
den eignen Phantasiekreis des Componisten wieder fest- 
stellt. Das kindlich heitere Treiben gelangt in einer die 
Stelle des Trio vertretenden Episode über folgendes Thema 

Dn poco meno moto. 




Von diesem Mittelpunkte aus bewegt sich dann der Satz in 
freien, vorwiegend durch ruhigere Gegenmelodien ver- 
änderten Wiederholungen der ersten Gruppen dem Ende 
zu. Das Adagio (Fmoll, 3 V' steht mit dem Intermezzo 
in näherer Verbindung. Das Thema d des letzteren 
bildet den Mittelsatz. Hauptthema ist eine ernste Melodie 

Adagio. -tv 

r?irrf Bit: 




auf deren 

Grund der erste und dritte Theil des Satzes in einfacher 
Sprache eine Reihe von Betrachtungen ausführen. Ihr 
tief schwermüthiger Ton macht erst in der Coda [in Fdur) 
einer hoffnungsvolleren Stimmung Platz. 

Von den beiden Ecksätzen der Sinfonie ist der 
erstere der hervorragende. Sein Hauptthema ist durch- 
ausromantisch, in seiner Stimmung zwischen sinnig behag- 
lichem Geniessen, jugendlich stürmischem Ueberschwang 
und leichten Anwandlungen von Melancholie getheilt: 

AUccro moderato. 




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275 




Das zweite, freundlich schwärmend: 

Sf - ^ jft f | <f \ K ^z + tt^ weist auf Wag- 
ll ner's Meister- 

Flol« ob. 

singer hin. lieber der Verbindung der beiden Ideen liegt 
gleichmässig der Ton liebenswürdiger Anmuth; doch 
bricht an einigen Stellen auch der Jubel kräftig durch. 

Besonders hervorzuheben ist der Schluss der Durch- 
führung, an dem aus zarten Träumen sich die Phan- 
tasie überraschend energisch zum Hauptthema zurück- 
wendet. 

Der Schlusssatz der Sinfonie erstrebt kräftigen und 
feurigen Ausdruck. Hierzu dient die rauschende Violin- 
figur, welche das Hauptthema eröffnet: 

Allerro eon luoco - ^ 




und das resolute Thema 



des Seitensatzes: 





Der Gegenpart ist durch eine Melodie vertreten, welche 
nur durch kunstvolle Schlüsse zu einem stärkeren Ge- 



halt erhoben wird: 



Lange erwartet trat zu der Zeit wo die Götz'sche 
Arbeit erschien, am Ende des Jahres 1876, endlich auch 
derjenige Tonsetzer in die Reihe der Sinfoniker ein, 
dessen Namen einst die Musikgeschichte, aller Wahr- 
scheinlichkeit nach, an die Spitze der gegenwärtigen 
Periode der instrumentalen Tonkunst setzen wird: Jo- 
hannes Brahms. 

18* 



276 *- 



Aus den Kreisen der Romantiker hervorgegangen, 
vertritt Brahms das bleibende Princip der romantischen 
Richtung: das Princip der gemischten Stimmungen und 
der raschen Bewegung des Empfindungslebens. Aber 
alle die früheren Vertreter der musikalischen Romantik 
übertrifft Brahms durch die Vielseitigkeit des Geistes, 
welche er sich in einer wunderbar zielbewussten und 
energischen Entwicklung erworben, und durch die 
Objektivität, die Strenge und Mannichfaltigkeit des Styls. 
Brahms ist unter allen Sinfonikern unsers Jahrhunderts 
der Einzige, welcher Beethoven in der Logik und Oeko- 
nomie des Satzbaues, in der ununterbrochenen Gediegen- 
heit des Materials und der Arbeit, in dem vornehmen 
Verzicht auf das Conventionelle erreicht. Seine Werke, 
naturgemäss die Sinfonien voran, sind deshalb auch 
nicht durchweg leicht zu geniessen. Schwer ist vor allen 
seine erste Sinfonie. 
J. Brahma Diese erste Sinfonie C moll} nähert sich im Cha- 
sinfonie Nr i. rakter und im Gange ihrer Ideen der Beethoven'schen 
(« moll). f un ften. Auch sie führt von Kämpfen und schweren 
Stunden zur Klärung und zur freudevollen Freiheit der 
Seele. 

Der Satz beginnt mit einer langsamen Einleitung 
(Un poco sostenuto, C moll, 6 /gl, welche das Bild des 
folgenden grossen Allegro in kurzen Strichen voraus- 
zeichnet. Sie braust leidenschaftlich auf — schöpft 
Athem und hofft wie dieses — auch die thematischen 
Motive des Allegro klingen in ihr schon an. Unter diesen 
ist das chromatische Thema, mit welchem die Violinen 
sich unter den dröhnenden Strichen der Contrabässe in 
die Höhe quälen, dasjenige welches für den Bau der 
ganzen Sinfonie hervorragende Bedeutung hat: 




Es steht an der Spitze der Sinfonie und bietet für 
den grössten Theil derselben den technischen Stützpunkt. 
Noch in ihren zweiten und dritten Satz ragt es geistig 



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und leibhaftig hinein; der erste Satz aber ist vollständig 

Allegro 

auf ihm fundirt. In der Form . . ^^-^^fJ-itH-f- 1 - - bildet 

es hier bald die Oberstimme, bald denBass,fungirt in seinem 
contrapunktischen Gewebe als heimlicher Cantus ürmus, 
und wirkt als treuer, leitender Geist in guten wie in 
bösen Stunden. Es giebt die Allarmsignale und ruft be- 
schwichtigend den Sturm der Leidenschaft zur Ruhe. 
Das formelle Hauptthema des Allegro ist folgendes: 




Es trägt die dämonischen Scenen des Satzes, welche 
mit grosser Energie, Kraft und Schärfe, aber verhältniss- 
mässig knapp dargestellt sind. Eindringlicher, für den 
Gesammteindruck des Allegro fast entscheidender, wir- 
ken die Partien in welchen der verzweifelte Ton der 
Kampfesstimmung leiser wird und den milderen Reg- 
ungen Platz macht. Wunderbar schön ist namentlich 
der Uebergang zum zweiten Thema: der allmähliche Ein- 
tritt der ruhigeren Bewegung, das Hervortreten klagen- 
der Motive, der sehnsuchtsvolle Ton, in welchem das 
erwähnte chromatische Thema an die Spitze der bitten- 
den Stimmen tritt. Der ganzen Partie ist der Stempel 
der Naturwahrheit aufgedrückt. Das zweite Thema, 
dessen erste Periode zur Orientirung über das Ganze 



dienen mag 




bildet 



den Abschluss dieser friedlichen Wendung. In geistiger, 
wie in technischer Natur erscheint es ebenfalls von dem 
chromatischen Leitthema der Sinfonie stammend. Ein 
reizender Dialog, von Horn und Clarinette fast nur in den 



278 * 

einfaclisten Naturlauten geführt, fügt sich an; leider ist 
er nur von kurzer Dauer. Mit einem unwirschen Rhythmus: 

T j i . aus welchem sich das für die Entwickelung 



Hl.' 



des Satzes wichtige Motiv - JL^kUj J^ herausbildet, rufen 

die Bratschen den Chor der Instrumente in die leiden- 
schaftliche Action zurück. In der Durchführung treten die 
beiden grossen Pianostellen besonders hervor: In der 
plötzlichen Todtenstille, welche sie verbreiten, in dem 
leisen halb verborgnen Walten ernster Gedanken, haben 
sie etwas Uebersinnliches. Der ersten folgt eine Scene 
von Kraft und Frömmigkeit. Die alten Motive des Trotzes 

schliessen sich wie zum h £~~f^£ *Ff' f*f ' f^k 
Choralgesang zusammen: ^M^rj -E^fl—L }-L . 

Die zweite lenkt in eine Periode über, welche den aufge- 
regten Ton der Einleitung verstärkt und gesteigert 
wieder anschlägt und mit dem erschreckendsten Aus- 
druck innerer Empörung in die Reprise überleitet. Es 
ist diese Periode eine der gewaltigsten Leistungen im 
pathetischen Style und zugleich ein Meisterstück in der 
Kunst Uebergänge zu machen. Die Reprise nimmt den 
gewöhnlichen Verlauf. Als sie aber am Schlüsse der 
ersten Themengruppe die dämonischen Mächte des Satzes 
auf einen neuen höheren und unerhörten Punkt geführt 
hat, bricht die Musik wie in natürlicher Erschöpfung ab. 
Das chromatische Thema wird zu rührenden Klagemelo- 
dien erweitert, und wehmuthsvoll elegisch klingt der 
Satz aus. 

Der zweite Satz der Sinfonie (Andante sostenuto. 
Edur, 3 / 4 ; steht noch unter dem beklemmenden Einfluss des 
ersten. Soweit er auch dem vorausgehenden Allegro in der 
Tonart und in seinem Trost und Frieden suchenden Ab- 
sichten ausweicht — einige von dessen furchtbaren Ele- 
menten erreichen ihn doch. Sie äussern sich in den 
heftigen Crescendos, in den schroffen Modulationen ein- 



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zelner Themen; ja das Allegro schickt aucli einige seiner 
Motive wörtlich in den langsamen Satz hinein : in das 
erste Thema: 



Andante 





den chromatischen Passus 
des fünften Taktes, in den 



Schluss der zweiten Themengruppe das schmerzlich 



wiederholte 



In einzelnen Partien klingt der Ton kindlicher Zu- 
versicht ausserordentlich rührend durch, so im Nachsatz 

Ob. 




des ersten Thema: =^^==^f^~^^^^_ noch freund- 
licher belebt in dem Sechszehntelspiel, welches Oboe 
und Clarinette als zweites Thema bringen. Der Schluss 
des Andante, wo Horn und die Solovioline mit dem 
zuletzt citirten tröstlichen Thema concertiren, wirkt wie 
eine wahre Musica sacra. 

Der dritte Satz der Sinfonie (Un poco Allegretto, 
As dur, 2 /4; liegt von dem Charakter des an dieser Stelle 
gebräuchlichen Scherzo weit ab. Er ist im strengen Zu- 
sammenhang mit dem Geist des ersten Satzes gedacht: 
seine Heiterkeit infolgedessen eine gedämpfte wie in einer 
fröhlichen Stunde, die als die erste auf eine Reihe trau- 
riger Tage folgt. In seinem zweiten Thema namentlich 

Allegretto. 



* * 




Cl»r. 
Mit Flöten f»« 



ist die Betrübniss merkbar, und an der 
Fortestelle erhebt sich der Accent des 

Schmerzes. Der Grundton des Satzes ist kindlich herzlich. 




280 *>- 



So äussert ihn das Hauptthema, namentlich in der zweiten 
Hälfte: 



CUr. 




noch mehr das Trio: ein graziöses Wechselspiel zwischen 
Holzbläsern und Geigen über das Thema: 




In dem zarten Glöckchenton der Bläser liegt viel 
Naturklang und ein ursprüngliches Instrumentationstalent, 
wie es sich bei Brahms häufig in Bildungen von 
grösster Einfachheit äussert. Der Schluss des Satzes, 
still und halb unerwartet, steht mit dem decenten Cha- 
rakter der Composition im vollen Einklang. 

Das Finale (Adagio, C moll — Andante — Allegro, 

Cdur(£) beginnt mit einem Rückfall in die leidenschaft- 
lich trübe Stimmung des ersten Satzes der Sinfonie. 
Schwermüthig setzt das einleitende Adagio ein: 

Adagio , — 3 "J~j 




Die Violinen suchen energisch und desperat in einem 
durch das pizzicato und stringendo sehr scharf charak- 
terisirten Satz, welcher auch an den kritischen Punkten 
des Allegro wiederkehrt, von dem melancholischen Wege 
abzulenken. Vergeblich! Die Phantasie irrt aufgeregt 

im dunklen Kreise; über das Motiv 

v crttc. 

geräth das Orchester in helle Empörung. Die Pauke 
wirbelt fürchterlich. Da erscheint wie ein friedlicher 
Himmelsbote das Horn mit folgender Melodie: 

Piü Andante. 





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281 *~ 



Wir sind im Andante, dem zweiten Theile der Ein- 
leitung. Die Stimmung sänftigt sich, erhebt sich und 
bereitet den kräftig freudigen Hymnus vor, mit welchem 
der Hauptsatz des Finale, das Allegro einsetzt: 



Allegro non troppo 




Es ist eine 



lange und volksthümliche Melodie, welche sich aus dieser 
ersten Periode gestaltet. Sie bildet den Hauptträger der 
Darstellung im Satze. Unter den anderen Gedanken, welche 
ihr zur Seite treten, ist der wichtigste der schwankende : 




Zu vorübergehender 
Bedeutung kommen noch die energisch heiteren Motive: 

das innige 



und das melancholische: 




Der Satz ^iebt ein grossartiges, dramatisch schwung- 
volles Bild einer Siegesstimmung, welche über alle Hin- 
dernisse hinwegschreitend bis zum dithyrambischen Jubel 
anwächst. In seinen heitern und seinen ernsten Mo- 
menten wirkt dieses Finale gleicher Weise anschaulich 
und lebendig und äussert einen mächtigen Zug. Die 
genialsten und ergreifendsten Stellen des Allegro sind 
wohl die. wo die Hornmelodie des Andante wieder- j, 

kehrt. Sinfonie Nr. 2 

Die zweite Sinfonie von Brahms Ddur, veröffent- (Ddnr). 



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282 



licht Fnde \ 877 ist ihrem Style nach, welcher pastorale 
Motive und anakreontische Ideen mit geisterhaften Klängen 
nahe zusammendrängt, eine der romantischsten Compo- 
sitionen des Autors. In der musikalischen Factur steht 
sie hinter der ersten Sinfonie zurück. Ihr Entwurf ist 
bedächtiger und lässt mehrmals die Punkte erkennen, 
wo durch Zusätze und Einschiebungen nachgeholfen 
worden ist. Ihrem Inhalt nach nähert sich die Sinfonie, 
in vornehmer moderner Form, dem Phantasiebereich 
der alten Wiener Schule. Ihr Grundton ist ein heiterer, 
und selbst in den schwermüthigen Theilen ihres Adagio 
herrscht seelische Anmuth und ein friedevoller Sinn. 

Der erste Satz dieser Sinfonie (Allegro non troppo. 
Ddur, 3 / 4 , gleicht einer freundlichen Landschaft, in 
welche die untergehende Sonne erhabene und ernste 
Lichter hineinwirft. An selbstständigen musikalischen 
Ideen übersteigt er den Bedarf des Schema bei Weitem, 
und einzelne dieser zahlreichen Seitengedanken fesseln 
die Erinnerung mit voller Stärke an sich. Das Haupt- 
thema des Satzes besteht aus einem liebenswürdig fa- 
miliären, gemüthvollen Dialog zwischen Horn und Holz- 
bläsern: 

HoUbl. 



Allegro non troppo 



i Hl 




Contrtb. ** n 

Die Viol inen schattiren mit ruhigen leichten Dreiklangs- 
figuren seinen Abschluss. die Posaunen markiren ihn 
mit Accorden von dunkler Feierlichkeit. Die Ueber- 
gangspartie, in der Mitte imposant auf Fragmente des 
ersten Themas gestützt, bringt zwei neue Motive, zu An- 



fang ein munteres: 



Ende ein 
neckisches: 




t» Viol 




P SA . Da * 

f * T *n welc 



zweite 
elches in 



am 



Thema, 
seinem 



Anfang einen leichten Anflug Mendelssohn'scher Senti- 
mentalität aufweist: 



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CrJll 



wird in der Schlussgruppe des Expositionstheils von 
kräftigen Gedanken abgelöst, unter denen die beiden 
folgenden hervorzuheben sind: 




und 




Namentlich dieses letzte Thema, durch markige Nach- 
ahmungen verstärkt, setzt sich im Gesammteindruck der 
Sinfonie mächtig fest. Die Durchführung der aufgestellten 
Gedanken ist verhältnissmässig kurz, im Charakter phan- 
tastisch contrastirend. Die Reprise kommt überraschend 
und mit reizenden Varianten. Die Coda des Satzes ge- 
hört zu den schönsten Partien der Sinfonie. Sie ist ein 
Produkt der unmittelbaren Inspiration. Das Horn leitet 
sie mit einer eigenthümlich zögernden und suchenden 
Melodie ein, und darauf repetiren Violinen und Bläser, 
die einen den anderen immer einhelfend, nochmals in 
Kürze alles das Freundlichste und Anmuthigste, was 
ihnen auf der vorhergehenden langen Wanderung be- 
gegnet war. 

Den zweiten Satz der Sinfonie (Adagio non troppo. 
Hdur, C) beginnen die Celli mit einer Melodie folgenden 
Anfangs: 

»Mb 




/Olli 



J^?§^ipi=i welche lange vergeblich nach dem Schlüssel 

zu suchen scheint, der aus dem trübsinnigen Kreise heraus- 
führen soll. Ihren schwermüthigen Blicken begegnet endlich 
ein freundliches Bild, welches die Phantasie in die Jugend- 



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284 



zeit, in die glücklichen Tage von Spiel und anmuthigem 
Tanz zurückführen will: 




Ein dritter Theil. geführt von dem Thema: 




steigert die trübe Stimmung, von welcher der Satz aus- 
ging, bis zu einem leidenschaftlichen Grade. In der 
Durchführung, deren Grundlage die Themen I und III 
bilden, herrscht der aufgeregte Ton vor. Auch im 
Schlusstheil kehrt die liebliche Melodie des »2/ 8 -Taktes 
nicht zurück; er lässt in einer traumartig - freundlichen 
Beleuchtung das trauernde Thema der Celli verschwinden. 

Der Haupttheil des dritten Satzes fAllegro grazioso, 
G dur, y 4 , Presto 2 / 4 , Presto %) hat mit dem originellen 
Menuett der D dur -Serenade von Brahms den naiven 
Charakter in Melodik und Instrumentation gemeinsam. 
Das Hauptthema des Satzes hat folgenden Anfang: 




Die schlicht anmuthige Melodie ist mit einer glei- 
chen Einfachheit harmonisirt und instrumentirt Der 
Seitensatz, im Wesentlichen lediglich eine rhythmische 

Pretto. 

Umbildung jenes Hauptthema 




wird noch 



durch ein sehr wuchtiges Nebenthema verstärkt 




In ihm wie in dem die Stelle des Trio vertretenden 
3/ 8 -Takte 



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-<* 285 



Presto. 




P Viol. 

ist der Humor in die Formen der ungarischen Musik gekleidet. 

Das Finale der Sinfonie (Allegro con spirito. D dur, (fc) 
erinnert an die schillernden Farben der Cherubinischen 
Romantik, sein Geist ist der lustige lebensprühende der 
Haydn'schen Sinfonie. Im Style dieses Meisters setzt 
auch das phantastisch flotte Hauptthema 

Allegro con spirito. 





im spannenden piano ein, dem 

dann nach einem frappanten Uebergang das rauschende 
Forte folgt. Das erste Seitenthema ist folgendes: 




etc. 



Die behagliche Wirkung des zweiten Thema: 




erhält in einer Reihe von Seitengedanken, 

patriarchalisch kräftig die einen, in losen Achtelfiguren 
tändelnd die anderen, nachdrückliche Unterstützung. 
In der Durchführung bildet eine traulich schwärmerische 
Episode, welche auf folgendem Thema ruht: 




denanmuthi- 



Viol. 



gen Mittelpunkt. 

Die dritte Sinfonie von Brahms F dur , welche im j, Brahma 
Jahre 1883 veröffentlicht wurde, zeichnet das Bild einer Sinfonie Nr. 3 
kraftvollen Natur. In der Darstellung dieses Vorwurfs (Fdur). 



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-«* 286 <t>- 



verfährt sie aber insofern ungewöhnlich, als die Stelle 
der Conflikte am Ende der Composition liegt. 

Im Style unterscheidet sie sich von ihren Vor- 
gängerinnen durch eine noch grössere Klarheit der Glie- 
derung. Sie zeigt uns den Componisten auf der Bahn 
edler Popularität immer weiter schreitend: der subjective 
Zug in der Entwickelung tritt noch mehr zurück, die 
Ideen und ihre Darstellung halten die Sphäre des allen 
Menschen Verständlichen und Fasslichen inne. Vielleicht 
bildet diese dritte Sinfonie von Brahms für die spätere 
Kunstgeschichte den Ausgangspunkt einer neuen Periode 
der Sinfonie. Denn sie scheint den Bruch mit der 
Beethoven'schen Methode der Satzdisposition einzuleiten, 
indem sie den Schwerpunkt der Composition aus der 
Durchführungspartie in die Themengruppe, aus der Aus- 
arbeitung und kunstvollen Weiterführung in das Gebiet 
der ersten Erfindung zurücklegt. Ein stattlicher Gedanke 
folgt dem andern direkt auf dem Fusse, die Melodien 
sind in der Mehrzahl allerdings lang gedehnt und setzen 
eine geübte Auffassungskraft voraus, aber sie erleichtern 
die Aufgabe durch eine ausserordentliche Prägnanz. 

Den ersten Satz, welcher den Grundzug rüstig hei- 
teren Frohmuths hat, leitet ein kurzes Präludium von zwei 



in der Entwickelung des Satzes eine selbstständige Aufgabe 
übernimmt: Es trennt die Gruppen und wird zuweilen 
zu grossen, ausdrucksvollen Melodien erweitert. Das 
Hauptthema des Satzes blitzt kampflustig bald aus Dur, 
bald aus Moll, und entwickelt im raschen Wechsel von 
Ruhe und knapper Bewegung, in seinen grossen Schritten 
und seinem langen Gang eine ungewöhnliche Energie: 

Allegro con brio. , 



Takten ein, dessen melodisches Motiv 




-ö- 287 *~ 




Das im unmittelbaren Anschluss folgende Seitenthema: 




errtc 



gehört zu jenen zahlreichen Episoden des Satzes, die mit 
zarten Regungen die kräftigen Elemente der Composition 
einzuschlummern suchen. Aber vergeblich: es folgen 
ihnen immer nur kühnere Aeusserungen des starken 
Muths. Die verführerischste in dieser Gruppe von Delilah- 
gestalten ist das zweite Thema: 

Grazioso. 




~, welches sich ausserordentlich 



verwandlungsfähig erweist. Von ihm abgeleitete Glieder 
finden sich als die Chorführer der tändelnden, 
wie auch der heroischen Scenen. In der Durch- 
führung erscheint es in Moll und stellt den ernsten 
Charakter dieses Theiles fest. Ein sostenuto in Es, 
dem das Hauptthema zu Grunde liegt, bildet den 
Höhepunkt und zugleich den Schluss ihrer Entwickelung. 
Die Coda stellt die kräftige Erscheinung des Hauptthema 
noch einmal auf ein erhöhtes Podium und lenkt dann 
magisch schön zur Ruhe über. Mit einem letzten leisen 
Citat seiner ersten Takte, ähnlich wie der Eingangssatz 
von Beelhovens achter Sinfonie, klingt das Allegro ele- 
gisch aus. 

Das Andante der Sinfonie (C dur, ) ist eine schlichte, 
fromm gestimmte Dichtung, eine Composition, welche in 
ihrem einfachen Ausdruck seelischen Friedens, in ihrer 
in sich geschlossenen, einheitlichen und leidenschaftslosen 
Haltung kaum einem Seitenstück in der neueren Sinfonie 
seit Beethoven begegnet. Der grösste Theil des Satzes 
ruht auf dem Thema: 



288 ^ 



And^ntf" 




welches in einer Reihe freier Variationen durchgeführt 
wird, die an seinem Charakter wenig ändern, aber im 
Colorit den herrlichsten Wechsel bieten. Nur auf einen 
Moment tritt ein klagender Ton ein mit 




? CUr. mit F«g. in «»» 

Diese Melodie, welche formell die Stelle des zweiten 
Thema einnimmt, wird aber nicht weiter benutzt. Nur 
ihr Nachsatz, der in ein mystisches Spiel mit weichen 
Dissonanzen ausläuft, kehrt am Ende des Satzes noch 
einmal zurück. 

Vom dritten Satze an [Poco Allegretto, Cmoll, 3 / 8 ) wird 
der Charakter der Sinfonie trüber. Sein Hauptthema, 
welches ein wenig zu der Weise Spohr's hinneigt 

Poco Allegretto. 




Celli 



giebt das Bild eines anmuthigen Reigens wie aus dem 
Spiegel einer schönen Vergangenheit, und die Stelle des 
Hauptsatzes, wo die Musik ihren höchsten Reiz entfaltet 



— das Motiv 




der Celli leitet sie ein - - 



ist in der Farbe der Erinnerung und des Traumes ge- 
halten. An der Stelle des Trio steht ein Mittelsatz (in As;, 
welchen die Bläser mit dem Ton der Bitte und der 

Resignation füllen 




Er schliesst mit einer Beethoven'schen Wendung. 

Dass der dritte Satz nicht ein feuriges Scherzo ge- 
worden ist. hat, ähnlich wie in der ersten Sinfonie von 
Brahms, seinen Grund in dem poetischen Generalplan 



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-> 289 



der Sinfonie. Dieser dritte Satz vermittelt denUebergang zu 
dem leidenschaftlich und oft finster erregten Finale (Allegro, 
F moll , <£). Letzteres bildet den Schwerpunkt des Werkes. 
Das heroische Element der Sinfonie hat hier die Probe 
gegen harte und unfreundliche Gegner zu bestehen. 
Düster phantastisch beginnt der Satz: huschende Figuren, 
dann ein Anhalten und gänzlicher Stillstand der rhytl*- 
mischen Bewegung: 




Noch beklommener und unheimlicher wird der Ton mit 
dem Eintritt der Posaunen und dem verschleierten Thema, 



welches ihnen folgt 




FTTf? 



Gleich darauf bricht der gespannte Bogen und die 
Situation nimmt einen ausgesprochenen Kampfescharak- 
er an. Wild und trotzig fahren die Violinen herein mit: 




die Celli singen siegesfreudig: 

, . r fffr , r f ff ttffftr f | fl jg 

In der Durchführung dieser Confliktsperiode finden 
sich mehrere Culminationspunkte — einer der höchsten 
ist da wo das Thema b im stärksten Klange den fana- 
tischen Figuren der Violinen entgegengestellt wird. Ein 
merkwürdig bedeutungsvoller Einspruch des Fagotts be- 
schwichtigt die brandenden Wogen. Die Composition 

19 



290 



lenkt in ein sostenuto über, dem die Schönheit des 
Regenbogenhimmels eigen ist. Die düsteren Themen a 
und b strahlen jetzt Ruhe und Frieden aus, und wie eine 
verklärte Erscheinung zeigt sich an der Ausgangsschwelle 
der Sinfonie noch einmal das heroische Thema ihres 
ersten Satzes. 

J. Brahma Wenn die im Jahre 4 885 veröffentlichte vierte Sin- 
Sinfoni« Nr. 4 fonie von Brahms (E moll) von vielen Kennern als die 
(Emoii). bedeutendste des Gomponisten bezeichnet worden ist. 

so gründet sich dieses Urtheil namentlich auf den Aus- 
gang des Werkes. In ihm führt Brahms den eigensten 
und mächtigsten Theil seiner Individualität zum ersten 
Male entschieden und bestimmt erkennbar in das sin- 
fonische Gebiet über: der Sänger der deutschen Todten- 
messe steht vor uns! Im Style geht diese Sinfonie die 
Wege der Vorgängerin: sie übertrifft die letztere noch in 
der Einfachheit der musikalischen Grundgedanken, in 
ihrer Uebersichtlichkeit und in der auf wenige Haupt- 
gruppen beschränkten Disposition der Sätze. Sie schlägt 
einen schlicht erzählenden Ton an, und namentlich ihr 
erster Satz gleicht fast einem gross stylisirten Liede. 
Ohne Weiteres setzt sein Hauptthema ein: 




eine lange Melodie, deren bewölkter Horizont sich zu- 
weilen etwas aufhellt, um dann einen noch trüberen 
Charakter, oft einen schmerzlichen Accent anzunehmen. 
Das Seiten thema (in den Cellos) und das zweite Thema: 



- ^^j^-^g j -j-f-^-y | ^ p-tf p ||j,l = , welches von 
liier aus in unscheinbaren Gängen dem zart ver- 



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291 -an- 



hauchenden Ende zuschreitet, sind Bundesgenossen 
der elegischen Hauptfigur des Satzes. Sie leben mit 
ihr in leisem Zagen dahin, werfen resignirte Fragen 
auf und ruhen in dunklem Sinnen auf langen 
Accorden aus. Den originellen Charakter des Satzes be- 
stimmt das ritterlich fröhliche Gegenthema, welches sich 
sofort an den Abschluss der grossen Rmoll-Melodie 
heftet, und seine vielseitige Verwendung: 




Bald kräftig und gebietend, bald kosend und zärtlich, 
neckisch und heimlich, bald fern, bald nah, bald eilig, 
bald sich ruhig ausbreitend, — immer kommt es über- 
raschend und stets willkommen, bringt Freude mit und 
giebt dem Gang des Satzes einen dramatischen Schwung. 
Auch hier, wie im Eingangssatz der dritten Sinfonie, ist 
der Durch führungstheil sehr knapp gehalten und be- 
scheidet sich im Wesentlichen damit, die elegischen Ele- 
mente der Dichtung etwas stärker auszusprechen. So 
einfach die ganze Anlage des Satzes erscheint, so ist sie 
doch im Detail ausserordentlich reich und kunstvoll. In 
jeder Stimme selbstständiges, melodisches Leben, der 
führende Chor der Instrumente und der begleitende stehen 
im überwiegenden Theil des Satzes zu einander in einem 
antiphonischen Verhältniss, das die Wirkung voller macht 
ohne sich aufdringlich zu zeigen. 

Der zweite Satz (Andante moderato, Edur, 6 /g) knüpft 
an die elegischen Ideen des ersten an. Er macht im 
Vergleich zu ihm einen ähnlichen Eindruck, als wenn 
Jemand über ein aufgeworfenes Thema eine Geschichte 
aus alter Zeit erzählt. Sein Hauptthema 

Andante moderato. 



-^J- [^-^ -^uA: . welches von einigen Takten unisono 

präludirt wird, hat den gleichmässigen Ton der alten Ro- 

*9* 



292 



manzen und in seinen Harmonieschlüssen die charakteri- 
stischen Wendungen der mittelalterlichen Musik. In der 
Mitte des Satzes, da wo die Triolen einsetzen, streift die 
Musik den neutralen Erzählerton ab, zeigt freudigen 
Antheil, Begeisterung und bricht in herzenswarme Weh- 
klagen aus. 

Der dritte Satz (Presto giocoso, C dur, 2 /<) theilt mit 
dem Andante das archaistische Colorit. Namentlich in 
dem Mollschluss des nur flüchtig behandelten Gegenthema 

Presto. . 




kommt das- 




selbe zu einem starken Ausdruck. Die Heiterkeit dieses 
Presto ist keine unbedingte. Sie streift die schauerlichen 
Elemente wiederholt. In den dumpf und tief herein- 
fallenden Accorden des Hauptthema 

in seiner hitzigen, 

rastlosen Rhythmik, in seiner plötzlich aufzuckenden 
Energie, in der vorwiegenden Härte des Charakters 
erinnert der Satz direkt an die dämonischen Clavier- 
balladen (op. 4 0) des Componisten. welche unter die 
poetisch bedeutendsten seiner Jugendwerke gehören. 

Das Finale (Allegro energico e patetico, E moll, 3 / 4 ) 
ist durch die Menge des vorgeführten Materials der für 
das formelle Verständniss schwierigste Theil der Sinfonie ; 
seinem Gedankengehalt nach ist es einer der ernstesten 
und höchst gestimmten Sinfoniesätze, welche existiren. 

Es beginnt mit einer Reihe schwerer Accorde, zu 
welchen die Posaunen drohende Farben und Accente 
herbeibringen. Alle die Themen, welche nach diesem 
Eingang zunächst aufgestellt sind, haben einen ängst- 
lichen, erschreckten und suchenden Charakter. Unter 
ihnen ist das folgende 

Allegro 




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293 



als das Hauptthema anzusehen. Dasselbe kehrt mehrmals 
im Satze wieder, wird jedoch nicht in der üblichen Weise 
des Durchführungsschema ausgenutzt Die Spitze der 
düsteren Ideengruppe bildet ein langes Flötensolo, welches, 
melodisch und rhythmisch naturgetreu, das Bild eines halt- 
losen Seelenzustandes entwirft. Nach ihm tritt die 
Wendung ein: die Harmonie wechselt plötzlich nach 
E dur, die Rhythmik wird breit und ruhig, Clarinette und 
Oboe beginnen trostvoll und fromm zu singen: 



die Posaunen sprechen feierlich erhabene Requiemge- 
danken aus: 



Die Composition lenkt in das Gebiet, wo Leid und 
Freude schweigt und das Menschliche sich vor dem beugt, 
was ewig ist. In dieser natürlichen Hoheit des Ausgangs 
ist die vierte Sinfonie von Brahms eins der gross- 
artigsten und ergreifendsten Werke der sinfonischen 
Litteratur. 

In der Claviercomposition und im Liede bereits 
merkbar hervortretend, hat die Schule Brahms in der 
Sinfonie bisher nur flüchtige Lebenszeichen gegeben. 
Erst seit neuerer Zeit besitzen wir in der Cmoll-Sinfonie 
von H. von Herzogenberg ein Werk, welches den Ein- H. v. Henogen- 
fluss dieses Meisters stärker zeigt. Der erste Satz dieser berg 
und der Cmoll-Sinfonie von Brahms haben in Idee und Sinfonie Cmoii. 
Ausdruck eine grosse Aehnlichkeit. Gleichwohl hat die 
Composition des Jüngers ihren selbstständigen Werth und 
ihre eigene Schönheit. Unter die Theile, welche in dieser 
Richtung am meisten hervortreten, rechnen wir die 
balladenartige Einleitung, welche in der Weise Gade's den 





4 1 



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^ 294 



nordischen Ton anschlägt, und das Scherzo. In ihm, das 
auch auf jene Einleitung poetisch sinnvoll zurückgreift, 
sind der Hauptsatz und das Trio in einer ganz neuen 
Art verbunden: Die beiden Theile wechseln gleich von 
Anfang ab Clausel für Clausel im malerischen Contrast. 

Das Adagio, in der Anlage dem von Brahms' zweiter 
Sinfonie entsprechend, darf sich eines tief melodischen 
Zuges rühmen ; der wie ein fernes Bild eingerückte freund- 
liche Mittelsatz verräth ein eigenes Talent zu einem edel 
volkstümlichen Musikstyl. 
Ä. Bruckner Jahrzehnte lang wenig bemerkt, haben plötzlich die 
7. Sinfonie Edur.Compositionen des Wiener Tonsetzers Anton Bruckner 
die Beachtung der Musikwelt auf sich gezogen: seine 
siebente Sinfonie E dur hat in den letzten Jahren eine 
grössere Anzahl von Aufführungen erlebt und steht von 
Neuem auf den Programmen. Das Werk hat Gedanken von 
grossem sinfonischen Charakter: das Hauptthema des 
ersten Satzes 



AUegro tnoderato 




und noch mehr das des Adagio 




Jim. 



legen dafür Zeugniss ab. Aber höhere Originalität und 
technische Reife suche man in dem Werke nicht. Selbst 
der Contrapunkt ist steif, und der Entwickelung der Ideen 
fehlt die Logik, der Zusammenhang und das Mass in 
einem Grade, wie er in gedruckten Sinfonien unerhört 
ist. Ohne alle Vermittelung, ohne jeglichen Uebergang 
stehen im ersten Satze pathetische Themen und Wiener 
Ländlerweisen neben einander, im letzten Choralmelodien 
und infernale Figuren. Der Entwurf dieser Hauptsätze 



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295 «>- 



scheint vom Zufall der täglichen Arbeitslaune bestimmt. 
Aber trotzdem hat die Sinfonie ihre positiven Seiten. 
Einmal eine kunsthistorische: sie zeigt zum ersten Male 
den Einfluss Wagner's, dem wir bei Raff, Hofmann, Sgam- 
bati, Goetz und Draesecke nurin kleineren Zügen begegneten, 
in breitesten Spuren. Das Scherzo is fast nur eine Um- 
schreibung des Walkürenritts. Zweitens aber entwickelt der 
Componist ein Talent der Nachdichtung, das in seiner Art zu 
eigner Bedeutung gelangt. Am imposantesten im Adagio. 
Auch hier sieht man die Quellen durch: Götterdämmerung 
und Neunte Sinfonie. Aber die Wagner'schen Motive sind 
mit einem Schwung und einer Begeisterung ausge- 
führt und erweitert, welche überwältigt. Die grosse 
Stelle dieses Satzes, wo die Trompete über dem Glanz 
des vollen Orchesters mit ihrem G fortleuchtet, gehört 
zu den grossartigsten Toncombinationen der neueren 
Litteratur. 



Berichtigungen: 

S. 3, Z. 24, lies: »des Sachsen Perzel(ius).« 

» 4 9 : Im 2. Beispiel fehlen Iis und eis in der Vorzeichnong. 

n 50, Z. 2, lies 44 statt 47. 

» 66, 4. Beispiel, letzter Tact heisst daß 2. Achtel im Alt 

fl 8 statt 168. 
» 4 4 6, Z. 4 8, lies: Brandl, Braun, Blytna. 
« 423, letztes Beispiel, 3. Viertel im 4. Tact: a statt g. 
» 4 34. Marginal lies: 0. statt H. Onslow. 
» 4 37, 3. Beispiel, 4. Tact: das dritte Viertel beginnt mit c 

statt es. 

» 4 67, 4. Beispiel, letzter Tact fehlt J| vor e. 
» 4 84, letztes Beispiel, ist »des« vorzuzeichnen. 
» 494, 4. Beispiel aus »Heldenklagea. Die zweite Note muss 
des sein. 

» 4 96. Vor der 3. Zeile des Notenbeispiels ist 3 /s vorzuschreiben, 

im letzten Tact fehlt über den drei Viertel: eis, fls, 

gis das Triolenzeichen 
» 225, erstes Beispiel, Tact 3 statt d lies: c. 
» 239, zweites Beispiel, Tact 2, letztes Viertel heisst ces. 
» 245, letztes Beispiel: die 4 Auftactnoten sind Achtel. 
» 246. Im Hauptthema des Adagio fehlt im letzten Accord des 

5. Tactes B im Bass. 
» 256. Im 2. Thema des ersten Satzes, Tact 4, heissen das 4 0 

und 44 . Achtel: h und o. 
» 260. Im letzten Beispiel fehlt der Haken über Tact 9 und 4 0. 
» 264, vorletztes Beispiel, 2. Zeile, 2. Tact, viertes Achtel 

lies: fls statt g. 
» 267, zweites Beispiel, zweite Note heisst e statt d. 
» 282, letztes Beispiel; Das fc gehört vor a. 
» 294, erstes Beispiel: Die ersten drei Noten heissen: e H e. 



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REGISTER. 



Abert, J. 2M. 
Andre, A. M 3. 

Bach, J. S. 12 o. ff. 
Bach, P. E. 23 iL ff. 
Balakirew, M. 230. 
Bargiel, W. 243^ 2M- 
Beethoven, L. v. 1H u. ff. 
Berlioz, H. 112 u. ff. 
Bird, A. IßjL 
Bizet, G. 211. 
Blymma, F. 1 1 r>, 
Bononcini, M. A. 22. 
Borodin, A. 2M. 
Brahms, J. 214 u. ff., 225 u. ff. 
Brandl, J. üfi, 
Braan, C. A. B. 11& 
Bruch, M. 269. 
Bruckner, A. 294 
Brüll, J. 2A2. 
Burgmüller, N. <70. 



Corelli, A. iL 
Coupärin, F. L 
Cowen, F. ÜJL 
Cui, C. 23JL 
Czerny, C. 119 

Dargomyzski, A. ±M 
David, Fei. i&L 
Dietrich, A. 2£L 
Dotzauer, J. F. Uli. 
Dräsecke, F. 212. 
Dvorak, A. 221, 

Eberl, A. il&. 
Esser, IL 212, 

Feska, F. E. HA 
Fuchs, R. 2JÜ. 

Gabrieli, 0. 2, 
Gade, N. 21L 
Gahrich, W. LUL 



Galuppl, B. ii. 
Geminiani, F. (L 
Gernsheim, F. il i. 
Gluck, C. W. v. 22* 
Godard, B. 21L 
Götz, IL iliL 
Goldmark, C. iiJ . 
Goltermann, G. ML 
Gouvy, Th. 21Ü, 
Graun, K. IL ü 
Grimm, J. O. 243. 
Gyrowetz, A. Ml. 

Händel, G. F. a u. ff. 
Hamerik, A. 2ä9_ 
Hartmann, E. 21 9. 
Hasse, J. A. 22. 
Haydn, J. Ifi u. ff. 
Heisted, C. 2£2. 
Herbeck, J. 212. 
Herzogenberg, EL v. 29JL 
Hesse, A. 470. 
Hill er, F. 2JÜ. 
Hoffmeister, F. A. LLL 
Hofmann, IL 209^ Mit 221. 
Hol, R. 2äi. 
Holtzbauer, J. 22. 
Hrimaly, A. 22iL 
Huber, IL MiL 

Jadassohn, S. 244. 
Jomelli, N. 22. 

Kalliwoda, W. 129 u. ff. 
Kittl, J. F. L7JL 



298 

Klughardt. A. 204j 2:>i. 
Krommer, F. 1 1 7. 
Kufferath, F. 2fi2. 
Kuffner, J. 1 1 6. 

Lachner, F. 2JLZ u. ff. 
Leonhardt, J. E. 2Ä2. 
Liszt, F. Lall u. ff. 
Lully, J. B. de LL 

Maschek, V. LUL 
Maurer, L. W. HS. 
Mehul, E. N. 4 32. 
Mendelssohn, F. L4A u. ff. 
Michalovich, E. v. 4 97. 
Monteverde, C. 2, 
Moral t, J. B. lliL 
Moszkowaky, M. 2JUL 
Mozart, W. A. 4Ji u. ff. 
Müller, C. G. L7JL 
Mysliweczek, J. 2JL 

Neukomm, S. 118. 
Nicode", J. L. 2M. 

Onslow, G. HA. 

Pape, L. 2S2. 
Pezel(iua), J. 3, 
Pleyel, J. 1LL ' 
Pott, A. 2Ä2. 

Raff, J. iaa u. ff., 224j 212 
Rameau, J. P. k. 
Reicha, A. HS, 
Reinecke, C. 254. 
Reinhold, IL 21*. 



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299 



Keissiger, G. 
Rheinberger, J. ÜUL 
Riemenschneider, G. diLL 
Ries, Ferd, HS. 
Rietz, J. 

Rimsky-Korsakow, N. 2M. 
Romberg, A. 4 29, 
Romberg, B. i gQ. 
Rubinstein, A. 255 u. ff". 

Sammartini, G. Ii. 2JL 
Scarlatti, A. L 
Scarlatti, D. LL 
Schneider, F. 122. 
Schubert, Franz. HS u. ff. 
Schumann, R. UÜ u. IT. 
Sgambati, G. 2ÜL 
Spohr, L. i u. ff. 
Stanford, C. V. 231. 
Sterkel, J. F. LUL 
St. Saens, C. 122 u. ff. 
Svendsen. J. S. 22Ü u. ff. 



Taubert, W. iü 
Tomaschek, J. \V. I2i 
Toreiii, G. ä. 
Tschaikowsky, P. *3Q 

Ulrich, IL 

Veit, W. E Ifil 
Viadana, L. L 
Vogler, Abt. HS. 
Volkmann, R. 25_fi u 
i£5 u. ff. 

Weber, C. M. v. ia& 
Weyse, .C. E. F. iliL 
Wilms, J. W. US. 
Winter, P. v. IM. 
Witt, F. 
Wölfl, J. IIS. 
Wranitzky, P. LUL 
Wuerst, R. 2£2. 

Zellner, J. ISA. 



Im Verlag von A. G. Liebeskind erschien: 
Dichtungen von Rud. Baunibach. 



Lieder eines fahrenden Gesellen. 14. Tausend. 


Jt 


3,20. 


SpieimannBlieaer. lu. lausend. 


y 


o 

l t — • 


Lieder von der Landstrasse. 8. Tausend 


t,ll 


9 

*- - 


Mein Frühjahr. 8. Tausend. 


Jt 


2,80. 


Krug und Tinteniass. 0. lausend. 


Jl 




Zlaterog, Alpensage. 19. Tausend. 


Jt 


0 . 


Frau Holde. 16. Tausend. 


Jt 


2,—. 


Pathe des Todes. 6. Tausend. 


Jt 


*2 


Horand und Hilde. 


Jt 


2,60. 


Prosa. 






Sommermarchen. VI. Tausend. 


Jt 


3,—. 


Erzählungen und Märchen. 6. Tausend. 


Jl 




i>eue roe»ien. 






Liederhort aus Jungfriedel der Spielmann 






von August Hecker. 


Jt 


3,— 


Idyllen und Scherze von H. Seidel. 


Jt 


2,50. 


Gedichte eines Optimisten von J. Lohmeyer. 


Jt 


3 — . 


Gedichte von Joh. Trojan. 


Jt 


2 T 40. 


Scherzgedichte von Joh. Trojan. 


Jl 


2,60. 


Zwölf Balladen von J. v. Wildenrad t. 


Jl 


%-■ 


Die äussere Form neuhochdeutscher Dicht- 






kunst von K. Assmus. 


Jl 


5,— 



Druck von Breitkopf k Kartei in Leipzig. 



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